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Der Unterricht unseres Helden wird fortgesetzt, und es wird Aussicht, daß er sich allmählich etwas Branchenkunde aneignet. Was er alles behalten muß, und was Wilkens für sich selbst reservierte. Erlösung von einem Feinde.

Als nun Walther endlich mit seinen Abschriften fertig war, begann Wilkens auf ihn einzusprechen, und zwar in einem Ton und in Ausdrücken, die nicht ganz unangebracht gewesen wären, hätte es sich um die Einführung in die Eleusinischen Geheimnisse gehandelt. Der Adept wurde denn auch gehörig ängstlich. Das Mysterium kam jedoch diesmal auf etwas heraus, was keine besondere Geisteserleuchtung verlangte und auch nicht hervorrief.

Walther bekam eine große Anzahl farbiger Kattunlappen, die er nach angegebenem Maße nett abschneiden und dann auf Karton pappen mußte. Er bewährte sich in dieser Thätigkeit mehr als Wilkens zugeben wollte. Der Mann war nicht gewöhnt, etwas zu billigen, was nicht die Ehre hatte, von ihm selbst zu kommen.

»Und, Wilkens, nun müssen Sie so gut sein und ihn mal in den Keller bringen,« sagte Pompilius, der nochmals unter vier Augen mit Dieper über Gerrits hartnäckigen Rheumatismus sprechen wollte.

Walther wurde also nach dem unterseeischen Aufbewahrungsort von allerlei herrlichen Sachen geführt. Hier bekam er die Stapel aus der Nähe zu sehen, von denen er die vordersten schon heute morgen bei seinem geduldigen Warten durch die Glasthür wahrgenommen hatte.

Wilkens unterrichtete ihn mit einer Pedanterie, die schwer zu schildern ist, weil Gesicht, Haltung, Betonung, ja selbst das Hin- und Herschieben der Brille dabei eine so große Rolle spielten, daß Walther sich unter dem Gewicht dieses neuen Kursus wieder sehr bedrückt fühlte.

»Das ist ... der Keller. Aber ich thät' dir raten, doch lieber Magazin zu sagen, denn 'n junger Mensch muß immer ... bescheiden sein in seinen Ausdrücken. Für junge Leute ist Bescheidenheit die Hauptsache, ... also Magazin.«

»Magazin,« stammelte Walther.

»Sehr richtig. Ma...ga..zin, so heißt es. Alle diese Waren sind ... Handelswaren, und alles liegt – wie du siehst – auf Brettern. Das thu' ich immer ... wegen der Feuchtigkeit, denn ... der Boden ist feucht. Paß gut auf ... und denk' dran, daß du nie 'n Stück auf'n Boden legst ... niemals und nimmermehr!«

»Ich will's nie thun, M'neer!«

»Sehr gut! Aber die Waren, die auf diesen Tischen liegen, lege ich nicht auf Bretter. Denn ... sie liegen auf Tischen. Das verstehst du ja wohl?«

»O ja, M'neer!«

»Richtig. Alle diese Waren empfange ich aus England, namentlich aus Manchester. Kannst du das behalten?«

»Aus Manchester in England, M'neer!«

»Ganz recht. Sie liegen eine Elle breit und messen achtundzwanzig Yards. Nun mußt du wissen, wie lang 'n Yard ist. Merk' dir das genau, drei Yards sind vier Ellen. Merk' dir das gut! Wenn du 'n gehöriges Taschenbuch hättest, könntest du's aufschreiben. Ein junger Mensch muß immer danach streben, was zu lernen. Drei Yards machen vier Ellen, das mußt du gut behalten.«

Walther nickte, so sehr er konnte, er wollte stets sein Bestes thun und alles behalten. Der tiefsinnige Unterricht ging weiter.

»Die Fünf-Viertel-Kattune, oder die Kattune von fünfviertel Ellen Breite, insofern ich solche aus Manchester kommen lasse, sind bloß vierundzwanzig Yards lang. Das ist also 'n Unterschied. Und die Schweizer-Kattune, die ich aus Mülhausen im Elsaß kommen lasse ...«

Beinahe hätte er gesagt: »ein großes Land, wovon mein Schwiegersohn Konsul ist« – aber er bedachte sich noch.

»Im Elsaß also – nun passe hübsch auf! Die Stücke haben kein festes Maß. Das Maß steht dann darauf, wie du siehst, nicht wahr? Solch 'n Papierchen nennt man: Etikett ... E..ti..kett! Merk' dir das wohl! Und die Ziffer, die darauf steht, bezeichnet was man nennt: Aunes. Die Länge des Stückes in ... Aunes. Kannst du das behalten?«

»Aunes, M'neer!«

»Ganz recht: Aunes oder französische Ellen, denn ... 'ne französische Elle nennt man Aune. Elf von diesen Aunes machen sechzehn Ellen, Auch das mußt du streben zu behalten. Wer sich für den Handel will ausbilden, muß alles behalten. Das begreifst du wohl?«

»Ja, M'neer!«

»Sonst mußt du's aufschreiben. Und hier in der Ecke hängen ein paar Besen ... das siehst du wohl?«

»Ja, M'neer!«

»Damit ... fegst du. Du fegst die Waren damit ab ... wenn Staub drauf liegt, Hier im Keller – sag' du nur immer Magazin – ist für 'n jungen Menschen immer was zu thun, der lernen will. Siehst du, so fegst du.«

Und der Lehrer strich mit dem Staubwedel ein paarmal über einen Stapel, um Walther zu zeigen, wie das Geschäft besorgt würde. Ich kann versichern, daß der Unterricht sofort begriffen wurde, und daß der Lehrling nun auf einmal den »Handel« weniger schwierig fand.

