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Wie Walther seine Besorgungen machte, und welchen Erfolg er bei den Damen hatte. Beiträge zur Naturgeschichte des Hauses Kopperlith.

Walther machte seine Bestellungen so gut wie möglich, ja sogar sehr nett. Alle Mädchen, die ihm die Thüren öffneten, fanden, daß er ein manierlicher Junge war. Immerhin etwas.

Zu meinem großen Verdruß kann ich nicht einmal sagen, daß er sich durch die sonderbare Manier, wie man über seine Talente verfügte, gedrückt fühlte. Er kannte seine Talente gar nicht und kam sich nicht im mindesten erniedrigt vor. Er war sogar froh, die Außenluft zu atmen und seine Glieder bewegen zu können. Er hatte das Gefühl, als wäre ihm das Rückgrat eingeschlafen, und als würde ein wenig Bewegung ihm ganz gut thun.

Noch eins: er fühlte sich im Amt, und er hätte nichts dagegen gehabt, wenn man ihm einen Kragen um den Hals gehängt hätte, mit der Aufschrift: »Dieser Jüngling wandelt des Herren Straße im Dienste der Firma Ouwetyd und Kopperlith.« Nicht ohne eine gewisse Nichtachtung sah er die vielen Menschen an, die auf einen solchen Kragen kein Recht hatten.

Als er, nach den allerlei anderen Verrichtungen, auf der Liliengracht landete – auf der ganz vornehmen Seite – und geklingelt hatte, an dem famosen Hause mit den Spiegelscheiben, von vierzehn Fuß Breite – ich meine das Haus – merkte er sofort, daß er durch die Fenster beobachtet wurde, genau so wie ein paar Stunden früher auf jenem anderen Vortreppchen.

Die Dame aber, die ihn hier betrachtete, hatte ein viel angenehmeres Äußere als die »alte Mevrouw« von der Kaisersgracht. Julie Hüddewitz, erst seit einigen Monaten Ehegenossin des Herrn Pompilius, war ein junges Ding und hatte noch nicht genügend Erfahrung in Amsterdamer Steifheit und der hohen Würde ihres Herrn Gemahls, um sofort zu wissen, was einem Comptoirlehrling zukommt und was nicht.

Sie ließ Walther hereinkommen und vergaß sich in ihrer Formlosigkeit so sehr, daß sie ihm nicht nur eigenhändig den liegenden Jagdhund abnahm, sondern sogar an Walther die Frage richtete, wie er die Zeichnung fände?

Eine der Ursachen ihres fehlerhaften Benehmens lag darin, daß ihr Vater – ein Deutscher, der ein paar »feine Coups« in Kaffee gemacht hatte – selbst Comptoirjüngling gewesen war und noch nicht lange genug in Holland festsaß, um zu wissen, daß man sich mit so einem Wesen nirgends anders einläßt als auf dem Comptoir. In anderen Ländern nämlich betrachtet sich der Prinzipal erst dann als aus anderem Teig geknetet, wenn der »Commis« etwa durch eine Heirat sich dem niederen Stande einverleiben läßt; er hat sich dann seine Deklassierung selbst zuzuschreiben. In Niederland aber nimmt die Abschließung schon lange vorher ihren Anfang, eigentlich schon vor der Geburt. Für einen Knaben, der dort das erste Lebensdunkel erblickt – Dichter, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, sagen »das Licht« – liegt die Möglichkeit vor, General zu werden, Seeheld, Planeten-Entdecker, ein weltberühmter Künstler, Träger des vaterländischen Ruhms – alles kann er werden, nur nicht Mitinhaber der Firma Ouwetyd und Kopperlith! Um das zu erleben, mußte man sein eigener Enkelsohn werden, denn – das will ich anerkennen – im dritten Gliede glückt es wohl einmal einem geschickten Abenteurer, es in Vergessenheit zu bringen, daß sein Urgroßvater schrecklicherweise etwas anderes gewesen ist als »Chef.«

Das alles wußte Julie Hüddewitz ganz gut, aber es war ihr noch nicht recht in Fleisch und Blut übergegangen, und darum ließ sie sich an dem wichtigen Montag, dessen Ereignisse ich schildere, so weit herab, unvorsichtigerweise nach Walthers Ansichten über jenen Jagdhund zu fragen. Ich weiß nicht, ob sie jemals Töchter zur Welt gebracht hat – wenn aber, so haben sich diese gewiß niemals so weit vergessen. Ein erhabenes Geschlecht macht Platz für noch erhabenere Geschlechter.

