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Walthers Geschicklichkeit in der Rechenkunst gewogen und zu leicht befunden. Seine Einführung in das Fach Merkurs, des Götterboten.

Eifrig, die Hände um sich werfend, jagend oder gejagt, stürmte Herr Pompilius ins Comptoir und stieß so etwa dreimal hintereinander »'n Tag« heraus, wie Kuchenkrümel, die ihn in der Kehle kitzelten, worauf der Herr Eugen, der noch immer über seinem Roman gebückt saß, ein »b'jour Pompile« über seine Lippen gleiten ließ. Pompilius aber achtete dessen nicht und fuhr eifrig fort:

»Tag, Dieper! Tag, Wilkens! Tag, Eugen! Papa noch nicht unten? Hier sind die Briefe ... einer fürs Haus – von Leon, Eugen! Wo ist Gerrit. So, ist das der junge Pieterse? Kennt er den Weg in die Stadt? Ich habe nämlich viel Besorgungen, weißt du? Krimp zu Rotterdam verlangt zwei Weißgrund-Dreifarb – Sie wissen wohl, Wilkens, die Victoria-Fancy von Crawfurth-Leeds – aber er will das alte Muster mit den Augen drin – ist noch etwas davon da? Wo ist Gerrit? Ich habe viel Besorgungen. Wie steht's mit Mama, Eugen? Wird's heut glücken – ich meine den Umzug? Die Saison geht mir sonst vorbei, und ich möchte so gern die Hockers und die Pleiers und die Krückers nach Grünenhaus einladen. Der Briefträger ist ein Bursche! Er will immer 'n Trinkgeld, wenn er die Briefe auf der Straße 'rausgiebt, denn ... er darf's eigentlich nicht. Wenn es gemerkt wird, hat er seine Entlassung weg. Sie wissen. Ich hab' ihm heut 'n Stüber gegeben: denken Sie dran, Wilkens, aber ... setzen Sie's auf Haushaltskonto, 's ist auch 'n Brief von Leon dabei. Deshalb ... kann's wohl auf Haushalt, wie, Eugen? So, so, ei, das ist der junge Pieterse? Haben Sie heute was für Gerrit, Dieper? Ich habe viel Besorgungen. Wilkens, Sie müssen so gut sein, Gerrit her zu rufen, und ihm sagen, daß ich viel Besorgungen habe, und ... und ... hier ist der Brief von Krimp. Die Menschen verlangen immer, was nicht da ist, denn ... das alte Muster mit den Augen ist nicht mehr da. Wissen Sie, was wir thun? Wenn das nicht mehr ist – mit den Augen, wissen Sie – dann schicken wir ihm so ein Kribbelmuster mit Mücken, oder mit Schlangen, oder das mit den Holzstücken – verstehn Sie, 's sind die Weißgrund-Dreifarb, Victoria-Fancy von Crawfurth-Leeds. Aber Sie werden sehen, daß Krimp wieder chicaniert, denn ... das thut er immer. Rufen Sie Gerrit ... ich hab' so viel Besorgungen, wissen Sie. So, Männchen, du kennst also den Weg in die Stadt? Nun, das ist gut, denn ... ich hab' immer so viel Besorgungen. Eugen, wenn Papa kommt, sag' ihm doch, daß ich bei Mama bin, mit dem Brief von Leon, weißt du. Denn er ist an Mama adressiert. Leon adressiert seine Briefe immer an Mama.«

Natürlich. Immer an Mama. Auf der Adresse einer verheirateten Frau ist ja Platz für zweimal »Wohledelgeboren.« Der Briefträger bekam nun von Zeit zu Zeit zu lesen, daß die auf gewisse Weise zur Welt gekommene Ehegemahlin des Mynheer Kopperlith auch bereits als Jungfrau sich einer Geburt teilhaftig gemacht hatte, die sich über das Gewöhnliche erhob. Daß das Menschenkind vor ihrer Heirat Niemendal hieß, macht nichts. Der Postmensch zu Tjanjor auf Java – da wurden die Episteln nämlich ausgeheckt – war im Holländischen nicht sehr geübt, und von Heraldik verstand er nicht viel. Er bekam es aber zu sehen, daß der junge Herr Leon so viel Schreiberei brauchte, um seine Mama gehörig zu titulieren, und das war der Zweck des jungen Herrn Leon. Ganz Tjanjor sollte darüber erstaunt sein, denn der Postmensch würde ja wohl darüber schwatzen – Hoffnungen? wie sie Jüffrau Pieterse, Walthers Mama, in ähnlichen Fällen ähnlich auch hegte.

