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Sechster Theil
Siebente Rede

Der Hundelehrling

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene im Lande der Koliyer, zu Haliddavasanam, einer Burg im Koliyergebiete. Da nun begab sich der Koliyer Punno, ein Kuhlehrling, und Seniyo der Unbekleidete, ein Hundelehrling, dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt begrüßte der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich seitwärts nieder; während Seniyo der Unbekleidete, der Hundelehrling, mit dem Erhabenen höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte wechselte und sich dann wie ein Hund eingerollt seitwärts hinsetzte.

Seitwärts sitzend sprach nun der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, zum Erhabenen also:

»Dieser Unbekleidete, o Herr, Seniyo der Hundelehrling, übt schwere Buße: auf die Erde geworfene Nahrung nimmt er zu sich. Er hat das Hundegelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt: wohin wird er gelangen, was darf er erwarten?«

»Genug, Puṇṇo, lass' es gut sein, frage mich das nicht!«

Und zum zweiten Mal, und zum dritten Mal sprach der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, zum Erhabenen also:

»Dieser Unbekleidete, o Herr, Seniyo der Hundelehrling, übt schwere Buße: auf die Erde geworfene Nahrung nimmt er zu sich. Er hat das Hundegelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt: wohin wird er gelangen, was darf er erwarten?«

»Wohlan denn, Puṇṇo, du giebst mir nicht nach: genug, Pu6#7751;ṇo, lass' es gut sein, frage mich das nicht; so will ich dir nun Rede stehn. Da verwirklicht, Puṇṇo, einer das Hundegelübde, kommt ihm ganz und gar nach, verwirklicht die Hundegewohnheit, kommt ihr ganz und gar nach, verwirklicht das Hundegemüth, kommt ihm ganz und gar nach, verwirklicht das Hundegehaben, kommt ihm ganz und gar nach. Und hat er das Hundegelübde verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, hat er die Hundegewohnheit verwirklicht, ist ihr ganz und gar nachgekommen, hat er das Hundegemüth verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, hat er das Hundegehaben verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, so gelangt er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, unter Hunden wieder zum Dasein. Wenn er aber die Meinung hegt: ›Durch diese Übungen oder Gelübde, Kasteiung oder Entsagung werd' ich ein Gott werden oder ein Göttlicher!‹, so ist es eine falsche Meinung. Und seine falsche Meinung, sag' ich, Puṇṇo, lässt ihn nach der einen oder nach der anderen Seite gelangen: in höllische Welt oder in thierischen Schooß. So führt also, Puṇṇo, das Hundegelübde, wenn es gelingt, zu den Hunden hin, und wenn es misslingt, in höllische Welt.«

Auf diese Worte brach Seniyo der Unbekleidete, der Hundelehrling, in Wehklagen und Thränen aus. Und der Erhabene sprach nun zum Koḷiyer Puṇṇo, dem Kuhlehrling, also:

»Du hast mir ja, Puṇṇo, nicht nachgeben wollen: genug, Puṇṇo, lass' es gut sein, frage mich das nicht!«

»Nicht klage ich, o Herr, weil der Erhabene solches über mich ausgesagt hat, sondern weil ich, o Herr, dieses Hundegelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt habe! – Dieser Koḷiyer Punno, o Herr, der Kuhlehrling, hat das Kuhgelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt: wohin wird er gelangen, was darf er erwarten?«

»Genug, Seniyo, lass' es gut sein, frage mich das nicht!«

Und zum zweiten Mal, und zum dritten Mal sprach Seniyo der Unbekleidete, der Hundelehrling, zum Erhabenen also:

»Dieser Koḷiyer Punno, o Herr, der Kuhlehrling, hat das Kuhgelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt: wohin wird er gelangen, was darf er erwarten?«

