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Weitere Entwicklung der »Buitenplaatsen« nebst ihren feineren Unterschieden, ihrer Bedeutung und ihren Zwecken. Wie unser Held diesen Zwecken dienen mußte.

Auf die Bänke vor den Thüren folgten also die Gärtchen, die gerade vor der Stadt gelegen waren, und zwar meistens – so weit es Amsterdam betrifft, an den »Pfaden«, die in großer Zahl vom Buitencingel ausstrahlten. Etwas vornehmer waren schon die Sommerfrischen vor dem Muider-Thor »am See« oder zu beiden Ufern der Amstel und an der Haarlemer-Fahrt. Auch hier diente natürlich der Abstand als Gradmesser der Vornehmheit. Mit zunehmendem Wohlstande begannen dann die Amsterdamer ...

Jeder begreift, daß wir hier ausschließlich an die bevorrechtete Klasse zu denken haben, und keinesfalls an die große Masse der Bevölkerung, die für ihr täglich Brot die vollen zweiundfünfzig Wochen des Jahres in der schlechtduftenden Stadt, ja sogar in derselben Gegend, festgeklebt ist.

Wohlhabende Amsterdamer fingen dann langsam an, in den Sommermonaten sich in Gelderland und im Utrechtschen auszubreiten. Die Gegend um Haarlem ist erst nach dem Bechtschen in Aufnahme gekommen. Darin scheint eine Abweichung, von der Regel zu liegen, daß man seine Gesundheit, seine Erholung, die vor allem angestrebte Vornehmheit, je länger, desto weiter sucht. Ich glaube, die Erklärung dieses Widerspruchs in dem zunehmenden Reisen außer Landes zu finden.

Wer die Schweiz gesehen hatte, der konnte sich es schon erlauben, den Unterschied über die Schulter anzusehen, der früher den Aufenthalt zu Belfen so viel weniger respektabel machte als den zu Velp, und er brauchte sich nicht zu schämen, wenn seine Villa zu Blumendaal in wenigen Stunden erreicht werden konnte. So verwischte sich der Abstand zwischen den Grenzen unseres Ländchens mehr und mehr. Und in unserer Zeit der vervollkommneten Verkehrsmittel muß das Aussterben der »Buiten« die unausbleibliche Folge sein. Es giebt ihrer noch, aber lange werden sie nicht mehr sein, und ich glaube kaum, daß sie die letzte amerikanische Rothaut und das Versemachen überleben werden.

Daß übrigens auch andere Ursachen, neben dem Reisen außer Landes, mitwirkten, will ich wirklich gern zugeben.

Aus einem hygienischen Gesichtspunkte sowohl wie infolge der unverhältnismäßigen Preissteigerung der Lebensmittel, fanden viele es wünschenswert, ihre Parkchen und Tümpelchen und Alleechen, ihre Lauben und Büschchen unter den Hammer zu bringen, und bald wuchsen da Kohl und Kartoffeln, wo früher ... ja, was geschah denn da früher? Mit anderen Worten: von welcher Art war der Genuß, den die »Buiten« ihren Besitzern oder den Gästen boten?