Wenn Walther eine Ermutigung brauchte beim Eintritt in seine neue Laufbahn, dann wäre sie ihm wahrscheinlich durch die große Herablassung der Mevrouw Kopperlith-Hüddewitz geliefert worden. Eine Dame in einem Hause mit Spiegelglas, auf der Liliengracht, vornehme Seite, hatte ihn nach seiner Meinung gefragt. Das gab ihm denn auch einen so hohen Schwung, daß er beinahe eine der thörichtsten Antworten gegeben hätte, auf die man verfallen konnte. Aber sie kam ihm zuvor:

»Drei Gulden sechzehn? Findest du's nicht etwas teuer?«

»O Mevrouw ...«

Und es lag ihm auf der Zunge zu sagen: »Darf ich wohl ein paar Dübbeltjes von diesem entsetzlich hohen Preise auf meine Kappe nehmen?« Aber er bedachte noch beizeiten, daß er von diesen Paar Dübbeltjes gerade das erste nicht besaß, und begnügte sich daher mit der Bemerkung, daß er von Stickmustern nicht viel verstände. Selbstverständlich nahm er sich vor, diesen Zweig des Wissens von jetzt an zum Gegenstand eines ganz besonders sorgfältigen Studiums zu machen. Einstweilen beschränkte er sich auf die Frage:

»Wünscht Mevrouw, daß ich vielleicht noch einmal bei Jüffrau Lins versuche ...«

»Na gewiß. Geh' noch einmal zu Jüffrau Lins fragen, ob's nicht billiger geht, etwa für ... drei Gulden zwölf? Oder, wenn's möglich ist, für drei Gulden zehn?«

Und mit diesem geisterhebenden Auftrag trabte Walther nun durch den Schmutz. Es hatte nämlich nach all der Hitze schwer geregnet, und die Straßen sahen ganz amsterdamisch aus. Einen Regenschirm hatte er nicht, und er verdarb dreimal mehr an Schuhwerk und Kleidung als die vier Stüber wert waren, die er wirklich in dem Tapisseriegeschäft abzuhandeln verstand. So gewissenhaft erfüllte er an diesem Tage seine nächstliegende Pflicht, oder was der arme Junge wenigstens dafür hielt.

Jüffrau Lins fragte nachher ihre Ladenmädchen:

»Was war denn dem Jungen? Der sah ja aus, als ob er mich um die Paar Stüber küssen oder ... ermorden wollte?«

Als er von diesem großen Erfolge Bericht erstattet hatte und zum zweiten Male die Treppe des Spiegelglashauses herunterstieg, stand ein Wagen vor der Thür. Das ersparte ihm den Weg nach der Korte-krülle-dwarsstraat, denn im Auftrage der »jungen Mevrouw« rief ihm das Mädchen nach, das wäre die »Britschka« des Mynheer Kopperlith, und der Kutscher wäre der Jakob, an den er eine Bestellung hätte.

Er stellte sich mit Bescheidenheit vor, als der neue »jüngste Bedienstete« vom Comptoir, und sagte, was er zu sagen hatte.

Aus der Britschka leuchtete ein Fleischklumpen heraus, eine Riesin, Hersilia Kopperlith, die schwerwiegende Ehefreude des Elsässers Heinrich Kalbb, der zu Amsterdam Konsul seines Landes war, zugleich Chef eines Handelshauses. Mit anderen Worten: der Mann »machte« in Kattun. Aber bloß in vornehmer Ware, nämlich Mülhauser Kattun. Englische Lappen von Manchester sind nicht so vornehm. Und doch handelte damit, mit großer Anwendung von Seelen- und Geisteskraft, die sehr erhabene Firma Ouwetyd und Kopperlith, Es ist dem intelligenten Leser gewiß bekannt, daß die größten Männer ihre schwachen Seiten haben, und daß niemand so gänzlich in den Styx der Vornehmheit getaucht ist, daß nicht eine verwundbare Stelle bliebe, auf die feigherzige Feinde ihre Pfeile abschießen könnten. Diese verfluchten Manchester-Kattune! Die machten einen Fleck auf dem Ehrenschild der Kopperliths und eigentlich auf dem der ganzen Kaisersgracht.

