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Über Predigten, und wie Walther nicht zum Predigen kommen kann. Predigt von Pater Jansen über die Predigt von Pastor Kuns, erläutert durch eine Predigt von ihm selbst. Wie der Autor Wort hält.

Irgend ein Kanzelredner soll einmal gesagt haben, es gebe nichts Leichteres als Predigen, aber nichts Schwereres als gut predigen. Ich verstehe nichts davon, aber wenn man an diesem Tage Walther gefragt hätte, ob nicht auch eine mittelmäßige Predigt ihre Schwierigkeiten hat, hätte er aus vollem Herzen Ja gesagt.

Tags zuvor war er noch ziemlich zufrieden gewesen mit dem halbgeborenen Konzept des Briefes an die aufgeblasene Hersilia – schade, daß es nichts genützt hatte – aber eine Predigt ... ja, das war etwas anderes.

Er wollte ein paarmal anfangen, aber es ging nicht. Jedesmal, wenn er auf sein »M'neer, hören Sie mal!« die gutmütige Antwort bekam: »Was wünscht du, junger Mann?« fiel ihm das Herz in die Schuhe, und er machte dann die eine oder andere unschuldige Bemerkung über irgend etwas, was da auf dem Wege zu sehen war. Der Pater konnte also von ihm hören, daß der Haarlemer Weg eine lange Straße war, und daß jeder, der des Abends spät außerhalb der Stadt geblieben war, einen Stüber bezahlen müßte, ja, wenn es sehr spät war, sogar ein Dübbeltje. Jansen gab das alles gern zu.

Wie beginnen? Wohl beschaut, haben Geistliche die Sache leicht. Sie nehmen einen Spruch aus der Schrift, und teilen ihn in drei Teile, dann kommt das andere von selber. Auch werden sie durch das Gebet vorher auf den Weg gebracht. Gewiß: »Stütze, o Herr, den Sprecher, der unter uns aufgetreten ist, dein Wort zu verkündigen!« So kommt der Mensch in den richtigen Gang. Ein Geistlicher ist auch anders gekleidet als andere Menschen. Das alles giebt einen gewissen Ton an und bringt eine Stimmung zuwege, die Stotterer und Stumme zum Predigen bringen würde. Walther fühlte, daß ein Vorgebet hier nicht herpaßte, aber er wollte doch thun, was er der alten Magd versprochen hatte.

Daß er nur ein dummer Junge war und der Mynheer Jansen ein achtenswerter Mann, kam ihm nicht in den Sinn, gerade weil er ein dummer Junge war. Und wäre das anders gewesen, so würde ihn dies Bedenken doch nicht sehr gehindert haben, denn sein Bruder Stoffel, der Hilfslehrer, hatte einmal versichert, daß junge Leute vollkommen das Recht hätten, älteren Leuten das Kapitel zu verlesen, wenn sie nur eingesegnet wären und die Vorsorge gebrauchten, ihre Ermahnungen ganz theologisch in drei Teile zu teilen. Nun, das wollte Walther schon thun. Zum ersten: die Sparsamkeit ist Gottes Wille. Das wollte er z. B. beweisen aus Eierschalen, Apfelschalen, Nußschalen, die niemals größer sind, als es für den Gegenstand nötig ist, den sie bedecken sollen. Zum zweiten: die Sparsamkeit ist der Wille Gottes ... o, es ging nicht. Nach vielen vergeblichen Versuchen, zum Ziele zu kommen, leitete ihn sein Gedankengang endlich auf die sonderbare Frage:

»Können Sie singen, M'neer?«

Soweit es mir vergönnt ist, bei Walthers Absichten Pate zu stehen, kann ich versichern, daß er nicht gerade den Plan hatte, dem guten alten Herrn auf offener Straße einen Psalm oder Gesang aufzugeben, mit der verräterischen Nebenabsicht, sich dadurch auf die Höhe einer Predigt stimmen zu lassen. Nein, aber er hatte wieder einmal: »M'neer, hören Sie!« gerufen, und er mußte doch nun etwas antworten, nachdem Jansen ihn gefragt hatte, was er wolle.

