Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Siebenter Abschnitt

Anselms Abreise nach der Universität, nebst des Verfassers zufälligen Betrachtungen über Studenten und Universitäten

Anselm ging bald darauf nach der Universität Göttingen ab. Das gab nun ein betrübtes Scheiden zwischen ihm und Vater und Mutter und selbst auch zwischen ihm und Oheim Georg. Denn hielt gleich der Moralist Georg unsern kleinen runden Mann für einen Hasenfuß, worin er nicht ganz unrecht hatte, so war doch auch nicht zu leugnen, daß Anselm ein muntrer, froher Bursche war, rund und gesund am Körper, mit manchen Kräften des Geistes begabt, die durch erworbene Kenntnisse noch mehr entwickelt waren. Dies sah selbst Oheim Georg; und wenn er das runde Kerlchen einen Hasenfuß schalt, so freute er sich doch wieder innerlich, wenn der Hasenfuß sich bei manchen Gelegenheiten so flink und so anstellig zeigte. Dabei hatte Anselm im Philanthropin seine Gutherzigkeit und seinen Frohsinn nicht verloren, die ihm Freunde machten, selbst unter denen, welche ihn für einen Hasenfuß halten mußten. Als er nun das Haus verlassen sollte, sah man nur auf seine guten Eigenschaften, und die Tränen flossen allgemein über seinen Abschied. Die herzlichsten Tränen flossen aus den blauen Augen der kleinen Sophie. Etwas hasenfüßiges Wesen schadet einem muntern Jünglinge bei einem dreizehnjährigen Mädchen nicht so viel, als bei einem Moralisten Georg. Sophiechen sah in Anselm nur den hübschen, fröhlichen, gutmütigen Jungen, den ersten Gespielen ihrer Jugend; und in ihrem kleinen Herzen regte sich etwas, das sie selbst nicht kannte. Zumal seitdem sie sah, daß er auch nach andern Mädchen lief, empfand sie noch deutlicher, wie nahe er ihrem Herzen war. Aber Sophiechen hatte nichts von andern Mädchen zu befürchten. Ihre Schönheit, in der vollen Blüte der Jugend, war so groß, daß sie Anselms, des eifrigen Schönheitssuchers, Herz bezwungen hatte. Er war, um das rechte und kürzeste Wort zu gebrauchen, er war ganz vernarrt in sie, hing immer an ihrer griechischen Nase und an ihren braunen Locken. Beim Abschiede, nachdem ihn seine Eltern und Meister Georg weinend umarmt hatten, küßte er auch Sophiechen zum erstenmale, und das fuhr in ihn wie ein Blitz. Er versprach sich selbst, und leise flüsternd auch ihr, keine andere sollte die Gefährtin seines Lebens werden. In diesem Augenblicke glaubte er es, sie glaubte es noch mehr. Junges Volk meint immer, Liebe der Jugend daure unverändert und mache das ganze Leben glücklich. Zuweilen geschieht es; sehr oft aber geschieht etwas anders. Anselm küßte Sophiechen noch einmal, eilte in den Wagen, sein Vater reichte ihm die Hand, und Meister Georg, indem er sich die Augen trocknete, rief ihm nach: »Ich bitte Dich, Junge, werde kein Narr!«

