Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Dreizehnter Abschnitt

Erster Versuch Doktor Anselms, seine Kenntnis der Frauenzimmer praktisch zu zeigen

Es hatte in Aachen schon einige Zeit die Tochter eines verstorbenen Hofrats eines Fürsten im Reiche gewohnt. Anselm erblickte sie zufällig in einem Konzerte, das, gleich bei der Eröffnung der vollen Kurzeit in Aachen, einer von den tausend Deutschland unaufhörlich durchreisenden berühmten Virtuosen gab, von denen noch niemand hat reden hören, bis sie die Billette zu ihrem Konzerte herumschicken. Diese Schöne machte auf Anselm eine sehr große Sensation, deren Wirkungen noch fortdauerten, als der erste Eindruck längst vorüber war. Seine sorgfältigen Erkundigungen nach ihr mußten notwendig das Verlangen zu einem nähern Umgange erregen. Sie wohnte im Hause ihres Vormundes, des Hofrats [R2]. Ihre Schönheit, Sittsamkeit und Jugend, nebst einem großen Vermögen, von dessen Einkommen sie völlig Herr war, weil ihr Vormund, nach dem Willen ihres verstorbnen Vaters, hierin und in der Wahl eines Gatten ihr vollkommene Freiheit ließ, waren ihre geringsten Vorzüge. Sie besaß einen durchdringenden Verstand, einen lebhaften Witz, Kenntnisse in den Wissenschaften, wie man sie von einem Frauenzimmer kaum verlangen kann, und Talente, wie man sie selten findet. Sie sang wie ein Engel, sie spielte Klavier und Harfe, sie zeichnete, sie stickte. Wie hätte Anselm bei so vielen Vorzügen gleichgültig bleiben können? Er suchte mit Eifer Zutritt in ihr Haus und erhielt ihn. Ungeachtet sie eher etwas zurückhaltend war und sonst neuen Umgang eben nicht anzuknüpfen pflegte, so schien sie sich doch in Dr. Anselms Gesellschaft zu gefallen und ihn, von der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft an, vorzüglich von andern zu unterscheiden. Anselm besuchte sie nun so oft es möglich war, weil er auch in ihrer Gesellschaft ein außerordentliches Vergnügen fand; und sie nahm dieses so wohl auf, daß sie ihn sogar einmal in Vaals wieder besuchte. Beide trafen auf so vielen Seiten in ihren Gesinnungen und Empfindungen zusammen, daß sie sich leicht wechselseitig gefallen konnten. Man kann denken, daß Anselm die Verse nicht werde gespart haben; denn Jungfer Emerentia war eine Kennerin von Gedichten. Was ihn aber noch mehr an ihre Unterhaltung fesselte, waren ihre wissenschaftlichen und philosophischen Unterhaltungen, welche, wie schon bekannt, unsers dicken Mannes Lieblingsfach ausmachten. Jungfer Emerentia liebte sehr die Untersuchungen über Gott, Welt, das Universum und die Substanzen. Dabei konnte der gute Anselm auskramen, was er am liebsten auskramte. Sie hörte ihm aufmerksam zu, antwortete so, daß zu sehen war, sie begreife, was gesagt ward, und nehme Anteil. Unvermerkt stieg dann die sanfte weibliche Seele vom Empyreum auf unsere Erde hernieder; und nun sprachen sie von den Pflichten der Menschen in der wirklichen Welt, von Edelmut, Wohltätigkeit, Menschenliebe und Aufklärung, welches unserm Anselm, der bei seinen mancherlei kleinen Torheiten eine gutmütige Seele war und gern, ohne viele Mühe, das ganze menschliche Geschlecht glücklich gemacht hätte, das Herz so erwärmte, daß er die schöne Emerentia als ein überirdisches Wesen ansah. Und mit diesem überirdischen Wesen sein Leben zuzubringen, – welche Aussicht! Welche vollkommene Erfüllung seines Plans, beständig glücklich, und nun mit der reifsten vorherbestimmten Überlegung, beständig glücklich zu sein!