»Singen, junger Herr? Jawohl. Es gehört, sozusagen, zu meinem Fach. Aber sehr schön sing' ich nicht. Du mußt Pastor Kuns mal hören, vor allem in der Christnacht ... prächtig! Neulich war 'n Herr aus Paris da, der bot ihm ... ich weiß nicht wie viel Geld, wenn er sich bei so 'ner Singkomödie, die sie da haben, anstellen lassen wollte. Aber er wollte nicht, denn er will bei der Kirche bleiben, das kannst du dir denken. Aber sonst ... er singt einem das Herz aus 'm Leibe. Und predigen! das hab' ich nie so gehört! Ich weiß nicht, was schöner ist, sein Singen oder sein Predigen. Er ist ein heiliger Mann, das kann ich dir versichern, aber ... Mädchen sind schwache Gefäße, und darum giebt's Väter, die lieber sehen, daß ihre Töchter zu mir kommen. Kann Pastor Kuns dafür? Ganz und gar nicht!«

Wie ein Blitz flog Stines Mitteilung, daß Femke den »Pastor hier nebenan« nicht mochte, durch Walthers Gemüt. Liebe, beste, brave Femke! Ob wohl Prinzeß Erika Pastor Kuns mögen würde, wenn sie ihn kennte?

»Er singt 'n Kyrie ... weißt du, was 'n Kyrie ist? Denn du bist ja nicht von der Kirche, nicht wahr? Na, ich bin darum nicht böse, denn der eine ist so und der andere so. Es giebt ja auch Türken. Aber weißt du, was 'n Kyrie ist?«

»Nein. M'neer!«

»Kyrie bedeutet Herr, und eleison ist so viel wie: erlöse uns! Nun, das singen wir in unserer Kirche, und Kuns hat ein Kyrie, das ist expreß für ihn von einem Deutschen gemacht, 'n ersten Mann in seinem Fach. Er ist Organist in Wien, glaub' ich. Und sie sagen – na, das wirst du sehr sonderbar finden – daß er mal vor'm ganzen Hof ...«

Jansen machte eine Pause, um Walthers Aufmerksamkeit zu spannen. Dazu aber war mehr nötig, denn die Gedanken des Jungen waren bei seiner Predigt über die Sparsamkeit.

»Vor'm ganzen Hofe, denke mal!«

»Ja, M'neer!« sagte Walther, ohne noch zu wissen, was da nun eigentlich zu denken war.

»Er hat vor dem ganzen Hof gesessen auf... na, denk mal, was meinst du, worauf er gesessen hat? Das mußt du mal raten, junger Herr!«

»Auf'm Stuhl, M'neer.«

»Auch, auch! Und auf so 'm Drehding auch... denn er hat Klavizymbel gespielt. Aber das wollte ich nun eigentlich nicht sagen, denn's kommt öfter vor, nicht? Nein, er ist so weit in der Musik, daß 'ne Erzherzogin ihn auf ihren Schoß genommen hat, und da hat er gesessen. Wie findst du das?«

Walther fand das herrlich, und er nahm sich vor, die erste Gelegenheit zu ergreifen, um sich in der Musik zu üben. Die Aussichten seines Versprechens an Stine sanken schrecklich. Wer kann denn auch an Predigten und Sparsamkeit denken, wenn mit do, re, mi, fa, so so viel verdient werden kann? Aber er fand die Sache nicht ganz klar und gab zu verstehen, daß eine kleine weitere Aufklärung nicht überflüssig wäre.

»Auf ihrem Schoß, M'neer?«

»Ja.«

»'ne Erzherzogin?«

»Ja, von Österreich.«

»Aber, M'neer, wie ist das möglich?«

»Siehst du, ich dacht' wohl, daß du's merkwürdig finden würdest, denn so 'ne Erzherzogin ist 'ne große Dame, und darum erzähl' ich dir's. Ich hab's wohl schon hundert Menschen erzählt, und keiner hat's raten können, bevor ich's sagte. Aber passiert ist's, frag' nur Pastor Kuns, und Stine weiß es auch, die war dabei ...«

»Bei Hofe, M'neer?«

»Nein, wie Pastor Kuns es erzählte.«

Der gute Jansen genoß nach Herzenslust Walthers Erstaunen, das in der That groß war. Er war innig überzeugt, daß weder seine Mutter noch eine seiner Schwestern, noch selbst Leentje, die alte Ausbesserin, die doch sonst durchaus nicht hoffärtig war, sich mit einem Klavierspieler so weit vergessen würde. Nein, niemals, niemals ... und wenn auch kein Hof dabei war, der davon schlecht denken könnte. Nicht mal im Hinterzimmer!

»Auf ihrem Schoß,« fuhr Jansen fort. »Und soll ich dir noch mehr sagen?«

»Noch mehr, o Himmel!«

»Er hat auch auf dem Schoß von der Kaiserin gesessen! Die Kaiserin hat ihn geküßt ...«

»Aber, M'neer!«

»Geküßt auf alle beide Backen!«

Nach Wien, nach Wien! rief alles, was da Stimme hatte in Walthers Gemüt. Mit geographischer Anstrengung legte er sich die Frage vor, ob wohl Haarlem auf dem Wege nach diesem entzückenden Orte läge.

