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VII.

Die Herrschaften der ersten Kajüte waren noch beim Nachtisch, als plötzlich der zweite Maschinist, die Mütze linkisch in der Hand und überhaupt der ihm sonst verbotenen Pracht der höchsten Klasse gegenüber sehr verlegen, in den Speisesaal trat. Sein Gesicht war sehr ernst, und seine von der ewigen Hitze blaß gewordenen Augen irrten eine Zeitlang suchend im Raume umher, bis sie auf Herrn Stockhausen, seinem Vorgesetzten, haften blieben. Schnell ging er nun auf diesen zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr, so leise, daß keiner am Tische auch nur das Geringste hören konnte. Auf den ersten Maschinisten aber mußten die Worte einen unheimlichen Eindruck gemacht haben, denn seine Augen starrten den jungen Menschen mit einem Ausdruck an, worin Furcht, Haß und Grimm um die Oberherrschaft zu kämpfen schienen, während sein speckiges Gesicht den Schein des Kesselfeuers noch stärker wiederspiegelte. Dann sprang er heftig auf und lief, ohne seinen Tischgenossen auch nur ein Wörtchen zu sagen, zu dem Kapitän hinüber, raunte diesem nun ebenfalls ins Ohr, und gleich darauf verließen die drei Beamten den Saal.

»Nanu! was mag nur geschehen sein?« sagte jetzt Eduard beunruhigt, »das sah ja gar nicht gut aus, dieses finstre Gezischel!«

»Ach was!« entgegnete Mr. Williams, »was geht's uns an? Lassen Sie doch die Leutchen auch etwas zu tun haben! Vielleicht ist unten an der Maschine eine Kleinigkeit außer Ordnung geraten. Dadurch lassen wir uns nicht anfechten! Kommen Sie, wir trinken unser letztes Glas und dann führen Sie mich zum kleinen Großen Cyliax. Also auf Ihr ganz besonderes Wohl, Frau Treubach! Möge es Ihnen in Ihrer neuen Heimat recht gut gefallen und möge Ihr Aufenthalt bei mir Ihnen zu einer dauernden, angenehmen Erinnerung werden!«

Alles brach nun auf, Klärchen wollte sich ein bißchen schlafen legen, und die beiden Männer gingen nun schnell hinunter nach der zweiten Kajüte. Aber als sie noch auf der halben Stiege weilten, kam ihnen Degenrot ganz fahl im Gesicht entgegengeschossen und fragte: »Willst Du zum Professor, Eddy? Tue es vorläufig lieber nicht, – er ist sehr krank, scheint sich irgendwie vergiftet zu haben mit irgend einem seiner höllischen Würmer! Ich laufe grade zum Schiffsarzt! Donnerwetter, heute ist wieder einmal alles verrückt auf diesem alten Kasten!«

Und fort war er.

»Scheint sich vergiftet zu haben?« fragte der Kalifornier verwundert, »mit einem seiner Würmer? Ja, zum Teufel noch 'mal, – führt denn dieser Mensch lebende, giftige Insekten mit sich? Dann werde ich mich wohl hüten, in seine Nähe zu gelangen, ah, brrr!«

Und wieder zeigte sich in diesem Ausruf des Abscheus die ganze, mächtige Lebenslust des Mannes, seine tiefe Abneigung gegen alles, was dieses schöne, freudenreiche Dasein gefährden könnte. –

Nun erzählte ihm Eduard das sonderbare Verhalten des Gelehrten mit der Kellerassel, und von neuem schüttelte sich Mr. Williams heftig.

»Verrückt!« rief er unwillig aus, »entschieden verdreht, wenigstens in diesem einen Punkte, mag er sonst auch noch so gescheit und erleuchtet sein. Na ja, da ist es schon leicht möglich, daß er entweder ein zweites dieser Biester gefunden hat und diesmal von ihm gezwickt worden ist, oder daß er in seinem tollen Eifer unter den toten Insekten herumgewühlt und sich so verwundet hat; denn das Gift dieser Tiere behält ja seine zerstörende Kraft noch nach ihrem Tode. Nee« schloß er, »hören Sie: den Mann will ich doch lieber nicht kennen lernen!«

Aber in diesem Augenblick langte Degenrot wieder an mit einem älteren sehr großen und sehr mageren Herrn an seiner Seite, dessen faltenreiches, überernstes Gesicht deutlich einen menschenfeindlichen Sonderling anzeigte; seine mit der Weisheitsschlange geschmückte Mütze ließ den Schiffsarzt erkennen.

Sowie der Kalifornier diesen düsteren Mann so recht ins Auge gefaßt hatte, rief er freudig aus: »Watermann! Doktor Watermann!«

»Mr. Williams!« entgegnete der Arzt kühl und ohne die geringste Überraschung zu zeigen.

