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Ein kurzes, aber sehr wichtiges Kapitel, worin das traurige Ende eines kostbaren Sonnenschirms beschrieben wird. Walther zieht in die Welt, um sieben Gulden und dreizehn Stüber zu suchen.

Nach dem Essen wurden die Krückers zu der üblichen Ausfahrt eingeladen. Und auch Walther durfte mitfahren ... wieder im Hinterkasten, wo man ihm den liebenswürdigen Bonifaz zu verwarten gab. Das Kind durfte durchaus nicht herausfallen, sagte der Elsässer Konsul.

Julie schwatzte in einem Atem weiter, und Walther fand, daß sie die Prüfung doch ein bißchen zu weit trieb. Wohl blieb es sicher, daß sie die einzige aus der ganzen Gesellschaft war, die den Beweis geliefert hatte, etwas ergründen zu wollen, aber ... ein wenig Trauer über den mißlichen Zustand, in den sie ihren Ritter gebracht hatte, hätte ihr gewiß nicht schlecht gestanden zu ihrem erhabenen Streben nach Entwicklung. Sie plauderte so ungezwungen mit all den Krückers, sie zeigte sich ganz und gar auf der Höhe wie die anderen, sie schien so ganz zufrieden mit dem Beifall, den der plumpe Pompilius ihren albernsten Einfällen spendete ... kurz, Walther wußte nicht, woran er eigentlich mit seiner »Dame« war.

Er hätte viel darum gegeben, sie einen Augenblick allein zu sprechen ... hm, ein Fußfall hätte natürlich auch dazu gehört! Aber ... wie dazu Gelegenheit finden? Wenn er etwa das Haus in Brand steckte? Der Plan war nicht so ganz verwerflich. Alle diese Kopperliths und Krückers geröstet, verbrannt, verkohlt, verzehrt, vernichtet – und er der Retter der wißbegierigen Julie! Er sah sich in seinen Gedanken, wie er sie durch Rauch und Flammen die Treppe heruntertrug! Sie hielt er in den Armen, ihr flüsterte er zu: »Seid getrost, edle Dame meines Herzens, alle diese Hanswürste sind tot und beinahe begraben! Ich bin hier, Walther, der Euren Durst nach Kenntnissen löschen will mit seinem letzten Blutstropfen und einem Vortrage über den Wechselkurs ...«

»Ach du, Pieterse, oder wie heißt du doch, halt doch mal den Sonnenschirm über das Kind. Die Sonne sticht so.«

Dieser Erguß floß über die Lippen der schönen Hersilia, die mit ihrem Sonnenschirm unseren Ritter antickte und ihn etwas gefühlvoll in die Wirklichkeit zurückrief. Er erschrak und nahm das Ding mechanisch entgegen ...

»Spann ihn auf, Junge! Drück auf die Feder ... da, da, die Feder, am Stock. Verstehst du nicht? Was für 'n ungeschickter Junge, Pompilius!«

Walther packte das Ding und fühlte Lust, die schöne Hersilia damit auf den Kopf zu schlagen. Er starrte sie sonderbar an.

»Auf die Feder drücken, verstehst du? Drück auf die kleine Feder am Stock,« schrie Pompilius, der ebensowenig wie die anderen an etwas anderes als an Ungeschicklichkeit dachte, oder höchstens meinte, daß »der junge Pieterse« seine Schwester nicht verstanden hätte.

»Mach's ihm doch mal vor, Pompilius!« sagte der alte Herr.

Pompilius, der auf dem Vordersitz saß, stand auf und beugte sich über die Gesellschaft, um den jungen Pieterse zu unterrichten, wie ein Sonnenschirm zu öffnen sei. Aber er kam zu spät. Walther drückte, zog, drückte nochmals, schob, und ein wenig kräftig ...

»Ich kann's wohl, M'neer!« sagte er – und das Ding war in Fetzen!

Den Stock hielt er in der einen Hand, und die flatternde Seide schwenkte er in der anderen wie eine Fahne! Die ganze Gesellschaft war »futsch.« Man sah einander erstaunt an, als ob man sich fragen wollte, was das bedeute?

Nun, keiner begriff es. Keiner kam auf den Gedanken, daß man es hier mit einer verwundeten Menschenseele zu thun hatte, die etwas zerfetzen mußte, um einem unerträglichen Schmerze Ausdruck zu geben.