Man findet in manchen Schriften Erzählungen von besonderem Luxus, der auf solchen Landsitzen herrschte. Aber ich bin so frei, das nicht alles so sicher anzunehmen, wie es erzählt wird. Wir wissen nun einmal, daß es nicht im Nationalcharakter liegt, für Kunst und Geschmack, ja selbst für Komfort, große Ausgaben zu machen. Und wer waren die Lobredner der Pracht? Genau wie in den Heldengesängen, in denen Könige beweihräuchert werden, unterscheidet hier das geübte Ohr bald den eigenartigen Ton von Bratenbarden? die den hingeworfenen Knochen mit hochtönenden Versen bezahlten. An Wahrheit, an das Streben nach Wahrheit schon, darf bei derartiger Prostitution des Worts nicht gedacht werden. Das wurde auch gar nicht verlangt. Der reich gewordene Besitzer eines solchen Landsitzes konnte für ein paar Dukaten seine »Luftveranden ohnegleichen« recht nett und trefflich besungen bekommen, je mythologischer, desto hübscher. Die kindische Eitelkeit des modernen Burgherrn war befriedigt, und heute noch fühlt sich der Nachkomme durch so erhaltene Zeugnisse oder selbst durch minder echte Überlieferung verführt zu kindischer Übertreibung der Bedeutung seiner Vorfahren. Vor wenig Jahren noch konnten wir vernehmen, daß Ende des vergangenen Jahrhunderts eine Amsterdamsche Familie – die übrigens keineswegs zu den anerkannt reichsten gehörte – auf ihrem Außensitz, dem »Haus zu Manpad«, in einem Jahre zwölfhundert Gulden für Vogelfutter ausgegeben hätte! Die Vögelchen müssen einen wahren Kirchenmagen gehabt haben, aber die gesunde Kritik schluckt solche Erzählungen mit Widerstreben oder gar nicht. Handelt es sich doch um Charaktere, die in der Regel wenig Fürstliches an sich hatten, die meistens viel zu kleinlich waren, um ohne ersichtlichen Vorteil ein Rotkehlchen am Leben zu erhalten. Dieser ... Dichter, dessen allzu fruchtbare Phantasie so freigebig Tausenden von Vögelchen Nahrung gab, vergaß, daß einige Leser auch zu rechnen verstehen. Rechne die Summe, im Verhältnis der Veränderung des Geldwertes, um und sage mir dann, wie viel mußte eine so splendide Familie denn für sich verbrauchen, um nicht hinter den Vögelchen zurückzustehen? Und in einem anderen Bericht wird erzählt, der Besitzer von »Wüstedüne« würde sehr böse, wenn der Besucher oder Gast den Fuß auf einen geharkten Weg setzte! Diese beiden Plätze lagen dicht nebeneinander.

Und ... andere Bedenken! Wie kann man eine Neigung zu Luxus und Pracht bei den Eigentümern dieser Landaufenthalte glauben, wenn man sieht, wie diese selben Leute in ihren Häusern zu Amsterdam keine Badestube, keine geruchlosen Kämmerchen beanspruchten. Sollte man, wenn man jene Sorte von Selbstüberhebung kennen lernt, der – immer mit Ausnahmen, gewiß! – der einzelne Niederländer sich hingiebt, einstimmen in den Gesang des alten Gerrit:

»Was ich dir sage, 's ist Armut und Großthun! Allemal Wind, oder auf gut holländisch gesagt: englisch Notting!«

Und wie sehen denn diese Landsitze aus, die noch hier und da zu sehen sind? Diese steifen Alleen, der feuchte Boden, die schmutzigen Gräben, die Weiher voller Entengrütze, die grünangelaufenen Statuen – von Marmor, sagen die Dienstboten – alles ladet den Wanderer ein, schnell vorbeizugehen. Er dankt seinem Herrgott, daß er ein freier Mann ist und seine Distinktion wo anders suchen oder ganz missen kann. Mit schauderndem Mitleid fällt sein Blick auf die Familie, die da drüben auf der Veranda oder unter der Laube damit beschäftigt zu sein scheint, zu versteinern.

Was sage ich? Als ob solche Familie überhaupt zu sehen wäre! Nicht dazu verließ man sein wohlgeschlossenes, mit Gardinen behängtes Haus in der Stadt, um sich hier von den Vorübergehenden betrachten zu lassen. Vornehmheit, dein Name ist Absonderung! Glück, dein Bild ist Mumie! Alles, was die Totenstille brechen könnte, wird im Tempel der Langeweile für Contrebande angesehen. Höchstens darf man von der Straße ab und zu den Gärtner sehen, oder ein paar Enten, oder den Zeiger der Sonnenuhr, der sich ärgert über seinen Schatten ... die Nachbarn konnten ja sehen, daß der sich bewegt.!

Und Blumen? Ach nein! Was ist in freier Luft zur Sommerszeit gemeiner als Blumen? Die sind deshalb nicht zu sehen. Sie stehen irgendwo in verborgenen Winkeln im Kasten. Es sind fremde, ausländische, mit Sorge und Mühe gepflegte Pflanzen, würdevolle Blumen, unmögliche Blumen. So gehört es sich auf einem wohlgeordneten vornehmen Landsitz! Wenn diese Leute in Indien wohnten, würden sie Waringibäume umhacken und Butterblumen mit Hilfe von Eiskellern durch das Leben martern. Von der Natur kennen sie nichts als ihre Zähigkeit im Aushalten unnatürlicher Behandlung.