Jansen freute sich kindlich über sein Erstaunen. Dies wurde auf die Spitze getrieben – ach, und zugleich vernichtet – durch die Fortsetzung und den Schluß dieser Historie.

»Die Kaiserin stopfte ihm die Taschen voll ...«

»Eh?«

»Mit Zuckernüssen.«

Hier brach Jansen in Lachen ans, sodaß die Vorübergehenden erschraken. Aber es war schwer, nicht zu lachen bei dem dummen Gesicht, das Walther machte, und darum war es ja dem guten Pater auch zu thun gewesen, denn er liebte Fröhlichkeit. Nachdem er sich noch einige Augenblicke um die Erklärung hatte bitten lassen, fuhr er endlich fort:

»Ich will dir's nun nur sagen. Dieser Klavierspieler war eben erst sechs Jahre alt und 'n sehr lieber Junge. Pastor Kuns hat mit 'm studiert – später, weißt du – und sie sind sehr gute Freunde geworden. Ich sagte dir ja schon, daß er 'n Kyrie für ihn gemacht hat. Sie haben zusammen studiert auf'm Jesuiten-Kollegium ...«

Walther schauderte protestantisch.

»Da kriegen wir unsere klügsten Menschen her. Aber immer trifft's nicht, denn ... ich bin auch da gewesen. Ach, was machtest du für 'n Gesicht, wie ich dir von den Zuckernüssen erzählte! Aber ... ich will dir von dem Kyrie sagen. Wenn Kuns daß singt ... o! In seinem Zimmer, mein' ich, denn in der Kirche thut er's nicht gern. Die Stine hat dabei geheult, denn 's ist sehr hellhörig bei uns, wir können bestens einander seufzen hören ... aber ich seufze nie. Warum soll ich seufzen? Also, die Stine heulte, und ich bekam Gänsehaut. Und weißt du, was ich dabei dachte? Ich dachte: Gott, Gott, was bin ich für 'n Stümper neben Pastor Kuns!«

»He, M'neer!«

»Ja, 's ist die Wahrheit. Aber ich bin wieder viel stärker von Bau und Rippen. Das ist auch was, wie? Gott bewahre mich vor Undankbarkeit!, Wenn mein Vater mich auf die Schmiede gethan hätte, wäre ich wohl so stark geworden wie mein Bruder, aber die Theologie macht 'n Menschen 'n bißchen waschlappig, findst du nicht? Und trotzdem ... stell' dir vor, ich hab' zu Haus' 'ne Vulgata. Da steht was drin! Sie ist in Quartformat, so dick, und das im Geviert, und in Leder gebunden... 'n ziemliches Gewicht! Und sind Schlösser dran. Die Stine putzt sie immer blank. Na also, ich fasse einen von den messingnen Beschlägen mit 'm kleinen Finger, und die Stine sagt Paternosters auf, und ich halt meine Vulgata – immer mit dem einen Finger, mußt du dir denken – bis quotidianum beim drittenmal. Und Stine ist nicht mal sehr flott mit ihren Paternostern. Wenn ich sie selbst aufsagte, kam' ich gewiß bis zum remitte beim vierten, oder vielleicht gar bis Amen. Aber ich muß dazu sagen, daß wir Katholiken kein Reich und Kraft und Herrlichkeit haben. Da geht also 'n bißchen ab. Und ... in der Vulgata ist nichts Apokryphes. Mit 'ner protestantischen Bibel thät' ich's wohl lassen, das kannst du dir denken!«

Nun, das konnte sich Walther eigentlich nicht denken: er begriff nicht alles. Trotzdem nahm er die Schlußfolgerung gutmütig an. Er war überzeugt, daß Pater Jansen in seinem kleinen Finger ganz besonders stark war, und für diese Überzeugung wäre er in den Tod gegangen.

»Ja, 's ist 'n Ding, wie? Und das kann nun wieder Pastor Kuns nicht. So siehst du, daß Gott immer jedem das Seine giebt. Aber ich hab' der Stine verboten, 's ihm zu sagen. Er könnt' sich drüber ärgern, weil er's nicht nachmachen kann. Und das ist doch nicht nötig, denn so etwas kommt in unserem Fach doch höchst selten vor. Aber einmal ist mir's doch recht zu paß gekommen ... nicht die Bulgata, meine ich, sondern daß Gott mich so stark gemacht hat. Er thut nichts umsonst, halt' daran nur fest! Stell' dir vor, ich war auf'm Seminar, und da wohnte auch 'n Bauer in der Nachbarschaft, 'n reicher Bauer. Er hieß Koremans, aber er war sehr reich, und er hatte viel Arbeiter in seinem Dienst, Knechte und Mägde, alles Bauersmenschen, das kannst du dir wohl vorstellen. Eine von den Mägden hieß Trineken, und ich dachte, daß Koremans gut und mild wäre ... indessen ... ich hab' kein Vergnügen dran, dir das zu erzählen. Wozu auch? Lieber erzähl' ich dir 'ne andere Geschichte, etwas von ihm, von Pastor Kuns. Das mußt du hören!«

