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Skizzen von schlechtriechenden Landstrichen, die tiefer liegen als die Meeresoberfläche. Ein Mann wie Sie, Mynheer! Herr Pompilius zeigt sich weiter in seiner ganzen Liebenswürdigkeit, was Verstand und Herz angeht.

Schon einmal in seinem Leben hatte unser Walther die Beobachtung machen müssen, daß eine Persönlichkeit sich ganz anders ausdrückte, als er erwartet hatte. Das war, als er den guten Pater Jansen bei Frau Claus, der Mutter seiner angebeteten Femke, getroffen hatte. Der ehrwürdige Gottesmann hatte sich so einfach ausgesprochen – wie ... wie ... wie ein ganz weltlicher Sterblicher. Und er hatte es auch dem Knaben nicht weiter nachgetragen, daß in den Konfessionsverhältnissen ein Unterschied war.

Freilich ... es war ein Unterschied. Wohl sprach Pater Jansen ganz anders, als er sich vorgestellt hatte, aber es glänzte so etwas liebenswürdig Gutherziges durch, daß man ihm garnicht widersprechen konnte. Unser Lehrling war in Menschenkenntnis noch nicht erfahren genug, um zu verstehen, wie hoch das Wahre, Menschliche über dem Falsch-Göttlichen steht, aber dieser einzelne Fall war ihm nicht zweifelhaft. Aber wir wollen doch dem braven Pater nicht mehr geben, als ihm zukommt. Wir wollen nicht vergessen, daß das Bekanntschaftmachen mit diesem einfachen Geistlichen begleitet war von einer von Frau Claus' anerkannt trefflichen Butterstullen ... dagegen bot nun das Comptoir von Ouwetyd und Kopperlith nicht den kleinsten Umstand, der auf die Beurteilung der dort geführten Gespräche günstig einwirken konnte.

Keiner von uns ist in der Lage, den Ursprung seiner Eindrücke immer so genau zu bestimmen, oder den Einfluß der verschiedenen Einflüsse gehörig auseinander zu halten.

Die Bekanntschaftmachung mit diesem Stückchen einer neuen Welt, in der Walther anfing sich zu bewegen, war von so unangenehmen Nebenumständen begleitet, daß er Mühe gehabt hätte, selbst die poetischsten Gespräche schön zu finden. Anstatt des fröhlichen Empfangs, den er bei der wackeren Frau Claus immer gefunden hatte, fühlte er sich hier durch eine unbefriedigte Eßlust gequält, die mehr und mehr zunahm. Dazu kam ... nun, wir wollen das häßliche Wort, das mir nicht gern aus der Feder fließt, in den Mund einer der Personen legen, die nicht zu gut dafür sind.

»Sagen Sie, Dieper, finden Sie nicht, daß es hier schrecklich stinkt?« fragte der alte Herr mit rührender Vertraulichkeit.

Der getreue Buchhalter nahm diese Herablassung, wie sie es verdiente. Er vollbrachte die für solche Falle hergebrachten Griffe: Feder in das aufgeschlagene Buch ... ein Schritt rückwärts ... die Hände gerieben ... und:

»Ja, Mynheer, 's stinkt hier wohl ... 'n bißchen.«

Das »bißchen« war köstlich. Es gehörte durchaus dazu, um Mynheer Kopperlith recht zu geben und dabei doch nicht mit der Ehre des Comptoirs in Konflikt zu kommen. So segelt der Weise zwischen Klippen durch.

»Ja, ja, Papa,« bestätigte Pompilius. »Es stinkt hier ganz entsetzlich. Das kommt von den Grachten, nicht wahr, Dieper?«

»Gewiß, junger Herr, 's kommt von den Grachten ...«

Und als ob diese Bezeugung noch nicht genügte, um den jungen Chef zu befriedigen, beschwor der Buchhalter diese Ansicht mit den feierlichen Worten:

»Ich habe die intime Fiktion, M'neer, daß es allein von den Grachten kommt.«

»Ei?« fragte oder sagte Mynheer Kopperlith.

»Ja, M'neer! und ... 's ist so 'ne Moderluft, finden Sie nicht?«

Dieper hätte die Bezeichnung getrost ein paar Grade unanständiger wählen können, ohne der Wahrheit ins Gesicht zu schlagen. Aber ängstliche Genauigkeit war nicht so seine Aufgabe, viel lieber hätte er Mynheers Comptoir von dem bösen Makel reingewaschen. So hatte ja auch am Morgen schon Gerrit das ebenso niedrig gelegene Magazin in Schutz genommen, indem er die Schuld auf die Kanäle schob. Dem war es allerdings weniger um Diplomatie zu thun gewesen, als darum, dem jüngsten Ankömmling einen Beweis seines Scharfsinns zu geben. Vielleicht wollte er überhaupt nur etwas reden, und daraus entsteht ja immer allerlei. Insofern will ich übrigens sowohl Dieper als dem alten Knecht recht geben, daß die beiden Lokalitäten, die jetzt in so schlechtem Geruch standen, gewiß wohlriechend geworden wären, wenn man sie in einen Lusthof des Hymettos hätte verpflanzen können.

