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Sechster Theil
Achte Rede

Abhayo der Königssohn

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, im Bambusparke, am Hügel nivāpo, Futterplatz, dann der bez. Ort selbst; vergl. die 77. Rede, Anm. 96. der Eichhörnchen.

Da nun begab sich Abhayo der Königsohn dorthin wo der Freie Bruder Nāthaputto weilte, begrüßte den Freien Bruder Nāthaputto ehrerbietig und setzte sich seitwärts nieder. Und zu Abhayo dem Königsohn, der zur Seite saß, sprach der Freie Bruder Nāthaputto also:

»Gehe, du Königsohn, und nimm den Asketen Gotamo beim Worte: dann wird man dir mit dem frohen Ruhmesrufe begegnen: ›Abhayo der Königsohn hat den Asketen Gotamo, den so mächtigen, so gewaltigen, beim Worte genommen!‹«

»Wie aber, o Herr, soll ich den Asketen Gotamo, den so mächtigen, so gewaltigen, beim Worte nehmen?«

»Gehe, du Königsohn, hin wo der Asket Gotamo weilt, und sprich dann also zu ihm: ›Mag wohl, o Herr, der Vollendete Dinge sagen, die den anderen unlieb und unangenehm sind?‹ Wenn dir der Asket Gotamo auf diese Frage also antwortet: ›Sagen mag, o Königsohn, der Vollendete Dinge, die den anderen unlieb und unangenehm sind‹, so hast du also zu ihm zu reden: ›Aber was ist dann nur, o Herr, für ein Unterschied zwischen dir und einem gewöhnlichen Menschen? Denn auch der gewöhnliche Mensch mag Dinge sagen, die den anderen unlieb und unangenehm sind.‹ Doch wenn dir der Asket Gotamo auf deine Frage also antwortet: ›Nicht mag, o Königsohn, der Vollendete Dinge sagen, die den anderen unlieb und unangenehm sind‹, so hast du also zu ihm zu reden: ›Aber hast du denn nicht, o Herr, von Devadatto gesagt: ›Unsälig ist Devadatto, unrettbar ist Devadatto, Zwecke sucht Devadatto, Zu kappaṭṭho cf. das entgegengesetzte kappātīto, Suttanipāto v. 373, 521, 517, 860; auch akāliko. Die kommentarielle etc. Erklärung ist natürlich irrelevant. unheilbar ist Devadatto‹? Und diese deine Worte haben Devadatto zornig und unzufrieden gemacht!‹ Legst du, o Königsohn, dem Asketen Gotamo diese doppeldeutige Frage vor, so wird er weder ausschlingen noch einschlingen können. Gleichwie etwa ein Mann, dem ein eiserner Ring um den Hals gelegt ist, nicht ausschlingen kann und nicht einschlingen, ebenso nun auch, o Königsohn, wird der Asket Gotamo auf diese doppeldeutige Frage weder ausschlingen noch einschlingen können.«

»Gut, o Herr!« erwiderte da gehorsam Abhayo der Königsohn dem Freien Bruder Nāthaputto. Und er stand von seinem Sitze auf, begrüßte den Freien Bruder Nāthaputto ehrerbietig, ging rechts herum und begab sich dorthin wo der Erhabene weilte, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich seitwärts nieder. Als nun Abhayo der Königsohn zur Seite saß, da sah er nach der Sonne und gedachte: ›Es ist heute nicht an der Zeit, den Erhabenen beim Worte zu nehmen; morgen dann will ich in meinem Hause den Erhabenen beim Worte nehmen‹: und er sprach zum Erhabenen also:

»Gewähre mir, o Herr, der Erhabene die Bitte, morgen selbviert bei mir zu speisen!«

Schweigend gewährte der Erhabene die Bitte.

Als nun Abhayo der Königsohn der Zustimmung des Erhabenen sicher war, stand er von seinem Sitze auf, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig, ging rechts herum und entfernte sich.

Und der Erhabene begab sich am nächsten Morgen, zeitig gerüstet, mit Mantel und Schaale versehn, nach dem Hause Abhayo des Königsohns. Dort angelangt nahm der Erhabene auf dem dargebotenen Sitze Platz. Und Abhayo der Königsohn bediente und versorgte eigenhändig den Erhabenen mit ausgewählter fester und flüssiger Speise.