Es verdroß Walther, daß er von Trineken nichts erfahren sollte. Bei aller Ehrerbietung vor den Talenten des Pastor Kuns, er gab doch dem Bauernmädchen den Vorzug. Er war in den Jahren, in denen alles, was eine Schürze trägt, interessiert, und in seiner Phantasie stellte er sich die unbekannte Weibsperson wie Femke oder ... etwas Femke Ähnliches vor. Aber er konnte doch dem guten Pater Jansen in der Wahl seiner Gegenstände keine Vorschriften machen, und so horchte er denn sehr aufmerksam, und sogar, ohne daß es ihm Mühe kostete.

»Er war mal an der Reihe mit Predigen,« fuhr der Pater fort, »und er predigte. Den Text weiß ich nicht mehr, aber es war über gute Behandlung. Von dem einen Menschen gegen den anderen, weißt du. Denn das ist eigentlich die Hauptsache bei unserer Religion. Ich predige wohl auch manchmal darüber, aber ... so nicht, da fehlt viel dran! Denn, was passiert? Da saß 'n Mann in der Kirche – 's war 'n Schlächter, verstehst du – der bekam 'n Zufall, und er mußte hinausgetragen werden, und jeder dachte, 's wär' von der Hitze. Aber 's war nicht von der Hitze. Der Mann hatte Stiefkinder, und die behandelte er nicht gut, und er fühlte sich so getroffen durch die Predigt von Pastor Kuns und so sündig, daß er in Ohnmacht fiel. Das ist doch viel von 'm Schlächter, was? Als er dann wieder besser war, hat er seine Stiefkinder vor sein Bett gerufen und sie um ihre Vergebung gebeten und versprochen, daß er sie nie wieder mißhandeln werde, denn ... das that er früher. Und, weil er 'n Schlächter war, schickte er 'n Korb mit Wurst an Pastor Kuns, und 'n Brief dazu. Kannst dir denken, wie froh wir waren ... wegen der Kinder.«

»Und, M'neer, hat der Schlächter Wort gehalten?«

»Ich denke, ja, denn er wird es gewiß viel schöner gefunden haben, zu seinen Stiefkindern gut zu sein. Aber Kuns wollte die Wurst nicht haben, denn er ißt kein Fleisch, und er sagte, Stine sollte sie zurückbringen.«

»He?« rief Walther, den es dauerte, solch Geschenk abzulehnen.

»Ja ... nicht wahr? 's würde den Mann betrübt haben. Das fand die Stine auch, und ich auch, und darum haben wir die Wurst aufgegessen, denn ich mag Wurst ganz gern.«

»Aber, M'neer, wie war's denn mit der Trineke?«

»Ach, ich hab' mich verschwatzt. Ich hätt' dem Mann seinen Namen nicht nennen sollen, denn 's paßt sich nicht, jemand nach seinem Tode etwas Schlechtes nachzusagen.«

»Was hat er denn gethan mit der Trineke?«

»Gethan? Nichts. Ich will's dir erzählen, aber sprich nicht drüber. Vielleicht leben noch Enkelkinder von ihm, und was thätst du sagen, wenn einer von deinem Großvater schlecht spräche? Koremans war gerade nicht schlechter als andere Bauern, und darum wär' es unrecht, seinen Namen zu beschimpfen, aber was wahr ist, ist wahr! Er war sehr reich, und gut für die Kirche, o sehr! In unserer Kapelle – denn wir hatten 'ne Kapelle auf unserem Seminar! – hing 'n messingner Sebastian, mit 'm Leib voller Pfeile, Wohl tausend Pfund schwer ... na also, der war von ihm. Und gastfrei war er, wenn wir 'n besuchten ... da hast du keinen Begriff von. An Brot und Käse und Buttermilch war nie Mangel, und wenn selbst zwanzig kamen... so 'n rechter Überfall! Und seine Töchter setzten Rosinen mit Branntwein auf, und da tranken wir Seminaristen, daß 's 'ne Art hatte. Aber das gab's bloß, wenn Festtag war, Taufe oder Ostern oder Hochzeit. Und einmal sollte eine von seinen Töchtern heiraten... 's war die dritte, denn da die Mädchen viel mitkriegten, wollt' sie jeder haben – und wir kamen glückwünschen, und wir wurden bestens aufgenommen, aber die Braut sah sauer, und wir tranken Branntwein mit Rosinen, und 's ging hoch her ... bis auf die Braut! Auf einmal aber ... ach, junger Herr, ich hätt's dir eigentlich nicht erzählen sollen. Du versprichst mir doch, daß du's ganz gewiß niemand erzählen wirst?«