»Wenn ihr die Fenster aufmachtet?« schlug der alte Herr vor.

»Ach nee, Papa! Nur das nicht! Das geht nicht, Papa! Ich will dir sagen, Papa ... erstens, Dieper kann den Zug nicht vertragen. Nicht wahr, Dieper?«

Dieper faßte sich an den Kopf:

»Reißen, M'neer! Reißen!«

»Und dann, Papa, wenn wir hier frische Luft hereinlassen, dann kommt sofort so ein entsetzlicher Gestank vom Hofe.«

Mehr Gründe, um die »frische Luft« auszuschließen, wird es wohl nie gegeben haben. Der alte Herr beruhigte sich denn auch, und Pompilius, der Gelegenheit sah, die verpestete Atmosphäre als Bundesgenossen zu gebrauchen – ihm war eben nichts zu gering – und als Mittel, um sein Ziel mit den Pleiers und den Hockers und den Krückers zu erreichen, brachte sehr geschickt das Gespräch auf etwas anderes.

»Die Sache ist, Papa, daß du im Juli längst draußen sein müßtest! Nicht wahr, Dieper?«

»Gewiß, junger Herr, gewiß! Ja, Mynheer, ein Mann wie Sie, Mynheer, der müßte schon lange draußen sein!«

Das Lächeln, das der alte Herr Kopperlith bei dieser Gelegenheit über die Bösen und Guten seines Comptoirs aufgehen ließ, war Geld wert. Doch nicht um der Seltenheit willen, denn Dieper konnte es, so oft er wollte, hervorrufen. Es brauchte dazu, bloß ein demütiges: »ein Mann wie Sie, Mynheer!« Aber er war viel zu geschickt in seiner Eigenschaft als dauernd Untergebener, um den Kitzel seiner Schmeichelei durch Übermaß abzustumpfen. Öfter als zweimal am Tage sagte er es nicht. Und so oft konnte der Alte es auch vertragen, ohne auf die scheußliche Idee zu kommen, daß der Buchhalter ihn für verdreht hielt. Ach, Dieper hätte noch weiter gehen können; aber der Mann war ein Freund der goldenen Mittelstraße, ein Feind der Übertreibung.

Es war übrigens kein Element des Spottes in der Huldigung, die er ziemlich regelmäßig auf dem Altar der Kopperlithschen Höhe niederlegte. Sein Stolz beim Betreten der Gegend, die er selbst bewohnte, hatte nichts gemein mit der Gemütsstimmung, sobald er den geweihten Grund der Kaisergracht berührte, wo es so abscheulich ... ein bißchen stank. Er heuchelte ebensowenig wie der Bulldogg, der, wild und bösartig unter seinesgleichen und Fremden, sich demütig niederstreckt zu den Füßen seines Herrn.

Oberflächliche Seelen-Entzifferer denken viel zu oft an Heuchelei, wenn sie jemand sich selbst ungleich auftreten sehen. Gerade diese Ungleichheit ist bei sehr vielen die richtige Konsequenz der allergewöhnlichsten Charakterlosigkeit.

»Ein Mann wie Sie, M'neer, müßte schon lange draußen sein, nicht wahr, junger Herr?«

»Ja, Papa. Die Saison geht vorüber, Papa!«

»Das ist wahr, Pompilius. Aber ... wenn doch Mama nicht reisen kann ... was kann man da machen? Ich hör' von Gerrit, daß Mama wieder sehr schlimm ist, sehr schlimm, Pompilius!«

Das hatte er von Gerrit gehört. Der unschuldige Leser, der niemals an den Hof von Spanien eingeladen worden ist und daher auch wenig Begriff haben kann von Kopperlithscher Etikette, ist gewiß erstaunt, wie man sich über den Gesundheitszustand seiner Frau durch den Hausknecht unterrichten lassen kann.