Während der Schneeball noch rollte, mit dem Pompilius seine Anwesenheit kennzeichnete, lief er fortwährend hin und her, und machte – auch in buchstäblichem Sinne – so viel Wind als nur irgend möglich war. Einen Augenblick, nachdem er mit Leons Brief in der Hand die Stube verlassen hatte, kam er auch schon wieder zurück:

»Apropos, Eugen, ich hoffe doch, daß Mama heute wird übersiedeln können? Ich sitze sonst in der Tinte, sehr, sehr in der Tinte, weißt du ... ganz böse in der Tinte, mit den Hockers und den Pleiers und den Krückers ... ich hab' sie alle nach Grünenhaus eingeladen. Und ... ich hab' mit den Dienstmännern gesprochen. Weißt du, was dieser Flip sagte? Er fragte – grobes Volk, solche Dienstmänner – ob wir Mama nicht zum Fenster herauswinden könnten? Das fragt er! Frech, was? Aber ... siehst du, er meinte, im Lehnstuhl und ... na, ich hoffe bloß, daß es glückt, denn ich blamier mich so ganz schrecklich vor den Hockers und den Pleiers und den Krückers. Das ist's bloß, verstehst du?«

Und damit verließ er wieder das Comptoir.

Es versteht sich von selbst, daß unser Walther ganz artig dastand und zuhörte.

Nach dem Abzug von Mynheer Pompilius vertiefte er sich aufs neue in seine Rechnerei. Ach, er wollte ja so gern seine nächstliegende Pflicht thun. War es seine Schuld, daß er sich so ungeschickt anstellte und fortwährend rechnete: drei und acht ist vierundzwanzig, oder was anderes?

Wilkens ging nun ins Magazin, um die Schlängelchen auszusuchen oder die Mücken oder die Holzstücken, die das Haus Kopperlith dem Krämer Krimp anschmieren wollte, statt des verlangten Musters, das nicht mehr da war.

Zwei und sechs ist zwölf, und zehn macht zwanzig ...

Es begann schon wieder windig zu werden, Pompilius stürmte in das Comptoir:

»He! verflucht! ärgerlich! ganz dumm! Stellen Sie sich vor, Dieper ... sag', Eugen, höre bloß, 's wird doch zu arg! Wißt Ihr's schon von Gerrit? Er ist wieder steif von Rheumatismus ... wie finden Sie das? Er kann keine Besorgungen machen! Und ich ... ich habe gerade so viel Besorgungen. Auf Ehrenwort, ich hab' wohl zehn Besorgungen ... ja, wohl zwölfe! Haben Sie auch Besorgungen, Dieper? Wechselchen, Accepte, he?«

»Heute nicht, junger Herr. Aber morgen ...«

Der Buchhalter schlug ein kleines Notizbuch auf.

»Morgen hab' ich 'n Wechselchen im Judenviertel, 'n schmierig Ding.«

»So? morgen? Das ist gut. Wissen Sie, was Sie thun, Dieper? Sagen Sie Papa, daß Sie immer Wechsel haben, und daß Gerrit steif ist von Rheumatismus, und daß es so nicht weiter geht, wissen Sie? Sagen Sie's Papa, denn ... ich hab' so viel Besorgungen, ich habe scheußlich viel Besorgungen.«

»Ja, junger Herr Pompilius, ich will's Mynheer wohl sagen. Und ... wie geht's dem jungen Herrn Leon?«

Ei, ei, der schlimme Dieper! Er traute sich an den alten rheumatischen Gerrit nicht heran. Und der junge Herr Pompilius hätte ja das alte Möbel gern beiseite gesetzt, aber durch einen anderen. Gerrit hatte nämlich mit dem alten Herrn Beziehungen aus der Vorzeit, eine koprolithische Verwandtschaft, die respektiert werden mußte. Und darum sprang der vorsichtige Dieper so geschickt und interessiert auf das Wohlergehen des jungen Herrn Leon über.