Nachdem nun der Erhabene gespeist und das Mahl beendet hatte, nahm Abhayo der Königsohn einen von den niederen Stühlen zur Hand und setzte sich zur Seite hin. Zur Seite sitzend sprach dann Abhayo der Königsohn zum Erhabenen also:

»Mag wohl, o Herr, der Vollendete Dinge sagen, die den anderen unlieb und unangenehm sind?«

»Nicht wohl, Königsohn, einzig das.«

»Das haben, o Herr, die Freien Brüder vorgebracht.«

»Warum denn, Königsohn, sprichst du also: ›Das haben, o Herr, die Freien Brüder vorgebracht‹?«

»Da war ich, o Herr, zum Freien Bruder Nāthaputto hingegangen, hatte ihn ehrerbietig begrüßt und mich seitwärts niedergesetzt. Und als ich da saß, sprach der Freie Bruder Nāthaputto also zu mir: ›Gehe, du Königsohn, und nimm den Asketen Gotamo beim Worte: dann wird man dir mit dem frohen Ruhmesrufe begegnen: ›Abhayo der Königsohn hat den Asketen Gotamo, den so mächtigen, so gewaltigen, beim Worte genommen!‹‹Auf diesen Rath, o Herr, erwiderte ich dem Freien Bruder Nāthaputto: ›Wie soll ich aber, o Herr, den Asketen Gotamo, den so mächtigen, so gewaltigen, beim Worte nehmen?‹ – ›Gehe, du Königsohn, hin wo der Asket Gotamo weilt, und sprich dann also zu ihm: ›Mag wohl, o Herr, der Vollendete Dinge sagen, die den anderen unlieb und unangenehm sind?‹ Wenn dir der Asket Gotamo auf diese Frage also antwortet: ›Sagen mag, o Königsohn, der Vollendete Dinge, die den anderen unlieb und unangenehm sind‹, so hast du also zu ihm zu reden: ›Aber was ist dann nur, o Herr, für ein Unterschied zwischen dir und einem gewöhnlichen Menschen? Denn auch der gewöhnliche Mensch mag Dinge sagen, die den anderen unlieb und unangenehm sind.‹ Doch wenn dir der Asket Gotamo auf deine Frage also antwortet: ›Nicht mag, o Königsohn, der Vollendete Dinge sagen, die den anderen unlieb und unangenehm sind‹, so hast du also zu ihm zu reden: ›Aber hast du denn nicht, o Herr, von Devadatto gesagt: »Unsälig ist Devadatto, unrettbar ist Devadatto, Zwecke sucht Devadatto, unheilbar ist Devadatto«? Und diese deine Worte haben Devadatto zornig und unzufrieden gemacht!‹ Legst du, o Königsohn, dem Asketen Gotamo diese doppeldeutige Frage vor, so wird er weder ausschlingen noch einschlingen können. Gleichwie etwa ein Mann, dem ein eiserner Ring um den Hals gelegt ist, nicht ausschlingen kann und nicht einschlingen, ebenso nun auch, o Königsohn, wird der Asket Gotamo auf diese doppeldeutige Frage weder ausschlingen noch einschlingen können.‹«

Während dieses Gespräches nun hatte Abhayo der Königsohn einen zarten Knaben, einen unvernünftigen Säugling auf dem Schooße sitzen. Da sprach nun der Erhabene zu Abhayo dem Königsohn also: »Was meinst du wohl, Königsohn: wenn dieser Knabe infolge deiner Nachlässigkeit oder der Nachlässigkeit seiner Amme ein Holzstück oder einen Scherben in den Mund nähme, was würdest du mit ihm machen?«

»Ich würd' es ihm wegnehmen, o Herr! Wenn ich es, o Herr, nicht gleich von Anfang an wegnehmen könnte, so würd' ich mit der linken Hand seinen Kopf halten und mit der rechten einen Finger krümmen und es ihm, selbst blutig, herausziehen. Und warum das? Weil mich, o Herr, der Knabe erbarmt.«