Man bedenke, daß, bis auf eine kleine Ausnahme, von der wir noch sprechen werden, nur sehr wenige Sterbliche zu dem Flügel, in dem »Mevrouw« hauste, Zutritt hatten. Da war eine Jüffrau, die ihr Gesellschaft leistete, und eine Kammerzofe fürs Aus- und Ankleiden und fürs Aufputzen. Denn aufgeputzt wurde sie auch. Aber diese beiden Leibsklavinnen waren nicht kräftig genug, um das träge Geschöpf aus dem Bett auf den Rollstuhl zu schleppen, auf dem sie dann nach dem vorderen Fenster des »Seitenzimmers,« das wir kennen, gekarrt werden mußte. Schon vor Jahren hatte man über diese Schwierigkeit im Comptoir- und Familienrat verhandelt, mit dem kanonischen Erfolg, daß der auch damals schon nicht mehr ganz jugendliche Gerrit als geschlechtslos betrachtet werden sollte, – eine ehrende Auszeichnung, die ihm den Zutritt zum Harem verschaffte. Man bedenke, daß es da dunkel war, und die Sultanin außerdem schon Großmutter. Das genügte den Bedürfnissen um so mehr, als es zusammenfiel mit der fortgesetzten Notwendigkeit, Gerrit mit Besorgungen zu beauftragen.

Während Walthers erster Zeit wurde er nicht recht klug daraus, wenn eins der Mädchen oder die Kammerjungfer Gerrit suchen kamen: »'s ist, weißt du, um Mevrouw zu fahren ... sie will 'raus« oder »sie will 'rein.« Auch verstand er nicht ganz, was der Ruf bedeuten sollte: »Gerrit, Mevrouws Bücher umtauschen.« Aber alles das lichtete sich. Das ewige Bücherumtauschen stand im Zusammenhang mit ihrer Langeweile. Sie war auf drei Leihbibliotheken zugleich abonniert und verschlang darin alles, was französisch war. Daß weder von ihr noch von den anderen Familienmitgliedern je ein Pfennig ausgegeben wurde, um ein Buch zu kaufen, versteht sich von selber. Von einer Bibliothek war im Hause Kopperlith keine Spur. Die »Herren« meinten, so etwas gehörte bloß für Gelehrsamkeit, und darüber rümpften sie die Nase.

Was das geheimnisvolle Seitenzimmerchen angeht, so wurde es wohl von Pompilius und Eugen betreten, wenn sie »ihr Brötchen bei Mama essen« gingen. Aber sonst wagte sich vor dem Mittagsessen kein Mensch hinein. Erst dann bekam auch der alte Herr sein Eheglück zu sehen. Hatte er das Bedürfnis, schon vorher zu erfahren, auf welche Weise sie die Nacht überstanden hatte, so war er auf Gerrit angewiesen. Und dieser wieder hatte infolge dieser Vorrechte ein starkes Gewicht beim Alten, das er sehr geschickt in seinem ewigen Kampfe gegen »diesen Wüllekes« in die Wagschale zu werfen wußte.

Es ist nun nicht schwer zu raten, wie Gerrit es machte, um sich um unangenehme Aufträge zu drücken. Er hatte eben »für Mevrouw Bücher umzutauschen,« und dagegen war Wilkens machtlos. Und »wenn Mevrouw wahrscheinlich eben mal wieder gefahren werden mußte,« versank die Autorität des gehaßten Unterchefs in das uferlose Nichts, wo sie Gerrit gern aus dem Auge verlor.

»Siehst du, Pompilius, wenn doch Mama so schlimm ist ... so ganz schlimm ... was sollen wir machen? Ich kann doch nicht so ganz allein nach Grünenhaus! Was sagen Sie, Dieper? Ich thät' mich da langweilen, wie?«

»Gewiß, M'neer, ich glaube sicher, daß M'neer sich da langweilen würde. M'neer würde da so ... ganz und gar allein sein, nicht wahr?«

»Na ja, Papa, das ist ja wahr, aber ... die Saison geht vorüber. Ich kann dir versichern, Papa, daß keine einzige anständige Familie mehr in der Stadt ist ... was man nennt: 'ne anständige Familie. Was meinen Sie, Dieper?«

»Ganz gewiß, junger Herr, keine einzige anständige Familie ist mehr in der Stadt, das ist gewiß.«

»Siehst du, Papa! Und wenn Mama sich nun nicht bald entschließt, wird sie noch viel kränker werden. Das hat der Doktor auch gesagt. Nicht wahr, Dieper?«

Hm! Was sollte der Buchhalter sagen? Er hatte ja doch den Doktor nicht gesehen. Selbst die Krankheit von Mevrouw ... die Comptoirleute bekamen Mevrouw bloß einmal im Jahre zu sehen: am ersten Januar. Da ging es sehr feierlich zu. Die Herren wurden durch das Gesellschaftsfräulein feierlich entboten, und Dieper stammelte dann »auch im Namen der Kollegen,« etwas von »Himmels bestem Segen« und »beständigem Wohlsein«. Sie war dann damit zufrieden und sagte, daß sie es heute wieder »besonders schlimm auf den Nerven« hatte. Dann öffnete die Gesellschaftsjüffrau die Thür wieder ...