»Dann mußt du dafür sorgen, daß die Stücke ordentlich aufeinander liegen ... siehst du hier, die Rücken immer in einer Linie, und die Seiten mit den Lichtkanten auch, denn ... manchmal sind sie nicht immer von derselben Breite, verstehst du. Darauf mußt du also aufpassen, denn 'n junger Mensch ...«

»Ja, M'neer!«

»Und nie ein Stück knautschen!«

»Nein, M'neer!«

»Oder in verkehrte Falten legen ...«

»Nein, M'neer!«

»Nun wollen wir mal auf den Boden gehen. Denn ... da ist auch immer etwas zu thun für 'n jungen Menschen.«

Wilkens führte nun Walther nach den höheren Stockwerken des Hauses, wo er ihn mit ähnlichen Lektionen beglückte.

Die dort aufgestapelten Waren waren zum Teil solche, welche nicht mehr Mode waren, zum Teil Barchent und Schirting, worin Wilkens so besonders stark war. Er lehnte es indessen ab, ein klein bißchen von dieser außergewöhnlichen Stärke an Walther abzugeben. Das geht nicht so wie Hott und Hü in ein paar Stunden. Daß es ihm in seinem sechzigsten Jahre geglückt war, so einigermaßen auf die wahre Höhe zu kommen, war ein glücklicher Zufall. Er hatte eben schon von Jugend auf Anlagen zu Weißwaren gehabt, aber das kommt nicht alle Tage vor. Gewöhnliche Menschen bringen es nie so weit.

Walther hörte diese Mitteilungen mit gehöriger Ehrfurcht an, und er hätte noch mehr davon gehabt, wenn ihn nicht der Hunger so gequält hätte.

Indessen machte er mit großem Interesse die Bekanntschaft der Drehwinde. Das also war die Maschinerie, mit der Flip der Dienstmann – und Herr Pompilius ... mit viel Kissen ... die alte Dame aus dem Fenster herausspedieren wollten. Wie kam es doch, daß diese einfache Maschine, die überflüssige Schnelligkeit in gewünschte Kraftverstärkung umsetzt, ihm interessanter vorkam, als all der Kattun und die Besen dazu. Er sah sofort ein, wie kräftig die Hand war, die den Griff des großen Rades hielt, und wie die Last bloß auf das kleinere Rad wirkte – wahrhaftig die dickste Mevrouw der Welt hätte man mit so einem Dinge zum Fenster herauswinden können. Freilich eine sonderbare Entführung, ganz anders, als die, von denen er gelesen hatte ...

»Und mit den Kisten, die da stehen, hast du nichts zu schaffen,« sagte Wilkens. »Das sind alte Papiere, die dich nichts angehen ... durchaus nicht! 'n junger Mensch muß sich nie mit Dingen abgeben, die ihn nichts angehen. Lerne das von mir. Und nun wollen wir den Boden schließen. Sieh hier, auf diesem Schlüssel ... eine Rille. Das bedeutet: erster Boden. Auf diesem Schlüssel sind zwei Rillen, das heißt zweiter Boden. Eine Rille: erster Boden – zwei Rillen, zweiter Boden ... merk' dir das!«

»Ja, M'neer!«

»Und nun will ich dir den Saal zeigen. Den Winter über gebrauchen wir den Saal nicht. Aber im Sommer, wenn die Familie draußen ist, dann benutzen wir den Saal, und zwar hauptsächlich für die neuangekommenen Frühjahrswaren. Das mußt du merken,«

»Ja, M'neer.«

Der famose »Saal« wurde nun Walthers Blicken erschlossen. Es war ein nicht allzu großes Zimmer, das mit all seinen »Umhüllungen« aussah wie ein blinder Mann oder ein Altenhaus-Insasse. Sogar der Teppichläufer war durch ein grobes Linnen geschützt gegen unbescheidene Blicke und rauhe Sohlen.

Von Moses und dem Dornbusch war natürlich nichts zu sehen; bloß ein bleiches viereckiges Skelett davon ... Walther beging die Vermessenheit, danach zu fragen ...

»Das sind nun eigentlich deine Sachen nicht! Wir sind hier nicht, um Bilder zu begucken, sondern um zu arbeiten! 'n junger Mensch muß sich durch nichts von seiner Arbeit abziehen lassen. Lerne das von mir.«

»Ja. M'neer.«

»Du siehst wohl, daß hier auch alles auf Brettern liegt? Wenn nun auf dem Comptoir, oder im Keller, oder auf dem Boden nichts für dich zu thun ist – denn 'n junger Mensch muß niemals müßig gehen! – dann ... fegst du hier den Staub von den Stapeln und legst alles hübsch gerade ... immer alles an seinen Platz, verstehst du? Und nun komm nur Wieder nach dem Comptoir. Ich will mal mit M'neer sprechen über die Zeiten, wann du zu kommen und zu gehen hast, denn ich bin sehr für Ordnung, und junge Menschen müssen sich daran gewöhnen.«

Es wurde also nun festgesetzt, daß der »jüngste Bedienstete« am besten »so gegen drei Uhr eben nach Hause gehen könnte, um zu essen.«

Und siehe da – Gott sei Dank! – es war beinahe drei Uhr.

Dieper schloß seine Bücher und zog seinen Rock an »für die Börse.«


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