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Siebenter Theil
Zweite Rede

Rāhulos Ermahnung

II

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiņḍikos. Und der Erhabene, zeitig gerüstet, nahm Mantel und Schaale und ging nach Sāvatthī um Almosenspeise. Und auch der ehrwürdige Rāhulo nahm, zeitig gerüstet, Mantel und Schaale und folgte dem Erhabenen Schritt um Schritt nach. Und der Erhabene wandte den Blick und sprach den ehrwürdigen Rāhulo an:

»Was es auch, Rāhulo, für eine Form sei, vergangene, zukünftige, gegenwärtige, eigene oder fremde, grobe oder feine, gemeine oder edle, ferne oder nahe: alle Form ist, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit also anzusehn: ›Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.‹«

»Nur etwa die Form, Erhabener, nur etwa die Form, Willkommener?«

»Die Form, Rāhulo, und das Gefühl, Rāhulo, und die Wahrnehmung, Rāhulo, und die Unterscheidungen, Rāhulo, und das Bewusstsein, Rāhulo.«

Und der ehrwürdige Rāhulo sagte sich nun: ›Wer wird wohl heute, vom Erhabenen selbst mit einer Ansprache angeredet, unter die Leute um Almosen gehn?‹ Und er kehrte um und ging zurück und setzte sich am Fuß eines Baumes nieder, mit verschränkten Beinen, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegte der Einsicht.

Es sah aber der ehrwürdige Sāriputto wie der ehrwürdige Rāhulo dort saß, am Fuße eines Baumes, mit verschränkten Beinen, den Körper gerade aufgerichtet, der Einsicht pflegend, und als er ihn gesehn wandte er sich zu ihm:

»Bedachtsam übe, Rāhulo, Ein- und Ausathmung: Ein- und Ausathmung, bedachtsam geübt und gepflegt, Rāhulo, lässt hohen Lohn erlangen, hohe Förderung.« Vergl. die zehnte Rede; später auch die einundzwanzigste.

Als nun der ehrwürdige Rāhulo gegen Abend die Gedenkensruhe beendet hatte, begab er sich dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt begrüßte er den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend sprach nun der ehrwürdige Rāhulo also zum Erhabenen:

»Wie muss da bedachtsam, o Herr, Ein- und Ausathmung geübt, wie gepflegt werden, auf dass sie hohen Lohn, hohe Förderung verleihe?«

»Was sich irgend, Rāhulo, innerlich einzeln fest und hart dargestellt hat, als wie Kopfhaare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen, Mark, Nieren, Herz, Leber, Zwerchfell, Milz, Lunge, Magen, Eingeweide, Weichtheile, Koth, oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln fest und hart dargestellt hat: das nennt man, Rāhulo, innerliche Erdenart. Was es nun da an innerlicher Erdenart und was es an äußerlicher Erdenart giebt, ist Erdenart. Und: ›Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst‹: so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Erdenart satt, löst den Sinn von der Erdenart ab.

»Was ist nun, Rāhulo, die Wasserart? Die Wasserart mag innerlich sein oder äußerlich. Was ist aber, Rāhulo, die innerliche Wasserart? Was sich innerlich einzeln flüssig und wässerig dargestellt hat, als wie Galle, Schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Lymphe, Thränen, Serum, Speichel, Rotz, Gelenköl, Harn, oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln flüssig und wässerig dargestellt hat: das nennt man, Rāhulo, innerliche Wasserart. Was es nun da an innerlicher Wasserart und was es an äußerlicher Wasserart giebt, ist Wasserart. Und: ›Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst‹: so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Wasserart satt, löst den Sinn von der Wasserart ab.