»Ebenso nun auch, Königsohn, kennt der Vollendete Worte, von denen er weiß, dass sie unwahr, unächt, unheilsam und den anderen unlieb und unangenehm sind, und mag der Vollendete solche Worte nicht sagen; und kennt der Vollendete Worte, von denen er weiß, dass sie wahr und acht und unheilsam und den anderen unlieb und unangenehm sind, und mag der Vollendete auch solche Worte nicht sagen; doch kennt der Vollendete Worte, von denen er weiß, dass sie wahr und acht und heilsam und den anderen unlieb und unangenehm sind, und mag da der Vollendete die Zeit ermessen, solche Worte zu reden. Es kennt der Vollendete Worte, von denen er weiß, dass sie unwahr, unächt, unheilsam und den anderen lieb und angenehm sind, und mag der Vollendete solche Worte nicht sagen; und kennt der Vollendete Worte, von denen er weiß, dass sie wahr und acht und unheilsam und den anderen lieb und angenehm sind, und mag der Vollendete auch solche Worte nicht sagen; doch kennt der Vollendete Worte, von denen er weiß, dass sie wahr und acht und heilsam und den anderen lieb und angenehm sind, und mag da der Vollendete die Zeit ermessen, solche Worte zu reden. Und warum das? Weil, Königsohn, den Vollendeten die Wesen erbarmen.«

»Wenn da, o Herr, gelehrte Fürsten und gelehrte Priester, gelehrte Bürger und gelehrte Asketen eine Frage zusammenstellen und den Vollendeten aufsuchen und sie vorlegen, hat da wohl, o Herr, der Erhabene schon vorher im Geiste daran gedacht: ›Wer mich aufsuchen und befragen wird, dem werd' ich auf solche Frage solche Antwort geben‹; oder kommt es eben erst im Augenblick dem Vollendeten in den Sinn?«

»Da will ich dir nun, Königsohn, eben hierüber eine Frage stellen: wie's dir gutdünkt magst du sie beantworten. Was meinst du wohl, Königsohn: sind dir die Theile und Stücke des Wagens genau bekannt?«

»Gewiss, o Herr, genau sind mir die Theile und Stücke des Wagens bekannt.«

»Was meinst du wohl, Königsohn: wenn man zu dir käme und dich fragte: ›Was ist denn das für ein Theil und Stück vom Wagen‹, würdest du etwa schon vorher im Geiste daran gedacht haben: ›Wer mich aufsuchen und befragen wird, dem werd' ich auf solche Frage solche Antwort geben‹; oder käm' es dir eben erst im Augenblick in den Sinn?«

»Ich bin ja, o Herr, ein erfahrener Wagenlenker, genau sind mir die Theile und Stücke des Wagens bekannt, alle Theile und Stücke des Wagens hab' ich wohl erprobt: eben erst im Augenblicke käm' es mir in den Sinn.«

»Ebenso nun auch, Königsohn, gehn da gelehrte Fürsten und gelehrte Priester, gelehrte Bürger und gelehrte Asketen den Vollendeten mit einer Frage an, und es kommt dem Vollendeten eben erst im Augenblicken den Sinn. Und warum das? Jene Eigenart der Dinge hat ja, Königsohn, der Vollendete von Grund aus erkannt, so dass es durch die gründliche Erkenntniss der Eigenart der Dinge dem Vollendeten eben erst im Augenblick in den Sinn kommt.«

Nach diesen Worten wandte sich Abhayo der Königsohn also an den Erhabenen:

»Vortrefflich, o Herr, vortrefflich, o Herr! Gleichwie etwa, o Herr, als ob man Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg wiese, oder ein Licht in die Finsterniss hielte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch hat der Erhabene die Lehre gar manigfach gezeigt. Und so nehm' ich, o Herr, beim Erhabenen Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: als Anhänger möge mich der Erhabene betrachten, von heute an zeitlebens getreu.« Die eingangs aufgestellte doppeldeutige Frage Nāthaputtos bezieht sich auf ein altes Wort der Dharmaśāstren, e.g. bei Manus IV, 138:

Satyaṃ brūyāt priyaṃ brūyāna
na brūyāt satyam apriyam,
priyañ ca nānṛtaṃ brūyād:
eṣa dharmaḥ sanātanaḥ.

Gotamos Beantwortung ist in einem späteren Smṛti-Vers, als Viṣṇupurāne III, 12, pænult., leicht zu erkennen:

Priyaṃ yuktaṃ hitaṃ naitad
iti matvā na tad vadet:
ṣreyas tatra hitaṃ vācyaṃ,
yadyapyatyantamapriyam.


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