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XVII.

Es war wirklich nicht leicht, die Equipage der Williams in diesem Gewühl von Galawagen, Kutschen und Automobilen jeder Größe und Gattung, die sich an diesem Nachmittage in den schönen, duftenden Anlagen der Festung auf- und abbewegten herauszufinden. In diesen meist glänzenden Gefährten erblickte Eduard Frauen des verschiedensten Alters, manche schon in hellen, zärtlichen Frühlingsgewändern, während andere noch in schwere, kostbare Pelze gehüllt waren. Reichtum! Gold in Hülle und Fülle! so schien es auf all diesen Gesichtern zu liegen und sogar aus dem Hufschlag der edlen, teuren Rosse herauszuklingen! –

An der Seite dieser Frauen saßen junge oder ältliche Herren, die wiederum alle den jungen Bergmann an die Züge des Herrn Williams erinnerten: sie zeigten fast ohne Ausnahme die rötliche, lebenslustige Gesichtsfarbe, die freundlichen und doch energievollen Augen, den ganzen kühnen Ausdruck seines Wirtes. Alle – Herren sowohl wie Damen – schienen mit einer stillen Geringschätzung auf die Fußgänger zu beiden Seiten des Fahrweges herabzusehen, und doch waren auch sie, diese Fußgänger, mit wenigen Ausnahmen recht stattliche Leute, meist sogar sehr fein gekleidet und auch alle mit den Anzeichen der kalifornischen völligen Sorglosigkeit in den Zügen. Alle schienen einander zu kennen: man grüßte von den Fußwegen zu den Wagen hinauf und von diesen zu der Straße herab. Die Gesichter belebten sich mehr und mehr, wurden immer freundlicher und freudiger, und staunend gewahrte Eduard den gewaltigen Unterschied, der diese Leute hier von den Menschen aller anderen amerikanischen Großstädte so wunderbar, so innig wohltuend auszeichnete. Ja, nun begriff er plötzlich klar und deutlich, warum das ganze Riesenland der Vereinigten Staaten von dieser Stadt nur immer als »Unser Frisko!« sprach; diese ihm bisher etwas dunkle Frage hatte sich ihm heute mit einem Schlage gelöst! –

Immer dichter, immer farbenprächtiger wurde das Getümmel. Herrliche Frauen, entzückende Mädchen kamen heran, blickten die Vorüberfahrenden und -gehenden aus schönen, verführerischen, siegessicheren Augen an und verschwanden in einem Wirbel silberhellen Gelächters. Männer tauchten auf, alte und junge, von denen jeder ganz San Franzisko zu besitzen schien: so reich und gewichtig war ihre ganze Erscheinung.

Nun hörten Eduard und der Hauptmann auch schon die Musik in der Ferne; Sousas » El Capitan« wurde gespielt, ein Marsch, den Davenport gewiß schon zum Überdruß gehört hatte, denn sein dunkles Gesicht verzog sich sehr mißmutig. Aber seine schwarzen Augen bohrten sich dabei doch mit scharfer Forschung in alle die vorübersausenden Gefährte, und plötzlich blitzten diese Augen grell und freudig auf, und mit glücklicher Selbstvergessenheit rief er laut aus: »Da kommen sie, – endlich!«

Wirklich brausten in diesem Augenblicke die wohlbekannten, prächtigen Apfelschimmel heran, und die drei Frauen in dem eleganten Wagen grüßten schon von weitem vertraulich lächelnd.

Wunderbar! Eduards erster Blick galt nicht seinem Weibe, sondern den beiden Schwestern. Diese sahen allerdings auch hinreißend aus; Franziskas wunderholde Gestalt war heute von einer leichten, ganz hellroten Seidenrobe eingehüllt, die ihre Erscheinung wie eine sich eben erst entfachende, aber sehr heiße Flamme hinstellte. Ihr edler Dianakopf mit dem sprudelnden, blühendschwarzen Haar war nur auf einer Seite von einem rosenfarbenen Federhut bedeckt, und die wilden Locken fielen ihr frei in das süße Gesicht.

Cäciliens blonde Schönheit war jetzt, unter diesem Himmel, dieser Sonne, in diesem berauschenden Frühlingsdufte geradezu unwiderstehlich, und nun begriff erst Eduard so recht die ganze Tiefe und Fülle des Schmerzes, mit dem vorhin sein Begleiter geseufzt hatte: »Ach, könnte es doch sein! – O, mein gütiger Himmel, wäre es doch nur möglich!« Ja, wenn diese unvergleichlichen Mädchen wirklich das Gelübde abgelegt hatten, sich nie zu verheiraten, so mußte das wie eine völlig unverständliche Torheit, es mußte wie ein Verbrechen gegen Menschheit und Gottheit erscheinen! –

Verstohlen sah der junge Bergmann zu seinem Gefährten auf und bemerkte sofort, daß er sich in seiner Erwartung nicht getäuscht hatte: in stummer, schmerzlicher Verzückung blickte der Offizier auf den heranfliegenden Wagen. –

Aber nun war dieser endlich angelangt, und die Damen stiegen aus. Franziska befahl dem Kutscher, ihnen langsam zu folgen. Cäcilie senkte bei dem glühenden Blicke Davenports die Blicke; es war wieder, als wollte sie still in ihrer eigenen Seele lesen.

