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Herr Wüllekes oder Wilkens und seine Thätigkeit im Hause. Feine gesellschaftliche Rangunterschiede. Walther entfaltet seine erste geschäftliche Thätigkeit. Reminiscenzen. Herr Pompilius.

Walther litt, das ist wahr. Aber sein Kampf bedeutete nicht viel. Wir können unerörtert lassen, ob er den Mut zum Weglaufen besessen hätte. Gewiß ist, daß er die Seelenstärke hatte, zu bleiben und die Pflicht zu erfüllen, die ihm als nächste vor der Hand lag. So hatte der Doktor Holsma ihm aufgetragen, und so sollte es bleiben.

»Da kommt Wilkens,« ließ sich der junge Herr Eugen herab zu bemerken, ohne seine Haltung sonst im geringsten zu ändern, und mit einer gewissen Faulheit im Aussprechen der Worte, als ob für die Deutlichkeit Thür- und Fenstergeld erhoben würde.

Richtig. Herr Wilkens zeigte sich auf dem Hofe. Er ging sehr schnell, um einen Beweis von dem Eifer zu geben, der mit der Uhr nicht übereinstimmte. Die Uhr wird wohl vorgegangen sein.

»Diener, M'neer! 'n Tag, Dieper!«

»Morgen! Das ist der junge Pieterse.«

»A-eh! Schööön! A-ei, a-ei!«

Wilkens war ein alter Narr. Sein ganzes Leben war ein Eroberungszug gewesen nach Würde und Wichtigkeit. Da er es auf seine alten Tage nicht weiter gebracht hatte als bis zum Comptoirschreiber und Handlungsreisenden, kann der Leser sich ausrechnen, wie viel Feldschlachten der Mann verloren haben muß. Die stolzeste Eroberung, die ihm blieb, bestand in einem langgezogenen »äh« oder »aaaa« oder so etwas. Wer ihn genauer kannte, hatte nicht viel Furcht davor, aber noch sahen einige Krämer auf dem Lande respektvoll auf zu einem Mann, der so kompliziert reden konnte. Auch Walther fühlte sich sehr klein.

»Ja, M'neer! was meinen Sie? Sollten wir mit dem jungen Menschen nicht warten, bis Herr Pompilius kommt?«

Der junge Herr Eugen stieß einen Laut aus, der alles bedeuten konnte, was man wollte, selbst: »ja!« Und so schien die Antwort von Herrn Wilkens aufgefaßt zu werden, der nun seinerseits in dem Alkoven verschwand und bald, in eine lange Comptoirjacke gehüllt, wieder zum Vorschein kam.

»Ich bin einmal bei den Jüffrauen Alders gewesen ... mit Barchentmustern,« sagte er, als wollte er sich bei dem jungen Chef wegen seines Zuspätkommens entschuldigen.

Dieser antwortete so kurz wie möglich. Er brummte etwas, was gerade genügte, um zu erkennen zu geben: »ich habe gehört, was du sagtest.«

Und darauf setzte sich Wilkens an das Pult neben Eugen und nahm die Haltung eines Menschen an, der etwas thut. Und er that wirklich etwas. Seit ein Paar Tagen schon schlug er sich mit einem Defizit von drei Stübern in der »kleinen Kasse« herum und quälte sich ab, die Ursache dieses schrecklichen Fehlers zu entdecken.

»Aber, M'neer, könnte nicht 'n Brief fürs Haus gewesen sein?«

»Wohl möglich,« antwortete Eugen, mit einem Tone wie: »ist mir ganz egal!« Auch lag so etwas drin, als wollte er sagen: »mach' doch nicht so viel Wind mit deiner Augendienerei.«

»Jae, ... aeber ...«

Ich will nun bald aufhören, die Wilkenssche Vornehmheit, soweit sie sich in solchen dummen »aes« zeigte, nachzustammeln. Der Leser wird nun bald wissen, wie so ein verdrehter Quast sich ausdrückt, der ein paarmal im »Haag« gewesen war und sich vergebliche Mühe gab, in jede Silbe die Bedeutung zu legen: ich bin ein Herr!