Dieper war ein Diplomat: er räusperte sich und sagte:

»Ja, ja, M'neer, 's ist sicher gut für Mevrouw, wenn sie schnell nach Grünenhaus übersiedelt, denn sehen Sie ... sonst ... geht die Zeit der jungen Erbsen vorbei!«

»Siehst du, Papa. Genau, was ich immer sage. Mama muß durchaus hinaus! 's ist für Mama nicht länger in der Stadt auszuhalten, nicht wahr, Dieper?«

»Richtig, junger Herr! Mynheer, es ist für Mevrouw in der Stadt nicht mehr auszuhalten!«

»Für niemand, Papa!«

»Ganz gewiß, für niemand!«

Und er selbst? und seine Schicksalsgenossen?

»Das Wasser in den Grachten sieht schon ganz blaugrün aus von dem Moder. Wie, Dieper?«

Auch das bezeugte der Getreue, und diesmal aus voller Wissenschaft.

»Aber ... Pompilius, wie bringen wir denn in Gottes Namen Mama die Treppe 'runter? Das ist die Frage!«

»Richtig, Papa, das ist es! Das ist die Geschichte! Ich hab' schon mit Flip drüber gesprochen, mit dem Dienstmann, Papa!«

»Eh?«

»Ja, Papa, mit dem Dienstmann! Drei Mann hoch getrauen sie sich nicht, Mama die Treppe herunter zu tragen.«

»Im Fauteuil, Pompilius!«

»Ganz recht, Papa, im Fauteuil! Weißt du, was sie sagen! Es geht nicht, weil die Treppe 'n bißchen schmal ist! Du mußt begreifen, Papa, 's ist gemeines Volk!«

»Aber ... wie denn?«

»Flip meinte: wenn wir Mama in 'm hübschen Lehnstuhl hätten ... Fauteuils kennt so'n Kerl nicht, Papa! – und dann 'n Strick 'rum ... um den Fauteuil, Papa, verstehst du, mit recht viel Kissen, dann könnten wir ...«

Eugen trat ein. Offenbar war er durch seinen Vater auf Kundschaft geschickt worden, ob mit dem alten Dickkopf was zu machen sei. Er brachte aber keine befriedigende Botschaft.

»Und, Pompilius, was habt ihr dann gedacht?«

»Ja, Papa, 'n Fauteuil, und Mama drin, mit viel Kissen, und 'n Strick 'rum ... um den Fauteuil, Eugen ... und dann 's Fenster auf ... Flip meinte, 's ginge ganz gut ... aber ich sage, mit viel Kissen, weißt du, Papa? ... und dann ...«

»Bist du toll, Pompilius? Willst du Mama zum Fenster herauszerren? Und soeben sagtest du ...«

»Aber nein, Eugen, so meinte ja Flip. Aber ich sage: mit viel Kissen, verstehst du? Aber ... diese Dienstmänner, das ist gemeines Volk ... und sie rechnen hoch. Alles, was über 'ne Dübbeltjes-Bestellung geht, rechnen sie scheußlich hoch, Papa! besonders wenn Gerrit steif ist von Rheumatismus. Und darum hab' ich gedacht – weil wir doch 'n Lehrling haben, auch – na, ich dachte ... sieh, Papa, da könnten wir die Dienstmänner bestens entbehren. Du weißt doch, daß Gerrit wieder ganz steif ist von Rheumatismus. Na, 's ist egal ... aber Dieper hat manchmal Rechnungen einzukassieren ... morgen ist wieder 'n schmierig Papierchen, nicht wahr, Dieper?«

»Ja, junger Herr! Morgen ist 'n schmierig Papierchen, im Judenviertel, M'neer, ein ganz schmieriges!«

»Aber, Pompilius, was machen wir mit Mama?«

»Mit viel Kissen, Papa! Dann wollte ich fragen, ob Wilkens vielleicht so gut sein würde – nicht wahr, Wilkens? – mit dem jungen Menschen da – an die Drehwinde zu gehen. Siehst du, Papa, da könnten wir den Dienstmann bestens entbehren ... gemeines Volk! Aber ... mit viel Kissen, das begreifst du wohl, Papa? Und siehst du, Papa, Eugen und ich, wir müßten unten stehen und ... gut aufpassen, Papa!«

Eugen brummte. Aber keiner lachte über den Vorschlag, die Mama zum Fenster herauszuwinden, an einem Strick ... um den Fauteuil.

