Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ursprung der Freimaurerei. Wie man es anstellen muß, wenn man mit manchen Leuten Bekanntschaft machen will. Der schließliche Erfolg vieler vergeblicher Versuche

Die Frau auf der Schuit war gehörig böse.

Der Leser wird wissen, daß Einfluß, Macht, Herrschaft, Übergewicht und die von diesen Faktoren größtenteils abhängende Zufriedenheit mit sich selbst dauernd in auf- und absteigender Bewegung sind. Wer an der verlierenden Seite ist, fühlt sich genötigt, sich nach Bundesgenossen umzusehen, und er eröffnet mit einer kleinen Anrede die Präliminarien der Verhandlungen.

Die mächtigste Korporation, die jemals bestand, muß angefangen haben mit der Frage: ob es nicht wahr wäre?

Aber die Geschichte schweigt über die zahllosen Male, da auf diese Frage keine Antwort erfolgte, oder auch eine Antwort, die weitere Verhandlungen abschnitt und alle Annäherung unmöglich machte. Einem besonderen Zufall nur ist es zu danken, daß ich berichten kann, wie der erste Versuch der Wirtin beantwortet worden ist. Sieh hier, was der Schiffer gesagt hat, als sie, gleich nach ihrem Einsteigen, ein Gespräch anzuknüpfen suchte:

»Wissen Sie, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mich nun mal ganz ruhig verhalten! Ich bin hier Herr an Bord, verstehen Sie wohl?«

»Nun sehe doch ein Mensch an ... auch noch ruhig sein, und das nach solch einer Beschimpfung!«

Mehr hatte sie nicht gesagt, und damit war es für diesmal aus gewesen.

Laßt uns die Geisteskraft und die Umsicht bewundern, womit sie nachher die Bequemlichkeit zu Hilfe rief, um den Angriff zu erneuern. Aber wir wissen bereits, daß auch dieser Versuch an der Unabhängigkeit des Charakters gescheitert war, die der tugendhafte Schiffer aus seinem Feuerzeug geschöpft hatte. Es thut uns um die Wirtin leid, aber wir sind nicht undankbar für die Lehre, wie gut es ist, bei gewissen Gelegenheiten eigenes Feuer zur Hand zu haben.

Das Weib saß nun, ganz menschenkundig, und lauerte auf eine dritte Gelegenheit. In jedem Küraß sind Ritzen, das wußte sie wohl ... lieber Himmel, Pater Jansen und Walther waren überhaupt nicht geharnischt! Ja, hätte sie bloß mit den beiden zu thun gehabt! Aber der Schiffer war scheußlich öde und steifte sich auf seine Gewalt an Bord, auf seine Tugend, auf seine sechs verheirateten Kinder.

»Alle bestens versorgt, Herr Pastor, bestens! Zwei sind bei der Ratswage ... ein hübscher Beruf, Herr Pastor!«

Jansen ließ sein Kinn auf die gefalteten Hände sinken, welche auf dem Knopf seines Stockes ruhten, aber er antwortete nicht. Sein Gesicht zeigte Traurigkeit, und die Wirtin achtete genau auf seine Stimmung. Es war schon immerhin etwas, meinte sie, daß sein Schweigen auf geringe Lust, mit dem Schiffer in freundschaftlichen Meinungsaustausch zu kommen, schließen ließ.

»Und der dritte ist auf der Armenschule ... als Lehrer, wissen Sie. Das ist einer! Wenn er 'n Wort sieht, fragt er gleich: woher kommt das? Und er weiß es! Nun, ich hab' sie gut aufgezogen, das muß ich sagen. Das Auge auf Gott gerichtet, sage ich bloß immer, und dann ...«

Ein Blick nach der Kajüte hin.

»... ehrlich durch die Welt! Was sagen Sie, Herr Pastor?«

Ach, Jansen sagte wieder nichts, und die Aussichten der Wirtin stiegen ein wenig. Jetzt schien die Reihe an den Schiffer gekommen zu sein, das Bedürfnis nach etwas Entgegenkommen zu fühlen. Der Mann wunderte sich, daß er mit seinem »Gott vor Augen« nicht mehr Anklang gefunden hatte. Er hatte es doch mit einem Geistlichen zu thun, der solche Worte von Berufs wegen hübsch finden mußte.

Aber darin täuschte er sich. Im allgemeinen finden es diese Herren gar nicht angenehm, daß die Kunstsprache ihres Faches durch Laien entweiht wird. Sie sind mehr für Sünder als für Seligmacherei-Dilettanten, weil doch ein Kunde mehr wert ist als ein Konkurrent. Diese allgemeine Wahrheit paßte nun zwar nicht auf den guten Jansen, aber die Enttäuschung des Schiffers wurde dadurch nicht kleiner.