»Nie, nie, M'neer, auf mein Ehrenwort!«

»Was? Nun, du versprichst es, das ist genug. Daß mir die Sache gefallen hat, ist wahr, und noch! Denn du wirst hören, wie stark ich gewesen bin, und ich war noch nicht einmal vollständig ausgewachsen. Du verstehst, ein Junge in Theologie zwei ist noch nicht viel Manns. Also, wir aßen und tranken, und nachher sollte getanzt werden. Das durften wir eigentlich nicht, und wenn's in 'm anderen Hause gewesen wäre, hätten wir gewiß Strafe bekommen. Aber bei Koremans .,. da sah der Rektor 'n bißchen durch die Finger, wegen des Sebastian, weißt du, und wohl auch, weil er manchmal in seinem Wagen in die Stadt fuhr und Sahnenkäse bekam. Ich war ganz toll aufs Tanzen ... in jener Zeit. Jetzt that's nicht mehr gehen! Und ich sollte mit der Braut tanzen, die ich gern gehabt hatte ... früher. Und sie hielt auch viel von mir, das weiß ich ganz gewiß. Gerade wie wir anfangen wollten, merkte ich, daß Trineken nicht da war, und ich fragte: wo ist Trineken? Denn sonst war sie immer da, ganz wie die anderen Knechte und Mägde, aber nun war sie nicht da. Und das sah ich, und ich fragte Lieschen danach und Koremans selbst auch. Lieschen war die Braut, weißt du, die mit mir tanzen sollte, und zwar zu allererst, weil ich gegen ihren Zukünftigen 'ne Wette gewonnen hatte ... auch über Körperkraft. Trine ist krank, sagte Koremans, na, leg' nur los mit Lieschen. Trine ist krank? fragte ich, wo ist sie denn? Denn das wollt' ich wissen. Und ich sagte, ich fange mit Lieschen nicht an, ehe ich nicht weiß, wo Trineken ist.«

Walther erwartete nun ein ländlich Drama, mit ... etwas Liebe darin. Sehr viel konnte es nicht sein, das verstand er wohl, wegen des Wirkungskreises, den der Held einschlagen sollte. Aber dieses Bedenken kitzelte seine Neugier um so mehr. Er zauberte sich den jungen Menschen vor, der noch nicht ganz zum geistlichen Bewußtsein durchgedrungen war, wie er zwischen zwei-, dreierlei Pflichten stand, zwischen Eheversprechen vielleicht und Glaubenstreue, zwischen Trineken, Lieschen und Theologie. Und im Hintergrunde zeigte sich die finstere Gestalt des Bräutigams, der bereit stand, bei dem geringsten Übergriff nach Lieschens Seite hin den glücklichen Seminaristen todunglücklich oder lieber gleich tot zu schlagen. In beinahe allen Dorfgeschichten, die Walther gelesen hatte, trug sich die Sache ungefähr so zu. Oder sollte Pater Jansen den Bräutigam niedergeschlagen haben? Ein Mensch führt tolle Dinge aus, wenn er verliebt ist, und noch dazu so sehr stark.

»Nun muß ich dir was sagen, junger Herr, was mir in der Seele leid thut ...«

»Ich werde wahrhaftig niemals darüber sprechen,« versprach Walther, der meinte, das Geheimnis eines Mordes hüten zu sollen, und Furcht hatte, daß Jansen die Geschichte abbrechen würde.

»O, das kannst du wohl erzählen. 's kann manchmal nützlich sein, daß man's weiß. Ich wollt' dir sagen ... aber 's thut mir leid ... daß die Bauern ... manchmal nicht sehr gut umgehen mit ihrem Gesinde. Diese alte Trineke ...«

