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Über Papas sämtliche Fuhrwerke und die Würde eines elsässischen Konsuls. Papa selbst tritt in die Erscheinung, und Walther lernt aus den Fehlern anderer.

Als nun Walther ein paar Stunden lang herumgetrabt war und wieder ins Comptoir trat – Vellestraat, Stockfischräucherei, Ölfässer, Gang nach dem Hinterhaus, Hof und Korridorthür ... er fand alle Stationen seines Leidensweges in richtiger Ordnung wieder, wie sie ihm Gerrit am Morgen gezeigt hatte, und er war sehr stolz darauf – als er nun, wie gesagt, zurückkam, fand er nur Dieper und Willens auf dem Comptoir.

Wilkens war halb verschwunden in einer Kiste, die neben dem Eingang nach dem Alkoven zu stand, in dem finsteren Winkel, und die mit allerlei Lappen angefüllt war. Wahrscheinlich suchte er da irgend ein Muster. Er hatte Walther nicht hereinkommen gehört, und so kam es, daß dieser mit dem unangenehmen Gespräch oder auch Selbstgespräch des Herrn Wilkens begrüßt wurde:

»Sie werden sehen. Ich werde den Schulmeister machen müssen. Auf mir wird alles sitzen bleiben. Mir werden sie die ganze Plackerei aufhalsen. Das ist meine Sache nicht ... das ist meine Art nicht. Ganz und gar nicht!«

Als der Mann, der sich so vor seinem Schulmeisterberuf fürchtete, Walther erblickte, brach er seine rührende Klage ab.

»Da steht eine Tasse Kaffee für dich,« sagte er mit majestätischem Ton und hoheitsvoller Handbewegung, als ob der alte Lappen, den er gerade gefaßt hatte, eine Sammlung von Kronen und Sceptern wäre.

Aber er hatte die reine Wahrheit gesprochen. In der That, da auf dem Tischchen stand Kaffee. Eine »Tasse« konnte man es eigentlich nicht nennen ...

»Und ... wenn ich dir 'n guten Rat geben soll, dann bring dir in Zukunft so 'ne Butterstulle mit, oder so etwas.«

Walther hatte ihn zwar nicht recht verstanden, aber er beeilte sich doch, seine nächstliegende Pflicht zu thun, und antwortete: »Gewiß, M'neer! Das will ich gewiß thun!«

Ach, er war so willig!

Die jungen Herren Pompilius und Eugen pflegten gegen zwölf Uhr das Comptoir auf ein Stündchen zu verlassen und »bei Mama Kaffee zu trinken und ein Brötchen zu essen«.

So lautete unabänderlich die Ankündigung von Pompilius, mit der er den Herren vom Comptoir die Erlaubnis erteilte, auch etwas zu sich zu nehmen ... wenn sie etwas hatten. Denn das Haus Kopperlith, dessen »Papa« so sehr reich war, lieferte Butterstullen nicht. Die Herren vom Comptoir mochten, wenn sie nicht schlapp werden wollten, sich dergleichen in der Rocktasche mitbringen; und der zartfühlende Eugen machte immer, daß er aus dem Zimmer heraus war, bevor die in Papier aufbewahrten Lebensmittel dem Augenblicke ihrer Entwicklung genähert waren. Er fand, daß sie nicht schön aussahen, besonders die Leibesstärkung, die Wilkens bei sich führte.

Durch traurige Erfahrung gewitzigt, hatte Wilkens nämlich die Gewohnheit angenommen, seine Stullen zwischen seiner linken Weste und seinem edlen Herzen aufzubewahren. Einmal nämlich hatten ein paar junge Neffen des Hauses, – die Unglücklichen wußten nicht, daß wohlgeborene junge Leute mit Comptoirpersonal keine Scherze machen! – sie hatten den Weg nach dem dunklen Alkoven gefunden, in dem der Ärmste seine mit den Viktualien beschwerte Straßenjacke bewahrte, und sie hatten ihm das Butterbrot mit einer Lage feingeschnittener Baumwolle, Weißgrund-Dreifarb, bestreut. Der Märtyrer seines Faches schluckte den zähen Witz der »kleinen Neffen von Mynheer«, so gut es ging, hinunter, – seine nächstliegende Pflicht, wie er meinte – aber seit der Zeit trug er seinen Magentrost immer bei sich, bis zur Erledigung.