Es ist nicht vollkommen sicher, ob die Ouwetyds aus der Welt verschwunden sind, zugleich mit dem Fall eines der diversen Babylons, deren Vernichtung schon mehrfach angekündigt worden ist.

Aber auch der Ursprung der Kopperliths ist nicht leicht festzulegen, und die Aufklärung, die etwa durch Nachschlagen in einem griechischen Lexikon gegeben werden könnte, allwo man das Wort »Koprolith« finden kann, muß ich ablehnen.

Von versteinertem Schmutz ist hier gar keine Rede. Denn der Urgroßvater des alten Herrn war Laufbursche bei einem Blumenzüchter gewesen, übte also ein sehr wohlriechendes Amt aus. In den Tagen des Tulpenhandels war dann dessen Sohn ein Paar Stufen gestiegen, das heißt, nicht geistig, aber gesellschaftlich. Eine Generation später wußte der Vertreter der Familie sich auf der Kaisersgracht festzusetzen, und zwar in demselben Hause, in das ich heute Walther eingeführt habe. Der gegenwärtige »alte Herr« erbte von seinem Vater ein Geschäft in indischer Leinwand, und als dann der amerikanische Kattun den Markt zu beherrschen anfing und als die englischen Weber und Drucker in den Wettbewerb eintraten, zog sich der damalige Kopperlith zurück. Das Monopol war einmal futsch, und die Konkurrenz aufzunehmen, hätte geistige Anstrengung erfordert. So etwas war aber »von einem Mann von Vermögen, wie Mynheer Kopperlith« – so sagte Dieper – nicht zu verlangen. Es geschah in den Tagen, daß der junge Herr Pompilius als Prokurist und Chef eingesetzt wurde, doch immer bloß, was den Kattunhandel betraf. Das eigentliche Vermögen des alten Herrn, mit dem damit verbundenen tiefsinnigen Gewirtschafte in Effekten, blieb unter seiner besonderen Hut und Behandlung, worin ihm der alte Dieper mit erstaunlicher Sachkenntnis zur Seite stand. Diesem Umstande hatte Dieper auf dem Comptoir seine besondere Stellung zu verdanken, die er keineswegs verschmähte. Sein Ansehen stand zu dem von Wilkens in demselben Verhältnis, wie ein Fetzen Papier sich verhält zu einem Fetzen Kattun. In unserer Zeit geht nun einmal Papier vor.

Der Handel in Kattun – sie machten in Barchent, Schirting und auch Sheeting – hatte den Zweck, den jungen Leuten Beschäftigung zu geben. Denn »ums Brot brauchten sie es nicht. Wirklich nicht! Durchaus nicht. Papa war ja sehr reich, o sehr reich!«

Wenn nun der Handel mit bedrucktem Kattun – und mit dem Barchent, in dem Wilkens eine Specialität war – als Nahrung für die Seelen der jungen Herren Pompilius und Eugen dienen mußte, und wenn nun diese beiden Seelen gerade keinen Heißhunger hatten, kann man wohl schließen, daß die unsterblichen Teile dieser beiden Ich sehr billig am Leben zu erhalten waren. Die Seele einer Maus wäre dabei verhungert.

Es giebt ... Handel und Handel, das will ich wohl glauben. Aber die Herren vom Fach werden freundlich gebeten, nicht sehr böse zu werden, wenn ich hier öffentlich erkläre, daß das »Geschäft« gewöhnlich nicht sehr über das Fassungsvermögen eines kleinen Jungen geht. Behüte, ich will Walthers Talent nicht übertreiben, aber ich kann dem Leser versichern, daß auf dem Comptoir von Ouwetyd und Kopperlith nichts passierte, was man seiner Einsicht nicht hätte anvertrauen können. Ausgenommen etwa das Schreiben eines Briefchens in gebrochenem Englisch. Auch würde ihm etwas Routine in der Buchführung gefehlt haben. Aber sonst?