»He?«

»Diese alte Trineke konnte kaum noch fort, und ich hatt' schon mehr gemerkt, daß man sie zurücksetzte und wegschickte, wenn etwas Fröhliches auf der Diele war. Und ich fragte wieder, wo Trineke wäre, und sagte, daß ich nicht tanzen wollte, ehe ich nicht wüßte, was ihr fehlte. Wie ich nämlich das vorige Mal bei Koremans war, hatte ich gemerkt, daß sie sehr hustete, und daß sie noch schwächer war als sonst. Sie ging auch 'n bißchen lahm, denn sie hatte schwer gearbeitet, ... ach, schon bei Koremans Eltern! Und darum fragt' ich, wo sie wäre. Sie ist zu Bett, sagte Lieschen, und ich begreif' nicht, was du dir mit dem alten Geschöpf für Sorgen machst; komm und tanze! Und sie winkte dem Spielmann, daß er anfangen sollte. Aber ich lief weg, um Trineke zu suchen, denn mir war, als ob Gott mir eingäbe, – das ist manchmal so – daß sie schlecht behandelt würde. Und Lieschen hinter mir her! Und Koremans auch! Du mußt nun nicht schlecht von dem Mädchen denken, daß sie mir nachlief. Es war bloß, weil sie nicht wollte, daß ich Trineke finden sollte, und wissen, wo sie lag. Denn ... sie lag im Stall! Und ich stand vor 'm Stall und fragte: ist sie hier? Aber Koremans traute sich nicht zu antworten, und Lieschen rief wieder: was hast du denn mit dem alten Geschöpf? Aber ich sagte: mit dir tanz' ich nicht! und das schmerzte sie. Dann fragte ich Koremans, ob er die Thür des Stalls aufmachen wollte? Nein, sagte er, und da ist sie nicht! Und ich sagte, daß sie wohl da wäre, und fragte ihn nochmals, denn man muß dem Menschen immer Zeit lassen, sich zu bessern. Das thut Gott auch. Aber er sagte wieder: Nein, und Lieschen wollte mich festhalten, aber ich schubste sie beiseite und setzte meine Schulter gegen die Stallthür, daß es krachte, und ... drin war ich, denke dir! Findst du das nicht stark? Ich freu' mich noch drüber.«

»Und Trineke, M'neer?«

»Gewiß, da lag sie wie 'n Reisender aus des Herrn Schrift! Es war schrecklich anzusehen. Sehr lange hat sie ja nicht mehr gelebt, aber ... sie ist doch in 'm christlichen Bett gestorben, wie sich's gehört. Denn ich hab' Koremans vorgenommen, das versichere ich dir. Ich sagte, daß Gott ihn zerbrechen würde, wie ich die Stallthür zerbrochen hätte ... nein, noch viel schlimmer! Und ich sagte – mit 'm schweren Fluch dabei – daß ich weder Teller noch Becher in seinem Hause wieder anrühren würde, bevor nicht Trineken auf einem Bette lag, mit 'm Doktor davor und Medizin auf'm Fensterbrett, 's geschah, höre! O, ich hab' viel gesagt! Auch über diesen Sebastian ... denn auf den war er sehr stolz, und jeder, der in die Gegend kam, mußt' es wissen, daß der Sebastian in unserer Kapelle von Koremans war. Ich sagte: denkst du, daß Gott mit messingnen Puppen gedient ist? Diese alte Trine hat mehr Pfeile im Leibe, als der Sebastian je gehabt hat, denn sie ist ganz schwach davon, und du kannst so'n Menschen auf Stroh legen in deinem Stall? Da leg' deinen Sebastian hin, der weiß und fühlt nichts davon, denn er ist bloß von Messing, und die lebendige Trineke steht dir näher. Sie hat dich aus 'm Graben geholt, wie du noch so'n Hosenmatz warst, aber was hat denn der heilige Sebastian je für dich gethan? Er war 'n heiliger Mann, aber du mußt auch 'n bißchen heilig sein und deine Leute nicht in den Mist legen. Wer denkst du denn, daß du bist, weil du Geld hast und Kühe und Land? Gott hat viel mehr als du, und wenn er will, kann er Trineken wohl hundert Bauerngüter geben, wo deins drin ertrinken kann. Es ist Gottes Wille, daß sie nichts hat und du viel, aber wenn's ihm in den Kopf kommt, kehrt er's um, und giebt dir Husten und Gicht und allerlei Gebrechen mehr. Willst du dann auf Stroh liegen wie 'n Schwein? So hab' ich gesprochen, und ich sagt' noch viel mehr, und gab lateinische Sprüche hinein, denn dagegen kann 'n Bauer nichts machen. Auch sagt' ich ihm, daß er in die Hölle kommen würde, aber ich weiß nicht genau, ob das wahr war. Du mußt denken, ich war erst in Theologie zwei. Ach, es gehört viel dazu, um immer alles genau zu wissen von Gott und göttlichen Dingen! Es ist 's schwerste Fach von der Welt, und ich war nie sehr weit drin. Dieser Koremans hätt' mal Pastor Kuns vor sich haben sollen, der hätt' ihm anders eingeheizt! Aber Kuns hätte wieder die Stallthür nicht so schnell aufgekriegt ... krach, da lag sie! Die Angeln waren ganz verbogen.«