Seit dreißig Jahren verkündigte er diesen Hauptgrundsatz zweimal des Tages – bis auf den seltenen Fall, daß er keinen einzigen Fahrgast im Boote hatte – und noch nie war seine höchst merkwürdige Maxime angehört worden, ohne ihm ein salbendes: »Ja, ja, Schiffer, darin haben Sie wohl recht!« einzubringen. Das gehörte zu den Einkünften seines erhabenen Berufes, und dieser Pastor saß da schweigend und starrte auf seine Nase! Sogar für das diesmal gerade recht passende »ehrlich durch die Welt« hatte dieser langweilige Fahrgast kein zustimmendes Wörtchen, kein Kopfnicken. Da mußten andere Laufgräben in Angriff genommen werden:

»Ja, ja, Gott vor Augen sage ich bloß. Nun, unser Christian ... denn er heißt Christian nach seiner Großmutter, weil die auch Christiane hieß – ist 'n famoser Bursche. Es war eigentlich meiner Frau Mutter ... auch 'ne brave Frau, das kann ich Ihnen getrost sagen, Herr Pastor! Sie ist tot, sonst ... Jan, laß mal die Leine 'n bißchen schleppen, bis der Bagger vorbei ist,«

Jan that, wie ihm geheißen war. Gerade nötig war es nicht, aber der Schiffer fand die Gelegenheit günstig, etwas von seiner Seemannschaft zu zeigen.

»Ja, Herr Pastor, so bin ich. Ich hab' immer gern 'n bißchen Spielraum in der Leine, wenn Gedränge ist. Der Mensch muß auf seine Sachen passen, und ... Gott vor Augen! Dann geht's. Hol wieder ein, Jan. So hab' ich sie aufgezogen, alle sechs. Und unser Christian sagt – denn er ist 'n Schlaukopf –: sag' mal, Vater, warum nennen dich die Menschen denn Haarlemer Schiffer? Na, ich dachte mir gleich, daß etwas dahinter steckte, aber ich konnte nicht raten, wo es saß, denn gelehrt bin ich, rundheraus gesagt, nicht. Aber meine Arbeit verstehe ich wie der Beste ...«

Wahrscheinlich um Jansen einen Beweis davon zu geben, beauftragte er nun den Knecht, das Deck des Kahns, welches mit Teer und gestampften Muscheln beschmiert war, mit Wasser zu befeuchten.

»'n paar Eimer bloß, Herr Pastor, denn sehen Sie, sonst klebt es so, wenn den ganzen Tag die Sonne drauf steht. Und meine eine Tochter – Jansje heißt sie, weil sie eigentlich nach mir genannt ist, denn ... ich heiße Jan – nun, die ist verheiratet mit'm Buchbinder. Die hat nun auch schon ihre vier ... alles Mädchen. Und die zweite ist froher Hoffnung, denn ihr Mann ist aufm Comptoir bei den Steuern. Da werden alle Schweine gewogen ... von der Stadt, wissen Sie?«

»Aber, M'neer,« wagte Walther zu fragen, »warum soll man Sie nicht Haarlemer Schiffer nennen?«

»Ja, nicht wahr, das ist 'ne Frage! Ja, das ist 'n Schelm, das sollst du hören. Und alles so trocken weg. Er sagt: – aber sage, bist du mal in Haarlem gewesen?«

Ob Walther da gewesen war?

»Sonst kannst du's nicht so gleich verstehen. Aber ich wollte Herrn Pastor von meiner dritten Tochter erzählen. Die wohnt in der Langstraat, und ihr Mann hat 'n Laden, und darum verkaufen sie alles. Es ist sozusagen 'n Krämerladen, aber Leichenbitter ist er auch und bedient den Begräbnisfonds, und das bringt immer was ein. Wie neulich ihr Jüngstes gestorben ist, haben sie aus ihrer eigenen Büchse zwanzig Gulden gehabt. Und nun ist die mittelste auch krank, 'n Mädchen, Herr Pastor, mit krummen Beinen und überhaupt miekerig. Ja, 's geht ihnen bestens. Sie will immer, ich soll mich zur Ruhe setzen, weil ich in die Jahre komme, ... sie heißt Pietje, weil sie nach meinem Vater genannt ist, der hieß Piet. Und sie will, ich soll mit Arbeiten aufhören, weil ich schon in die Jahre komme, M'neer Pastor, und schon so viel durchgemacht habe. Aber ich sage bloß immer: so lange mir Gott noch Kraft giebt...«

So lange wollte er sieben Stunden täglich in diesem Stuhl am Steuer sitzen und noch mehr erleben und Haarlemer Schiffer bleiben, oder wie er nach seinem Witzbold von Sohn genannt werden mußte.