Alles ist in allem. Meint man, daß die Liebhaber geschorener Laubgänge Charakter haben können? Die Liebhaber von gebildhauerten Krüppelbüschen? Von bunten Puppen, die den uneingeweihten Besucher, der um die Ecke biegt, erschrecken oder überraschen? Von dem nachgemachten Ernst einer Einsiedelei ? Von einer Kunstfontäne – »wohl zehn Eimer Wasser, M'neer!« – und den daraus gespeisten Attrappen ... ach, wie witzig!

Aber das gilt hauptsächlich von wirklichen Landsitzen, und vor allem von solchen, die, zwei oder drei Geschlechter durch im Besitz derselben Familie – was stets die Ausnahme war – so gut wie möglich in eine Art von adligem Sitz umgewandelt werden. Das Herrenhaus muß etwas wie ein Kastell vorstellen, nicht in der Bauart zwar – das war nun einmal nicht so – aber in der Bezeichnung. Den Landleuten in der Umgebung gegenüber wurden affige Manieren angenommen, die den Zweck hatten, eine Art von mittelalterlicher Beziehung herzustellen, die aber weiter nichts waren als ein komisches Gemengsel von Krämerstolz, sogenannter Würde und Muckerei.

Eins der meist angewendeten und nächstliegenden Mittel war ... Wohlthätigkeit unter Aufsehen zu Gott, und diesen Hebebaum setzte man – allerdings so billig wie möglich! – in Bewegung. Das Söhnchen des Gärtners – gleichzeitig Gärtnergehilfe, Tafellakai, Stalljunge und Botschaftenläufer, alles in einem Stück – hatte eine Hose an, die eine der jungen Damen selbst gemacht hatte, wahrhaftig! Und diese jungen Damen ...

Ach, wie ärgerlich, daß die dummen Bauern nicht von selbst darauf kamen, zu sagen: »die Fräuleins vom Schlosse!« Man konnte es doch nicht direkt verlangen.

Diese Mädchen übten sich unter Mamas Leitung in gottesfürchtigem Zerknirschen an diesem oder jenem, der den Fuß auf den Weg der Sünder gesetzt hatte. Und die Arbeiterfrau, die in den Wochen lag, kriegte ein Milchsüppchen und ein Gebetbuch. Und bei allem die unausstehliche Vornehmheit melancholischer Langeweile, die höchstdistinguierte »Morbidezza.« Haus, Garten, Alleen, Tümpel, Standbilder – Puppen! – ja selbst die Gerüche, die aus dem Modergrund aufstiegen, wetteiferten, Kränklichkeit anzunehmen oder zu zeigen. Daß das etwas lieferte, was man im gesunden Sinne des Wortes Erholung nennen darf, ist zu bezweifeln.

Aber über den Geschmack ist nicht zu streiten, und für Vornehmheit und Würde muß man schon etwas übrig haben.

Diese Charakteristik paßt indessen nur auf wirkliche Landsitze.

Sogenannte »Optrekken«, bescheidenere Sommerfrischen, tragen eine andere Physiognomie, und man mich da gemietete und in Eigentum besessene unterscheiden. Die letzteren liefern das Vorbild, nach dem die anderen sich so gut wie möglich richten, niemals aber ohne durch vielerlei Zeichen zu verraten, daß wir es hier mit der Anlage eines bäuerischen Spekulanten zu thun haben, der von seinem Gelde eine Rente ziehen will und deshalb die Mieter aus der Stadt anlockt mit »ländlicher Schönheit«, die größtenteils eigenes Fabrikat ist. Und wo es nicht reichte, schreibt er sein Ziel an die Thür. Er vermietet: »Kleine Schweiz«, »Berg und Thal« oder wenn seine Phantasie etwas dürftig ist, einfach: »Schöne Aussicht«. Damit haben wir nun hier nichts zu thun.

Wir wollen uns mit den Sommerfrischen, »Optrekken«, befassen, die das Recht oder den Vorwand geben, von einem »eigenen Landsitz« zu reden; eine Großthuerei, in der sich der junge Herr Pompilius sehr auszeichnete, und die auch dem alten Herrn Kopperlith nicht ganz fremd war, wie wir wissen.