Und einmal war es passiert, daß er sie seiner treuen Ehegemahlin ungegessen wieder heimbrachte, die nun ihr eigenes Werk, das mit so viel Liebe Gebutterte, kaum wiedererkannte.

Der junge Herr Pompilius hatte sich an jenem Tage mit Mama verknurrt und blieb deshalb auf dem Comptoir. Die Herren vom Comptoir hatten den Mut nicht, ihre spärlichen Krümel ans Licht zu holen. Auch die Gefäße mit gelblichem Kaffee blieben an dem Tage unberührt stehen.

Und hier ist die richtige Gelegenheit, eine Falschheit eines gewissen Klaas Kolyn zu offenbaren, die den nachgelassenen Geschlechtern des Hauses Kopperlith nicht wenige Thränen gekostet hat. Dieser Pfuscher behauptete, daß die Herren vom Comptoir sich auch ihren Kaffee von Hause mitbrachten: Irrtum, Falschheit, Betrug, Lästerung! Der Kaffee wurde aus der Küche geliefert, und die Dienstboten tranken ihn selbst nicht besser. Dieses ist bezeugt worden durch die Autorität der Person, die sich heute früh so standhaft geweigert hatte, Walther an der Thür des Hauses der Familie Antwort zu stehen.

Eben war Walther im Begriff, auf seinen Kaffeenapf einen Angriff zu wagen, als der junge Herr Pompilius mit seiner üblichen, fahrigen Hast ins Comptoir stürmte.

Vor Schreck setzte der junge Handelsmann den Napf nieder und hatte Geistesgegenwart genug, das Ding nicht fallen zu lassen.

»Ei so? Zurück? Gut. Na, wie ist's? Was sagte der Schuster? Und die Pleierschen Damen? Und hast du mein Haus gefunden? Du brauchst nur nach den Spiegelfenstern zu sehen, weißt du. Und was hat die junge Mevrouw dir sagen lassen? – Hat sie dir keine Bestellung für mich aufgegeben? Und ... warst du im Stall? Hast du Jakob gesehen? Was machte er? Putzte, wie? Ganz gewiß, putzte. Papa hat nämlich 'ne Britschka und 'n Landauer, und 'n Zeltwagen, und 'ne Kutsche, und das muß alles geputzt werden. Und nun sag' mal erst: was haben die Jüffrauen Pleier geantwortet?«

Der kleine Merkur brachte seinen Bericht heraus, so gut es ging. Die erste Probe schien nicht schlecht ausgefallen zu sein. Der junge Herr Pompilius nickte zufrieden und versprach ihm, er werde ihn öfters mit solchen Botschaften bevorzugen. Bei einer Anlage, wie sie Walther zeigte, und wie sie durch den Sonnenschein von Pompilius' Gunst bedeutend gefördert werden mußte, war doch die Möglichkeit vorhanden, daß dieser »jüngste Bedienstete« des Comptoirs, falls er was erlebte, noch zum »allerältesten Bediensteten« aufstieg.

»So, so? Hast du Mevrouw Kalbb auch gesehen? Schön, das ist gut. So lernst du Menschen kennen. Mevrouw Kalbb-Kopperlith, weißt du? So so, die hast du gesehen! Ganz richtig, das war Papas Britschka, denn ... Papa hält Fuhrwerk. Hatte sie die Mietspferde vor? Ach, das weißt du nicht. Sonst nämlich ... nämlich, verstehst du, Papa sieht nicht gerne, daß die Pferde ... na, das geht dich nichts an. Du mußt immer gut aufpassen ... und dir 'n Taschenbuch kaufen, 'n klein Taschenbuch, und da mußt du alles aufschreiben, was ich dir sage, und ... was M'neer Wilkens dir sagt. Nicht, Wilkens?«

