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Vorrede

Wie schon in der Einführung zum ersten Bande, Seite XXIII–XXVIII aus Inschriften des dritten vorchristlichen Jahrhunderts nachgewiesen, ist die älteste Gestalt des Kanons nicht in einem Tipiţakam oder Dvipiţakam sondern im Piţakam schlechthin, nämlich im Suttapiţakam, erhalten. Hieraus darf man schließen, wie dort begründet, auch das Vinayapiţakam, wie später das Abhidhammapiţakam, sei aus dem einen Kanon theils ausgeschieden, theils weiter entwickelt worden. Das vorliegende Mittlere Halbhundert des zweiten Bandes bestätigt diese Folgerungen noch genauer. Wir finden hier eine ganze Reihe von Reden, die reinen vinayo darlegen, sich bis zu den letzten Verzweigungen mit der Ordenszucht befassen, und zwar in ächter, ursprünglicher Weise, die dem wirklichen Leben entspricht, nicht mit jenen kasuistischen Erfindungen, die dem Vinayapiţakam eignen und dessen überwiegend fingierten Charakter ausmachen. Gleich die Eröffnungsrede liefert ein klassisches Muster: klassisch, weil sie wiederum zunächst die Tugendsatzung mit aller Ausführlichkeit vorträgt, was auch im ersten Bande bei passender Gelegenheit immer geschieht. In diesem Betracht sind ja die zahlreichen Wiederholungen der Reden erklärlich, da fast jede, wie sie eben gesprochen wurde, dhammo und vinayo, Lehre und Zucht, als untrennbares Ganze giebt. Hier lässt sich nichts kürzen oder beschränken oder zusammenziehn ohne den gehörigen Zusammenhang zu verlieren: die Rede ist an eine oder an mehrere bestimmte Personen gerichtet gewesen, auf einen besonderen Anlass hin, doch im höheren Sinne allgemein gültig, hat weder zu viel noch zu wenig gesagt, sondern ihren Gang gerade eingehalten. Der Orden hatte daher bei Lebzeiten des Meisters wohl keinerlei andere Regel als die in den Reden verkündete, und diese Regel, gar verschieden von den später lawinenartig angewachsenen Korollarien, war eine ungemein einfache; so einfach, dass der Meister nicht selten einem Aufnahmesuchenden, im Gegensatze zu den nachmaligen umständlichen Vorbereitungen, sogleich und bloß mit den Worten »Komm', o Mönch!« die Ordensweihe verlieh: sogar einem berüchtigten Mörder, nach dessen plötzlicher Umkehr, in der sechsundachtzigsten Rede. Gotamo selbst hat diese ursprüngliche Einfachheit vollkommen klar zugestanden, gegen Ende der fünfundsechzigsten Rede. Da fragt ein Mönch, woher es nur komme, dass es früher weniger Ordensregeln gegeben als jetzt, worauf ihm der greise Meister antwortet, Ordensregeln seien eben erst dann vonnöthen, wann die wahre Lehre untergehe, wann der Orden Größe und Ansehn und späte Jahre erreicht habe.