»Sieben Gulden dreizehn hat's gekostet,« jammerte Hersilia. »Nicht wahr, Kalbb?«

»Du mußt begreifen, Hersilie, 's ist ein Bürgerjungchen,« rief Pompilius. »Er wußte nicht, was du meintest, verstehst du? Du mußt immer denken, 's ist 'n Bürgerjungchen ... und ... nie in Gesellschaft gewesen. Davon kommt's!«

»Sieben Gulden dreizehn!«

Der Stock und der Bezug wurden, so gut es das Stauchen des Wagens zuließ, aneinander gesteckt, um noch einmal, zum letztenmal, bewundern zu können, wie das Ding vor der schrecklichen Katastrophe ausgesehen hatte. Noch ein paarmal murmelte die majestätische Hersilie ihr tragisches »Sieben Gulden dreizehn,« und ziemlich verstimmt ließ sich die Gesellschaft durch den Sand weiter karren.

Als man nach Hause kam, übernahm Pompilius die Aufgabe, Mama über den Vorfall zu berichten. Niemand war mehr entrüstet als »die Jüffrau.« Sie hatte wohl drei französische Worte, um zu bezeugen, daß die Sache ...

»Ja, ja, gewiß,« sagte Pompilius. »Aber du begreifst gewiß, Mama ...«

»Er stand Mevrouw so deliciös zu der gelben Bergère,« wehklagte die Jüffrau.

»Jawohl, Jüffrau. Aber siehst du, Mama ...«

»Es ist 'n wahre Balourdise, M'neer!«

»Gewiß, gewiß! Aber Mama, Hersilie hätte es nicht thun sollen. Denn so 'n Junge ...«

» Fi donc, so ungeschickt zu sein!«

»Vollkommen recht, Jüffrau, aber ich wollte Mama sagen, daß Mevrouw Kalbb hätte wissen sollen, daß so 'n Jungchen ...«

»Es ist infam!«

»Daß so 'n Jungchen ... bloß ... 'n Bürgerjungchen ist! Das wollte ich bloß Mama sagen.«

Und das mußte Walther alles mit anhören! Seine Wut war verraucht. Er fühlte sich vernichtet, ohnmächtig, wesenlos, und wieder beschlich ihn das Heimweh nach der früher so gering geschätzten Lebensauffassung, die bei ihm zu Hause üblich war.

War das die große Welt, die er kennen lernen sollte, wenn er »groß« war?

Wenn er in diesem Augenblicke seinen alten Feind Schlachterskeesje getroffen hätte, er hätte ihn ans Herz gedrückt als einen Boten aus einer höheren Sphäre.

Man sieht, er war zu tief gesunken, um noch an den mythischen Phantasien seiner Knabenjahre Freude zu empfinden, und er sehnte sich nur nach den groben Gestalten, die ihn in jenen Tagen umgaben. So verwechseln ja auch gedankenlose Geschichtsschreiber den unbehaglichen Zustand der Wilden mit dem goldenen Zeitalter des Saturnus.

Walther war in Verzweiflung.

Und seine Stimmung wurde nicht besser, als er bemerkte, daß auch Julie zu seinen Feinden gehörte, denn »Feindschaft« mußte er bei diesen Menschen voraussetzen, die, nachdem sie ihn so gekränkt hatten, nicht einmal zu begreifen schienen, daß er für Kränkung und Erniedrigung empfindlich war.

Pompilius gab sich die Mühe, ihm an einem Regenschirme zu zeigen, wie man einen Sonnenschirm aufmacht, und zuletzt war Walther, nach vielen vergeblichen Versuchen, die wahre Ursache seines sonderbaren Handgriffs in Worte zu kleiden, wohl genötigt, so zu thun, als ob er jetzt wirklich erst erführe, daß man bei solcher Gelegenheit auf ein Federchen drücken müsse.

Pompilius schien sehr befriedigt über den Unterricht, den er erteilt hatte, und rühmte, daß der junge Pieterse die Sache nun völlig verstände, und bei der nächsten Gelegenheit ...

»Sieben Gulden dreizehn!« jammerte Hersilia.

Das Maß lief über. Walther stand hastig auf, lief zur Thür hinaus, von dem Grundstück herunter und die Straße entlang, um – sich zu ertränken oder ... sieben Gulden und dreizehn Stüber zu suchen.


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