Eine Sommerfrische von dieser Art war der große Schmerz aller Eigentümer wirklicher Landsitze. Wer konnte diesen Kopperliths verbieten oder sie hindern, ihre Amsterdamer Bekannten mit der Mitteilung niederzuschmettern, daß sie »auf ihren Landsitz« gingen, und so diese Unerfahrenen in den Wahn zu bringen, als ständen sie auf gleichem Fuße mit dem Burgherrn eines richtig-melancholischen Kastells? Mancher Patricier oder Aristokrat – so betitelten sich die am wenigsten unbedeutenden Krämerfamilien Amsterdams – meinte vor Ärger zu bersten, wenn er sehen mußte, daß der unschuldige Bürgersmann die falsche Höhe eines solchen Menschen mit der seinen verwechselte oder gleichstellte. Er selbst hätte einen Grafen oder Baron, der es thöricht fand, daß er sein Haus für ein Kastell ausgab, sehr unbillig gefunden; aber er entsetzte sich über die Anmaßung anderer, die nach seiner Krone trachteten. Der Abkömmling eines alten Adelsgeschlechts sollte sich nicht auf die lange Reihe seiner Ahnen berufen, aber ein Patricier, der mit Aktenstücken bewies, daß sein Urgroßvater schon im Rat von Amsterdam geschlafen hatte ... das ist ganz etwas anderes, nicht?

Der Eigentümer von solcher kleineren Sommerfrische, der den beabsichtigten Eindruck durch die Größe seiner Besitzung nicht machen konnte, mußte auf das Künstlich-Düstere, was dem Konkurrenten so gut stand, verzichten. Auf ein Plätzchen von fünfundzwanzig Metern im Quadrat kann man keine Alleen pflanzen, keine Wäldchen, keine Irrgärten. In Ermangelung dessen sah so eine Sommerfrische freundlicher aus. Freilich, es war hart, Schatten und Dunkel entbehren zu müssen, und das Tageslicht durchdringen zu lassen auf das Grasfleckchen und die Blumenbeete, die jene schwerentbehrten Dinge ersetzen mußten, aber der Weise weiß sich in die Verhältnisse zu schicken. Schlimmer war in solcher Miniaturvilla, deren Vorder-Veranda kaum fünf Ellen vom Wege lag, die Schwierigkeit, sich den Blicken der Vorübergehenden zu entziehen. Ihn in den Wahn zu bringen, daß er in den Straßen Palmyras spazieren ging, war glatt unmöglich. Man sagt – für die Wahrheit verbürge ich mich nicht, und man weiß, die Verleumdung reicht weit – daß einst ein frecher Tourist mit eigenen Augen zugesehen hat, wie Mevrouw Kopperlith ein Täßchen Thee an den Mund setzte, und einer der damals noch nicht vollkommen zur Würde erzogenen jungen Herren soll einmal dicht am Zaun, also beinahe auf dem öffentlichen Wege, mit einem Ball gespielt haben. Drei Bauernmädchen hatten es gesehen, behauptete Mama, und sie wurde nervös bei dem Gedanken, was die Menschen wohl über solche Unschicklichkeit gesagt hätten.

Die Erholung der Bewohner solcher ländlichen Aufenthalte war ... möglichst unländlich. Man empfing Besuch von »ebenbürtigen« Villenbewohnern, aber lieber noch von höher gestellten. Man machte Partien in die Umgegend, zu Wagen, wobei die Zurschaustellung eigenen Fuhrwerks die Hauptsache war, und ... man langweilte sich. Eins der am wenigsten abzustreitenden Vergnügen, das man aus einer solchen Besitzung zog, war die Genugthuung, das »Buiten« durch Freunde und Bekannte bewundern zu lassen.

Ein jeder hielt sich seine Pleiers und Krückers und Hockers, ja sogar »jüngste Bedienstete«, deren Pflicht es war, mit offenem Munde die Herrlichkeit des Besitzes anzustaunen, und wenn es ging, vor Neid zu platzen.

In dieser Beziehung trafen sich diese kleinen Villenmenschen mit den großen Kastellherren vollkommen. Und in dieser Beziehung hatten sie in der That etwas Übermenschliches, denn wir finden in den meisten Katechismen – heidnischen, griechischen und christlichen – als eine Eigenart der Götter verzeichnet, daß sie sich am meisten freuen, wenn ein Menschenkind sich an ihrer Göttlichkeit stumm, blind und dumm starrt.

Heute war auf Grünenhaus unser Walther an der Reihe, die Rolle des von so viel Glanz geblendeten Seraphchen zu spielen.


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