»Was ist nun, Rāhulo, die Feuerart? Die Feuerart mag innerlich sein oder äußerlich. Was ist aber, Rāhulo, die innerliche Feuerart? Was sich innerlich einzeln flammig und feurig dargestellt hat, als wie wodurch Wärme erzeugt wird, wodurch man verdaut, wodurch man sich erhitzt, wodurch gekaute Speise und geschlürfter Trank einer vollkommenen Umwandlung erliegen, oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln flammig und feurig dargestellt hat: das nennt man, Rāhulo, innerliche Feuerart. Was es nun da an innerlicher Feuerart und was es an äußerlicher Feuerart giebt, ist Feuerart. Und: ›Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst‹: so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Feuerart satt, löst den Sinn von der Feuerart ab. »Was ist nun, Rāhulo, die Luftart? Die Luftart mag innerlich sein oder äußerlich. Was ist aber, Rāhulo, die innerliche Luftart? Was sich innerlich einzeln flüchtig und luftig dargestellt hat, als wie die aufsteigenden und die absteigenden Winde, die Winde des Bauches und Darmes, die Winde, die jedes Glied durchströmen, die Einathmung und die Ausathmung: dies, oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln flüchtig und luftig dargestellt hat, das nennt man, Rāhulo, innerliche Luftart. Was es nun da an innerlicher Luftart und was es an äußerlicher Luftart giebt, ist Luftart. Und: ›Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst‹: so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Luftart satt, löst den Sinn von der Luftart ab. »Was ist nun, Rāhulo, die Raumart? Die Raumart mag innerlich sein oder äußerlich. Was ist aber, Rāhulo, die innerliche Raumart? Was sich innerlich einzeln räumlich und örtlich dargestellt hat, als wie die Ohrhöhle, die Nasenhöhle, die Mundöffnung, wodurch man gekaute Speise und geschlürften Trank einnimmt, wo gekaute Speise und geschlürfter Trank sich aufhält, wodurch gekaute Speise und geschlürfter Trank unten abgeht, oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln räumlich und örtlich dargestellt hat, das nennt man, Rāhulo, innerliche Raumart. Was es nun da an innerlicher Raumart und was es an äußerlicher Raumart giebt, ist Raumart. Und: ›Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst‹: so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Raumart satt, löst den Sinn von der Raumart ab.

»Der Erde gleich, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, der Erde gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie man da, Rāhulo, auf die Erde Reines hinwirft und Unreines hinwirft, Kothiges hinwirft und Harniges hinwirft, Schleimiges hinwirft und Eiteriges hinwirft und Blutiges hinwirft, aber die Erde sich davor nicht entsetzt, empört oder sträubt: ebenso nun auch, Rāhulo, sollst du der Erde gleich Übung üben: denn übst du, Rāhulo, der Erde gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

»Dem Wasser gleich, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, dem Wasser gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie man da, Rāhulo, im Wasser Reines wäscht und Unreines wäscht, Kothiges wäscht und Harniges wäscht, Schleimiges wäscht und Eiteriges wäscht und Blutiges wäscht, aber das Wasser sich davor nicht entsetzt, empört oder sträubt, ebenso nun auch, Rāhulo, sollst du dem Wasser gleich Übung üben: denn übst du, Rāhulo, dem Wasser gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

»Dem Feuer gleich, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, dem Feuer gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie da, Rāhulo, das Feuer Reines brennt und Unreines brennt, Kothiges brennt und Harniges brennt, Schleimiges brennt und Eiteriges brennt und Blutiges brennt, aber das Feuer sich davor nicht entsetzt, empört oder sträubt: ebenso nun auch, Rāhulo, sollst du dem Feuer gleich Übung üben: denn übst du, Rāhulo, dem Feuer gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

»Der Luft gleich, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, der Luft gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie da, Rāhulo, die Luft Reines anweht und Unreines anweht, Kothiges anweht und Harniges anweht, Schleimiges anweht und Eiteriges anweht und Blutiges anweht, aber die Luft sich davor nicht entsetzt, empört oder sträubt: ebenso nun auch, Rāhulo, sollst du der Luft gleich Übung üben: denn übst du, Rāhulo, der Luft gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

»Dem Raume gleich, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, dem Raume gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie da, Rāhulo, der Raum durch nichts begränzt wird, ebenso nun auch, Rāhulo, sollst du dem Raume gleich Übung üben: denn übst du, Rāhulo, dem Raume gleich Übung, so kann dein Gemüth, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

»Liebreich, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, liebreich Übung, so wird was da Hass ist vergehn. Erbarmend, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, erbarmend Übung, so wird was da Wuth ist vergehn. Freudig, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, freudig Übung, so wird was da Unlust ist vergehn. Gleichmüthig, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, gleichmüthig Übung, so wird was da Widerstreit ist vergehn.