»Soeben haben wir den Señor Don Salvador Ruiz y Gutierrez getroffen,« sagte Franziska fröhlich, »nehmen Sie sich in Acht, Mr. Treubach, dieser spanische Herr scheint ganz in Ihre kleine Frau verliebt zu sein!«

»Ach, pfui doch!« rief Klärchen mit Schelmenblicken aus.

»Es ist schon so!« fuhr die Schöne fort, »er hat sie mit seinen Glutaugen fast verschlungen! Übrigens hat er uns nun wirklich und höchst feierlich für Sonntag über acht Tage zu einer echt spanischen corrida de toros eingeladen, – der Narr!« unterbrach sie sich plötzlich ernst, »als ob wir zu solch einer gemeinen, blutigen Tierquälerei hingehen würden!«

Sie hatten vollkommen recht: nur ein Narr konnte sie, diese hoheitsvollen, von tiefster Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie erfüllten Frauen zu einem so rohen, abscheulichen Schauspiele einladen! –

Der Hauptmann Davenport hatte – als ob das so ganz selbstverständlich wäre –, Cäciliens Arm unter den seinen genommen, das Paar blieb etwas zurück und wandelte anscheinend ganz stumm dahin; Eduard wußte sich vor Erstaunen kaum zu fassen, daß diese beiden Leutchen, die sich doch augenscheinlich mit allen Fasern ihres Herzens angezogen fühlten, einander nie angehören sollten? Was war denn der Grund dieses dunklen Geheimnisses? Warum diese Zuneigung und dann wieder dieses Versagen? Der junge Ingenieur hätte am liebsten seine Begleiterin, Franziska, gefragt, aber eine ganz eigene Scheu, etwas wie Ehrfurcht vor der makellosen Reinheit einer Mädchenseele hielt ihn davon zurück. Doch beschloß er den Bruder bei der nächsten Gelegenheit darnach zu fragen.

Nun waren sie bei dem Musikpavillon angekommen, von dem herab jetzt der Pilgerchor aus »Tannhäuser« ertönte; aber kein einziger all dieser ausgelassen lachenden, plaudernden und liebäugelnden Menschen schien auf die Musik zu hören, diese war wohl nur dazu da, die Lebensfreude, die Sinneslust, das stille, aber überall erkennbare Liebeswesen unbewußt zu erhöhen. –

»Wollen wir nicht alle einen Augenblick in das Offizierskasino eintreten?« fragte jetzt Davenport mit lauter Stimme.

Aber sofort sah Eduard, daß sich Cäcilie leicht schüttelte, während Franziska mit beiden Händen in die Luft schlug, als wollte sie irgend eine häßliche Vorstellung vertreiben.

»Pfui!« rief sie nun aus, »Kapitän, welche Zumutung – der Geruch!«

Unwillkürlich mußte jetzt Eduard auflachen. Er dachte jetzt an seine eigene unangenehme Empfindung von heute morgen bei seinem Gang durch die Kaserne, der häßliche Duft von alten Stiefeln und geringem Tabak schien ihn noch einmal zu umwehen, und er fand es ganz selbstverständlich, daß die beiden Schwestern sich nicht aus dem süßen Wohlgeruch ihrer Umgebung hinweg und in solche Unannehmlichkeit hinein locken lassen wollten.

»Wissen Sie schon meine Herrschaften,« fragte in diesem Augenblicke Franziska, »daß der größte lebende Tenor – so wird er wenigstens angekündigt –, Caruso, nach unserer Stadt kommt? Jaja« fuhr sie fort, ganz sicher, er wird in unserem großen Schauspielhause am siebzehnten dieses Monats zum ersten Male singen, und Snowball, den ich sofort heute früh hingeschickt hatte, uns Eintrittskarten zu besorgen, hat über eine Stunde warten müssen, so groß ist der Andrang! Doch wir haben sie ja wenigstens, die Billete, und können ihn also zu allererst hören!«

»Gewiß sehr teuer?« fragte Klärchen.

Aber Franziska blickte sie einen Augenblick ganz erstaunt an und antwortete endlich: »Teuer?! Aber mein gutes Frauchen, wer fragt denn darnach in Frisco?« – –


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