Vernehmen wir also in den Reden oft und oft des Meisters eigene Worte, rein erhalten wie sie gesprochen, so ist auch Fremdes zu merken und giebt sich meist unverhohlen kund; so schon die Umrahmung, die allerdings nur die Namen der Orte, der Personen und sonstige sachgemäße Mittheilungen bietet. Es hat aber doch hie und da Sagenhaftes Eingang gefunden, spätere Zuthat, z. B. in die dreiundachtzigste Rede. Dann sind es zuweilen upanischadartige und yogaverwandte Darlegungen, die uns begegnen, wie etwa in der siebenundsiebzigsten, bez. dreiundsiebzigsten. Gewisse Gleichnisse aus den alten Upanischaden, e. g. das in der achtundsechzigsten Rede, gewisse Übungen des alten Yogas, besonders in der zweiundsechzigsten und zehnten behandelt, hat freilich schon Gotamo, wohlbewusst, übernommen, ausgebildet, vertieft. Der Meister behauptet ja niemals, seine Lehre widerspreche allem bisher Dagewesenen, sondern: »Wovon die Weisen erklären ›Es ist nicht in der Welt‹, davon sage auch ich ›Es ist nicht‹; wovon die Weisen erklären ›Es ist in der Welt‹, davon sage auch ich ›Es ist‹.« Saṃyuttakanihāyo vol. III. p. 158 (übers. Buddhist. Anthol. S. 188). Ähnlich in der hundertsten Rede der vorliegenden Sammlung, gegen Ende, sowie an anderen Orten. Wie großartig der Meister zumal vedische Lehren vollendet hat, zeigt u. a. die fünfundfünfzigste Rede. Weil es aber bei mündlicher Überlieferung kaum anders möglich, wird auch der oder jener Jünger, nach des Meisters Tode, diesen oder jenen fremden Satz wissentlich oder unwissentlich mit überliefert haben, aus vedischen oder yogischen Kreisen, je nach dem gewohnten Schwergewichte. Sehr lehrreich sind hiefür die Lieder der Mönche, deren Gedanken durchaus nach dem Meister weisen, im Einzelnen aber noch subjektive Züge bewahren. Wenn sich nun, trotz der wachsenden Größe des Ordens, bis etwa in die Zeit Asoko des Großen kein tiefergehender Verfall entwickelt hat, was bei den anderen indischen Geistesdenkmalen in der Regel eher geschah, so ist das erstaunlich und kein geringer Beweis für die ungewöhnliche, andauernde Wirkung einer Persönlichkeit wie es die Gotamos war. Eine nicht unwillkommene Beglaubigung der einheimischen Urkunden haben jene vortrefflichen Griechen geliefert, die nach dem Alexander-Zuge sich längere Zeit in Indien aufhielten und indische Dinge eifrig und liebevoll studierten: so namentlich Megasthenes, der zu Beginn des dritten Jahrhunderts wiederholt in der Residenz des Großvaters Asokos, im Mittelpunkte des damaligen buddhistischen Lebens, zu Pāṭaliputtam weilte. Mit scharfem Blicke hat dieser Forscher beobachtet und geschildert was er gesehn und erfahren, und die wenigen uns erhaltenen Bruchstücke seiner Aufzeichnungen hören sich manchmal wie wörtliche Quellenberichte an. Ich habe mich ihrer gelegentlich bedient und möchte hier nur, als Beispiel, die 38. Anmerkung erwähnen. Diese Wirkung hat übrigens nicht bloß die Jüngerschaft gewaltig ergriffen, sie hat sich, wie bekannt, auf ganz Indien und weiter erstreckt; und insbesondere ist sie den Verfassern der späteren Upanischaden, des Yoga- und des Sāmkhyaśāstram, und Barden und Dichtern, bis auf des Tul'sidās, Proben aus den Werken dieses außerordentlichen Mannes hat uns Grierson in sehr schöner Übersetzung gegeben, Indian Antiquary, August-Oktober 1893; man wird schon da viele Gleichnissparallelen finden, die theils dem Genius des Dichters, theils aber auch der großen indischen Vergangenheit angehören. noch heute in Palast und Hütte, von Fürst und Bettler gesungenes Rāmcaritmānas herab, † nach der Smṛti, e.g. Mahābhāratam XIII, 108, 3 ff., śuddhe satyatoye dhṛtihrade snātavyaṃ mānase tīrthe ... sa bāhyābhyantaraḥ śuciḥ, i.q. Majjhimanikāyo 7. Rede, p. 39, antaraṃ sinānam. Eine offenbare Blüthezeit des neogenen Buddhismus in Mittelindien noch vierzehnhundert Jahre nach seiner Entstehung hat Bühler aus Inschriften des achten bis zehnten Jahrhunderts, die sich an jene des vorhergehenden Jahrtausends folgerecht anschließen, Epigraphia Indica vol. II. p. 366 ff., nachgewiesen. Ein von mir erworbenes Granitbildniss des Buddho im rein indischen Jina-Stil vom Tempel bei Gayā trägt die Inschrift

ye dharmā hetuprabhavā hetum t(e)ṣām tathāgate äha te ṣā(ṃ) ca yo nirodha evamvādī mahā śra (ma)ṇaḥ (||)

