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Achter Theil
Vierte Rede

Dīghanakho

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, am Geierkulm, zu Eberswühl.

Da nun begab sich Dīghanakho, ein Pilger, dorthin wo der Erhabene weilte, wechselte höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit dem Erhabenen und stellte sich seitwärts hin. Seitwärts stehend sprach nun Dīghanakho der Pilger also zum Erhabenen:

»Ich aber, o Gotamo, sage und lehre: ›Nichts gefällt mir.‹«

»Und auch die Lehre da, Aggivessano, Patronymische Anrede, gleichwie Gotamo nomen gentile eines jeden Sakyers ist; Dighanakho ist offenbar ein Nāthaputtiyo. Cf. meine Anmerkung 24 zu Band 1. die du behauptest, ›Nichts gefällt mir‹, gefällt dir auch diese nicht?«

»Und wenn mir, o Gotamo, diese Lehre gefiele, so wär's doch nur dasselbe, so wär's doch nur dasselbe!«

»Nun giebt es freilich, Aggivessano, viel mehr der Menschen in der Welt, die mit dir sagen ›So wär's doch nur dasselbe, so wär's doch nur dasselbe‹, und die zwar diese Lehre nicht lassen und doch eine andere annehmen. Nun giebt es freilich, Aggivessano, viel weniger Menschen in der Welt, die mit dir sagen ›So wär's doch nur dasselbe, so wär's doch nur dasselbe‹, und die eben diese Lehre lassen und eine andere nicht annehmen.

»Manche Asketen und Priester, Aggivessano, sagen und lehren: ›Alles gefällt mir.‹ Manche Asketen und Priester, Aggivessano, sagen und lehren: ›Nichts gefällt mir.‹ Manche Asketen und Priester, Aggivessano, sagen und lehren: ›Manches gefällt mir, manches missfällt mir.‹ Den Asketen und Priestern nun, Aggivessano, die da sagen und lehren ›Alles gefällt mir‹, denen gereicht diese Lehre zum Reize, zur Lockung, zur Freude, zum Behagen, zum Anhalt. Den Asketen und Priestern nun, Aggivessano, die da sagen und lehren ›Nichts gefällt mir‹, denen gereicht diese Lehre nicht zum Reize, nicht zur Lockung, nicht zur Freude, nicht zum Behagen, nicht zum Anhalt.«

Auf diese Worte hin wandte sich Dīghanakho der Pilger also an den Erhabenen:

»Meinen Lehrsatz lobt Herr Gotamo, meinen Lehrsatz belobt Herr Gotamo!«

»Den Asketen und Priestern nun, Aggivessano, die da sagen und lehren ›Manches gefällt mir, manches missfällt mir‹, was denen ihrer Lehre gemäß gefällt gereicht ihnen zum Reize, zur Lockung, zur Freude, zum Behagen, zum Anhalt: und was denen ihrer Lehre gemäß missfällt gereicht ihnen nicht zum Reize, nicht zur Lockung, nicht zur Freude, nicht zum Behagen, nicht zum Anhalt.