»Wahrhaftig«, lachte nun Williams laut, »ich sehe, Du bist noch ganz derselbe trockene, zähe Yankee In Amerika selbst heißen »Yankees« nur die östlichen Amerikaner, besonders die Bewohner des Staates Massachusetts, im Gegensatz zu den westlichen Amerikanern. Anm. d. Verf. geblieben, der unnahbare Einsiedler!«

»Und ich meinesteils erkenne an Deiner Derbheit und Rücksichtslosigkeit, daß Du die kalifornischen Untugenden, die mich damals aus San Franzisko weggetrieben haben, getreulig beibehalten hast!« entgegnete spitzig der Yankee.

»Ja, darauf kannst Du Dich verlassen!« rief Williams zurück, »und werde ihnen auch getreu sein bis an mein seeliges Ende, aber nichts für ungut, Doktor!«

»Ich muß nun zu meiner Pflicht«, sagte der Arzt indem er sich wegwandte.

»Na kann man Dich denn sonst nicht einmal sehen, kommst Du denn nicht zu den Mahlzeiten, als Schiffsarzt gehörst Du doch in die erste ...«

»Ich habe mir von Anfang an ausbedungen, allein speisen zu dürfen!« erwiderte der Yankee und verschwand in der Kajüte des Professors.

»Da sehen Sie nun«, sagte Mr. Williams erregt, »sehen es deutlich wieder! Das – der Osten nämlich – hält sich für die Blüte Amerikas und möchte uns, den Westen, am liebsten als Cowboys, als Halbwilde hinstellen! Der Doktor nämlich stammt aus Boston, hat früher einmal ein paar Jahre in San Franzisko gelebt, hat sich aber, – Sie haben es ja aus seinem eigenen Munde gehört! – durch die Sitten und Bräuche unserer fröhlichen Stadt dermaßen abgestoßen gefühlt, daß er auf und davon war, ehe man sichs versah. Nun, frage ich Sie aber: was haben Sie von solch einem Kerl im Falle der Not, des Unglücks, der Gefahr? Nichts! Auch nicht einen Finger würde er für einen Mitmenschen krümmen. Dagegen sollen Sie einmal einen Kalifornier sehen, ah!«

Und sein jetzt hell leuchtendes, gutes Auge und die vollen Lippen schienen beredtes Zeugnis von der Nächstenliebe, der Opferfreudigkeit seines ganzen Landes zu geben. – –

Aber in diesem Augenblicke erscholl aus den unteren Räumen des Schiffes ein wüster, drohender Lärm. Grobe, heisere Stimmen brüllten zornig durcheinander, und Eduard und sein Gefährte glaubten sogar den Schall von schweren Schlägen zu hören, Schlägen, die auf menschliche Körper mit jenem wüsten, abscheulichen Ton niedersausten.

»Was ist das nur?« sagte jetzt Williams, »das klingt nicht gut! Horchen Sie doch nur!«

Das Stimmengewirr erklang lauter, wilder, und deutlich konnten die beiden Lauscher auch jetzt das Organ des Kapitäns und des ersten Maschinisten unterscheiden, deren Kommandoworte aber mehr und mehr in dem Gebrüll der Matrosen oder Heizer untergingen.

Das rötliche, sonst so heiter lächelnde Gesicht des Kaliforniers wurde nun tiefernst und ohne sich weiter um den Ingenieur zu kümmern, sagte er wie zu sich selbst: »Das sieht ja fast wie Meuterei aus! Ich muß hinunter!«

»Ich gehe mit Ihnen!« rief Eduard aus.

»Bleiben Sie nur lieber bei Ihrer guten Frau! Man weiß nie, was einem bei solchen Sachen widerfahren kann!« entgegnete ihm Williams.

»Dennoch gehe ich!« sagte Eduard leicht verletzt und halsstarrig.

»Ganz, wie es Ihnen beliebt!« Mit diesen Worten setzte sich der Kalifornier in einen solchen Eilschritt, daß ihm der junge Mann nur mit Mühe folgen konnte.

Sie gingen dem immer stärker anschwellenden Toben nach und gelangten endlich nach dem Zwischendeck, wo etwa ein Dutzend Heizer im wütendem Handgemenge zusammen waren.

Was war geschehen? Wie war diese wilde Schlägerei entstanden? Kein Mensch hätte es sagen können, aber wahrscheinlich durch ein Nichts, durch eine rohe alberne Zänkerei dieser unwissenden Menschen um den Wert ihrer verschiedenen Heimatsländer, denn fast jeder einzige dieser Heizer gehörte ja der Hefe einer anderen »Nation« an! Bei der tiefen geistigen Nacht dieser Ärmsten, dieser solange an Finsternis und roter Glut gewöhnten Gesellen, spiegelte sich in ihrem Zorn auch das tiefe Schwarz und das flammende Rot ihrer gewöhnlichen Umgebung, ihrer gewöhnlichen Arbeit wieder.