Ach, solch »Handel« ist sehr einfach. Man kauft ein für ... so und so viel, und verkauft es ein bißchen teurer, am liebsten für den höchsten Preis, der zu erreichen ist, gemildert durch die Rücksicht, nicht heute jemand abzuschrecken, den man morgen noch einmal hochnehmen will. Und so einen Tag wie den anderen. Tiefsinniger ist die Sache nicht.

Aber was mußte man einkaufen? Hierzu, sollte man denken, war »Kenntnis« nötig, und wenn man Wilkens reden hörte, so war manch ein Haus zu Grunde gegangen, weil es einen Haarstrich-Barchent zu viel oder einen »doppelt gebrochenen Strich« zu wenig bestellt hatte. Dazu gehört übermenschliche Anstrengung. Solche Überschätzung trifft man überall. Nun, Leser, es ist Quacksalberei!

Verstand von Kaffee, Verstand von Korken, Verstand von Lappen und Fetzen – nun, geht doch der Sache nach! Von welcher letzten Instanz hängt denn schließlich das Urteil über diesen Verstand ab? Doch vom Verbraucher! Alle die Fachkenntnis des Herrn Pompilius und des Herrn Wilkens muß doch zuletzt, um endgiltig gutgeheißen oder abgelehnt zu werden, vor das Tribunal des Dienstmädchens, das eine bunte Jacke kauft, und des Bauernmädchens, das sich von seinem Schatz ein bedrucktes Halstuch schenken läßt.

Nach dieser Betrachtung wird manche Aufgeblasenheit gut thun, ein wenig nachzulassen.

Noch einmal: es giebt Handel und Handel – aber die meisten, die das Fach ausüben, stehen doch wohl recht tief in der Entwicklung. Was ist das für ein Lebenszweck, sich in der Behandlung der Frage zu bethätigen: ob die Dienstmädchen dies Jahr sich mit karriertem oder mit gestreiftem Zeug aufputzen werden? Ob man den »Damen« weismachen kann, daß die echte wahre lautere Pariser Vornehmheit der Saison – haute nouveauté, auf Ehre! – sich in Spinatgrün oder Rotkohl oder Käse-Schimmelsilber oder in sonst einer Farbe offenbart, in einer mit möglichst schwierigem Namen?

Indessen, ich nehme es keinem übel, daß er ein unbedeutend Wesen ist. Auch solche müssen sein, um die Lücke auszufüllen, die sonst zwischen dem Menschen und seinem Pantoffel klaffen würde. Aber der Pantoffel soll sich nicht für einen Reiterstiefel ausgeben. Ich kenne einen Menschen, der – mit Hut und hohen Hacken – bloß sechzig Pfund wiegt. Bin ich ihm deswegen böse? Fällt mir gar nicht ein. Aber gewiß würde ich böse werden, wenn er sich mir als Riesen vorstellen würde. Und gewiß werde ich böse, wenn ich sehe, daß Leute, die nichts sind, nichts können und nichts geleistet haben, in der Gesellschaft einen Rang einnehmen wollen, der ihnen nicht zukommt. Sie sind Diebe.

Wer nun nicht gerade in bedrucktem Kattun »macht«, sondern in Tabak oder in Grütze, Rosinen oder Stiefelwichse – wer die Stiefelwichse erzeugt, steht höher – wer nicht gerade in Kattun herumkraucht, braucht deshalb noch nicht zu denken, daß es verboten ist, meine Anmerkungen auf sich zu beziehen.

Lieber Himmel! was sollte mein Verleger böse sein, wenn meine Geschichte nur für Leute Wert hätte, die mit Manchesterschen Stoffe handeln! mit Weißgrund-Dreifarb-Victoria-Fancy von Crawfurth-Leeds, mit einem Kritzelchen oder einem Blättchen oder einem Mückchen, einem Schlängelchen oder sonst einem Nichtschen!

Und in diesen Nichtschen sollte nun Walther studieren, alle die Zeit, die er von Herrn Pompilius' Bestellungen übrig behielt; damit sollte seine Seele gefüttert werden.

Glaubst du nicht, Leser, daß viel Menschenseelen in der muffigen Kopperliths-Atmosphäre zu Grunde gehen? Laß deinen Jungen lieber Handwerker werden oder Matrose!


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