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XIII.

Der kleine Rauchsalon, obschon sehr schön und anheimelnd ausgestattet, wies nicht die schwere, bunte Pracht der Gemächer auf, die Eduard bisher gesehen hatte; es erinnerte an das Herrenzimmer der ersten Kajüte eines Ozeandampfers, und Mr. Williams, der ja sein halbes Leben gereist zu sein schien, mochte es wohl einem solchen Raume haben nachbilden lassen.

Sobald die fünf Männer ihre Havannas angesteckt hatten, fing der Chefredakteur Truth – mit der Hartnäckigkeit eines Halbbetrunkenen – wieder von jenem Zeitungsartikel an.

»Ich habe vorhin«, hub er an, »jenen Bericht doppelt falsch und blödsinnig genannt und glaube nun, diesem fremden Herrn hier – er verneigte sich gegen Eduard – einen Beweis meiner Behauptung schuldig zu sein; wir Einheimischen sind es ja längst gewohnt, daß in deutschländischen Blättern fast durchweg Ungereimtes über unser Land, Amerika, geschrieben wird, daß die große Mehrzahl der dortigen Schriftsteller eine so völlige Unkenntnis dieses Landes und seiner politischen und sozialen Verhältnisse verrät, eine unverschämte Oberflächlichkeit, die ihres gleichen sucht; da aber – wie schon erwähnt – diese Darstellung in einer der bekanntesten Berliner Zeitungen erschienen ist, so soll er doch festgenagelt werden! Er ist deshalb doppelt falsch und blödsinnig, weil erstens jener darin genannte Abschaum – Europas, wohlgemerkt! – jene Goldgräber, Gottseidank!, gar keine Nachkommen hinterlassen haben; und dann zweitens von jener Vererbung von Frohsinn und Lebensfreude gar keine Rede sein kann, weil jene Urbewohner Friskos, diese finstren Hasser und Mordgesellen, nichts von Frohsinn und Lebensfreude wußten! Jener alberne Federfuchser, der diesen Artikel auf dem Gewissen hat, hat natürlich keine Ahnung davon, daß seit über vierzig Jahren einesteils die allertüchtigsten jungen Leute, denen ihre Heimat zu kleinlich und zu ärmlich geworden war, nach San Franzisko geströmt sind, um hier die besten Menschenkräfte walten zu lassen, anderenteils im Osten und sonstwo reichgewordene Leute, die also die Sorgen, die Plackereien des Lebens nicht mehr kannten, hierhergezogen sind! Und von solchen Voreltern stammt unser jetziges Geschlecht ab! Und nun werden Sie auch Mr. Treubach, verstehen, warum alle Menschen rings um Sie her vor Zufriedenheit und glücklicher Lust förmlich überzufließen scheinen!«

Er war inzwischen ganz nüchtern geworden. Sein Gesicht, das sonst recht trocken und prosaisch war, hatte sich gerötet und seine Augen strahlten; die Liebe zu seiner unvergleichlichen Vaterstadt hatte auch ihn zum Dichter gemacht.

Sowie er geendet und sich wieder gesetzt hatte, kam Williams auf ihn zu, gab ihm die Hand und sagte: »Schön, Truth! Schön und wahr! Nur hast Du eins vergessen, mein lieber Junge!«

Und als ihn nun der Chefredakteur fragend ansah, fuhr Williams fort: »Die Natur, unsere Natur hast Du vergessen! Sie, mit ihrem warmen, milden Sommergold, mit ihrer unerschöpflichen Erdenkraft, die uns im Übermaß Rosen und Veilchen, Palmen und Orangen, Trauben und all die anderen, goldenen süßen Früchte in den Schoß wirft, sie sollte alle diese Herrlichkeiten nicht im Menschen zusammenhäufen können?! So seht sie Euch doch nur an, unsere Mädchen! Ist in ihnen nicht die Pracht und Herrlichkeit der Rosen und Veilchen, der Palme und der Orange, der Traube und all der goldenen, süßen Früchte vereint! Und wenn einsichtslose, dumme Zeitungssudler, die unsere liebe Stadt im Fluge durchjagen, sie als ein modernes Babel, als ein zweites Sodom und Gomorrha hinstellen, so zeugt das eben nur von ihrer eigenen Unwissenheit und Oberflächlichkeit: unser Frisko bleibt trotzalledem unser Frisko!«

»Bravo! Williams, bravo!« riefen Professor Swing und der Holzhändler, wie aus einem Munde.

