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II.

Bei der Frühstückstafel war heute zum ersten Male der Kapitän erschienen; allerhand nautische Angelegenheiten – angeblich höchst wichtige! – in Wahrheit wohl aber nur seine mürrische Menschenfeindlichkeit hatten ihn bisher abgehalten. Es war ein fetter, ergrauter, düster blickender Mann, dieser Herr des Schiffes, mit ganz kleinen, fast zusammengekniffenen Augen, die stets auf seine Stiefelspitzen hinunter zu blicken pflegten, und deren Farbe kein Mensch hätte angeben können. Sogleich bei seinem Eintritt hatte er, seine Taschenuhr in der Hand und die Augen abwärts gerichtet, den Obersteward grimmig angeschnauzt, weil dieser die Beefsteaks nicht schon fünf Minuten früher hatte auftragen lassen. Der Obersteward, noch ein junger, großer und feister Blondin, blieb seinem Vorgesetzten nicht das Geringste schuldig, ein hitziges laut polterndes Wortgefecht entspann sich, was zur Folge hatte, daß sämtlichen Passagieren der ersten Kajüte das heutige Frühstück verdorben worden war. – –

Eduard und Klärchen waren seelenfroh, daß sich dieser grobe, tyrannische Kommandeur nicht an ihrem Tische niederließ und versuchte sich eine Zeitlang an der Gewißheit zu erfreuen, daß dies an seinerstatt der erste Maschinist tat. Dieser war ein mittelgroßer, sehr stämmiger Mann, vielleicht von fünfunddreißig Jahren, mit einem mächtigen, kugelrunden Kopf, dessen rotbraunes, speckig glänzendes Gesicht stets wie vom Scheine des Kesselfeuers überflammt erschien, und dessen ausgelaugte Augen seine Mitmenschen mit einem Ausdruck musterten, wie sie es sonst mit den Teilen der Dampfmaschine zu tun pflegten, um zu sehen, ob diese auch gehörig geschmiert seien.

Dennoch, wie schon gesagt trachtete das junge Paar danach, der gegebenen Lage die beste Seite abzugewinnen, und so plauderte namentlich Eduard mit seiner urwüchsigen Lebenslust munter darauf los.

An demselben Tische saßen noch sechs andere Herren und Damen, aber die meisten von ihnen waren nur die gewöhnlichen Dampfertypen: überseeische internationale Nullen, ohne jede Farbe und Geschmack, und nur einer der Männer erregte Eduards Interesse. Er schien wie das Urbild eines reichen Kaliforniers zu sein, strotzend von Gesundheit, strotzend von Gold, strotzend von sonniger, üppiger Vergnügungsgier; – sein Alter zu bestimmen, war ganz unmöglich: er konnte ebensowohl dreißig wie sechzig Jahre alt sein.

Während der Unterhaltung, die nun nach und nach lebhaft und angenehm wurde, stellte es sich heraus, daß Eduard mit seiner Voraussetzung recht gehabt hatte. Mr. Williams, der interessante Herr ihm gegenüber, war in der Tat ein Kalifornier und zwar aus San Franzisko, des vorläufigen Reiseziel des jungen Ingenieurs, und sobald dieser dem andern offenbart hatte, daß er in den Diensten der »Union Iron Works« stehe, verklärte sich förmlich das Gesicht des Kaliforniers.

»Ah«, sagte er heiter, »das ist recht, da sind Sie in guten Händen! »Ich selber«, fuhr er lächelnd fort, »bin ja ziemlich stark an den Kapitalien dieses Unternehmens beteiligt und bin somit auch eigentlich Ihr »Boß«!«

Die letzten Worte hatte er laut lachend ausgesprochen, und Eduard stimmte heiter ein.

»So lade ich Sie denn, als Ihr Vorgesetzter, ernst und feierlich ein«, hub Mr. Williams nach einer kleinen Pause wieder an, »in San Franzisko kein Hotel aufzusuchen, sondern mein Gast zu sein! Still! Keine Widerrede! Gehorsam will ich sehen!« fuhr er mit drolligem Pathos fort, als Eduard bescheiden Einwand erheben wollte; »Sie und selbstverständlich auch Ihr Frauchen, sind für die Dauer Ihres Aufenthaltes in Frisko meine lieben Gäste, so und nun Schluß der Debatte!«

Im nächsten Augenblicke wandte sich Mr. Williams an den Maschinisten: »Das war ja ein ganz anständiger Nasenstüber, den vorhin die See unserm Schiffe gegeben hat!«

»Ja, es war ein Seebeben!« rief Eduard ungestüm dazwischen.

