W. A. Mozart
Mozarts Briefe
W. A. Mozart

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Augsburg, 23. Oktober 1777.

... Vergangenen Sonntag war ich im Amt beim Heiligen Kreuz, um zehn Uhr ging ich aber zum Herrn Stein ... Wir probierten ein paar Sinfonien zum Konzert. Hernach speiste ich mit meinen Vettern beim Heiligen Kreuz. Unter der Tafel wurde Musik gemacht. So schlecht als sie geigen, ist mir die Musik im Kloster doch lieber als das Orchester von Augsburg. Ich machte eine Sinfonie und spielte auf der Violin das Konzert in B vom Vanhall mit allgemeinem Applaus. Der Herr Dechant ist ein braver, lustiger Mann; er ist ein Vetter vom Eberlin, heißt Zeschinger; er kennt den Papa ganz gut. Auf die Nacht beim Souper spielte ich das Straßburger Konzert: es ging wie Öl; alles lobte den schönen reinen Ton. Hernach brachte man ein kleines Klavichord, ich präludierte und spielte eine Sonate und die Variationen von Fischer. Dann zischelten die andern dem Herrn Dechant ins Ohr, er sollte mich erst orgelmäßig spielen hören. Ich sagte, er möchte mir ein Thema geben; er wollte nicht, aber einer aus den Geistlichen gab mir eins. Ich führte es spazieren und mitten darin (die Fuge ging ex G minor) fing ich major an und ganz was Scherzhaftes, aber im nämlichen Tempo, dann endlich wieder das Thema und aber von hinten. Endlich fiel mir ein, ob ich das scherzhafte Wesen nicht auch zum Thema der Fuge brauchen könnte. Ich fragte nicht lang, sondern machte es gleich, und es ging so akkurat, als wenn es ihm der Daser angemessen hätte. Der Herr Dechant war ganz außer sich. »Das ist vorbei, da nutzt nichts,« sagte er, »das habe ich nicht geglaubt, was ich da gehört habe; Sie sind ein ganzer Mann. Mir hat freilich mein Prälat gesagt, daß er sein Lebetag niemand so bündig und ernsthaft die Orgel habe spielen hören.« (Dann er hat mich etliche Täge vorher gehört, der Dechant war aber nicht hier.) Endlich brachte einer eine Sonate her, die fugiert war, ich sollte sie spielen. Ich sagte aber: »Meine Herren, das ist zu viel, das muß ich gestehen, die Sonate werde ich nicht gleich so spielen können.« – »Ja, das glaube ich auch,« sprach der Dechant mit vielem Eifer, dann er war ganz für mich, »das ist zu viel; da gibts keinen, dem das möglich wäre.« – »Übrigens aber«, sagte ich, »ich will es doch probieren.« Da hörte ich aber immer hinter mir den Dechant: »O du Erzschufti, o du Spitzbubi, o du, du!« Ich spielte bis elf Uhr, ich wurde mit lauter Fugenthemata bombardiert und gleichsam belagert.

Neulich beim Stein brachte er mir eine Sonate vom Beecké; ich glaube, ich habe das schon geschrieben. Apropos wegen seinem Mädel! Wer sie spielen sieht und hört und nicht lachen muß, der muß von Stein wie ihr Vater sein. Es wird völlig gegen den Diskant hinauf gesessen, beileibe nicht mitten, damit man mehr Gelegenheit hat, sich zu bewegen und Grimassen zu machen. Die Augen werden verdreht, es wird geschmutzt; wenn eine Sache zweimal kömmt, so wird sie das zweite Mal langsamer gespielt; kommt sie dreimal, wieder langsamer. Der Arm muß in alle Höhe, wenn man eine Passage macht, und wie die Passage markiert wird, so muß es der Arm, nicht die Finger, und das recht mit allem Fleiß schwer und ungeschickt tun. Das Schönste aber ist, daß, wenn in einer Passage (die fortfließen soll wie Öl) notwendigerweise die Finger gewechselt werden müssen, so brauchts nicht viel acht zu geben, sondern wenn es Zeit ist, so läßt man aus, hebt die Hand auf und fängt ganz kommod wieder an. Durch das hat man auch eher Hoffnung, einen falschen Ton zu erwischen, und das macht oft einen kuriosen Effekt. Ich schreibe dieses nur, um dem Papa einen Begriff vom Klavierspielen und Instruieren zu geben, damit der Papa seinerzeit einen Nutzen daraus ziehen kann. Herr Stein ist völlig in seine Tochter vernarrt. Sie ist achtehalb Jahr alt, sie lernt nur noch alles auswendig. Sie kann werden, sie hat Genie; aber auf diese Art wird sie nichts, sie wird niemalen viel Geschwindigkeit bekommen, weil sie sich völlig befleißt, die Hand schwer zu machen. Sie wird das Notwendigste und Härteste und die Hauptsache in der Musik niemalen bekommen, nämlich das Tempo, weil sie sich von Jugend auf völlig beflissen hat, nicht auf den Takt zu spielen. Herr Stein und ich haben gewiß zwei Stunden miteinander über diesen Punkt gesprochen. Ich habe ihn aber schon ziemlich bekehrt, er fragt mich jetzt in allem um Rat. Er war in den Beecké völlig vernarrt; nun sieht und hört er, daß ich mehr spiele als Beecké, daß ich keine Grimassen mache und doch so expressive spiele, daß noch keiner nach seinem Bekenntnis seine Pianoforte so gut zu traktieren gewußt hat. Daß ich immer akkurat im Takt bleibe, über das verwundern sie sich alle. Das tempo rubato in einem Adagio, daß die linke Hand nichts darum weiß, können sie gar nicht begreifen. Bei ihnen gibt die linke Hand nach. Graf Wolfeck und mehrere, die ganz passioniert für Beecké sind, sagten neulich öffentlich im Konzert, daß ich den Beecké in Sack schiebe. Graf Wolfeck lief immer im Saal herum und sagte: »So hab ich mein Lebtag nichts gehört.« Er sagte zu mir: »Ich muß Ihnen sagen, daß ich Sie niemalen so spielen gehört wie heute; ich werde es auch Ihrem Vater sagen, sobald ich auf Salzburg komme.«...


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