»Und Lieschen, M'neer!«

»Sie war sehr traurig, daß ich so heftig gewesen war, und wie Trineken auf'm Bett lag, fragte sie, ob ich nun mit ihr tanzen wollte? Aber ich wollte nicht. Und da brachte sie Trineken 'n Glas Branntwein mit Rosinen und Korinthenkuchen, das ist sehr stärkend bei den Bauern, und dann fragt' sie wieder, ob ich nun mit ihr tanzen wollte, und ich that es, aber ohne viel Vergnügen. Ich schob bloß so 'n bißchen hin und her, und Lieschen war auch anders. Und sie wollte ihre Hochzeit verschieben, aber Koremans war böse drum, und ihr Schatz auch. Ich glaub', er mochte mich nicht leiden ... gewiß um jene Wette.«

Hier schwieg Jansen einen Augenblick. Es schien, als wären seine Gedanken nicht so fröhlich wie gewöhnlich. Vielleicht schoben sie auch bloß so 'n bißchen hin und her, aber ohne viel Vergnügen.

Walther war grausam genug, diesen langsamen Gang der Gedanken des alten Mannes etwas anzutreiben. Ja, er erwartete sogar einen flotten, selbst einen gefährlichen Sprung. Die Unkenntnis der Jugend ist grausam – dies Alter ist ohne Mitleid – und Walther wußte nicht, was er that, als er fragte:

»Und ist Lieschen mit ihrem Schatz getraut worden?«

»O ja, gewiß, gewiß! Warum sollte sie nicht mit ihm getraut worden sein? Alles war ja abgemacht und fertig. Aber sie versprach mir vor allem, daß sie zu ihrem Gesinde gut sein würde. Ich hatte sie nämlich darum gebeten, aber ich sagte ihr, daß ich das mit der Hölle nicht ganz genau wüßte, weil ich noch in Theologie zwei war. Ja, nicht wahr, ich durfte mich doch nicht höher ausgeben, als mir zukam, und warum soll man so 'm Mädchen für nichts 'n Schreck einjagen, wenn ich etwa unrecht hatte? Sie sagte aber, 's wär' keine Hölle dazu nötig, und sie würde immer ganz gut sein, wenn sie mir es nur versprochen hätte. Nun, sie meinte es auch so, denn sie gab mir 'n herzlichen Kuß drauf ... ach, sie weinte so!«

»Warum weinte sie so, M'neer?«

»Du mußt dir denken, der eine Mensch ist nicht wie der andere, und manchmal hat man böse Wallungen. Vielleicht weinte sie, weil ich so heftig gegen ihren Vater gewesen war, und das war gut von ihr, denn 'n Kind muß immer für seine Eltern Partei nehmen. 's fing schon an, wie ich Trineke auf'n Arm nahm ...«

»Haben Sie das gethan, M'neer!«

»Ja, gewiß, ich war der stärkste von allen zusammen, und 's Bett war oben im Hause. Wer sollte sie die Treppe hinaufgetragen haben, ohne ihr weh zu thun? Sie war bloß noch Haut und Knochen, und alles that ihr weh. 's war Koremans' eigenes Bett ...«

»Ah!«

»Da bestand ich drauf! Ich blieb dickköpfig und sagte, 's müßte so sein, oder ich würde 'n umgekehrt Jerusalem aus seinem Hause machen. Und Lieschen wollte ihr Bett abtreten, aber ich sagte: nee, in seins! oder ich komme nie wieder her! Und ich sagte dann noch 'n ganz grobes Wort zu ihrem Vater. Du bist 'n rauher Esau! sagte ich ... und darum wird sie wohl geweint haben.«

»War sie 'n ... liebes Mädchen, M'neer?«

Diese Frage schwebte Walther schon lange auf den Lippen; aber das Schwanken zwischen den Worten »hübsch« und »schön« ließ ihn jedesmal stocken. Und es kam ihm auch einem Geistlichen gegenüber zu gewöhnlich vor, den einen Ausdruck zu nehmen, während wieder der andere buchmäßig erschien. Aber unser kleiner Romanleser wollte doch gern etwas von Lieschens Äußerem wissen, und er kleidete seine Neugier nach diesem Hauptpunkt der Sache so würdevoll ein, als die Umstände es zuließen.