»Wohlan denn, Seniyo, du giebst mir nicht nach: genug, Seniyo, lass' es gut sein, frage mich das nicht; so will ich dir nun Rede stehn. Da verwirklicht, Seniyo, einer das Kuhgelübde, kommt ihm ganz und gar nach, verwirklicht die Kuhgewohnheit, kommt ihr ganz und gar nach, verwirklicht das Kuhgemüth, kommt ihm ganz und gar nach, verwirklicht das Kuhgehaben, kommt ihm ganz und gar nach. Und hat er das Kuhgelübde verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, hat er die Kuhgewohnheit verwirklicht, ist ihr ganz und gar nachgekommen, hat er das Kuhgemüth verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, hat er das Kuhgehaben verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen, so gelangt er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, unter Kühen wieder zum Dasein. Wenn er aber die Meinung hegt: ›Durch diese Übungen oder Gelübde, Kasteiung oder Entsagung werd' ich ein Gott werden oder ein Göttlicher!‹, so ist es eine falsche Meinung. Und seine falsche Meinung, sag' ich, Seniyo, lässt ihn nach der einen oder nach der anderen Seite gelangen: in höllische Welt oder in thierischen Schooß. So führt also, Seniyo, das Kuhgelübde, wenn es gelingt, zu den Kühen hin, und wenn es misslingt, in höllische Welt.« Auf diese Worte brach der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, in Wehklagen und Thränen aus. Und der Erhabene sprach nun zu Seniyo dem Unbekleideten, dem Hundelehrling, also:

»Du hast mir ja, Seniyo, nicht nachgeben wollen: genug, Seniyo, lass' es gut sein, frage mich das nicht!«

»Nicht klage ich, o Herr, weil der Erhabene solches über mich ausgesagt hat, sondern weil ich, o Herr, dieses Kuhgelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt habe. – So viel trau' ich, o Herr, dem Erhabenen zu und glaube, der Erhabene kann die Lehre derart zeigen, dass ich eben von diesem Kuhgelübde, Seniyo aber der Unbekleidete, der Hundelehrling, von dem Hundegelübde abstehn mag!«

»So höre denn, Puṇṇo, und achte wohl auf meine Rede.«

»Gewiss, o Herr!« erwiderte da aufmerksam der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, dem Erhabenen. Der Erhabene sprach also:

»Vier Arten von Thaten, Puṇṇo, hab' ich mir offenbar gemacht, verwirklicht und erklärt: welche vier sind das? Es giebt, Puṇṇo, dunkle That, die dunkle Folge hat; es giebt, Puṇṇo, lichte That, die lichte Folge hat; es giebt, Puṇṇo, dunkel-lichte That, die dunkel-lichte Folge hat; es giebt, Puṇṇo, weder dunkle noch lichte That, die weder dunkle noch lichte Folge hat, That, die zur Thatenversiegung führt. Was ist das aber, Puṇṇo, für eine That, die dunkel ist und dunkle Folge hat? Da begeht einer, Puṇṇo, in Werken beschwerhafte Handlung, begeht in Worten beschwerhafte Handlung, begeht in Gedanken beschwerhafte Handlung. Und hat er in Werken beschwerhafte Handlung begangen, in Worten beschwerhafte Handlung begangen, in Gedanken beschwerhafte Handlung begangen, so gelangt er in beschwerhafter Welt wieder zum Dasein. Und ist er in beschwerhafter Welt wieder zum Dasein gelangt, so empfangen ihn beschwerhafte Empfindungen. Und von beschwerhaften Empfindungen empfangen fühlt er ein beschwerhaftes Gefühl, einzig leidvoll, gleichwie etwa höllische Wesen. Also kommt, Puṇṇo, nach dem Wirken des Wesens Wiedersein zustande. Was einer wirkt lässt ihn wiedersein; wiedergeworden empfangen ihn Empfindungen. Darum aber, Puṇṇo, sag' ich: Erben der Werke sind die Wesen. Das heißt man, Puṇṇo, dunkle That, die dunkle Folge hat.