»Des Ekels eingedenk, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, des Ekels eingedenk Übung, so wird was da Reiz ist vergehn.

»Der Vergänglichkeit eingedenk, Rāhulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rāhulo, der Vergänglichkeit eingedenk Übung, so wird was da Dünkel der Ichheit ist vergehn.

»Bedachtsam übe, Rāhulo, Ein- und Ausathmung: Ein- und Ausathmung, bedachtsam geübt und gepflegt, Rāhulo, lässt hohen Lohn erlangen, hohe Förderung. Wie muss aber bedachtsam, Rāhulo, Ein- und Ausathmung geübt, wie gepflegt werden, auf dass sie hohen Lohn, hohe Förderung verleihe? Da begiebt sich, Rāhulo, der Mönch ins Innere des Waldes oder unter einen großen Baum oder in eine leere Klause, setzt sich mit verschränkten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegt der Einsicht. Bedächtig athmet er ein, bedächtig athmet er aus. Athmet er tief ein, so weiß er ›Ich athme tief ein‹, athmet er tief aus, so weiß er ›Ich athme tief aus‹; athmet er kurz ein, so weiß er ›Ich athme kurz ein‹, athmet er kurz aus, so weiß er ›Ich athme kurz aus‹. ›Den ganzen Körper empfindend will ich einathmen‹, ›Den ganzen Körper empfindend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Diese Körperverbindung besänftigend will ich einathmen‹, ›Diese Körperverbindung besänftigend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Heiter empfindend will ich einathmen‹, ›Heiter empfindend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Sälig empfindend will ich einathmen‹, ›Sälig empfindend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Die Gedankenverbindung empfindend will ich einathmen‹, ›Die Gedankenverbindung empfindend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Diese Gedankenverbindung besänftigend will ich einathmen‹, ›Diese Gedankenverbindung besänftigend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Die Gedanken empfindend will ich einathmen‹, ›Die Gedanken empfindend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Die Gedanken ermunternd will ich einathmen‹, ›Die Gedanken ermunternd will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Die Gedanken einigend will ich einathmen‹, ›Die Gedanken einigend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Die Gedanken lösend will ich einathmen‹, ›Die Gedanken lösend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Die Vergänglichkeit wahrnehmend will ich einathmen‹, ›Die Vergänglichkeit wahrnehmend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Die Reizlosigkeit wahrnehmend will ich einathmen‹, ›Die Reizlosigkeit wahrnehmend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Die Ausrodung wahrnehmend will ich einathmen‹, ›Die Ausrodung wahrnehmend will ich ausathmen‹, so übt er sich. ›Die Entfremdung wahrnehmend will ich einathmen‹, ›Die Entfremdung wahrnehmend will ich ausathmen‹, so übt er sich.

»Also muss da, Rāhulo, Ein- und Ausathmung geübt, also gepflegt werden, auf dass sie hohen Lohn, hohe Förderung verleihe. Bei also geübter, Rāhulo, also gepflegter Ein- und Ausathmung gehn auch die letzten Athemzüge bewusst aus, nicht unbewusst.«

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich der ehrwürdige Rāhulo über das Wort des Erhabenen. Die tathāgatappaveditā bhāvanā dieser Rede, die paṭhavīsamā, āposamā, tejosamā, vāyosamā und ākāsasamā, sind späterhin von den Jainās offenbar als pārthivī, vārunī, āgneyī, mārutī und rūpavatī (bez. tatrabhū) dhāraṇā übernommen worden. Cf. Bühlers Grundriss III. 4. p. 39 § 7 i.f. – Zur ānāpānasati, der Bedachtsamen Ein- und Ausathmung, cf. Lieder der Mönche v. 548 Anm. und Längere Sammlung Bd. II S. 447 f.

Den letzten Satz der Rede giebt Megasthenes, bei Strabo p. 713, sehr deutlich wieder: διο τη ασκ?ησει πλειστη χοησϑαι ποος το έ?ετοιμοϑανατον. Es ist wohl möglich, dass er zu Pāṭaliputtam wirklich den Satz gehört habe.


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