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III.

Es war wirklich herrlich draußen! Der Himmel so blau und rein, die Luft so warm, so milde, so würzig, »wie von Honigduft durchsogen«, so meinte Klärchen, – und das Meer so ruhig, so klar und dabei von Sonnengold durchtränkt, – sämtliche Reisende glaubten, heute den schönsten Tag ihres Lebens gekommen zu sehen.

Als Eduard jetzt seinen Freund Degenrot wieder hoch oben auf der Kommandobrücke erblickte, frisch rosig und glückstrahlend, wie gewöhnlich, beneidete er ihn wirklich um sein freies Seemannsleben. Er verglich sein eigenes Los damit, das ihn tief da unten, in den dunklen, oft verpesteten Schlünden der Erde gefangen hielt, und er sagte ganz leise vor sich hin: »Eduard, Eduard, warum bist Du nicht auch Seemann geworden?«

Aber als hätte ihm ein neckisches Schicksal Antwort auf diese Frage geben wollen, hörte er im nächsten Augenblicke, wie der Kapitän seinen Freund aus irgend einem Anlaß auf das grimmigste anfuhr, was aber den Offizier ganz und gar nicht aus seinem glücklichen, liebessicheren Gleichmut zu bringen vermochte. –

Mr. Williams, der mindestens alle Viertelstunden etwas neues beginnen mußte, hatte den Ingenieur seit kurzem verlassen und war nach dem Rauchzimmer geeilt, und so gingen Eduard und Klärchen nach dem Stern des Schiffes, um einmal die Schiffsschrauben, deren Grollen und orkanähnliches Rauschen sie schon die ganze Zeit aus der Ferne gehört hatten so recht in der Nähe zu besichtigen. Aber als sie hineinkamen, sahen sie zu ihrer großen Verwunderung nichts als weißgrünen, wild schäumenden Gischt und darüber ganze Schwärme von allerliebsten, in der Sonne leuchtenden Möven und Seeschwalben, die unermüdlich schwirrend dem Schiffe folgten.

Am äußersten Rande des Sterns, dort, wo das von den Schrauben zerpeitschte Wasser von Zeit zu Zeit hoch über die Brustwehr spritzte, stand ein junger Mann von einer Gesichtsfarbe, die man mit »maschinenbleich« bezeichnen könnte, denn fast alle Maschinisten, Monteure und so weiter lassen sie sehen. Er trug eine silberbetreßte, blaue Uniform, deren kurze Jacke weit offen stand und seinen Hals sowie die halbe Brust sehen ließ. Über seiner ganzen Erscheinung lag etwas eigentümliches: er erschien halb Genie halb Tölpel; aus seinen Zügen sprach eine große Verschlossenheit. Er schien das soeben angelangte Paar gar nicht gesehen zu haben, wenigstens hatte er seine Stellung nicht im geringsten geändert; seine Aufmerksamkeit war gespannt den schwebenden Seevögeln zugewendet, von denen er jeden zu kennen schien. Eduard gewann den Eindruck, als ob dieser stille, blasse Mensch der Teilnahme, der Freundschaft bedürfte, und so beschloß, sich ihm liebreich zu nähern.

»Sie gehören, wie ich sehe,« begann er, »auch zu den Offizieren dieses Schiffes, denn Sie tragen ja Uniform, nur ist bei dieser alles silberweiß, was bei meinem Freund Degenrot und dem Kapitän wie Gold erscheint.«

Der Angeredete legte leicht den rechten Zeigfinger an seine Mütze und sagte: »Ah, Herr Degenrot ...« dann fuhr er fort: »Ja, mein Herr, ich bin der zweite Maschinist dieses Schiffes – glücklicherweise – ebenfalls mit Herrn Degenrot befreundet.«

»Famos!« rief Eduard in seinem gewohnten Ungestüm aus, »nun, dann sollen Sies auch mit mir werden; geben Sie mir Ihre Hand!«

Der Maschinist reichte ihm etwas zögernd die Rechte, und nun nannte ihm Eduard seinen vollen Namen, seine Beschäftigung wie auch den Zweck seiner jetzigen Reise; hierauf fragte er weiter:

»Fahren Sie schon lange auf dem ›Rostand‹?«

»Nein,« entgegnete der andere, »dies ist erst meine dritte Reise mit ihm.«

»Gefällt es Ihnen denn hier? Behandelt man Sie gut?« setzte Eduard schnell hinzu, der jetzt wieder an den finstern Kapitän und den pomadigen ersten Maschinisten denken mußte.