»Bei den Asketen und Priestern, Aggivessano, die da sagen und lehren ›Alles gefällt mir‹, wird ein verständiger Mann also überlegen: ›Diese Lehre da, ›Alles gefällt mir‹, wenn ich diese beharrlich pflegte, mir aneignete, behauptete ›Dies nur ist Wahrheit, Unsinn anderes‹, so erführ' ich doppelten Widerspruch, von dem Asketen oder dem Priester, der da sagt und lehrt ›Nichts gefällt mir‹, und von dem Asketen oder dem Priester, der da sagt und lehrt ›Manches gefällt mir, manches missfällt mir‹, von diesen beiden erführ' ich Widerspruch, und aus Widerspruch erfolgte Widerstreit, aus Widerstreit Widerstand, aus Widerstand Widerwille‹; und weil er Widerspruch und Widerstreit, Widerstand und Widerwillen in sich merkt, lässt er eben diese Lehre und nimmt eine andere nicht an: also werden diese Lehren verworfen, also werden diese Lehren verleugnet. Bei den Asketen und Priestern, Aggivessano, die da sagen und lehren ›Nichts gefällt mir‹, wird ein verständiger Mann also überlegen: ›Diese Lehre da, ›Nichts gefällt mir‹, wenn ich diese beharrlich pflegte, mir aneignete, behauptete ›Dies nur ist Wahrheit, Unsinn anderes‹, so erführ' ich doppelten Widerspruch, von dem Asketen oder dem Priester, der da sagt und lehrt ›Alles gefällt mir‹, und von dem Asketen oder dem Priester, der da sagt und lehrt ›Manches gefällt mir, manches missfällt mir‹, von diesen beiden erführ' ich Widerspruch, und aus Widerspruch erfolgte Widerstreit, aus Widerstreit Widerstand, aus Widerstand Widerwille‹; und weil er Widerspruch und Widerstreit, Widerstand und Widerwillen in sich merkt, lässt er eben diese Lehre und nimmt eine andere nicht an: also werden diese Lehren verworfen, also werden diese Lehren verleugnet. Bei den Asketen und Priestern, Aggivessano, die da sagen und lehren ›Manches gefällt mir, manches missfällt mir‹, wird ein verständiger Mann also überlegen: ›Diese Lehre da, ›Manches gefällt mir, manches missfällt mir‹, wenn ich diese beharrlich pflegte, mir aneignete, behauptete ›Dies nur ist Wahrheit, Unsinn anderes‹, so erführ' ich doppelten Widerspruch, von dem Asketen oder dem Priester, der da sagt und lehrt ›Alles gefällt mir‹, und von dem Asketen oder dem Priester, der da sagt und lehrt ›Nichts gefällt mir‹, von diesen beiden erführ' ich Widerspruch, und aus Widerspruch erfolgte Widerstreit, aus Widerstreit Widerstand, aus Widerstand Widerwille‹; und weil er Widerspruch und Widerstreit, Widerstand und Widerwillen in sich merkt, lässt er eben diese Lehre und nimmt eine andere nicht an: also werden diese Lehren verworfen, also werden diese Lehren verleugnet.

»Hier aber ist nun, Aggivessano, der Körper, der geformt, aus den vier Hauptstoffen entstanden, von Vater und Mutter gezeugt, durch Speise und Trank entwickelt, dem Vergehn, dem Untergang, der Aufreibung, Auflösung, der Zerstörung verfallen ist, als wandelbar, wehe, siech, bresthaft, schmerzhaft, übel, gebrechlich, ohnmächtig, hinfällig, eitel, als nichtig zu betrachten. Vergl. Therāgathā 567–571 = – Manus VI, 76–77. Cf. auch Samyuttakanikāyo Bd. III, Th. XXII, No. 95 – = Maitryupaniṣat IV, 2; Subālopaniṣat 8: Medomāmsakledāvakîrṇe sarîramadhye 'tyantopahate citrabhittipratikāśe gandharvanagaropame kadaligarbhavannihsare jalabudbudavaccañcale niḥsṛtam śtmśnam ... paśyanti vidvāṃsas. Wer diesen Körper als wandelbar, wehe, siech, bresthaft, schmerzhaft, übel, gebrechlich, ohnmächtig, hinfällig, eitel, als nichtig betrachtet, dem vergeht was beim Körper Körperlust, Körperliebe, Körperverlangen ist.