»Sehr gut, danke schön,« antwortete Pompilius. »Den ganzen Brief hab' ich noch nicht gelesen. Er erzählt von Tigern und Schlangen und von Umzügen mit Sonnenschirmen und goldenen Waffen ... o allerlei! Mama freut sich kolossal drüber, verstehen Sie. Aber ... er ist noch immer Supernumerar. Er klagt, daß allerlei gemeines Volk ihm vorgezogen wird ...«

»Das ist sehr traurig für jemand von ... Stande,« sagte Dieper, mit einer Trauer in der Stimme, die wohl einige Gehaltszulage verdiente.

»Nicht wahr? Dieser verfluchte Gerrit mit seinem Rheumatismus! Und ich hab' gerade so schrecklich viel Besorgungen. Sag' mal, du, Pieterse – du heißt ja wohl Pieterse? – du mußt mal so gut sein, ein paar Besorgungen für mich zu machen.«

Walther stand marschfertig, mit dem Hut in der Hand, und ein vergnügtes »Bitte, Mynheer!« auf den Lippen.

Vergnügt? Ja, wahrhaftig. Das war ihm so eine Art Erlösung. Der junge Herr Pompilius nahm an dem Pult gegenüber Dieper Platz – das war das Pult des Chefs – und winkte Walther heran.

»Du weißt also den Weg in die Stadt? Schön. Dann mußt du mal so gut sein ... aber sag' ... hast du 'n Taschenbüchelchen ... 'n Portefeuille oder so was?«

»Nei...ein, Mynheer!«

»So? Hast du nicht? 'n Comptoirschreiber muß 'n Portefeuille haben, um ... was drin aufzuschreiben, weißt du? Sonst vergißt du's. Na, für heute mußt du eben die Besorgungen im Kopf behalten. Du mußt so gut sein und zu M'neer Hocker gehen, und da machst du eine Empfehlung von mir – von dem jungen M'neer Kopperlith, mußt du sagen, von M'neer Pompilius, weißt du? – und du fragst, ob die Jüffrauen Pleier aus Frankfurt – die logieren nämlich bei den Hockers, verstehst du? – ob die Jüffrauen Lust hätten, heut mittag mit mir und meiner Frau – du brauchst bloß zu sagen: mit der jungen Mevrouw Kopperlith-Hüddewitz, dann wissen sie schon – ja, du fragst, ob die Jüffrauen Pleier Lust haben, mit uns und der Familie Krücker ...«

»Bist du toll, Pompilius?« brummte Eugen. »Der Junge weiß ja gar nicht, wo Hocker wohnt.«

»Ach so! Das ist wahr. M'neer Hocker wohnt ...«

Und Walthers Handelswissenschaft wurde bereichert durch die sehr sorgfältige Kenntnis des Fleckes, wo Mynheer Hocker wohnte. Auch erfuhr er, was diesen Nachmittag mit der Familie dieses Herrn los sein sollte, und mit den Jüffrauen Pleier aus Frankfurt, und wie sie sich im Falle der Zustimmung in der Gesellschaft von Mevrouw Kopperlith-Hüddewitz, auch genannt die junge Mevrouw, amüsieren konnten.

»Und dann mußt du so gut sein, in die Kerkstraat zu gehen, bei der Korte-krülle-dwarsstraat, nach Papas Stall. Du fragst nur nach dem Stall von Mynheer Kopperlith auf der Kaisersgracht, verstehst du ... denn Papa hält eigenes Fuhrwerk – und dann sagst du zu Jakob ... das ist der Kutscher ... sagst du ...«

Folgte die Bestellung an Jakob, die ich leider vergessen habe.