»Ja. M'neer!«

»Richtig. Mevrouw Kalbb ist meine Schwester, Mevrouw Kalbb-Kopperlith – so mußt du sagen. Und denk' daran, daß Mynheer Kalbb seinen Namen mit zwei b schreibt. Merk dir das, und schreib's auf, wenn du 'n Taschenbuch hast ... mit zwei b, weißt du? Es giebt nämlich auch Menschen, die Kalb heißen mit einem b, gewöhnliche Leute, ganz gewöhnliche Leute ... 'n Lederfritze, glaube ich. Was sagen Sie, Dieper?«

Dieper legte langsam und vorsichtig seine Feder nieder, trat einen Schritt zurück, schnaubte die Nase, räusperte sich, und sprach mit einer Stimme, die für diese Aussage ganz besonders klar gemacht war:

»Ja, junger Herr, ganz gewöhnliche Menschen!«

»Siehst du,« fuhr Pompilius fort, »M'neer Dieper sagt's auch, und ... dieser Ledermensch schreibt seinen Namen mit einem b. Aber mein Schwager heißt Kalbb ... zwei b, und er ist Konsul vom ganzen Elsaß, und wenn der König in die Stadt kommt, muß er jedesmal zur Audienz, und dann sagt der König: éh bien, m'sieu le consul, comment vont les affaires? und dann antwortet M'neer Kalbb ... auch auf französisch! Und dann hat er 'n Rock an mit'm gestickten Kragen. Und dann nickt der König – vorgestern noch, und so alle Jahre! – und M'neer Kalbb ... ist mein Schwager, der Schwiegersohn von Papa. Und hast du selbst nun Frau Kalbb gesehen? So, was sagte sie?«

»Sie sagte nichts, M'neer.«

»So? sagte sie nichts? Das kommt, weil sie nicht wußte, daß du Lehrling bei uns bist, sonst ... hätte sie gewiß was gesagt ... oder 'ne Bestellung aufgetragen ... oder so ... denn ... sie ist meine Schwester, weißt du. Das mußt du dir gut merken. Und wie ging's mit der Stickvorlage?«

Walthers Triumph über die abgehandelten vier Stüber wurde einigermaßen gemäßigt durch die krause Stirn, die Pompilius machte, als ihm die Entgleisung seiner leichtsinnigen besseren Hälfte zu Ohren kam:

»Drinnen gewesen? Selbst die junge Mevrouw gesprochen? Ei ... sooo? In ihrem Zimmer gewesen? Warum bist du drinnen gewesen?«

»M'neer,« stotterte Walther, der merkte, daß er einen Fehler begangen hatte, »das Mädchen sagte, daß Mevrouw mich rufen ließ, und daß ich ... hinein kommen sollte.«

»Das Mädchen? das Mädchen? Was kümmerst du dich um 'n Mädchen? So 'n Mädchen kann viel sagen ... siehst du, das ist nun so – wenn ich dir was auftrage, mußt du immer ...«

Ein schlürfender Tritt ließ sich auf dem Gange hören. Schade. Ich hätte auch gern gewußt, wie sich Walther in solchen Fällen zu benehmen hätte. Aber Pompilius brach seinen Unterricht ab:

»Das ist Papa. Ich werde dich jetzt Papa vorstellen. Du mußt nun die Güte haben, zu Papa recht artig zu sein, 'n Tag, Papa!«

Die verehrungswürdige Gestalt des alten Herrn Kopperlith schob sich in das Comptoir herein.

Mit behaglichem Lachen nahm er die demütigen Grüße von Dieper und Wilkens entgegen, und auch auf Walther kam ein Tröpfchen des Gnadenstroms, der edelmütig herabfloß.

»So, das ist der junge Pieterse? Schön, Männchen, nun mußt du bloß hübsch brav aufpassen, dann kann was Tüchtiges aus dir werden. Du bist uns empfohlen durch M'neer Dieper ...«

Der Buchhalter trat einen Schritt zurück und machte eine Bewegung, als wollte er nochmals für seine Frechheit um Entschuldigung bitten. Aber der alte Herr lachte ... Dieper sollte also vorläufig noch nicht gerädert werden.