Der Maschinist lächelte matt und erwiderte dann: »Ach, Herr Treubach, was das » gefallen« anbetrifft, so ist für uns ein Dampfer so gut wie der andere; wir haben unsre Maschine, unsre Kessel, unsre Manometer, – das ist unsere Welt! Nun, und soweit die Behandlung geht, da glaube ich, daß überall, in der ganzen Welt, der Mensch es liebt, seinen Mitmenschen die Macht, die er über diesen ausüben kann und darf, so empfindlich wie möglich fühlen zu lassen!«

Und mit einer Handbewegung schien der junge Mensch die Aussichtslosigkeit eines Kampfes gegen diese seit Ewigkeiten bestehende menschliche Neigung hinweisen zu wollen.

Doch nun fuhr der Maschinist schnell aus seinem kurzen Sinnen in die Höhe und sagte: »Ich muß nun hinunter, meine Wache fängt gleich an; leben Sie wohl, Herr Treubach, wir treffen uns schon wieder!«

Vor Klärchen verneigte er sich nur stumm und ging davon.

»Na, hoffentlich recht bald!« hatte ihm Eduard noch freundlich zugerufen. Wie ihm aber nun der Ingenieur so nachblickte, wie er schnell und gewandt eine schmale Treppe hinunterstieg, schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, doch selber einmal den Maschinenraum zu besichtigen und nachdem er sein Frauchen gebeten hatte, ihn doch im Damensalon zu erwarten, eilte er dem Maschinisten nach.

»Hören Sie, Herr –, Ihren Namen habe ich leider vergessen – dürfte ich nicht einmal mit Ihnen hinabsteigen, zur Dampfmaschine?«

»Darnach muß ich erst den ersten Maschinisten fragen,« antwortete der Angerufene; »Sie meinen doch natürlich nur Sie selbst, denn Ihre Frau Gemahlin darf auf keinen Fall mit hinunter, das ist viel zu gefährlich und auch so ... aber Sie als Bergmann,« unterbrach er sich, »sind ja Klettern und Steigen schon gewohnt; warten Sie nur einen Augenblick, – hier ist »seine« Kabine.«

Und er verschwand hinter einem dunkelroten Vorhang, der statt der offenen Tür das Innere der Kajüte verdeckte.

Im nächsten Augenblick wurde der Vorhang beiseite geschoben, und in dem Spalt erschien der mächtige, kugelrunde Kopf mit den rotbraunen glänzenden und wie vom Kesselfeuer beleuchteten Gesicht, von neuem ruhten die ausgelaugten Augen mit einem Ausdruck auf Eduards Gestalt, als wollten sie prüfen, ob auch die Maschine gehörig geschmiert sei. Dann verschwand die rote, speckige Kugel wieder, Eduard hörte ein kurzes Brummen, und der junge Mann tauchte kopfnickend von neuem auf.

»Herr Stockhauser hat nichts dagegen« sagte er, »nur sollen Sie aufpassen, daß Ihnen nichts widerfährt: die engen, eisernen Treppen sind steil, ölig und daher sehr glatt; wollen Sie es dennoch wagen.«

»Jawohl, ich werde mich recht in Acht nehmen! Aber halt noch eines: ich habe vorhin bei der Frühstückstafel eine sehr angenehme Bekanntschaft gemacht, es ist ein flotter, liebenswürdiger und augenscheinlich schwer reicher Herr, diesen möchte ich fragen, ob er mit von der Partie sein will; ich darf doch wohl annehmen, daß Mr. Williams – so heißt der Herr – in die Erlaubnis des ersten Maschinisten miteinbegriffen ist?«

Der junge Mensch nickte etwas nachdenklich und entgegnete: »O ja, daran zweifle ich nicht; der Herr ist doch nicht alt und gebrechlich?«

Eduard mußte bei diesen Worten, während denen er die elastische, lebensprühende Erscheinung des Kaliforniers in Geiste verglich unwillkürlich lachen.