Alle sahen ihn verwundert und lachend an, und der Maschinist wiederholte nun mechanisch und gelangweilt: »Ja es war wohl ein Seebeben!«

»Na, wir sind ja an Erdstöße gewöhnt,« nahm nun Mr. Williams wieder das Wort, »daß man aber dergleichen auf dem Meere zu spüren bekommt, das wußte ich wirklich nicht!«

»Es ist aber gar nicht so selten,« rief nun der Kapitän, dem der opulente Amerikaner sehr zu imponieren schien, auftauend herüber, »es gibt Gewässer, wo solche unterseeische Beben an der Tagesordnung sind, zum Beispiel in der Nähe von Java und Sumatra; es kommt dann zuweilen vor, daß man mit seinem Schiffe eine Zeitlang durch Milch zu fahren glaubt, zu solch feinem Schaum hat wahrscheinlich ein Seebeben das Wasser zusammengequirlt.«

»Das muß allerdings ein ganz wunderbarer Anblick sein,« erwiderte Williams; »ich bin sehr viel in meinem Leben gereist ...«

»O, das sieht man!« warf der Kapitän so lebhaft ein, wie man es seiner früheren verbissenen Schwerfälligkeit gar nicht zugetraut hätte.

»Ja, viel gereist,« fuhr der Kalifornier ruhig fort, »aber dergleichen habe ich noch nie gesehen. Da wir aber nun bei den Erdbeben angelangt sind, denn die See gehört ja zur Erde, und die See selbst bebt ja auch nicht, sondern ihr Boden, – so erlaube ich mir, den Herrschaften mitzuteilen, daß ich die ganze Gegend, alle die Ortschaften, die jetzt wieder so grausam vom Vesuv verwüstet werden, recht gut kenne, weil ich sie früher wiederholt mit vorzüglichen Führern durchforscht habe; schade, um all die vielen vielen Schönheiten!«

»Sie meinen doch nicht etwa die Mädchen?« fragte der Kapitän, der jetzt witzig sein wollte.

Alles im Saale lachte, teils aufrichtig, teils aus Konvenienz, weil es das Schiffsoberhaupt gesagt hatte.

»Die natürlich auch, sollten sie wirklich umgekommen sein,« antwortete Williams freundlich, »aber das ist wohl weniger anzunehmen, die werden wohl zu allererst in Sicherheit gebracht worden sein!«

»Ich kann überhaupt gar nicht begreifen,« ließ sich nun Eduard hören, »daß bei einer solchen Katastrophe immer so viele Menschenleben draufgehen! Warum laufen denn die Leute nicht weg?«

Von neuem lachte alles stürmisch, denn die meisten hielten diesen Ausspruch ebenfalls für einen Witz, der ihnen allerdings angesichts des ernsten Gespräches etwas »blutig« vorkam; erst als sie Eduards nunmehr ganz verdutztes Gesicht sahen, merkten sie, daß die Worte eine recht naive Äußerung gewesen waren.

»Na, na, Mr. Treubach,« sagte jetzt Williams, »das hätte man allerdings für einen nicht üblen Spaß halten können! Grade Sie als Mineningenieur sollten nicht so fragen, oder hätten Sie noch nie schlagende Wetter, Schachteinstürze und ähnlichen Katastrophen mitgemacht, – wie?«

»Ja, aber so meine ich es ja nicht,« entgegnete Eduard leicht betreten, »natürlich meinte ich es nicht so, und Sie, meine Herrschaften, hätten das auch gar nicht voraussetzen sollen! Was ich habe darstellen wollen, und zwar mit vollstem Recht, ist dies, daß sich in Italien, in der Tat Hunderte, ja vielleicht Tausende von Menschen hätten retten können, wenn sie eben die bedrohten Ortschaften rechtzeitig verlassen hätten; aber nein: mit dem Schatten des sicheren Verderbens dicht über sich, blieben sie, rührten sich stumpfsinnig und kindisch nicht vom Flecke und holten nur aus den Kirchen und Kapellen die Bildnisse ihrer albernen Heiligen heraus, die das flammende Entsetzen aufhalten sollten!«

»Eduard,« flüsterte ihm Klärchen zu, »sieh Dich vor, es könnten hier fromme Katholiken unter uns sein!«