Und doch war unvermerkt alle Anlage zur Gefahr gemacht, daß Anselmino auf der Universität ein Narr werden konnte. Wir haben schon oben bemerkt, daß Meister Anton, nachdem er Reichtum erworben hatte, weder seinen Tisch, noch seine Kleidung, noch sein ganzes Hauswesen deshalb auf einen höhern Fuß setzte. Auch Frau Sabine und Sophiechen gingen immer noch nach der Simplizität ihres ehemaligen Handwerksstandes gekleidet. Aber die Mutter konnte nicht übers Herz bringen, ihren einzigen geliebten Sohn so zu kleiden. Mütter putzen ihre Kinder so gern! Das hängt mit so vielen andern zärtlichen Gesinnungen zusammen, daß es tadeln mag, wer keine zärtliche Gesinnung kennt. Anselmino hatte also schon an der Mode so viel Anteil empfangen, als sich in Vaals tun ließ. Seidene Westen, seidene Strümpfe, modische Schnallen waren ihm schon nach und nach angeschafft worden. Nun, da ihr Anselmino auf die Universität ging, wollte Mütterchen, seine schöne runde Figur solle dort vorteilhaft in die Augen fallen, und lag deshalb ihrem Manne täglich an. Meister Anton hatte, wie schon gedacht, seinen ambitiösen Fleck, und da ihm seine Frau schon nachgegeben hatte, daß sein Sohn auf einen Arzt studieren sollte, so konnte er ihr um so viel weniger abschlagen, was er selbst insgeheim wünschte. Er wollte zum erstenmale zeigen, er sei ein reicher Mann, und setzte seinem Sohne auf der Universität jährlich eine viel größere Summe aus, als manche Söhne vornehmerer Leute zu verzehren hatten. Oheim Georg machte zwar die triftigsten Gegenvorstellungen, aber vergebens, weil beide Eheleute wider ihn waren. Da sie einmal das viele Geld hatten, wozu sollten sie es brauchen, wenn sie es nicht an ihren einzigen Sohn wenden wollten? Alles, was Oheim Georg mit einiger Mühe erhalten konnte, war, daß Philipp, den man sonst gern als einen tüchtigen Arbeiter in der Schreibstube und Manufaktur zurückbehalten hätte, halb als Freund, halb als untergeordneter Aufseher mit auf die Universität gegeben ward. Diese Vorsicht Georgs hatte bessere Folgen, als die Freigebigkeit der Eltern. Wenn Anselm auf Universitäten nicht ganz unwissend blieb und nicht ganz ein Narr ward: so geschah es durch seinen natürlichen gesunden Verstand, der ihn doch nicht völlig verließ, durch seinen fähigen Kopf, der schnell und leicht behielt, durch seine Neuigkeitsliebe, welche ihn immer wieder zum Studieren brachte, wenn er der burschikosen Lustbarkeiten, die ihn davon abhielten, überdrüssig war, und vorzüglich durch sein gutes Geschick, daß ihm Philipp zur Seite blieb, vor dessen wachsamer, kalter Vernunft er sich scheute, noch größere Torheiten zu begehen. Wenn er aber doch ein ziemlicher Geck ward: so lag hauptsächlich die Schuld daran, daß er mehr Geld zu verzehren hatte, als ihm diente, weshalb er sich gewohnte zu schließen, er könne zeitlebens so viel Geld ausgeben und so viel Zeit verschwenden, als ihm beliebte, und könne immer seinen Einfällen folgen, ohne zu sorgen, woher die Mittel dazu kämen.

Es scheint in Deutschland bei dem jetzigen Zuschnitte der Universitäten gleichsam mit Fleiß darauf angelegt zu sein, die reichen Studenten zu Gecken zu machen. Um die Armen bekümmert man sich auf der Universität so wenig wie in der Welt überhaupt und überläßt ihnen, Pedanten zu werden, es sei nun brauchbare oder unbrauchbare. Man legt überhaupt eine große Wichtigkeit auf die Studenten. Dahin zielet das Herrentum, welches ihnen die junge Magd und der Professor beilegt, und das Burschentum, welches ihnen die ganze Universität beilegt, nebst der Freiheit, ungestraft faul, liederlich und impertinent zu sein, wenn sie sonst wollen. Unsere guten Vorväter scheinen ausdrücklich Einrichtungen gemacht zu haben, um diese zügellosen jungen Wildfänge aus der großen Kette der bürgerlichen Gesellschaft, für welche sie doch eigentlich sollen erzogen werden, ganz abzuschneiden und für sich zu isolieren. Sie sind sogar von aller bürgerlichen Gerichtsbarkeit ausgenommen und werden durch Professoren gerichtet, die größtenteils von dem Wohlwollen dieser Wildfänge ihr kümmerliches Auskommen und, was ihnen als Weisen mehr wert ist, ihren kümmerlichen akademischen Ruhm zu erwarten haben. Den Dünkel, welcher der Wichtigkeit des Studentenstandes ankleben muß, predigt der ganze akademische Esprit de Corps. Der breite Stein, die akademischen Orden, das Kollett, die hohen Hutfedern, sogar die lahmen Gäule, worauf die wilden Jünglinge umherstolpern, alles gehet dahin. Ja, wir haben Beispiele, wenn die Obrigkeit nötig fand, Gesetze zur Einschränkung des unanständigen Lebens zu geben, verließ die zügellose Jugend in förmlichem Aufruhre wider so weise Anordnungen den Ort, den ihr der Willen ihrer Eltern und Obern zur Erlernung nützlicher Kenntnisse angewiesen hatte. Da ließ sich die Obrigkeit denn herab, Verträge mit den Widerspenstigen zu schließen und sie, anstatt verdienter Strafen und Verweise, mit sehr unnötigem Prunke zurückzuholen; und die Lehrer ließen sich herab, zur Freude über die Wiederkehr der widerspenstigen Flüchtlinge Erleuchtungen anzustellen. Es kann also kein Wunder sein, daß Jünglinge, auf welche mehr Wichtigkeit gelegt wird, als auf sie gelegt werden sollte, von ihrer wahren Bestimmung so leicht abweichen und, anstatt zu brauchbaren Männern zu gedeihen, Gecken werden. Hauptsächlich gibt es zweierlei Arten von Geckerei, denen die jungen Bewohner der Universitäten gleich endemischen Krankheiten unterworfen sind. Erstlich die Geckerei im gemeinen Leben. Diese Krankheit befällt vorzüglich die reichen und vornehmen Studenten. Ihr könnt – Ausnahmen abgerechnet – beinahe gleich sicher darauf rechnen, daß ein junger Mensch, der auf Universitäten viel Geld zu verzehren hatte und also im hohen Tone lebte, wie ein beschwerlicher Geck in seine Vaterstadt zurückkommt, als daß derjenige, welcher sich auf Universitäten mit wohltätigen Stiftungen behalf und fleißig studierte, bei seiner Zurückkunft in Gesellschaft link und ängstlich sein wird. Es kostet gewöhnlich einige Zeit, bis jener durch guten Umgang so zahm gemacht wird und dieser dadurch soviel Gewandtheit und Geselligkeit erhält, daß sie ein wenig erträglich werden.