»O nein,« erwiderte er dann, »ganz das Gegenteil!«

»So, bitte fragen Sie ihn sogleich, mein Dienst drängt, aber ich werde doch hier auf Sie warten!«

»Ich eile!« rief ihm Eduard schon in vollem Laufe zu.

Aber er fand seinen neuen Freund nicht gleich; dieser war weder im Rauchzimmer, noch im Damensalon noch auch in der Bibliothek, und Eduard mußte erst das ganze Deck absuchen, bis er ihn endlich in einer lauschigen Ecke an der Seite einer reich- aber lässig gekleideten Dame fand, augenscheinlich schäkernd, vielleicht kosend. Sobald Eduard diesem versteckten Paare näherte, bemerkte er zu seiner unangenehmen Überraschung, daß die fette Frau die ganze Luft auf mehrere Schritte rings um sie her mit einem äußerst starken, betäubenden Parfüm gefüllt hatte, und er konnte gar nicht begreifen, wie dieser anscheinend nach frischer, freier Luft förmlich lechzenden Kalifornier diesen Duft, der von einem japanischen Riechholz herstammte, zu ertragen vermochte. Wahrscheinlich aber hatten die üppigen, aufdringlichen Reize dieser Frau all seine anderen Gefühle besiegt.

Als nun Eduard endlich seine Aufforderung vorbrachte, fuchtelte Mr. Williams eine Zeitlang in der Luft herum, als ob ein ganzer Schwarm von Wespen auf ihn eindränge.

»Gott soll mich bewahren!« rief er dann aus, »was! Ich soll freiwillig hinuntersteigen in eine solche Hölle von Feuer, Versengung, Rauch und erstickendem Dunst? Ich werde es mir ja vielleicht gefallen lassen müssen, daß man mich dereinst in die wirkliche Hölle hineinbugsiert, aber schon jetzt einen Vorgeschmack davon zu haben – nicht um die Welt! Dazu ist dieses schöne Leben denn doch zu kurz! Nein, mein guter Herr, gehen Sie nur hübsch allein, Sie sind ja unterirdische Tiefen, Finsternis und schauervolle Geheimnisse sowieso gewohnt; mich aber lassen Sie gefälligst hier im rosigen Licht und bei wonniger Lust!«

Und sofort wandte er sich von dem jungen Ingenieur ab und der fetten, überputzten Frau wieder zu. Eduard fühlte sich verletzt. Das schien doch gar nicht mehr derselbe Mann zu sein, der noch vor ganz kurzer Zeit so ernst und gediegen mit ihm gesprochen hatte, dieser girrende Don Juan! Aber wie Eduard jetzt noch einmal seine mißvergnügten Blicke auf dem roten, lebenshungrigen Gesichte des Amerikaners ruhen ließ, kam es plötzlich wie eine Eingebung über ihn: Das war Californien! – San Francisco! – Ja, Frisco! Das freie, heitere, üppige, schwelgende Frisco!

Und er ging zurück, langsam und sinnend, umwogt von einer Vorahnung der genußreichen, wirbelnden Zukunft, des paradiesischen Lebens in San Francisco. – –

Der junge Maschinist, der in prickelnder Ungeduld seiner geharrt hatte, seufzte erleichtert auf, als Eduard endlich erschien.

»Bitte, folgen Sie mir!« sagte er kurz, »Herr Stockhausen wird mir die allerschönsten Grobheiten an den Kopf werfen!«

Und er ging voran.

Sie durchschnitten einen langen, dumpfigen Gang, kamen an offenstehenden Kajüten vorbei, wo meist eine unsichtbare Person mächtig schnarchte, begegneten den neugierig lauschenden Blicken des Koches und dessen Küchenjungen, kämpften einen Augenblick gegen einen wahren Wust von Gerüchen und gelangten endlich zu einer kleinen, eisernen Tür, die der Maschinist mit einem Schlüssel, der ihm an einem runden Lederriemen um den Hals hing, öffnete.

»Also noch einmal recht langsam und sehr vorsichtig!« rief er dem Ingenieur zu, »ich gehe voran, damit ich Sie auffangen kann, falls Sie dennoch ausgleiten sollten!«

Eduard zauderte wirklich einen Augenblick: Das Gewirr der schmalen, vielfach ausgetretenen und überall spiegelglatten Treppen beklemmte sein Gemüt; er stand und schöpfte tief Atem.