Gegen Philipp hatte das Vertrauen unsers Anselms seit geraumer Zeit mit Rechte so sehr zugenommen, daß dieser mehr sein Freund als sein Untergebener war. Anselm konnte über dem Gedanken, mit Jungfer Emerentia das Glück seines Lebens zu teilen, keine Nacht mehr schlafen. So weit er herumsann, fand er an ihr alle Eigenschaften einer vortrefflichen Frau und keinen einzigen Tadel. Doch wollte er, als ein nunmehr weise gewordener Mann, den wichtigsten Schritt seines Lebens nicht ohne die genaueste Überlegung tun. Er entdeckte demnach zuletzt seine Absicht seinem Freunde Philipp und fragte ihn um Rat. Wir nennen dies so, weil es im gemeinen Leben so genannt wird, wenn man jemand in Form über dasjenige fragt, was man zu tun schon entschlossen ist. Dies war hier auch der Fall. Denn es schien unserm dicken Manne unmöglich, länger ein so großes Glück zu verschieben, das er so nahe vor sich sah.

Philipp, wie wir schon wissen, liebte Anselmen, dem er soviel zu danken hatte, beobachtete ihn in der Stille, konnte aber, wie wir ebenfalls wissen, seine Betrachtungen bei sich behalten, wenn er nicht gefragt ward. Er hatte längst bei allen Gelegenheiten auf Jungfer Emerentia genau Acht gegeben, weil er die große Neigung Anselms merkte und sie innerlich nicht ganz billigte. Da ihn nun Anselm befragte, teilte er ihm seine kalten Beobachtungen mit, wo freilich manches in ein ganz anderes Licht gesetzt ward, als es dem warmen Liebhaber erschien. Anselm hörte aufmerksam und mit Kopfschütteln zu, bis Philipp seinen Verdacht äußerte: Jungfer Emerentia möge wohl stolz sein; und ihm scheine eine stolze Frau für niemand, am wenigstens aber für Anselm, eine gute Gefährtin des Lebens sein zu können.

Hier fuhr Anselm auf und rief: »Mein lieber Philipp, da hast du nun gewiß ganz unrecht! Wie könnte diese edle, diese von Vorurteilen so freie Seele stolz sein?«

Philipp, versetzte: »Du kannst an ihr vielleicht nicht so beurteilen, was Stolz ist, weil du ganz im gleichen Stande mit ihr umgehst. Wer in der niedern Klasse steht, bemerkt genauer, wann sich jemand erhebt; er fühlt gewisse kleine Züge, welche große innere Ursachen hinter sich haben müssen, und schließt daraus auf den Charakter.« »Nein, lieber Philipp, da bist du wirklich ganz irrig! Ich wünschte, du hättest unser gestriges Gespräch von Überwindung der Vorurteile, von Mäßigung der Meinung von uns selbst hören können. Da hättest du vernommen, wie weit diese erhabene Seele entfernt ist, niedrige Einbildungen zu hegen oder sich selbst über die Gebühr zu schätzen.«

»Ja! was sie spricht, weiß ich nicht; ich habe nur aus einigen kleinen Zügen in ihren Handlungen so geurteilt; ich kann mich irren.«

»Wahrlich!« rief Anselm aus, »du irrst« – und ergoß sich so im Lobe der edlen Emerentia, daß Philipp merkte, wie es mit der Sache war und unnötig fand, etwas weiter hinzuzufügen. Anselm aber erwärmte sich so sehr durch ihr Lob, daß er weiter nicht säumen wollte, sondern gleich denselben Nachmittag nach Aachen fuhr, um die edle weibliche Seele zu besuchen, die das Glück seines Lebens machen sollte.

Nach wenigen gleichgültigen Unterhaltungen fing er an, das Eis zu brechen, bezeugte seine innige Verehrung gegen alle ihre vortrefflichen Eigenschaften; und ziemlich schnell ging er zu einer förmlichen Liebeserklärung und zu dem Wunsche über, sie zur glücklichen Gefährtin seines Lebens zu haben, wobei er sie bat, durch ihr Beistimmen sein Glück zu gründen.

Jungfer Emerentia lächelte sanft und sagte: Er täte ihr viel Ehre, sie müsse allerdings stolz darauf sein, die Eroberung eines so schönen Geistes und artigen Mannes gemacht zu haben; indes sei der Antrag zu wichtig, um ihn nicht noch reifer zu überlegen.

Anselm, voll Feuer, erwiderte: Allerdings sei es für ihn sehr wichtig, es betreffe das einzige Glück seines Lebens, daher er sie beschwöre, die Erfüllung seines Wunsches nicht gar zu lange auszusetzen.