»Ja, durch M'neer Dieper, der mein Buchhalter ist. Und an M'neer Dieper bist du empfohlen durch einen gewissen Herrn ... wie hieß der doch wieder?«

»Ach, M'neer,« antwortete der Buchhalter, als wäre der Name eigentlich zu gewöhnlich für das Ohr des alten Herrn ... »ach, M'neer, der junge Mensch ist mir empfohlen durch ... einen gewissen Kalb, einen Lederhändler ... jemand, den ich wohl gelegentlich mal getroffen habe ... M'neer!«

Kalb war ein Verwandter von ihm, sein bester Freund, so weit es Comptoirbediensteten gestattet ist, Freunde und Verwandte zu haben.

»Richtig, 'n gewisser ... Kalb. Na, 's ist egal. Du wirst hier Arbeit finden, Junge. Fleißig arbeiten ist die Losung. Hat Wilkens dir schon 's eine oder andere gezeigt? Ist er schon im Magazin gewesen? Auf den Böden? Du setzt ihn gewiß ans Kopiebuch, Pompilius?«

Auf alle diese Fragen hatte Pompilius ein Dutzend »Jawohl, Papa« zur Antwort gegeben.

»Und schreibt er 'ne hübsche Hand?«

»Jawohl, Papa!«

Walther begann vor Pompilius' Scharfsinn Respekt zu bekommen. Er hatte es gewiß aus den Bestellungen bei den Pleiers und den Krückers und den Hockers und beim Schuster gleich gemerkt. Ja, vornehme Leute haben Scharfblick.

»So? Ei, 'ne hübsche Hand! Ei, ei! Na, Pompilius, was meinst du, da könnte er ja den Brief von Leon ein paarmal abschreiben, für Flodoard und für Vetter Griekel und für die Familie Pruikers.«

»Ja, Papa.«

»Nicht wahr, sie luden Leon immer zu ihren Kindergesellschaften ein. Sie würden es nett finden, daß er so 'n Mann geworden ist und schon so nette Briefe schreiben kann. Aber ... auf dünnes Papier! auf ganz dünnes Papier! Es ist wegen des Portos nach Rom, weißt du ... auf ganz dünnes.«

»Ja, Papa.«

»Siehst du, dann kann unser Männchen sich gleich im Briefstil ein wenig üben, Pompilius.«

»Jawohl, Papa.«

Und so geschah es.

Walther bekam den Auftrag, die ostindische Weisheit des jungen Herrn Leon zu vervielfältigen, zur Freude des jungen Herrn Flodoard, der zu Rom war und dort angeblich malte. Zur Erheiterung auch des Vetters Griekel in Leyden. Und um die Freundschaft mit der Familie Pruikers fester zu kitten, die auch Leute von bestem Stande waren.

Nachdem Walther vielerlei Lehrsysteme angehört hatte, wie ein Brief abgeschrieben werden müsse, ging er tapfer ans Werk. Er sah nicht auf, schrieb Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Satz für Satz ... und mit seiner schönsten Handschrift. Es sah wie gestochen aus. Er vollbrachte also wieder, so gut wie möglich, seine nächstliegende Pflicht.

Freilich, es wunderte ihn wohl, daß Herr Leon Kopperlith, der »Supernumerar bei den Landeseinkünften und -Kulturen in dem Bezirk Tjanjor, Preanger-Regentschaften, auf der Insel Java, in Niederländisch-Indien«, so unterschrieb der ferne junge Herr den Brief an seine Mutter, und die fand in der Albernheit nichts Auffallendes – wohl wunderte es Walther, daß diese vornehme Persönlichkeit so viele Fehler in Sprache und Rechtschreibung machte. Und ... er fühlte sich doch etwas beleidigt – mehr als durch die Botengänge – daß man ihm all die Fehler abzuschreiben gab ... zur Übung im Briefstil.

Noch etwas war, was ihm sehr unangenehm war. Aber dafür konnte Leon nicht. Er hatte furchtbaren Hunger.


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