»Die Nachbarsleute!«

»Ganz, wie ich sage, Eugen! Ganz, wie ich sage! Und deshalb, wenn wir die Mama dazu bringen könnten ... frühmorgens ...«

Also bei Nacht und Nebel!

Walther wußte noch nicht, was eine Winde ist, und dachte hin und her über die Rolle, die er bei der Geschichte spielen würde. Er hatte schon Angst, ob er wohl in diesem Falle auch seine nächstliegende Pflicht würde thun können. Es war ihm eine kleine Beruhigung, daß Pompilius' Vorschlag wenigstens vorläufig noch nicht allseitig angenommen wurde. Man zweifelte offenbar noch, ob Mama an der neumodischen Lokomotive auch Gefallen finden würde. Der alte Herr klagte, sie würde sich gewiß weigern, wenn sie ihn im Verdacht hätte, den Plan ausgedacht zu haben.

Er etwas ausdenken!

»Ja, Papa ... du kannst ja sagen, daß Flip, der Dienstmann, die Sache ausgeheckt hat. Das kannst du ganz gut sagen, Papa!«

»Hm ... ja ... wenn nun zum Beispiel die Jüffrau der Mama erzählte ...?«

»Das wäre gewiß das allerbeste, Papa; aber ... ich glaube, daß wir auf die Jüffrau nicht so zählen können, Papa. Weißt du, was sie thut, Papa? Sie hetzt!«

»Glaubst du, Pompilius?«

»Ja, Papa. Denn siehst du, sonst hätte sie längst drauf gedrungen, daß Mama hinausginge. Was meinen Sie, Dieper?«

»Gewiß, junger Herr, gewiß. Sonst hätte sie längst drauf gedrungen.«

»Die neue Jüffrau hat 'n Vogel,« brummte Eugen.

»Mama ist sehr mit ihr zufrieden,« sagte der alte Herr. »Sie ist sehr anständig, sagt Mama, so gar sehr anständig. Und ... ihr Vater war Rechtsanwalt, Eugen!«

»Sie hat kahle Flecke auf dem Kopfe.«

»Ganz richtig, Eugen.«

»Ist mir ganz egal,« sagte Pompilius, »wenn sie Mama bloß überredet, nach Grünenhaus zu gehen, Papa!«

»Wo ist Gerrit?« fragte der alte Herr.

»Steif von Rheumatismus, Papa. Und morgen hat Dieper 'n schmierig Papierchen, nicht wahr, Dieper?«

»Na ja, wenn nun aber Gerrit so mal – ohne daß es von uns käme, verstehst du – der Jüffrau erzählte, was der Dienstmann gesagt hat ... denn siehst du, Pompilius, wenn ich allein gehe, dann langweile ich mich so! Und wie ist's mit der Küche? Ich kann doch nicht in Haarlem ins Wirtshaus essen gehen wie 'n Comptoirschreiber. Was sagen Sie, Dieper?«

»Ganz gewiß nicht, M'neer! Ein Mann wie Sie kann nicht ins Wirtshaus essen gehen. Ganz gewiß nicht!«

Dieser »eine Mann wie Sie« konnte die Hilfe eines Dienstmanns anrufen und die des Hausknechts und des Gesellschaftsfräuleins, um seine Frau zu etwas zu bewegen, das sie hartnäckig verweigern würde, wenn sie Verdacht hätte, daß er es wünschte! Und all diese Schäbigkeit bekam Walther mit anzuhören. Es fiel keinem ein, daß man sich vor dem jungen Lehrling in sonderbarem Lichte zeigte. Auch das Gemeine hat seine Naivetät.

Um übrigens den freundlichen Leser, der sich sicherlich um den Gesundheitszustand der Mevrouw aus dem Seitenzimmer böse Sorgen macht, etwas zu ermutigen, berufe ich mich auf die vertrauliche Mitteilung, die Gerrit einmal Walther gegenüber machte:

»Kannst mir glauben – ich bin 'n alter Kerl und du 'n junger Bengel – sie ... frißt zu viel, und sie ist dickköpfig und knurrig: so ist's! Ihre ganze Krankheit ... na, ich will dir's auf gut Holländisch sagen, ist Wind und englisch Notting! Aber ... sie frißt zu viel. Sie frißt den ganzen gottgeschaffenen Tag, das ist's! Wenn ich ihr Doktor wäre, kriegte sie weiter nichts als 'n Roggenbrötchen die Woche, und dann Brunnenwasser ... weiter nichts, wie ich dir sage!«


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