Jungfer Emerentia antwortete lächelnd: »Der Antrag ist mir so unerwartet, daß ich freilich nicht gleich zu dessen Beantwortung die rechte Wendung finden kann.«

»Unerwartet?« sagte Doktor Anselm etwas kleinlaut. »Ich hätte gehofft, daß meine Aufmerksamkeit auf Sie, schöne Emerentia, etwas von meinen Empfindungen für Sie verraten hätte!«

»O! ich habe Sie immer für einen ganz feinen und galanten jungen Mann gehalten, habe aber nicht geglaubt, daß Sie mich so hoch beehren wollten. Lassen Sie es gut sein. Wir wollen beide die Sache näher überlegen; vielleicht finden Sie bei reiferm Nachdenken einige Schwierigkeiten, und – »Teureste Emerentia! Welche Schwierigkeiten könnten es sein? Mein Glück liegt zu Ihren Füßen; ich lebe und webe nur in Ihnen, –« und hiermit kniete er zu ihren Füßen und griff nach ihrer Hand, die sie zurückzog.

»Teureste Emerentia? – Teureste Emerentia? – Stehen Sie auf, Herr Doktor! Sie müssen nicht Szenen machen. – Teureste Emerentia! Das klingt sehr vertraulich. Diese Ihre unerwartete Vertraulichkeit nötigt mich, damit kein Mißverständnis entstehe, Ihnen lieber gleich meine Meinung deutlich zu sagen. Sie sind ein artiger gelehrter junger Mann; aber ich hätte nie gedacht, daß Sie den Gedanken zu einer solchen Verbindung hegen könnten, der, wenn er auch mit meinen Neigungen übereinkäme, unmöglich auszuführen ist. Sie sind der Sohn eines Tuchmachers, Herr Doktor; und Sie wissen, welchen Rang mein Vater hatte! Dies hätten Sie bedenken sollen, ehe Sie einen so unbedachtsamen Schritt taten.«

Anselm war vor ihr niedergefallen, aus brünstiger Liebe; und konnte nicht wieder aufstehen, aus großem Schrecken: denn das übertraf alles, was er erwartet hatte.

Er stammelte: »Wie? Sollte es möglich sein? Emerentia könnte wirklich solche Vorurteile hegen!«

»Lieber Herr Doktor!« sagte Jungfer Emerentia ganz kalt, »es ist kein Vorurteil; es ist eine Tatsache, daß Sie der Sohn eines Tuchmachers sind.«

Hier gab die Indignation unserm Anselm einigen Mut. Er versetzte, doch noch immer stammelnd und knieend: »Ich bekenne meinen Irrtum! Ich hatte gedacht, Ihre Philosophie wäre so stark, daß Torheiten und Vorurteile des gemeinen Lebens über Sie keine Macht hätten.«

»Sie sind in der Tat im Irrtume, Herr Doktor! Wenn ein Vorurteil allgemein für Richtschnur im gemeinen Leben gilt, so ist der mehr als töricht, der es bloß zu seinem Vorteile für Torheit erklären will. Seine angemaßte Philosophie ist dann nichts als Dünkel und Eigennutz. A propos von Philosophie! Nehmen Sie den Rat einer guten Freundin an. Sie sprechen gern von philosophischen Dingen, aber, wie es mir scheint, bloß, weil Sie sich selbst gern sprechen hören. Sie sind wirklich ein ganz artiger junger Mann; aber Sie werden viel besser zu leiden sein, wenn Sie sich von dieser kleinen Schwachheit heilen können. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, was ich gestern von der Mäßigung der Meinung von uns selbst sagte. Das galt Sie! Ich glaubte um so viel mehr, Sie hätten mich verstanden, da Sie ganz meiner Meinung Beifall gaben. Um desto weniger hätte ich den heutigen Antrag von Ihnen erwartet. Indes ists vermutlich nur eine kleine Übereilung. Ich habe darüber keine Rancüne, sondern werde demungeachtet immer Ihre gute Freundin bleiben. Nur heute bin ich bei dem Herrn Hofrat *** zum Spiele und Abendessen engagiert. Ich muß mich frisieren lassen. Verzeihen Sie also, daß ich Sie verlasse –«. Sie machte ihm einen tiefen Knicks und ging fort.

Anselm stand wie angenagelt einige Minuten da, ohne sich besinnen zu können. Als er endlich sich entfernen mußte, ging er vier Straßen langsam durch, ehe er sich entschließen konnte, in den Wagen zu steigen, weil er sich fürchtete, seinem Philipp in die Augen zu sehen.


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