»Ein Mensch muß auf seinem Posten bleiben nach Gottes Willen, Herr Pastor. Das hab' ich meinen Kindern immer vorgehalten, und darum geht's ihnen auch gut.«

»Aber, M'neer, warum soll man Sie denn nicht Haarlemer Schiffer nennen?«

»Richtig, da kommst du auf den wahren Punkt von der Sache. Ja, er sagt – aber 's ist 'n Schelm, wirst sehen – Vater, sagt er, wenn du die Hälfte hinter dir hast, wirst du Amsterdamer Schiffer! Ist auch wahr, sagt' ich, und ich hatt' nie dran gedacht. So siehst du, der Junge weiß es besser. Aber ... Gott vor Augen, das ist allemal das beste. Na ja, die Hälfte vorbei – wenn du hier in der Gegend bekannt bist, wirst du's selber sehen – dann komm' ich, sozusagen, von Amsterdam, und hier gehen wir noch immer nach Haarlem. Wie findst du das? Und er ist knapp siebzehn!«

Walther lächelte eben aus Gutmütigkeit, aber weiter konnte, er es nicht bringen. Daß der Versuch des Schiffers, mit Pater Jansen ins Gespräch zu kommen, nicht glücken konnte, spricht von selbst. Das wäre genau so gewesen, wenn die mitgeteilten Witze auch geistvoller gewesen waren, denn der gute Mann repetierte seinen theologischen Kursus. Er überdachte, ob etwas Gutes gethan werden konnte und was?

Geistliche Hoffart war ihm vollständig fremd, aber als anständiger Mensch fühlte er doch einen instinktmäßigen Abscheu vor dem Weibe, das er doch hätte ansprechen müssen, wenn er sich des Schicksals der beiden Mädchen annehmen wollte. Das hielt er in seiner Naivetät für seine Pflicht und ... sie wußte es! Sie wußte, daß nur ein passender Anlaß nötig war, um ihn zum Sprechen zu bringen. Ohne große Zustimmung haben wir ihn versichern gehört, daß auf dem Seminar so viel Menschenkenntnis zu erwerben wäre, aber wir dürfen diese Eigenschaft gewiß den vielen Seminaren zuerkennen, welche diese Wirtin von Jugend auf besucht hatte, und welche sie nach vollendetem Studium in reiferen Jahren selbst geleitet hatte. Mit Witzchen war dem ernsthaften Pastor nicht beizukommen, das fühlte sie wohl. Mit aufdringlicher Freundlichkeit ebensowenig. Den Weg zu seinem Gemüte ... sie hatte es!

»Das kann ich nicht mit ansehen,« rief sie, »das schreit ja zum Himmel! Schiffer, legen Sie doch mal an und nehmen Sie die armen Leute in die Schuit. Ich stehe für die Bezahlung.«

»Ich kann's nicht abschlagen,« sagte der Schiffer, der Jansen ansah, als ob er sich entschuldigte, »Geschäft ist Geschäft, das wird der Herr Pastor wohl auch wissen.«

Er rief dem Führer des Pferdes zu, zu halten. Die Leine platschte ins Wasser, die Schuit wurde ans Ufer gesteuert.

Die Wirtin, die aus der Kajüte auf Steuerbord gestiegen war, rief und winkte der sich abquälenden Orgelfamilie zu, die nach einiger Aufklärung über die unerwartete Freundlichkeit in den Kahn aufgenommen wurde.

»Setzt euch nur recht gemütlich und bequem hin, liebe Menschen, und ruht etwas aus. Ich stehe für die Überfahrt ...«

Und sie sah Jansen an:

»Na ja, nicht wahr? Man muß seinen Nebenmenschen 'n bißchen helfen in der Welt?«

Das war das dritte »Nicht wahr?« und das beste.

Jansen antwortete zwar nicht sofort, aber er sah sie doch freundlich an, und als sie darauf neben ihm Platz nehmen wollte, überschritt der Raum, den er ihr machte, nicht die Grenze, welche das Wohlwollen in solchen Fällen vorschreibt.

Die Wirtin gönnte sich die Genugthuung, dem Schiffer einen triumphierenden Blick zuzuwerfen.