»Und was ist das, Puṇṇo, für eine That, die licht ist und lichte Folge hat? Da begeht einer, Puṇṇo, in Werken beschwerlose Handlung, begeht in Worten beschwerlose Handlung, begeht in Gedanken beschwerlose Handlung. Und hat er in Werken beschwerlose Handlung begangen, in Worten beschwerlose Handlung begangen, in Gedanken beschwerlose Handlung begangen, so gelangt er in beschwerloser Welt wieder zum Dasein. Und ist er in beschwerloser Welt wieder zum Dasein gelangt, so empfangen ihn beschwerlose Empfindungen. Und von beschwerlosen Empfindungen empfangen fühlt er ein beschwerloses Gefühl, einzig freudvoll, gleichwie etwa strahlende Götter. Also kommt, Puṇṇo, nach dem Wirken des Wesens Wiedersein zustande. Was einer wirkt lässt ihn wiedersein; wiedergeworden empfangen ihn Empfindungen. Darum aber, Puṇṇo, sag' ich: Erben der Werke sind die Wesen. Das heißt man, Puṇṇo, lichte That, die lichte Folge hat.

»Und was ist das, Puṇṇo, für eine That, die dunkel-licht ist und dunkel-lichte Folge hat? Da begeht einer, Puṇṇo, in Werken beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung, begeht in Worten beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung, begeht in Gedanken beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung. Und hat er in Werken beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung begangen, in Worten beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung begangen, in Gedanken beschwerhafte Handlung und beschwerlose Handlung begangen, so gelangt er in beschwerhafter und beschwerloser Welt wieder zum Dasein. Und ist er in beschwerhafter und beschwer loser Welt wieder zum Dasein gelangt, so empfangen ihn beschwerhafte und beschwerlose Empfindungen. Und von beschwerhaften und beschwerlosen Empfindungen empfangen fühlt er ein beschwerhaftes und beschwerloses Gefühl, freudvoll und leidvoll gemischt, gleichwie etwa Menschen, und manche Götter und manche Geister. Vergl. die z. Th. analoge Stelle der 12. Rede, p. 73 I. 13,14, der obigen entsprechend; eine Berichtigung, welche ich dem Freunde Robert l'Orange verdanke. Also kommt, Puṇṇo, nach dem Wirken des Wesens Wiedersein zustande. Was einer wirkt lässt ihn wiedersein; wiedergeworden empfangen ihn Empfindungen. Darum aber, Puṇṇo, sag' ich: Erben der Werke sind die Wesen. Das heißt man, Puṇṇo, dunkel-lichte That, die dunkel-lichte Folge hat. »Und was ist das, Puṇṇo, für eine That, die weder dunkel noch licht ist und weder dunkle noch lichte Folge hat, That, die zur Thatenversiegung führt? Es ist da, Puṇṇo, was dunkle That anlangt, die dunkle Folge hat, deren Verleugnung, die gedacht wird; und ist was lichte That anlangt, die lichte Folge hat, deren Verleugnung, die gedacht wird; und ist was dunkel-lichte That anlangt, die dunkel-lichte Folge hat, deren Verleugnung, die gedacht wird. Das heißt man, Puṇṇo, weder dunkle noch lichte That, die weder dunkle noch lichte Folge hat, That, die zur Thatenversiegung führt.

»Das aber, Puṇṇo, sind die vier Arten von Thaten, die ich mir offenbar gemacht, verwirklicht und erklärt habe.«

Nach diesen Worten wandte sich der Koḷiyer Puṇṇo, der Kuhlehrling, also an den Erhabenen:

»Vortrefflich, o Herr, vortrefflich, o Herr! Gleichwie etwa, o Herr, als ob man Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg wiese, oder ein Licht in die Finsterniss hielte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch hat der Erhabene die Lehre gar manigfach gezeigt. Und so nehm' ich, o Herr, beim Erhabenen Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: als Anhänger möge mich der Erhabene betrachten, von heute an zeitlebens getreu.«

Seniyo aber der Unbekleidete, der Hundelehrling, sprach zum Erhabenen also:

»Vortrefflich, o Herr, vortrefflich, o Herr! Gleichwie etwa, o Herr, als ob man Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg wiese, oder ein Licht in die Finsterniss hielte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch hat der Erhabene die Lehre gar manigfach gezeigt. Und so nehm' ich, o Herr, beim Erhabenen Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: möge mir, o Herr, der Erhabene Aufnahme gewähren, die Ordensweihe ertheilen!«

»Wer da, Seniyo, erst einem anderen Orden angehörte und in diese Lehre und Zucht aufgenommen werden, die Weihe erhalten will, der bleibt vier Monate bei uns; und nach Verlauf von vier Monaten wird er, wenn er also verblieben ist, von innig erfahrenen Mönchen aufgenommen und eingeweiht in das Mönchthum: denn ich habe hier manche Veränderlichkeit erfahren.«

»Wenn, o Herr, die früheren Anhänger anderer Orden, welche in diese Lehre und Zucht aufgenommen werden, die Weihe erhalten wollen, vier Monate bleiben, und nach Verlauf von vier Monaten, wenn sie also verblieben sind, von innig erfahrenen Mönchen aufgenommen und eingeweiht werden in das Mönchthum, so will ich vier Jahre bleiben: Ähnlich der tadvrataś catvāri varṣaṇi prayuñjāno muniḥ im Sāmavidhānabrāhmaṇam II, 4, 9; III, 9, 5. und nach Verlauf von vier Jahren sollen mich, wenn ich also verblieben bin, innig erfahrene Mönche aufnehmen und einweihen in das Mönchthum.«

Es wurde Seniyo der Unbekleidete, der Hundelehrling, vom Erhabenen aufgenommen, wurde mit der Ordensweihe belehnt.

Nicht lange aber war der ehrwürdige Seniyo in den Orden aufgenommen, da hatte er, einsam, abgesondert, unermüdlich, in heißem, innigem Ernste gar bald was edle Söhne gänzlich vom Hause fort in die Hauslosigkeit lockt, jenes höchste Ziel des Asketenthums noch bei Lebzeiten sich offenbar gemacht, verwirklicht und errungen. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketenthum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ verstand er da. Auch einer war nun der ehrwürdige Seniyo der Heiligen geworden. Von einem anderen Hundelehrling, der ein schmähliches Ende nimmt, berichtet die 24. Rede der Längeren Sammlung. – Auf das Hundegelübde bezieht sich vielleicht der śvaliḍ, cf. Böhtlingk-Roth s.v.; das Kuhgelübde wird im Mahābhāratam dahin erklärt, dass dem Befolger da jederzeit jegliches Lager, jegliche Atzung, jegliche Kleidung recht sei, cf. das Citat ib. s.v. govratas. Das ist aber spätere Auslegung. Denn wir haben eine ganz eigentliche govṛtti, Kuhgehabung, jenes höchsten Asketen der Turīyātītāvadhūtopaniṣat und Paramahaṃsaparivrājakopaniṣat, in med.; ebenso eine gomukha- und ajagaravṛtti, eine Krokodil- und Schlangengehabung, jener äußersten Büßer der großen Sannyāsopaniṣat, II i. m., und der Nāradaparivrājakopaniṣat, V i. m., VII i. f. – Eine allgemeine Behandlung der obigen Sätze findet man im 9. Kapitel der Subālopaniṣat. Lapidar ausgesprochen schon in der Bṛhadāraṇyakopaniṣat III, 2, 14, IV, 4, 6ff.

Zu den metaphysischen Folgerungen dieser und der 19. Rede hat Giordano Bruno, wie mir De Lorenzo einmal im Gespräche mittheilte, einen bewunderungswürdigen Kommentar geschrieben, auf Grund der wirklichen, täglichen Anschauung und Erfahrung, Mitte der Epistola esplicatoria zum Spaccio de la bestia trionfante, ed. Wagner p. 113.


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