in Lettern des zehnten bis elften Jahrhunderts. Eine etwa zweihundert Jahre spätere Inschrift, »Nach des Erhabenen Vollendung Jahr 1813« datiert, vom heutigen Sonnentempel zu Gayā, hat Cunningham im Archæological Survey of India vol. I. p. 1 mitgetheilt und Bhagwānlāl Indrajī im Indian Antiquary vol. X. pag. 341-347 mit einem vorzüglichen Facsimile erklärt, ib. vol. XVII. p. 61 ff. Kielhorn eine noch spätere buddhistische Inschrift vom Jetavanam bei Sāvatthī veröffentlicht. So ist auch von außen, schon für die gröbere Wahrnehmung, durch eine ununterbrochene Reihe sprechender Ruinen, von Asoko bis in die neueren Zeiten der muhammedanischen Wüthensherrschaft, das Bestehn des Buddhismus in Indien verbürgt. Vereinzelt haben sich in Bengālen buddhistische Herrscher bis in das sechzehnte Jahrhundert – der Epoche des Tul'sīdās – gehalten; von Kern in Bühlers Grundriss III. 8. p. 154 historisch belegt.
ausgiebig zustatten gekommen, ob sie es selber zwar nicht recht wissen, gleichwohl durch, oft wörtliche, Paraphrase der Meisterworte unschwer errathen lassen. Hat also Gotamo, und dann mancher der Jünger, vom Geiste der Zeit einiges benutzt, so haben die Späteren erheblich mehr von Gotamo und den Seinen gelernt, sich zu eigen gemacht und weitergegeben, bis es allmälig indisches Gemeingut geworden.

Nur indisches? Es hat den Anschein als ob jene Gedanken auch bei uns langsam, langsam merkbar würden, zu wirken begännen, kraft ihres unzerstörbaren Gehaltes. Eine gesammte Umwandlung altererbter Überzeugungen und Ansichten wird nun sicherlich kein Teleolog von ihnen erwarten, sowenig wie etwa unsere Missionare dergleichen beim braven Chinesen gewärtigen dürfen. Tausendjährigen Kulturen, und wären sie noch so morsch und überlebt, kann man nicht so leicht mit geistigen Mitteln beikommen, nicht von einem Jahrhundert zum anderen, wie dem Papste, schon den Untergang voraussagen: sie altern gern und wohlgemuth weiter. Aber die Gedanken haben keine Eile, langsam, langsam wirken sie durch unermessliche Zeiten und Räume, in ewiger Jugend. – Einst fragte mich der Gesandte von Siam am Berliner Hofe, Seine Exzellenz Phya Nond Buri, ob sich denn wirklich, wie man ihm erzählt habe, bereits buddhistische Einflüsse in Europa wahrnehmen ließen: ich entgegnete, ich hätte nicht eben viel davon gemerkt; da lächelte er in seiner feinen Weise und sagte, auf ein buddhistisches Volkswort anspielend: »Nun, wir haben ja Zeit, noch fünftausend Jahre.« – Wir haben mehr Zeit, und weniger. Mehr, weil uns die Erde geduldig trägt; weniger, weil wir heute den Worten eines Meisters lauschen können, die aus der Welt des Unschönen und Schönen hinübergeleiten, wo es keinen Schein giebt. »Willkommen sei mir ein verständiger Mann,« sagt Gotamo, gegen Ende der achtzigsten Rede, »kein Häuchler, kein Gleißner, ein gerader Mensch; ich führ' ihn ein, ich lege die Satzung dar. Der Führung folgend wird er in gar kurzer Zeit eben selber merken, selber sehn, dass man also ganz von der Fessel befreit wird, nämlich von der Fessel des Nichtwissens.«

 

Ohne einen Strich hinzu- oder hinwegzuthun, mit wohlgeprüften, – verglichenen, – gesicherten Lesarten, ist auch dieses Mittlere Halbhundert, das Majjhimapaņņāsam, schlicht und unangetastet übersetzt worden, bis auf den Titel und Punkt: so mag der Text in genauester Form, wenn es etwa noch weiter gelungen, in identischem Ausdrucke Zeuge sein. Die Zahlen am Rande geben die Seiten der Trenckner'schen Lesung an, so weit diese reicht: nach der sechsundsiebzigsten Rede die Seiten der siamesischen Ausgabe.

Wien, Ende 1899.

Karl Eugen Neumann.


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