»Nun?« fragte der Maschinist, während er mit seinem blassen Gesicht forschend emporblickte; »noch ist es Zeit, umzukehren.«

Aber nun erwachte in Eduard seine ungebändigte Abenteuerlust, die »Hol's-der-Teufel-Stimmung«, die ihn früher schon so oft zu tollkühnen Bergabstiegen verleitet hatte, und munter rief er aus: »Gehen Sie nur zu, – ich komme!«

Und das Hinunterklimmen begann. Es war doch verzweifelt schwierig: Eduard mußte sich wirklich oft mit aller Kraft an dem dünnen, ebenfalls öligen Geländer anhalten, um nicht hinabzustürzen. Eine Art Ohnmacht durchzuckte ihn von Zeit zu Zeit; doch dann schritt er um so sicherer zu.

Und tief unter ihm flammten blutrote Feuer, und ein donnerähnlicher, sinnbetäubender Lärm drang zu ihm herauf.

Wie seltsam! – Warum hatte er nie bei seinen vielen Ozeanfahrten auf dem schönen, blankgeputzten Promenadendeck, warum nie in dem prächtigen, überladenen Speisesaal oder seiner behaglichen Kajüte, – warum hatte er an all diesen Plätzen nie daran gedacht, daß es auf demselben Schiffe solch ein finsteres, tobendes, übelriechendes Grauen geben könne?! Warum dachte wohl kein anderer Passagier je daran? Wie war es möglich, diese brüllende Hölle so geschickt, so » diskret« zu verhüllen? Denn nichts erinnerte da oben in der Eleganz, dem übertriebenen Komfort der Säle und der Kajüten an diesen glühenden, dampfenden Schlund! Nein, kein einziger der gutgekleideten, gutgefütterten Reisenden hatte auch nur eine Ahnung davon, wieviel Leiden, wieviel menschenschindende Arbeit, wieviel verrohende Erniedrigung dazu gehört, das Schiff vorwärts zu bringen, ihm die bestimmte Geschwindigkeit zu verleihen, sie, die Reisenden, zur richtigen Zeit ans Ziel zu führen! – Je tiefer jetzt die beiden hinabdrangen, desto glühender, » versengender« – wie sich Mr. Williams ausgedrückt hatte – wurde es, und das ohrenzerreißende Getöse nahm immer mehr zu. Es war schlechterdings unmöglich, auch nur ein Wort mit einander zu wechseln, so entsetzlich tobten die nunmehr sichtbaren Kolbenstangen, Räder und Wellen scheinbar ohne jedes System durcheinander. Auf der letzten Stufe glaubte Eduard riesige Ungeheuer vor sich zu sehen, die im grimmigsten Kampfe miteinander rangen.

Endlich waren sie unten angelangt. Eduard nahm seine Mütze ab und wischte sich die Schweißtropfen von seiner stark geröteten Stirn.

»Donnerwetter!« schrie er so laut, wie er nur konnte, denn er ahnte wohl, daß ihn sein Führer sonst nicht verstehen könnte, »Donnerwetter, so schlimm hätt' ich mir die Sache denn doch nicht vorgestellt!«

Aber der Maschinist wies nur achselzuckend auf seine Ohren und brüllte ihm dann entgegen: »Zwanzigtausend Pferdekraft!« Was in seinem Maschinistengemüt wohl als Entschuldigung für all diese Hitze, all diesen Höllenlärm gelten mochte. –

Nun führte er seinen Gast von einem der riesigen Zylinder zum anderen und schließlich zu den beiden mächtigen Wellen, die die dumpf grollenden Schrauben da draußen trieben.

»Jetzt zum Kesselraum!« brüllte der Maschinist seinem Begleiter aufs neue ins Ohr. Eduard nickte nur, ohne etwas zu erwidern. Irgend ein Wechsel der Umgebung war für ihn wie eine Erlösung; fort nur fort, aus diesem gehirnerschütternden Lärm, das war ja hier viel, viel schlimmer als im tiefsten, finstersten Minenschacht, und für Eduard stand es fest, daß so etwas nur ganz besonders veranlagte Menschen aushalten könnten, während die meisten daran zugrundegehen müßten.