»Und dann mußt du so gut sein und zu Jüffrau Lins gehen, in der Kattunstraat, und da machst du 'n Kompliment von der jungen Mevrouw Kopperlith – du sagst: von Mevrouw Kopperlith-Hüddewitz – und du sagst, daß die Jüffrau so gut sein möchte und dir ein Stickerei-Muster geben ... 's ist ein liegender Jagdhund, kannst du's wohl behalten?«

»J..a, M'neer!«

»Gut! 'n liegender Jagdhund, verstehst du. Nun, dies Muster soll sie dir geben für die junge Mevrouw Kopperlith, für Mevrouw Kopperlith-Hüddewitz, verstehst du? Und du fragst nach dem Preise ... dem allergenauesten Preise, mußt du sagen. Und dann gehst du zu meinem Hause und klingelst, und sagst dem Mädchen, daß du von mir kommst – von Mynheer, verstehst du? – und machst 'ne Empfehlung, und dann sagst du ...«

»Aber Pompilius, wie kann er denn wissen, wo dein Haus ist?«

»Ach so! Ich wohne auf der Liliengracht – stille Seite, weißt du, wo die vornehmen Häuser stehn. Ist 'n Haus mit einer Treppe vor, und Fenstern von Spiegelglas. Da mußt du bloß immer nach sehen, nach den Fenstern von Spiegelglas. Und du sagst zu dem Mädchen, daß du bei Jüffrau Lins gewesen bist, und daß du von mir kommst, und daß du der neue Comptoirlehrling bist, und wie viel das Stickmuster kostet. Und ... wenn die junge Mevrouw den Preis zu hoch findet – 's ist 'n Jagdhund auf 'm Kissen, verstehst du? – dann bringst du 'n wieder zu Jüffrau Lins und sagst, daß 's zu teuer ist. Und dann mußt du so gut sein und gehst mal zu meinem Schuster. Er wohnt in der Hallestraat, und da machst du 'ne Empfehlung von mir – von Mynheer Kopperlith von der Liliengracht, sagst du bloß – und dann sagst du, daß er so gut sein möchte, morgen früh neun Uhr bei mir zu sein und mir Maß zu nehmen zu 'n Paar neuen Pantoffeln. Und dann gehst du zu Mynheer Krücker, und du machst 'ne Empfehlung von mir, und fragst, wie's der alten Mevrouw geht – sie ist nämlich krank, weißt du, und hat's Podagra ... aber das brauchst du nicht zu sagen: du fragst bloß, wie's ihr geht – und dann bringst du da die Antwort hin von den Jüffrauen Pleier aus Frankfurt, die bei den Hockers logieren. Aber wenn nun die Jüffrauen Pleier die Einladung angenommen haben, dann mußt du so gut sein, mal bei M'neer Kruis auf dem englischen Quai mit heran zu gehen, und da sagst du – aber erst mußt du 'ne Empfehlung von mir ausrichten – daß ich heute mittag durch schweren Kopfschmerz verhindert bin, von seiner Einladung Gebrauch zu machen, mit der Familie auf Lockhoost zu essen. Wenn aber die Jüffrauen Pleier sich für die Einladung bedanken lassen ...«

»Um Himmels willen, Pompilius, das kann ja der Junge im Leben nicht behalten!«

»Nicht wahr? Ganz wie ich sage. Warum hat so 'n junger Mensch kein Taschenbuch? Ganz wie ich sage. Du mußt machen, daß du 'n Taschenbuch hast, um ... alles aufzuschreiben, verstehst du! Denn ... 'n Lehrling auf dem Comptoir muß immer 'n Taschenbuch haben ... was sagen Sie, Dieper? Aber ... so lange du nun kein Taschenbuch hast, mußt du ... alles im Kopf behalten, was ich dir gesagt hab'. Geh' nun erst und besorg' die Botschaften. Dann kann ich dir die anderen später geben. Denn ... wenn ich dir zu viel mit einmal auftrag', wirst du sie ja doch bloß vergessen ... was sagst du, Eugen? – weil du kein Taschenbuch hast, verstehst du?«


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