Mit Staunen und Bewunderung blickte Eduard zu diesen Männern auf, bei denen die Liebe zu ihrer Stadt fast an Tollheit hinanzureichen schien. Die Worte des kleinen Professors Cyliax fielen ihm jetzt wieder ein: »Ach, Sie waren noch nie in San Franzisko, – das hört man sofort: und das liebe herzliche Frisko, der Himmel segne es für und für!« und: »Eine Stadt, wie es keine zweite gibt auf dem ganzen Erdenrund!«

Und Eduard fing an, mehr und mehr zu verstehen! Ja, wirklich: hier lag Liebe, fast inbrünstige Liebe in der Luft, seine eigene Seele wurde nach und nach davon erfüllt! Nun begriff er auch plötzlich das scheinbare, fortwährende Liebesgirren seines vornehmen, gütigen Wirtes auf dem Schiffe: in all den Frauen und Mädchen, die dieser auf dem Schiffe umschwärmt hatte, hatte er einfach seine Landsmänninen, Bewohnerinnen von San Franzisko, wiedergefunden, und die anscheinende Liebeständelei war nichts weiter als ein Wiederaufleben des allgemein hier herrschenden Tones gewesen. –

Nun brachte Eduard endlich sein Anliegen vor, das er schon seit dem frühesten Morgen auf dem Herzen hatte: noch heute nachmittag nach den Union Iron Works hinauszufahren.

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als Williams sofort eine elektrische Klingel drückte und dem gleich darauf erscheinenden Snowball zurief: »Charles soll anspannen,– die Rappen! Die andern werden zu müde sein.«

Und zu Eduard gewendet fuhr er fort: »Gewiß! Ich selber fahre mit Ihnen hinaus, ich habe sowieso dort zu tun; während dieser Fahrt werden Sie beinahe die ganze Stadt sehen. Wer von den Herren begleitet uns?«

Aber die drei Männer dankten. Sie erhoben sich jetzt einer nach dem andern und verabschiedeten sich von ihrem Wirte und Eduard, den sie alle schnell liebgewonnen zu haben schienen.

»Das Chinesenviertel lassen wir heute liegen,« sagte nun Williams, während er sich leicht schüttelte, »ich mag es nicht sehen! Sie können es vielleicht morgen oder übermorgen zu Fuß mit dem Hauptmann Davenport besuchen; der soll dort genau Bescheid wissen!«

Und er lachte leicht auf.

Aber auch Eduard mußte jetzt vor sich hinlächeln; bei der lebhaften Geberde der Abneigung, die sein Wirt soeben gezeigt hatte, dachte er daran, wie er damals auf dem »Rostand« diesen Mann zur Besichtigung des Maschinenraumes aufgefordert hatte, und wie dieser aufgefahren war mit den Worten: »Gott soll mich bewahren! In diese Hölle von erstickendem Dunst ...! Lassen Sie mich gefälligst im rosigen Licht und bei wonniger Lust!«

Und wiederum verstand Eduard und diesmal klarer und schärfer: »Nein, Dunkelheit jeder Art, menschliche Niedrigkeit mit ihrem Schmutz und üblen Dunst war nichts für diesen Mann des Lichts, der Freude und der Schönheit, – Chinatown mußte ihm gleichgültig und widerwärtig sein!

»Charles fährt vor!« rief ihm jetzt sein Wirt zu, »holen Sie nur Ihren Hut und Überzieher! Die Abende sind kühl in Frisko!«


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