Der Grund übrigens, daß Wilkens das neben ihm sitzende Individuum, im Gegensatz zu Dieper und dem alten Gerrit, mit »Mynheer« und nicht als »junger Herr« ansprach, lag darin, daß Eugen schon ziemlich halb erwachsen war, als Wilkens ihn vor elf Jahren kennen lernte, während Dieper und der alte Knecht diesen Sproß des Chefs und selbst den älteren Pompilius noch als Kind gekannt hatten. Aber auch diese beiden hatten sich nicht herausgenommen, etwas von der vollkommenen Herrlichkeit der beiden Untergötter abzuhandeln, wenn ihnen der alte Herr Kopperlith diese Freiheit nicht in den Mund gelegt hätte. Dieser war nämlich in gesellschaftlichen Unterschieden sehr fein – soweit es andere betraf, sich selbst schätzte er immer einen Grad zu hoch – und er nannte die jungen Leute »M'neer Pompilius« und »M'neer Eugen«, wenn er über sie zu Wilkens sprach. Aber auch in seinem Munde waren sie die »jungen Herren«, wenn er das Wort an die alten Hausinventare richtete. Walther gegenüber waren natürlich, das versteht sich, alle, bis auf den Knecht, »Mynheer«.

Ob es wahr ist, daß man nicht zweien Herren dienen kann, laß ich unentschieden. Das ist aber sicher, Walther bekam auf einmal ihrer fünf zu bedienen, und vor allem zu respektieren.

Wilkens rechnete immer noch in seiner »kleinen Kasse« herum und sagte:

»'s ist ien deer Thaet erstau-aunlich!«

Und nach einer weiteren Weile eifrigen Rechnens:

»Aber, M'neer, sollten wir den jungen Menschen nun nicht an die Arbeit setzen? Vielleicht kommt Herr Pompilius erst nach dem Kaffee.«

»Na ja. Nur zu!«

Wilkens winkte Walther zu sich heran, hustete ein paarmal würdevoll und sagte:

»Ich würde dir nur raten, nur hier Platz zunehmen. Leg' deinen Hut nur weg.«

Alle diese »nur's« hatten Sinn. Die mitgeteilten Befehle erhielten dadurch Eindrucksfähigkeit.

Walther gefiel es ausnehmend, daß er seinen Hut nun weglegen durfte. Das lange Festhalten hatte ihm Krämpfe in den Fingern gemacht. Wenn das bekannte Sprichwort recht hat, so hatte er mehr Aussicht als irgend einer, durch das ganze Land zu reisen, denn er hatte stundenlang mit seinem Deckel in der Hand gestanden. Einstweilen aber reiste er nicht weiter als bis zum Pult Nummer drei, zwischen Wilkens und dem Fenster.

»Da setz' dich nur hin. Und sag' mir nun mal, ob du rechnen kannst? Was man nennt: gut rechnen?«

»Ja, M'neer,« sagte Walther mit ritterlichem Mut, wie ein Kriegsmann, der die Drommete hört.

»Schön, schön! Dann zähl' mal alle diese Posten hier auf: Gulden, Stüber und Pfennige. Sechzehn Pfennige machen 'n Stüber, siehst du, und zwanzig Stüber 'n Gulden. Das weißt du wohl schon?«

»O ja. M'neer!«

»Soo? Weißt du das? Ei!«

Und Walther, der Rechenheld, strengte sich so an, seine nächstliegende Pflicht zu thun, und um seine Enttäuschung zu überwinden, daß er glatt verkehrt zählte. Keine einzige Kolumne stimmte mit den Resultaten des Mynheer Wilkens. Er wurde sehr ärgerlich und ertappte sich auf Heimweh nach den beiden soliden Geschäften auf dem Zeedyk, nach seinem ersten Prinzipal, dem Tabakshändler mit der Leihbibliothek, bei dem er allerdings nicht lange gewesen war, weil der Herr Chef es vorzog, mit seinen hundert Gulden Kaution durchzugehen!

Ein Herr stieg über den Hof. Es war Herr Pompilius, der älteste Sohn des Hauses, Prokurist und Mitchef der Firma Ouwetyd und Kopperlith.


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