Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Einunddreißigster Abschnitt

Freundvetterliche Aufnahme, welche Anselm von Sophiens Ehegatten genießt

Diese unschuldigen frohen Stunden, sowie der Harm, den sie mit sich führten, dauerten bis zur Ankunft des Mannes. Frau Sophie hatte geglaubt, sie müsse ihren nächsten Verwandten, der sich in einem so verlassenen Zustande befand, in ihr Haus aufnehmen. Sie hatte ihrem Manne sogleich in einem Briefe Nachricht davon gegeben, den er unbeantwortet ließ, seine Rückreise beschleunigte und bei seiner Ankunft seinen Vetter mit mehr als Kaltsinn, mit Unhöflichkeit, empfing. Dieser Kaufmann, der in Limnich an der Roer anfänglich nur ein unbedeutender Krämer war, hatte Sophien geheiratet, weil Meister Anton, der für einen reichen Mann gehalten ward, Sophien sehr liebte und wohl einmal im Gespräche hatte fallen lassen, er wolle sie in seinem Testamente wie sein eignes Kind bedenken. Der Kaufmann dachte die Wirkung des Testaments schon zu antizipieren, denn er ersuchte, ein paar Jahre nach seiner Verheiratung, Meister Anton um Vorschuß eines Kapitals, womit er die ersten glücklichen Spekulationen machte, um seinen Handel ins Große zu treiben. Er glaubte, dies Kapital mit gutem Gewissen auf Abschlag der großen Erbschaft annehmen zu können, die ihm zufolge des Testaments zufallen müßte; daher er es auch nie verzinsete. Meister Anton hatte aber nachher kein Testament gemacht, wie denn sehr viele Leute glauben, eine solche Handlung lasse sich am besten lange aufschieben und der Tod werde so geschwinde nicht kommen. Anselm hatte zwar gleich nach Antritte der Erbschaft das Kapital großmütig in seinem Hauptbuche gelöscht und dies auch seinem Vetter gemeldet, dieser aber hatte nicht einmal darauf geantwortet. Er war erbost, weil er glaubte, Anselm habe ihn um eine große Erbschaft gebracht, und haßte ihn deshalb herzlich. Er ließ sogar seit der Zeit auch Sophien empfinden, daß er nun durch sie die große Summe nicht ererbe, welche er als schon ihm zugefallen betrachtet hatte.

Sein Betragen ward viel ärger, als er den gehässigen Vetter unter seinem Dache erblickte. Er tobte ganz unvernünftig im Hause herum. Bei diesem unfreundlichen Empfange, welcher der guten Frau Sophie manche Träne kostete, blieb unserm Anselm nichts übrig, als das Haus seines Vetters und zugleich auch Köln zu verlassen, denn in seine vorige Stelle beim Ratsherrn Hummer konnte er ehrenhalber nicht zurückkehren, und was sollte er sonst in Köln machen? Philipp hatte ihm bei Übersendung des Doktordiploms zugleich eine Summe Geldes geschickt und gemeldet, er wünsche ihn wohl wegen einiger Sachen zu sprechen, auch könne er ihm vielleicht in kurzer Zeit eine gute Nachricht mitteilen. Es ward also beschlossen, nach Elberfeld zu reisen. Frau Sophie, welche die Härte ihres Mannes fühlte, ohne ihn anzuklagen, da einmal ihr Schicksal mit dem seinigen verbunden war, fand noch eine Viertelstunde, um von ihrem geliebten Vetter ohne Zeugen Abschied zu nehmen. Sie schenkte ihm ihr Bildnis in Miniatur. Über alle Maßen durch dies Geschenk erfreut, netzte er ihre Hand mit Tränen und klagte laut, daß er dessen nicht würdig sei. Er sann einen Augenblick nach und fand nichts bei sich, was er ihr zum Andenken wieder geben könnte. Er sagte es, und ein Strom von Tränen stürzte aus seinen Augen. Weibliche Zuneigung ist scharfsichtig! Frau Sophie schnitt eine von seinen wallenden Locken ab und verbarg sie weinend in ihrem Busen. Sie gab ihm einen keuschen Kuß und riß sich in dem Augenblicke aus seinen Armen. Mit schwankendem Tritte verließ sie das Zimmer, er das Haus; sie sahen sich nicht wieder.


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