Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Neunundzwanzigster Abschnitt

Wie eine von den gelehrten Zusammenkünften bei der Frau Hummer ihrem Eheherrn übel und zuletzt wohl bekam

An einem Freitage, welcher Tag, zur Nachahmung der Madame Necker,Necker, Susanne – (1739-1794), populär-philosophische Schriftstellerin; Frau des französischen Staatsmannes und Bankiers Jacques Necker (1732 bis 1804), die sich um das Pariser Gefängnis- und Hospitalwesen verdient machte. Ihr Haus war in den siebziger und achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts das geistige Zentrum und der Sammelplatz der aufklärerischen französischen Intelligenz. Trimalchio ..., der nie einen Philosophen gehört hatte – Trimalchio – Sestert. reliquit CCC, nec unquam philosophum audivit. Petron (Anm. Nicolais). auch den gelehrten Versammlungen der Auserwählten gewidmet war, hatten die eben geschilderten Personen das gelehrte Kampfspiel mit vollkommenstem wechselseitigen Beifall geübt. Scholastische Philosophie und katholische Poesie über die Wunder der Heiligen hatten mit schmachtenden Elegieen abgewechselt im feinsten Tone der Seminaristengalanterie. Ratsherr Hummer hatte an diesem von der Kirche vorordneten Fasttage mittags schon das selige Geschäft des Fastens an Nudeln, frikassierten Fröschen und leckern Eierspeisen mit wahrer Auferbauung getrieben. Er verfiel, wie gewöhnlich, während der gelehrten Unterhaltungen in einen sanften Schlaf; und so laut auch die Disputationen des P. Alexius und die lustigen Einfälle des P. Hilarion wurden, so wachte er doch nicht auf, bis alles geendigt war und man ihn abermals zu Tische rief. Die Tafel war reichlich besetzt, denn Frau Hummer belohnte die Gefälligkeit ihres Mannes, der ihre gelehrten Zusammenkünfte mit seiner Gegenwart beehrte und ihnen dadurch ein Ansehn gab, immer mit einer ersprießlichen Abendmahlzeit, wogegen auch die sämtlichen gelehrten Mitglieder des Büreau d'Esprit, selbst der leidende Jüngling, nichts einzuwenden hatten. Die Augen des Ratsherrn Hummer glühten, indem er sich zu Tische setzte, als er die großen Anstalten zum vollständigen Fasten erblickte. Denn er war ein frommer Sohn der Kirche, und aus Gehorsam gegen ihre Gebote unterließ er nie, mit köstlichen Fischen und mit mancherlei Mehlspeisen aus Italien und Bayern reichlich mit Parmesankäse eingefuttert, freitags und sonnabends seinen Leichnam zu kasteien. Er genoß von allem, was da war, nicht mit Appetite – denn das wäre für einen Fasttag sündlich gewesen –, sondern mit Resignation, als ob ers nicht genösse. Besonders zog eine seltene Fischotterpaste seine fromme Aufmerksamkeit auf sich, so daß er einen großen Teil davon in sich stopfte. Der alte Rheingauer Wein und der treffliche Bleichert ward nicht gespart, und ein köstlicher Käse, Stracchino genannt, der eben erst nachmittags aus Italien angekommen war, krönte diesen Fasttag, so daß Ratsherr Hummer wohlgefastet zu Bette ging. Aber bald nach Mitternacht befand sich der teure Mann sehr übel. Alles ward im Hause geweckt. Man eilte zum Arzte. Dieser kam endlich mit verdrießlicher Miene, denn auch er hatte, als ein katholischer Christ, an einer guten Tafel gefastet, obgleich nicht so reichlich wie der Ratsherr, und wollte eben einschlafen, als er gerufen ward. Der Kranke lag in großer Beängstigung, konnte keine Luft holen, das Gesicht war rot und aufgetrieben, und der Puls, worin, so wie im Pulse des Arztes selbst, der Geist des alten Weines wallte, ging sehr schnell. Der Doktor verordnete einen baldigen Aderlaß, sagte, er werde morgen früh bei guter Zeit wiederkommen, zu sehen, wie sich der Kranke befinde, worauf er sodann weiter das Nötige verordnen würde; und damit ging er fort, um seinen eigenen Fasttag auszuschnarchen.

Zum Unglücke war der Hausbarbier, zu dem man schickte, über Land gerufen worden. Alle anderen Wundärzte wohnten sehr entfernt. Den Augenblick, wo man ratschlagte, wohin zu senden sei, nutzte Anselm, der den Ratsherrn mit Verwunderung hatte fasten sehen, auch seinen Rat zu geben. Indem er zugleich das Geheimnis verriet, daß er ein promovierter Doktor sei, sagte er seine Meinung: wenn man jetzt dem Kranken aderließe, da er eine so gewaltige Indigestion habe, werde ein schleuniger Tod erfolgen. Er riet dagegen, sogleich ein Brechmittel zu geben und noch eine andere Arznei, welche Doktor Kämpf berühmt machte und durch welche Doktor Kämpf selbst berühmt ward. Frau Hummer war in der größten Angst. Zu Anselms medizinischer Erfahrung konnte sie eigentlich kein Vertrauen haben; aber die Aderlasser waren weit entfernt, der Apotheker hingegen wohnte dicht an im nächsten Hause, und der Kranke wollte alle Augenblicke ersticken. Sie wählte also die Arzneien, weil sie geschwind konnten geliefert werden, – und mit dem besten Erfolge; denn der Kranke ward merklich ruhiger und fiel bald in einen gesunden Schlaf, der an vier Stunden dauerte. Da fand er sich nun so sehr erleichtert, daß er noch mehr Arzneien von seinem Kammerdiener verlangte; und Anselm verschrieb beherzt noch ein Wiener Tränkchen.