Es war aber ein schrecklicher, ein betrübender Anblick, dieser niedrige Kampf!

Die Heizer schienen soeben von ihrer Wache gekommen zu sein, denn noch waren sie halbnackt, schweißtriefend und über und über berußt, und jetzt bei ihrer Aufregung und Wut erschienen ihre Augen in den schwarzen Gesichtern noch vielmehr wie hervorquellende weiße Kugeln. Wie toll hieben sie mit ihren Kohlenschaufeln und Schürhaken auf einander los, – zwei lagen schon blutend am Boden – und das unheimliche war dabei die tierischen, unartikulierten Laute, die sich zwischen den geschwärzten, gewöhnlichen Lippen hervorrangen.

Vergebens versuchte der erste Maschinist seine rotbraune speckige Autorität geltend zu machen, vergebens ließ der Kapitän sein drohendstes Schnauben und Grunzen hören: die Elenden, die Geringsten und Verachtetsten auf dem Schiffe waren entfesselt, waren durch Wut und Haß ihren Vorgesetzten gleich geworden, und nun ließen sie auch nur diese finstere Triebe gelten.

Plötzlich – und hierbei durchrieselte ein eisiger Schauer der Bewunderung aller Umstehenden – trat Mr. Williams mitten unter die Reisenden, lächelnd, rosig, wie immer.

»Schlagt mich doch tot, Kinder!« rief er aus, »ich wehre mich ja nicht einmal! So hau doch zu, Jim! Und Du auch, Tom! Und Du erst recht, Charlie!« –

Welch wunderbare Zauberkraft haftet doch mancher Persönlichkeit an, den Worten manches Menschen an! Sowie nur der Kalifornier in ihrer Mitte erschienen war, hatten die Heizer – jedenfalls selber überrascht, durch diese beispiellose Kühnheit – die Schaufeln und Schürhaken gesenkt und diesen Mann verblüfft angestarrt. Jetzt bei seinen herausfordernden Zurufen grinste zuerst der eine, ein zweiter folgte, und auf einmal lachte diese ganze tolle Gesellschaft aus vollem Halse.

»So ist's recht, Kinder!« sagte Williams fröhlich, »Ihr seid ja alle ganz gute Kerle, man muß nur richtig mit Euch umgehen! So, und nun gebt mir erst einmal jeder von Euch die wackere Hand, und dann reicht Ihr sie Euch einander!«

Und ohne sich um den Ruß an diesen groben, schwieligen Händen auch nur im geringsten zu kehren, ergriff er der Reihe nach die Rechte dieser nunmehr ganz beruhigten Männer und schüttelte sie derb. Dann fuhr er fort: »Und zur Erinnerung an Eure Versöhnung und gleichzeitig Eure Verpflichtung, daß Ihr mir nicht wieder anfangt, schenke ich jedem ein großes Goldstück! Die aber auf der Erde dort kriegen zwei!«

Und während ihn der Kapitän, der erste Maschinist und die inzwischen zahlreich herbeigeeilten Offiziere und Mannschaften teils bewundernd, teils nur neugierig anstarrten, ließ er seinen Worten die Tat folgen.

»So!« nahm Mr. Williams noch einmal das Wort, »nun lebt mir vorläufig wohl, Kinder; haltet Frieden, und wenn Ihr sonst noch einen nicht allzu dickköpfigen, erfüllbaren Wunsch habt, so kommt nur ganz ohne Scheu zu mir, Gottbefohlen!«

Und er wandte sich um und verließ das Zwischendeck. Aber wieder eilte ihm Eduard nach, und hingerissen von dem unvergleichlichen Wesen dieses Mannes ergriff er dessen Hand und machte Miene, sie an die Lippen zu führen.

»O, Mr. Williams, was sind Sie für ein Mann!« rief er begeistert aus, »wer weiß, wovor Sie uns alle bewahrt haben!«

Aber der Kalifornier entriß ihm schnell die Hand und sagte ruhig: »Keine Erniedrigung, mein Sohn, das ist unamerikanisch! Da Sie ebenfalls in den Staaten geboren sind, so halten Sie stets auf amerikanischen Stolz –, das sei Ihnen ein heiliges Vermächtnis! Und fortan wollen wir kein Wort mehr über diese Sache verlieren!«

Dann setzte er noch mit seiner gewöhnlichen glücklichen Miene hinzu: »Na, da bekommt der alte Pflasterkasten, mein Freund, der Herr Yankee Doktor Watermann, doch eine ganze Masse zu tun, das ist sehr gut für den östlichen Sauertopf!«


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