Die zweite Krankheit, denen die Studenten gemeiniglich gegen das Ende ihrer Universitätsjahre und noch lange hernach unterworfen sind, ist die Geckerei in den Wissenschaften. Diese befällt, ohne Rücksicht auf Armut und Reichtum, nur denjenigen Teil von ihnen, der etwas gelernt hat. Glücklich ist der sehr kleine Teil der reichen und vornehmen Jünglinge zu preisen, der von dieser Krankheit noch kann angegriffen werden! Man muß ihnen dazu Glück wünschen, wie den reichen und vornehmen Alten, die noch Kraft haben, das Podagra zu bekommen. Hat ein Student, reich oder arm, etwas gelernt: so ist zehn gegen eins zu wetten, er wird eine zeitlang oder zeitlebens ein gelehrter Geck sein, wenn ihm sein gutes Geschick nicht eine besondere Bescheidenheit oder einen seltenen Bon-Sens verliehen hat. Er ist gemeiniglich zu voll von allerlei Wissenschaften und zu leer von der Hauptwissenschaft, die übrigen richtig anzuwenden. Er weiß so vieles, und weiß es so ganz gewiß; er entscheidet so vieles, und zwar ganz unwiderruflich; und es dauert abermal einige Zeit, bis er zu merken anfängt, daß er viel weniger weiß, als er gelernt hat, und daß er noch nicht entscheiden muß, weil ihm noch sehr viel zu lernen übrig ist, was auf keiner Universität kann gelehret werden. Am öftersten macht die auf Universitäten so gangbare spekulative Philisophie die ehrenfesten Kandidaten bei ihrer Zurückkunft zu den unerträglichsten Gecken und oft noch zu etwas schlimmem. Es ist einerlei, ob ein solch gelehrter Geck die Philosophie Wolfisch durch Demonstration oder Kantisch durch Kritik getrieben hat. Alle Arten solcher Philosophie bringen bei jungen Leuten – und einige Philosophen bleiben sehr lange jung! – den Dünkel hervor, alles sicherer als andere zu wissen, machen sie peremptorisch, wenn sie glauben, Recht zu behalten, und grämisch, wenn ihnen widersprochen wird. Beide Eigenschaften geben den frühaufgeschossenen Philosophen im Laufe des gemeinen Lebens einen lächerlichen Anstrich bei denen, die solchen Dünkel von der komischen Seite ansehen, und erwecken Widerwillen bei denen, welche Alter, Reichtum, hohe Geburt und wichtige Ämter wohl für so gute Gründe halten, sich nicht widersprechen zu lassen, als einen kategorischen Imperativ, zumal wenn er in dem imperativen Lehrertone vorgebracht wird, der kaum auf dem Katheder schicklich, im Weltumgange aber ganz unerträglich ist.


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