Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Elfter Abschnitt

Wie Philipp und Doktor Anselm miteinander wetteifern

Während daß der feurige Anselm in seiner unruhigen Untätigkeit von einem Gegenstande zum andern forttaumelte und weder sich selbst noch andern nützte, hatte sich der kalte Philipp nach und nach in eine ruhige und nützliche Tätigkeit gesetzt. Er war gewohnt, immer fleißig zu sein. Er hatte auf dem Philanthropin und auf der Universität seine Zeit nützlich zugebracht. Es ist wahr, er hatte sich nicht, so wie Anselm, in die Tiefen der spekulativen Philosophie versenkt. Aber er hatte aus den Repetitionen anderer Kollegien, die für ihn um so lehrreicher wurden, je mehr Anselm davon versäumte, eine Menge nützlicher Dinge gelernt. Er hielt sich verpflichtet, dem Hause dankbar zu sein, wo er in so bedrängten Umständen aufgenommen und so wohl war beraten worden.

Ohne auf Befehl zu warten, nahm er sich freiwillig und mit Eifer aller Geschäfte an, die in der Manufaktur und in der Schreibstube vorfielen. Er schrieb eine schöne Hand, war in allen Arten von Rechnungen erfahren, hatte einen fähigen Kopf, um bald die wahre Art zu fassen, wie Geschäfte betrieben werden mußten, die ihm neu waren, und ausdaurenden Fleiß, um sie mit Eifer und Treue zu verrichten. Meister Anton, der nun anfing, alt und schwächlich zu werden, genoß nach einiger Zeit von diesem jungen Menschen die kräftigste Unterstützung. Er bemerkte bald mit Vergnügen, daß er sich in allen Dingen auf ihn verlassen konnte. Er vertraute ihm daher die ganze Direktion der Manufaktur an und setzte ihm dafür einen beträchtlichen Gehalt aus.

Anselm freute sich über diese neue Einrichtung; denn er liebte seinen Freund Philipp. Aber einige Zeit nachher tat diese neue Einrichtung eine besondere Wirkung auf ihn. Er hatte bisher auf die Manufaktur und deren Geschäfte gar nicht Achtung gegeben. Jetzt aber war eben ein Zeitpunkt, wo in den Kurmonaten in Aachen keine neuen schönen Gesichter zum Vorschein gekommen waren und er derjenigen überdrüssig war, die er schon kannte. Der armen Kranken hingegen, welche seinen Rat und seine Arznei verlangten, kamen so viele, daß sie ihm lästig wurden. Er hatte sich über Gott und die menschliche Seele stumpf gesonnen, und wenn er ein Gedicht machen wollte, konnte er weder Reim noch Gedanken finden. Kurz, es war einer der Zeitpunkte, dergleichen er oft hatte, wo er nicht recht wußte, was er wollte; und so fiel ihm ein, auch einmal einen Blick auf die Manufaktur zu wenden, um zu wissen, wie es darin aussähe. Er ging die verschiedenen Arbeiten derselben von Anfang an durch und begriff erst kaum, daß ihrer soviel sein könnten und daß der Rock, den er trug, wenigstens dreißigerlei Arbeiten erforderte, bis er ein Rock würde. Seine Neigung für alles Neue gab diesen Dingen bald sehr viel Anziehendes für ihn, so daß er sich einige Wochen lang unermüdet auf den Wollenböden, unter den Spinnmaschinen, bei den Weberstühlen, bei den Pressen und Kalandern und in den Färbereien herumtrieb. Allein seine sehr gute Meinung von sich selbst ließ ihn auch bald heimlich bei sich glauben, er könne einen großen Teil dieser Sachen viel vorteilhafter einrichten und viele Fehler, die er allenthalben zu entdecken vermeinte, verbessern. Er faßte daher plötzlich den Entschluß, die Arzneikunst ganz bei Seite zu legen und ein Wollenfabrikant zu werden. Seine Eitelkeit unterließ nicht, seinem Vater es so vorzustellen, als brächte er ihm hierdurch ein Opfer, wobei freilich der Vater nicht wußte, ob er sich wirklich freuen sollte. Anselm sagte aber laut: Nun solle jedermann sehen, daß er einer nützlichen Tätigkeit fähig sei und mit Eifer arbeiten könne. Er hatte auf der Universität unter der Menge Sachen, die er sich zu lernen vornahm, auch Kollegien über die Technologie und über das doppelte Buchhalten gehört; er vermeinte also, sehr gute Kenntnisse von Manufakturen und von Handlungssachen zu besitzen. Es ist aber ungewiß, ob etwa durch die spekulative Philosophie, welche unser dicker Mann auf der Universität zur Hauptsache gemacht hatte, die Technologie war verderbt worden, oder ob etwa ein Kollegium über die Technologie nicht praktische Kenntnisse geben mag, oder was sonst die Ursache gewesen ist, daß die Manufaktur nicht besser ward, seitdem er sich damit befaßte. Er wollte alles gründlicher wissen, alles anders einrichten. Diese neuen Einrichtungen fing er mit großer Lebhaftigkeit an, ward aber bald träge, arbeitete ruckweise mit vielem Eifer und blieb dann wieder tagelang von den Arbeitern und von der Schreibstube weg. Er begann viel und machte nichts fertig, und was er machte, selten zu der Zeit, wenn es gemacht werden mußte. Kurz, er brachte durch seine Gelehrsamkeit so viele Unordnung in die Manufaktur, daß Philipp mit seiner Ungelehrsamkeit durch die größte Mühe kaum wieder alles in Ordnung bringen konnte.

Unser dicker Mann keuchte zwar unter der schweren Arbeit, die er sich selbst aufgelegt hatte, und rühmte gegen jedermann, wie sauer ihm das werde, was er nun für die Manufaktur tue; es ward ihm aber nicht Zeit gelassen, auch dieser neuen Beschäftigung, so wie der vorigen, überdrüssig zu werden. Meister Anton, schon lange schwächlich, fiel in eine schwere Krankheit. Dr. Anselm hatte so viele Selbstkenntnis, daß er es nicht unternehmen wollte, ihn zu kurieren. Aber auch ein alter erfahrner Arzt konnte es nicht. Meister Anton starb alt und lebenssatt, voll Liebe gegen seinen Sohn, aber voll Bedauern, daß sein lieber Sohn sich zu allem, was er unternahm, so verkehrt anstellte.


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