»Seid nur fröhlich auf der Schuit! Bravo!« rief sie, als die Töne der Drehorgel sich hören ließen. »Ja. Herr Pastor, ich bin sehr für Fröhlichkeit, und nun kann der Mann doch sitzen bei seiner Arbeit, Es war ja nicht anzusehen, nicht wahr?«

»Ja, Jüffrau, so 'ne Orgel ist 'ne gehörige Last.«

»Und die arme Frau mit all ihren Würmern von Kindern!«

Beide, Pastor Jansen und die Frau aus Haarlem, waren ersichtlich der alttestamentarischen Ansicht, daß der göttliche Segen sich ganz speciell an der Zahl der Kinder abmessen laßt, mit der ein Menschenhaß sich erlaubt, Welt und Gesellschaft zu beschweren. Daß in unangebrachter Fruchtbarkeit etwas Schändliches, etwas Verbrecherisches liegen kann, der Gedanke kam in den naiven Seelen nicht auf. Es existieren auch jetzt noch fromm scheinende, zurückgebliebene Menschen, die in solchen »armen Würmern« einen Sporn zu erblicken glauben, mit den Taugenichtsen, die diese Geschöpfchen ins Leben stießen, Mitleid zu haben. Wir wollen deshalb nicht allzu tief auf Pater Jansen herabsehen, wenn er in seiner Antwort zu erkennen gab, daß er das Argument der Wirtin rührend fand. Denn das that er.

»Ja, gewiß, es ist um Mitleid damit zu haben. Aber ...«

Was hinter dem »Aber« folgen sollte, wußte er selbst nicht recht. Ganz unwillkürlich fühlte er den Trieb zu irgend einem Protest gegen ihre Befugnis, ein Gefühl zu zeugen, das gut war oder das er für gut hielt. Die schlaue Katze, gewarnt wahrscheinlich durch einen eigenen Ausdruck auf seinem Gesicht, merkte etwas von der feindlichen Tendenz, die sich da schamhaft offenbarte, und traf ihre Maßregeln:

»Ach, Herr Pastor, ich kann meinen Nebenmenschen nicht leiden sehen. Wenn ich nicht das Haus so voll hätte, ... sehen Sie, ich nähme wahrhaftig gern eins von den armen Dingern zu mir, und wäre es der kleine Junge da, der auf der Orgel sitzt.«

»He!« riefen Jansen und Walther gleichzeitig.

»Ja, M'neer, ja, junger Herr, so bin ich, wahrhaftiger Gott!«

»Aber, Jüffrau!«

»Ach, Herr Pastor, mancher Mensch ist nicht so, wie er aussieht. Ich hab' immer meinen Nebenmenschen geholfen, das hab' ich. Da haben Sie die zwei Mädchen, da vorne im Schiff! Was ist? Die eine hat keine Mutter, keinen Vater, keine lebendige Seele ... niemals gehabt, Herr Pastor! Was thut sie? Sie läuft zum Skandal auf der Straße herum. Sie hatte, sozusagen, kein Hemde aufm Leibe. Was hab' ich gethan? Ich hab' ihr Kleider gekauft, für dreißig Gulden Kleider, Herr Pastor! Und die andere? Na, die hat 'ne Mutter ... Gott besser's! Lieber gar keine, sage ich. Sie schickt ihr Kind auf die Straße, den Jungens nachzulaufen, den Jungen und den Herren. Na, 's sind Herren danach! Und von dem Sündenlohn will ihre Mutter das ihre haben! Ich frage Sie, Herr Pastor, was soll aus'm Mädchen werden, das sich auf der Straße herumtreibt?«

Der arme Jansen war verblüfft und nicht genug in die Geheimnisse des Geschäfts eingeweiht, um gleich zu wissen, was da zu antworten war. Die Frau fuhr fort:

»Da hat sie mir 'n Brief geschrieben ... ob sie 'n selbst geschrieben hat, weiß ich nicht, aber sie fragt, ob ich nicht in Haarlem 'ne nette, anständige Stelle für sie wüßte bei ruhigen Menschen, und ... und ... und 'n bißchen Vorschuß möcht' sie auch ... wie's in solchen Fällen geht. Und was thu' ich? Ich schick' ihr zehn Dukaten. Zehn Dukaten, Herr Pastor! Und nun ich komme, sie holen – na ja, von meinem Verlust kann ich nicht leben – was geschieht? Die Menschen schimpfen mich aus!«

Hier fing die edle Frau an, sehr rührend zu weinen.