Um zehn Uhr vormittags erschien der Arzt, nachdem er die Folgen seines gestrigen Fastens ausgeschlafen hatte. Er fand den Kranken in einem Lehnstuhle sitzen und äußerlich ganz wohl. Sogleich rief er triumphierend: da könne man die herrliche Wirkung des schleunigen Aderlassens sehen. Aber er ward nicht wenig entrüstet, als er vernahm, daß nicht die Ader gelassen, sondern Arzneien genommen worden, die er nicht verordnet hatte. Sein Zorn ward noch mehr entflammt durch den Barbier, welcher bei seiner Zurückkunft vernommen hatte, daß in der Nacht nach ihm war geschickt worden. Er kam daher jetzt voll Blutbegier, mußte aber leider vernehmen, daß dieselbe durch seine Lanzette nicht sollte befriedigt werden.

Beide gingen voll Unmut weg. Der Doktor ließ sich in der Apotheke sogleich die von Anselm verschriebnen Rezepte geben als ein Corpus delicti, welches bewies, daß ein Schreiber die edle Medizin hätte praktizieren wollen; und auf diesen Grund stellte er gegen unsern armen dicken Mann eine Kriminalklage an. Der Advokat führte sehr gelehrt aus, welche große Gefahr Se. Wohlweisheiten bei dem unverständigen Rate dieses unwissenden Schreibers gelaufen wäre, wenn nicht zum großen Glücke der ganzen Stadt dessen vortreffliche Natur über die Wirkungen der Pferdearzneien des Pfuschers gesiegt hätte. Es sei aber, setzte er hinzu, noch nicht alle Gefahr vorüber, indem sich, als eine Folge jenes unvernünftigen Brechmittels, ein Schleimhusten und öftere Beklemmung zeige, welche schon jetzt in ein habituelles Asthma und darauf in Brustwassersucht würden ausgeartet sein und die gute Vaterstadt eines so ansehnlichen Ratsherrn beraubt haben würden, wenn nicht der Doktor, sein Klient, sogleich die wirksamsten Mittel entgegengesetzt hätte.

Die Beisitzer des Gerichts, welche auch Liebhaber von reichlichem Fasten waren, erschraken über Anselms Verwegenheit und drohten schon im voraus die schärfsten Strafen. Umsonst berief er sich darauf, daß er auch Doktor sei. Er konnte sein Diplom nicht vorzeigen, denn er hatte es in Elberfeld bei seinem Freunde Philipp zurückgelassen nebst andern Sachen, die er in der philosophischen Ruhe auf dem Gute seines Freundes Reitheim nicht zu gebrauchen dachte. Der Ratsherr befand sich nach der von Anselm verordneten Arznei zwar wirklich besser, aber sein Doktor sagte ihm so oft, er befinde sich übel, und drohte ihm mit so vielen griechischen Namen von Krankheiten, daß sowohl er als seine Frau an ihrem Kammerdiener irre wurden. Die Sache machte in der Stadt viel Redens, und der Pöbel fing schon an, auf die Verwegenheit eines ketzerischen Schreibers seine Aufmerksamkeit zu richten, welcher durch eine ohne Vorwissen der Fakultät verordnete Arznei die Stadt um einen so gut katholischen Ratsherrn hätte bringen wollen. Anselm war also von jedermann verlassen und ging bereits mit sich zu Rate, ob er zur Vermeidung der unangenehmen Folgen, die unausbleiblich auf ihn warteten, nicht lieber heimlich von Köln weggehen wolle.

Unter diesen Umständen, die ihn äußerst betrübt und verlegen machten, trat ein wohlgekleideter Komtorbedienter ins Haus, sich nach ihm zu erkundigen: ob er aus Vaals gebürtig sei, nebst andern Fragen. Er ersuchte ihn darauf, in die Sankt Severingasse in ein bezeichnetes Haus zu kommen, wo ihn jemand sprechen wolle.

Anselm ging hin. Er war nicht wenig bestürzt, hier die Gespielin seiner Jugend, Frau Sophie, zu finden, gegen die er so undankbar gewesen war, die ihn jetzt aber als ihren nächsten Verwandten herzlich umarmte. Ihr Mann hatte schon in Limnich an der Roer, nachdem sein Kapital angewachsen war, einen ansehnlichen Spekulationshandel mit Getreide angefangen. Derselbe war so einträglich geworden, daß er sich demselben ganz widmen wollte und daher seit einem Jahre nach Köln als dem Stapelplatze gezogen war. Jetzt eben war er nach Holland gereiset wegen einer dahin gesandten Ladung Getreide und Wein und um wegen seines in Köln angefangenen Speditionshandels, der täglich beträchtlicher wurde, mit seinen Korrespondenten Abrede zu nehmen.

Sophiens Mann war in der Stadt als ein angesehener Kaufmann bekannt. Daher gab ihr Zeugnis, daß Anselm ihr naher Verwandter und wirklicher Doktor sei, der Sache gleich ein anderes Ansehen. Sie veranlaßte überdem ihren Vetter, nach Elberfeld an Philipp zu schreiben (dem er teils aus Leichtsinn, teils aus Delikatesse, teils aus falscher Scham, nie von sich Nachricht gegeben hatte) und sein Göttingisches Doktordiplom kommen zu lassen. Es ward dem Gerichte vorgelegt und wirkte wie ein magischer Talisman. Der klagende Arzt und Wundarzt verstummten und mußten bekennen, daß der Ratsherr mit der Erlaubnis der Fakultät gesund geworden sei.


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