Aber das aufgeregte Blut ihres sanguinisch-cholerischen Gatten ließ sich nun nicht mehr zurückdämmen, ganz im Gegenteil: die Worte seiner Frau reizten ihn nur noch mehr. Er warf ihr daher aus seinen Vergißmeinnichtaugen einen sprühenden Blick zu und fuhr mit erhobener Stimme fort: »Mr. Williams, Sie fragten mich soeben, ob ich nicht mit den schweren Unglücksfällen der Bergwerke vertraut sei; meine Antwort darauf ist: o ja, ich bin sehr wohl damit vertraut! Aber gerade weil ichs bin, weiß ich auch genau, wieviel Geistesgegenwart, Umsicht, Kaltblütigkeit dabei vermag, ich meine: wie wohltätig diese Eigenschaften wirken, wenn es sich um die Rettung des eigenen Lebens oder desjenigen anderer handelt! Ich wage zum Beispiel zu behaupten, daß ich bei einer Katastrophe, wie einem Schiffbruch oder einem Erdbeben nicht zu Grunde gehen würde!«

Der Kapitän ließ nur ein lautes Grunzen hören, von dem man nicht wußte, ob es ein Lachen oder Grollen war; aber der Kalifornier richtete sich in die Höhe, sah den jungen Ingenieur scharf an und sagte, ohne jedoch seine überlegene Ruhe auch nur einen Augenblick zu verlieren: »Oho, mein guter Herr, Ihre Worte sind sehr unüberlegt und zeugen – all Ihrer Kühnheit zum Trotze – von wenig Erfahrung, wenigstens in Beziehung auf Erdbeben! Nehmen Sie einmal an: Sie gehen bei dem herrlichsten Wetter spazieren, durch irgend eine Straße Ihrer Stadt, fühlen sich wohl, heiter und zufrieden und denken, Sie hätten vom lieben Gott eine Spezialgarantie auf ein recht langes, glückliches Leben, da plötzlich scheint es Ihnen, als ob alles rings um Sie her betrunken wäre: die Häuser tanzen, drehen, stürzen mir nichts dir nichts zusammen! Aber Sie sind durch irgend einen Zufall von den herabfallenden Trümmern verschont geblieben; schön! Sie spazieren also ganz gemütlich weiter und denken immer noch an Ihre Spezialgarantie! Da – auf einmal öffnet sich dicht unter ihren Füßen eine feuerspeiende, dampfende Kluft, zehn Meter weit, und nur der Himmel weiß wieviel tausend Meter tief! Aber Sie leben immer noch und wollen nun schnell nach der andern Seite – um Ihre eigenen Worte zu gebrauchen – weglaufen; allein unter einem wahren Höllengepolter platzt dort auch die Erde auseinander, ebenso breit, ebenso tief, und nun gibt Ihnen Mutter Erde einen solchen Schwinderlink, daß Sie kopfüber in die eine Kluft hineinfliegen, – es bleibt Ihnen dann nur noch die freie Wahl, ob in die rechts oder links, – so! und wo bleibt nun der Beweis Ihrer kecken Behauptung?«

Im Saal war es ganz still geworden. Wohl hatten einige Narren am Schluß dieser launigen und doch wieder furchtbaren Schilderung versucht, ihr stereotypes blödes Lachen anzuschlagen, doch dieses wurde schnell verscheucht durch den stummen Ernst der anderen. Denn alle die, die schon Gefahren bestanden hatten, und aus drohenden Lagen nur durch einen wunderbaren Zufall erlöst worden waren, sagten sich tief im Innern ihrer Seele, daß das Menschenleben nichts, aber auch gar nichts bedeute der Gewalt, der entfesselten Naturkraft gegenüber! –

Und auch Eduard, der die Wahrheit mehr an den jetzt ernsten, tiefblickenden Augen des Kaliforniers als an dessen Worten erkannte, sagte, indem er diesem die Hand über den Tisch entgegenstreckte: »Sie haben wohl recht, Mr. Williams, ich nehme meine Rede von vorhin als voreilig zurück!«

Aber schon im nächsten Augenblicke war Mr. Williams wieder der heitere, lebensvolle Amerikaner, der urwüchsige Genußmensch.

»Ach was! Papperlapapp!« rief er aus, »nur hier keine Gefühlsduselei! Kommen Sie, wir wollen hinaus aufs Deck, in die frische, schöne Morgenluft, und dabei genießen wir eine meiner besten Havannes!«


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