Walther sah sie bewegungslos und mit offenem Munde an, Jansen war ganz verwirrt. Aus der Schuit klangen ein paar Klänge von dem französischen Gesang. Der Schiffer richtete seine Augen ... immer auf Gott, natürlich, aber im besonderen jetzt einmal auf die Wolken, dann wieder auf den Nagel seines linken Daumen, was wohl heißen sollte, daß die Geschichte ihn nichts anging.

Mit allerlei Geschwätz brachte die Wirtin es dahin, daß der Pater sie aufforderte, die Reise nach Haarlem nicht mit den beiden Mädchen fortzusetzen. »Er möchte sie einmal sprechen,« sagte er, und sie hatte nichts dagegen.

Daraus ergab sich, daß Jansen, Walther, die Wirtin und ihre beiden Schützlinge auf das Vergnügen verzichteten, auf dem halben Wege zuzusehen, wie der Haarlemer Schiffer sich in einen Amsterdamer Schiffer verwandelte. Sie wünschten ihm gute Reise und nahmen zusammen an der Wirtshaustafel des gastfreien Hauses »Ter-Hart« Platz, wo Walther wiederum seine Predigt über die Sparsamkeit nicht los wurde. Arme Stine!

Die Wirtin kam eine volle Schiffstour später heim, als sie gedacht hatte.

Vor ihrem Abzug vom Hause »Ter-Hart« hatte sie noch zugesehen, wie Jansen, Walther und die beiden reuigen Kaatjes den Pfad der Tugend einschlugen, das war – in diesem speciellen Falle, und ohne die mindeste Verbindlichkeit für die Zukunft – der langweilige Straßenweg nach Amsterdam ...

Um des Himmels willen, wir wollen doch hoffen, daß Jansen nicht die Absicht hat, Stine diese beiden Geschöpfe zuzuführen?

Hier schließt Dekker-Multatulis Erzählung von den Schicksalen des kleinen Walther Pieterse. Der letzte Band der »Ideen«, aus welchem Werke die Geschichte Walthers entnommen ist, erschien 1877. Dekker hatte die Absicht, die Geschichte Walthers in einem weiteren Ideen-Bande fortzusetzen. Er hatte sogar von der Uitgevers-Maatschappij Elsevier, die im Jahre 1881 das Verlagsrecht von seinem früheren Verleger, Funke, übernommen hatte, sich daraufhin einen Vorschuß von 2000 Gulden geben lassen, für den er Manuskript liefern sollte, Er hat nicht Wort gehalten, und der Vorschuß ist später auf andere Weise getilgt worden. Als er, um sich wieder hineinzuarbeiten, die älteren Bände vornahm, überkam ihn eine solche Bitterkeit gegen sein Publikum, daß er nicht arbeiten konnte. So erzählt seine Witwe. Es haben aber auch andere Momente mitgespielt. In einem beinahe gleichzeitigen Briefe beklagt sich Dekker, daß man immer annähme, er schreibe in Walther Pieterse seine eigene Jugendgeschichte, Dann wäre ja die Jüffrau Pieterse seine Mutter! Dagegen giebt er zu, daß die Phantasien Walthers über das afrikanische Königreich aus seinen eigenen Jugendschwärmereien stammen. Außerdem hatte er in jener Zeit eine große Enttäuschung erlebt. Ein holländisches Komitee sammelte einen »Hüldeulijk« für ihn, eine Ehrengabe, die über recht kläglich ausfiel und mit allerlei demütigenden Nebenerscheinungen verknüpft war. Und es hat wohl noch mehr Widriges gegeben, was wir nur ahnen können. Es wäre sonst zu sonderbar, daß der schreiblustige Mann bis zu seinem 1887 erfolgten Tode nichts mehr produziert hat. Jedenfalls ergiebt sich aus den Angaben seiner Witwe, daß er ohne festen Plan gearbeitet hat; vielleicht wußte er zur Zeit selbst noch nicht, wie die Geschichte weiter gehen sollte. Außerdem ist anzunehmen, daß die beabsichtigte Fortsetzung recht umfangreich werden sollte. In seinem Nachlasse hat sich indessen nichts davon gefunden. Der hier angefügte kurze Schluß stammt von einem Verehrer der Muse Dekker-Multatulis her und sucht den Band »Walther in der Lehre« zu einem Abschluß zu bringen, der mit dem Vorhergehenden konform geht und dem Leser gestaltet, wenn auch mit Bedauern, von dem Helden Abschied zu nehmen.


 << zurück weiter >>