Aber auch Jansen hatte gewisse Rücksichten zu nehmen. Nicht Walthers wegen, wenigstens nicht mit Absicht, sondern, ohne etwas davon zu wissen, gegen seine eigene Fleckenlosigkeit. Von »schön« oder »nicht schön« war denn auch bei ihm keine Rede. Noch mehr: er dachte nicht daran, er wußte es nicht einmal.

»O ja,« sagte er, »sehr lieb. Und fromm auch, Sonn- und Feiertags, das muß ich sagen. Aber die Heiligkeit des ehelichen Standes wollte sie nicht fassen. Es ist bei uns 'n Sakrament, mußt du wissen, und das sagt' ich ihr. Aber sie war nicht damit zufrieden und sagte, sie wollte ihre Hochzeit lieber verschieben, bis sie ihre Christenpflicht besser kennen würde, sagte sie. Und sie fragte, ob ich ihr darin helfen wollte? Aber ihr Schatz hatte keine Lust dazu, und sagte, er wisse schon Bescheid, und da gab ich ihm 'n Buch, wo alles drin stand. Aber ach, sie ist nach ihrer Hochzeit mürrisch und krank geworden und hat nicht mehr lange gelebt. Kurz vor ihrem Tode ließ sie noch fragen, wie es Trineke ging, und ob ich das arme Wesen wohl auch treulich besuchte. Nun, das that ich, und Lieschen wird sich darüber gefreut haben.«

»Und M'neer, besuchten Sie Lieschen nicht?«

»Nein, denn ihr Mann war nicht sehr freundlich, wie ich nach ihr fragte. Ich glaube, er hatte Sorge, daß ich noch jemand mitbringen konnte, den er vielleicht lieber nicht sah. Denn Lieschen ... sieh, die Sache war so. Im Dorfe sagte jeder einzelne, daß sie lieber 'n anderen gehabt hätte, wenn sie's man gewagt hätte zu sagen. Aber das durfte sie gerade nicht, weil dieser andere von der Kirche war!«

»He?« fragte Walther, der es auch zu wissen meinte.

»Ja, aber sag's niemand. Ich hatte 's lang gemerkt, daß sie so genau Bescheid wußte mit unseren Ausgängen, und wenn wir zur Buttermilch kamen, stand sie am Fenster. Auch manchmal hinter der Hecke, aber sobald wir in die Nähe kamen, ging sie hinein, ganz wie jemand, der es nicht wahrhaben will, daß er ausgeschaut hat. So sind die Mädchen, und das wußte ich ganz gut, denn nirgends lernt man so viel Menschenkenntnis als auf'm Seminar. Nun, daß sie immer so ausschaute, war gewiß um Krüger, 'n besten, besten Jungen! Und daß ihr Mann so brummig gegen mich war, wird gewiß auch um Krüger gewesen sein. Vielleicht dachte er, daß ich ihn einmal mitbringen könnte, und das hätt' ich vielleicht auch einmal gethan, denn Krüger war mein bester Freund und hielt beinahe so viel von Lieschen wie ich. O, sehr viel!«

So weit war Jansen mit seinen vertraulichen Mitteilungen gekommen, als sie das Haarlemer Thor erreichten.

Walther hätte gern mehr von der rührenden Tragödie gehört, die eine der Hauptpersonen nicht richtig zu verstehen schien. Er fühlte, daß Jansen eigentlich wohl mehr erzählt hatte, als er sich selbst erlaubte zu wissen. Oder wußte er mehr?

Während sie durch das düstere Bogenthor schritten, hatte der Mann geschwiegen. Das eigentümliche Geräusch, das durch das Gewölbe dröhnte, machte das Sprechen schwer.

Als sie aber wieder in die freie Luft kamen, klagte Jansen über den schrecklichen Zug, der ihm die Augen voll Sand geweht hatte.

»Würdest du's wohl glauben, junger Herr, daß sie davon thränen? Und ich bin auch müde. Ja, ja, ich bin heute schon etwas herumgetrabt und ich möchte mich gern einmal hinsetzen. Aber ... was ist denn da los?«

In der That ... es gab einen Krawall bei dem Anlegeplatz der Schuit, des Schiffes, das die »Haarlemer Fahrt« entlang die Verbindung zwischen den beiden Städten vermittelte. Unsere beiden Wanderer beschleunigten ihren Schritt, um so schnell wie möglich zu wissen, was es gab.

Was mich selbst betrifft, so meine ich in diesem Kapitel mein Versprechen eingelöst zu haben, daß ich einmal eine Probe von Pater Jansens Art zu Predigen geben würde, und ich füge das ganz ausdrücklich hinzu, um nicht diesen oder jenen Unkundigen in dem Wahn zu lassen, daß er eine Idylle gelesen habe.


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