»Drei Arten von Gefühlen, Aggivessano, giebt es: das wohlige Gefühl, das wehe Gefühl und das weder wohlig noch wehe Gefühl. Zu einer Zeit, Aggivessano, wo man ein wohliges Gefühl empfindet, zu dieser Zeit empfindet man kein wehes Gefühl und empfindet kein weder wohlig noch wehes Gefühl, eben ein wohliges Gefühl empfindet man zu dieser Zeit. Zu einer Zeit, Aggivessano, wo man ein wehes Gefühl empfindet, zu dieser Zeit empfindet man kein wohliges Gefühl und empfindet kein weder wohlig noch wehes Gefühl, eben ein wehes Gefühl empfindet man zu dieser Zeit. Zu einer Zeit, Aggivessano, wo man ein weder wohlig noch wehes Gefühl empfindet, zu dieser Zeit empfindet man kein wohliges Gefühl und empfindet kein wehes Gefühl, eben ein weder wohlig noch wehes Gefühl empfindet man zu dieser Zeit. Wohlige Gefühle sind aber, Aggivessano, wandelbar, zusammengesetzt, bedingt entstanden, müssen versiegen und versagen, müssen aufhören und untergehn. Und auch wehe Gefühle sind, Aggivessano, wandelbar, zusammengesetzt, bedingt entstanden, müssen versiegen und versagen, müssen aufhören und untergehn. Und auch weder wohlig noch wehe Gefühle sind, Aggivessano, wandelbar, zusammengesetzt, bedingt entstanden, müssen versiegen und versagen, müssen aufhören und untergehn. In solchem Anblick, Aggivessano, wird der erfahrene heilige Jünger des wohligen Gefühles überdrüssig und wird des wehen Gefühles überdrüssig und wird des weder wohlig noch wehen Gefühles überdrüssig. Überdrüssig wendet er sich ab. Abgewandt löst er sich los. ›Im Erlösten ist die Erlösung‹, diese Erkenntniss geht auf. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketenthum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ versteht er da.

»Ein also gemütherlöster Mönch, Aggivessano, spricht keinem zu, spricht keinem ab, und was in der Welt geredet wird lässt er unberührt.«

Um diese Zeit nun hatte der ehrwürdige Sāriputto hinter dem Erhabenen gestanden und dem Erhabenen Kühlung gefächelt. Und der ehrwürdige Sāriputto gedachte da: ›Diese und jene Dinge soll man, sagt der Erhabene, durchschauen und lassen, diese und jene Dinge soll man, sagt der Willkommene, durchschauen und verleugnen!‹ Und als der ehrwürdige Sāriputto solches im Geiste erwog, löste sich ihm das Herz vom Wahne haftlos ab.

Dīghanakho aber, dem Pilger, ging das abgeklärte, abgespülte Auge der Wahrheit auf:

›Was irgend auch entstanden ist
Muss alles wieder untergehn.‹

Und Dīghanakho der Pilger, der die Wahrheit gesehn, die Wahrheit gefasst, die Wahrheit erkannt, die Wahrheit ergründet hatte, zweifelentronnen, ohne Schwanken, in sich selber gewiss, auf keinen anderen gestützt im Orden des Meisters, der wandte sich nun an den Erhabenen also:

»Vortrefflich, o Gotamo, vortrefflich, o Gotamo! Gleichwie etwa, o Gotamo, als ob man Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg zeigte, oder Licht ins Dunkle hielte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch hat Herr Gotamo die Lehre gar vielfach dargelegt. Und so nehm' ich bei Herrn Gotamo Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: als Anhänger möge mich Herr Gotamo betrachten, von heute an zeitlebens getreu.« Zu den drei Arten von Gefühlen und ihrer Wandelbarkeit, wovon gegen Ende dieser Rede gesprochen wird, vergl. die klassischen Untersuchungen BICHATS über den Zusammenhang und die Auflösung der Wehgefühle, Wohlgefühle und indifferenten Gefühle, Recherches etc. 1e partie, article V, § 2.

Nicht ohne Werth für die hochindische Überlieferung ist das Ansehn, in welchem unsere Rede noch im nepalischen Buddhismus gestanden: cf. Mahāvastu, ed. Senart vol. III. p. 67 u. 474, und Oldenberg in der Zeitschr. d. deutsch, morgenl. Ges. Bd. 52, S. 661.


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