Gottlieb Konrad Pfeffel
Gedichte
Gottlieb Konrad Pfeffel

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Der Spiegel

(1807)

    Die Wahrheit zog als Krämerin
Zur Zeit der Vorwelt auf die Messen,
Ein Spiegel war ihr Kram; mit Pässen,
Von Zeus und Pallas, trug sie ihn
Von Land zu Land. Die Leute nahten
Sich haufenweis. Kaum fiel ihr Blick
Auf das geweihte Glas, so traten
Sie schamrot oder blaß zurück.
Warum das? Ei der Spiegel prägte
Der Seelen Physionomie
Auf den Gesichtern aus; er legte
Die Mimik der Koketterie
Der Frömlerinn, des Midas Fratze
Dem Geizhals, der verschmitzten Katze
Banditenblick dem Staatsmann bei.
Was Wunder, daß die Käufer flohen,
Und oft wohl gar der Zauberei
Die Göttin mit erbostem Drohen
Beschuldigten! Einst wagte sie's
In einer Hofburg zu hausieren.
Der Fürst, ein kleiner Nero, hieß
Den Kämmerling sie vor sich führen.
Doch kaum sah er im Spiegel sich,
So schlug er ihn voll Wut in Stücken;
Er ließ ihn sein gekröntes Ich
Mit einem Tigerkopf erblicken.
He! Wache! stäupt die Frevlerin,
Rief der Tyrann. Von den Barbaren
Umringt, läßt sie den Leibrock fahren
Und flieht, der Himmel weiß, wohin.
Ein Sklave, wert als Fürst zu sterben,
Ein Epiktet der Vorzeit, las
Im Kehricht insgeheim die Scherben
Des Spiegels auf. Mit Zeit und Maß
Gelang es ihm, sie zu vereinen.
Doch, um der Staupe zu entgehn,
Behielt er bloß ihn für die Seinen,
Und um sich selber zu besehn.

 


 


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