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XIX.

»Nun, Eddy, reisen wir morgen weiter?« fragte am nächsten Tage Klärchen ihren Gatten. Sie war gestern abend recht spät mit den Schwestern heimgekehrt und hatte ihrem Manne noch bis tief in die Nacht hinein von all den Wundern des Golden Gate Parks vorgeplaudert: von seiner fast überreichen Pracht an Blumen, darunter vielen, vielen tropischen, den Denkmälern, dem großen, freien Spielplätze für Kinder, wo Hunderte von Kleinen sich vor Lust und Jubel kaum zu halten gewußt hätten, seinen Kunstgalerien und Museen, der Sternwarte und vor allem: seiner wunderbaren Ausficht auf das Goldene Tor und die ewig schöne See! Mehrere große Passagierdampfer seien angekommen und abgefahren, und das habe wiederum eine Freude und auch ein Trennungsweh hervorgerufen, an der sie habe den wenigsten Anteil nehmen müssen.

Der ganzen Schilderung des Frauchens war es deutlich anzufühlen, daß auch sie nun schon anfing, diese Stadt warm zu lieben, daß auch auf sie die Luft und Sonne hier ihren starken Einfluß ausübten, und aus ihrer Frage selbst klang die Hoffnung auf eine verneinende Antwort.

Eduard, der dies wohl merkte und ihr am liebsten nun gleich freudig zugerufen hätte, daß sie für immer hier bleiben würden, wollte sie erst noch ein wenig necken, und so stellte er sich betrübt und entgegnete: »Ja, Doppelgrübchen, wir werden wohl müssen!«

»Ach!« Mehr brachte sie nicht hervor.

Nun hielt er sich aber auch nicht länger. Stürmisch schloß er sie in die Arme, sagte ihr die volle, entzückende Wahrheit, und nun jubelten die beiden Leutchen eine Weile wie selige Kinder, bis die Glocke unten ertönte und sie daran erinnerte, sich für den Frühstückstisch zurecht zu machen.

Also nicht nach dem alten, dunklen, noch halb wilden Mexiko,« sagte Klärchen, während sie die letzte Hand an ihre Toilette legte; »Du, weißt Du, Eddy, Dir nun die Wahrheit zu gestehen: mir hat immer heimlich vor unserm Aufenthalt dort gegraut!«

»Du Schelm,« rief er ihr lustig zu, »Du, jetzt kann das jeder sagen!«

Merkwürdig! In diesem Augenblick mußte Eduard daran denken, was ihm seine Gattin damals am Tage ihrer Ankunft so warnend zugerufen hatte: »Du, Du, nimm Dich in Acht vor Frisko!« – Und dann: »Werde mir nicht leichtsinnig, Eddy! Du weißt: leichte, unbeständige Männer sind mir ein Greuel!«

Das war erst vier Tage her, – was hatte diese kurze Spanne Zeit aus seinem Frauchen gemacht; – wie völlig hatte sie die Gute umgewandelt!

Aber nun wunderte er sich nicht mehr: er gehörte ja jetzt mit zu den Verstehenden, – die Zeit des Staunens und Fragens war für ihn vorüber! Und wenn auch nur noch die geringste Spur seines früheren Zustandes in ihm geblieben wäre, – ein erneuter Blick aus dem weitgeöffneten Fenster auf die blühende und glühende Herrlichkeit ringsumher hätte diese Spur für immer zerstört. –

»Nein, dieser gute, prächtige Mann, Herr Williams!« sagte jetzt wieder Klärchen, »daß er Dir auch das so schnell verschaffen konnte, – o, wie dankbar will ich ihm sein!«

»Nana,« drohte er nun schalkhaft mit dem Finger, »zeige Dich nur nicht gar zu erkenntlich!«

»Ach, Du Narr,« lachte sie, errötend. Doch sogleich hierauf wurde sie wieder ernst und fragte: »Wann mußt Du denn Deine Stellung antreten?«

»Ach, erst Montag den dreiundzwanzigsten,« antwortete er, »also haben wir noch volle acht Tage vor uns, und die wollen wir gründlich ausnutzen!«

»Ja, das wollen wir!« bekräftigte sie ebenso vergnügt.

Plötzlich hatte Eduard einen seiner merkwürdigen, schnellen Einfälle.

»Weißt Du, Klärchen,« wandte er sich wieder an seine Frau, »wem es leid, innig leid tun wird, daß wir nicht nach Chihuahua gehen?«

»Nun?«

»Dem kleinen Naturforscher, dem Professor Cyliax, dem kann ich nun nicht mehr seine heißgeliebten, giftigen Lieblinge aus den Bergschlünden Mexikos schicken; ich werde übrigens doch den Kleinen einer dieser Tage in Palo Alto aufsuchen, – der mag in einer schönen Höhle hausen!«

Klärchen schüttelte sich.