Der Maschinist, der seinem Gefährten wohl ähnliche Gedanken ansehen mochte, ließ wieder sein leises, bleiches Lächeln sehen, streichelte dann den einen der mächtigen Cylinder, als wollte er durch diese Bewegung der Ansicht Eduards entgegentreten oder diese auch bestätigen, und ging schließlich an dem Gewirr der wie toll arbeitenden Kolbenstangen, Scheiben und Wellen vorbei und einer andern Tür zu.

Aber sobald er diese geöffnet hatte, und nun den beiden eine noch viel größere Hitze mit Ruß, Dampf und Rauch und ein noch viel üblerer Geruch entgegenströmten, da hätte ihn Eduard am liebsten gleich gebeten, ihn wieder hinauf, zum Licht zurückzuführen.

Doch der Maschinist ging ruhig weiter, und Eduard wußte ihm wohl oder übel folgen.

Zunächst vermochten seine Augen nichts anderes zu erkennen als etwa dreißig riesengroße, kohlschwarze Kessel, in deren Mitte unten ein mächtiges, eine tatsächlich fast versengende Glut ausstrahlendes Feuer brannte, und vor jedem dieser lodernden Brände stand ein – ja, war das wirklich ein Mensch, diese halbnackte, schweißtriefende, über und über berußte Gestalt, deren Augen aus dem schwarzen Gesicht wie große, weiße Kugeln hervorquollen. Augen die sich jetzt beim Nahen dieser beiden Müßiggänger – denn für die Heizer eines Ozeandampfers ist alles, was nicht Heizer ist, müßiggängerisches Pack! – mit einer wilden Drohung auf diese zu richten schienen. Es sah wirklich beängstigend aus, wenn einer dieser finsteren Gestalten den großen Schürhaken ergriff, diesen durch die Luft schwang, um dann wie wütig damit in der Glut herumzustochern.

Ach, dieser eine Blick, den er soeben aufgefangen hatte, war für Eduard eine ganze Erzählung von der schwersten, elendesten, am schlechtesten bezahlten Arbeit, eine Erzählung von der modernen, weißen Sklaverei, denn diese Arbeit hier ließ sich nicht im entferntesten vergleichen mit der seiner Bergleute, diesem ruhigen, zum beschaulichen Nachsinnen, zur Frömmigkeit erziehenden Werke; nein, diese Arbeit hier war niedriger Frohn, mußte verrohend, vertierend wirken, solche Leute, die sie auszuführen gezwungen waren, in die niedrigsten Tiefen des Lebens treiben! Und wie gut verstand Eduard jetzt auf einmal den fast fanatischen Widerwillen des Kaliforniers, dieses üppigen, hungrigen Lebenskünstlers, gegen einen Besuch hier unten! Nein, das war entschieden nichts für seine lechzenden, glühenden Sinne, dieser heiße, schwarze Dunst, dieser Geruch nach Menschenschweiß, nach Menschenelend!

Und erschüttert legte sich jetzt Eduard die Frage vor: Wie soll die äußerste menschliche Not, die äußerste Unbildung, die tiefste, erblich übertragene Verrohung, – wie soll sich das je seiner schweren, furchtbaren Fessel entledigen? Denn diese Wahrheit wird ewig bleiben: Sklavenarbeit, oder, wenn man diesen in das moderne Humanitätsgewissen allzutief einschneidenden Ausdruck nicht gelten lassen will – niedrige, dumpfe, hoffnungslose Arbeit wird es geben bis ans Ende der Welt; gleichviel wie verfeinert, wie verändert alles, was wir zum Leben brauchen und dieses angenehm macht, auch je werden könnte, – die Urarbeit, die Herbeischaffung der Rohstoffe, wird stets schmutzig und daher niedrig bleiben, und die Armen und Ärmsten, die sie zu verrichten gezwungen sind, werden durch alle kommenden Jahrhunderte und Jahrtausende ganz vergebens aufgefordert werden, ihren Trost und ihre Erholung in der Kirche, in Kunstgalerieen oder »guten Büchern« zu suchen, sondern sie werden diesen Trost und diese Erholung nach wie vor im – Alkohol suchen, allem Geplärr der unwissenden, verständlich- und lieblosen Temperenz-Apostel zum Trotz! –

Völlig trübe geworden betrachtete Eduard noch eine kurze Zeit diese bedauernswerten Männergestalten, dann bat er seinen Führer, ihn hinwegzuführen.


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