»Ach, der Unheimliche mit seinen gräßlichen Geschöpfen!« rief sie aus, »da geh' Du nur hübsch allein hin, ich bleibe hier bei meinen neuen Freundinnen, diesen lieben und liebsten Mädchen!«

Die reinste, tiefste Zuneigung, die vollkommen uneigennützige Liebe der Frau zur Frau zitterte in ihren Worten. –

Eben wollte Eduard noch etwas erwidern, als die Glocke unten zum drittenmal erklang.

»Also los!« sagte er daher nur, und die beiden verließen ihren Salon.

* * *

»Heute gibt's allerhand Festlichkeiten in Frisko«, sagte am nächsten Tage der Hauptmann Davenport bei der wiederum glänzenden Mittagstafel, zu der er sich nun fast regelmäßig einzufinden pflegte; »vor allem in Chinatown, – ich glaube der Geburtstag ihres Heiligen Confucius oder ...«

»Davenport,« unterbrach ihn hier Williams mit einem Ausdruck des Widerwillens, »Du, ich bitte Dich, nimm etwas Rücksicht auf meine Schwäche, – Du weißt doch!«

»Ja, ich weiß,« erwiderte der Hauptmann, »jawohl, ich weiß und werde Deinem Wunsche selbstverständlich nachgeben; aber, Williams, was hast Du eigentlich gegen die doch harmlosen Menschen?«

Nun wurde aber der Wirt, der sonst so vornehm ruhige, gütige und heitere, so aufgeregt, wie ihn Eduard noch nie zuvor gesehen hatte. Er knitterte die Serviette mit einem Griff zu einem Knäuel zusammen und rief mit hellem Feuer in seinen sonst so milden Augen laut aus: »Harmlos!? – Harmlos nennst Du diese tiefstehenden, fanatisch-verdummten, in jeder Beziehung gefährlichen Halunken? Weißt Du es nicht besser oder willst Du es nicht besser wissen? Nein, Du weißt es gerade so gut wie ich, daß jenes Viertel ein Schandfleck, eine Pestbeule für unsre schöne, liebe Stadt ist! Wie, es sollte Dir, dem leider so eifrigen Besucher jener auch schon in hygienischer Beziehung so gefahrvollen Gegend entgangen sein, daß dort nichts als dem schnödesten Laster gefröhnt wird, daß dort Spiel, Unzucht, Menschenhandel und Mord an der Tagesordnung sind, daß sich dort das gemeinste Verbrechen seine abgrundtiefen, unterirdischen Gänge und Schlupfwinkel geschaffen hat, – und eine solche Schmach für unsre sonst von der ganzen Erde vergötterten Weltstadt wagst Du harmlos zu nennen?«

Er war hochrot im Gesicht geworden, und deutlich war es ihm nun anzusehen, daß, wenn der Kapitän eine trotzige, verneinende Antwort geben sollte, Williams für sein geliebtes Frisko zum äußersten entschlossen war. Wer weiß, wozu es gekommen wäre, denn Davenport als geborener Kampfhahn fühlte sich wirklich zu heftigem Widerspruche gereizt; aber in diesem Augenblicke sahen ihn Cäciliens schöne, blaue Augen so flehend an, daß er mit einem Schlage andern Sinnes wurde. Auch Franziska hielt ihre Blicke ernst und warnend auf ihn gerichtet. Und nun kam auf einmal eine ganz allerliebste Szene: Der Hauptmann reichte dem Wirte über den Tisch schweigend die Hand, Williams ergriff und drückte sie warm, und plötzlich lächelten sich die beiden Männer wieder liebevoll und glücklich an.

»Wegen solch einer Dummheit!« brummte Williams nur noch vor sich hin, dann fragte er noch: »Was gibt's denn noch für Feierlichkeiten?«

»Ach,« erwiderte Davenport mit schlecht verhehlter Verachtung, »ein Stiftungsfest, glaub ich, unsrer ehrenwehrten Miliz, dieser frechen, grünen Jungen, die sich Soldaten nennen!«

»Ah«, lachte Williams laut auf, »Deiner ganz besonderen Freunde, ja, das ist Dir natürlich ein Dorn im Auge, aber unsere lieben Gäste sollen es doch sehen! Nicht wahr, Franziska, Du sorgst dafür? Wann ist denn der große Umzug, Davenport?« fragte er diesen von neuem, indem er sich erhob.

»Von vier bis sechs Uhr.«

»Na, also; wenn es mir irgend möglich ist, komme ich nach«, sagte Williams, schon mit der Zigarre zwischen den Fingern, »es wird wohl aber sehr schwer sein, Euch im Gedränge zu finden.«


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