Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Zweite Szene

Öder Strand. Im Norden.

Kollmer allein: Hier pflegt er umzugehn, dies ist der Strand,
Den er einförmig mit den Schritten mißt.
    Mich wundert, wo er bleiben mag. Vielleicht
Trieb ihn sein irrer Sinn auf andre Pfade,
Denn oft konnt ich gewahren, daß sein Geist
Und Körper auf verschiedner Fährte gehn.
    O wunderbar! mich jammert sein Geschick,
Denk ich daran, was doch kaum glaublich scheint,
Daß die Natur in einem Sterblichen
Sich um Jahrhunderte selbst überlebt –
Wie? tausend Jahre? – tausend – ja nun wird mir
Zum ersten Male plötzlich angst und enge,
Als müßt ich's zählen auf der Stell, durchleben
In einem Atemzug – Hinweg! man wird zum Narren!
    Hm, tausend Jahr; ein König einst! – o eine Zeit
So langsam, als man sagt, daß Steine wachsen.
Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft –
Gäb es für die Vernunft ein drittes noch,
So müßt er dort verweilen in Gedanken.
    Sind's aber einmal tausend, ja, so können
Unzählige noch kommen; sagt man nicht,
Daß auch ein Ball, geworfen über die Grenze
Der Luft, bis wo der Erde Atem nicht mehr hinreicht,
Nicht wieder rückwärts fallen könne, nein,
Er müsse kreisen, ewig, wie ein Stern.
So, fürcht ich, ist es hier.
    Auch spricht man von der Inselgöttin Weyla,
Daß sie ein Blümlein liebgewann von seltner
Und nie gesehner Art, ein einzig Wunder,
Dies schloß die Göttin in das klare Wasser
Des härtsten Diamants ein, daß es daure
Mit Farben und Gestalt; wahrhaftig nein,
Ich möchte so geliebt nicht sein von Weyla,
Doch diesem König hat sie's angetan.
    Oft ahnte mir, er selber sei ein Gott,
So anmutsvoll ist sein verfinstert Antlitz;
Das ist sein größtes Unglück, darum ward,
Wie ich wohl deutlich merke, eine Fee
Von heißer Liebe gegen ihn entzündet,
Und er kann ihrem Dienste nicht entgehn,
Sie hat die Macht schon über ihn, daß er,
Sooft sich ihr Gedanke nach ihm sehnt,
Tag oder Nacht, und aus der fernsten Gegend,
Nach ihrem Wohnsitz plötzlich eilen muß.
Wenn dieser Ruf an ihn ergeht, so reißt
Der Faden seines jetzigen Gedankens
Auf einmal voneinander, ganz verändert
Erscheint sein Wesen, hellres Licht durchwittert
Des Geistes Nacht, der längst verschüttete Brunn
Der rauhen und gedämpften Rede klingt
Mit einmal hell und sanft, sogar die Miene
Scheint jugendlicher, doch auch schmerzlicher:
Denn greulich ist verhaßter Liebe Qual.
    Drum sinnt er sicherlich in schwerem Gram,
Wie er sich ledig mache dieser Pein;
Dahin auch deut ich jene Worte mir,
Die er einst fallenlassen gegen mich:
»Willst du mir dienstbar sein, so gehe hin
Zur Stadt, dort liegt in einem unerforschten Winkel
Ein längst verloren Buch von seltner Schrift,
Das ist geschrieben auf die breiten Blätter
Der Thranuspflanze, so man göttlich nennt,
Das suche du ohn Unterlaß, und bring es.«
Drauf lächelt' er mitleidig, gleich als hätt er
Unmögliches verlangt, und redete
Zeither auch weiter nicht davon. Nun aber
Kam mir zufällig jüngst etwas zu Ohren
Von ein paar schmutzigen, unwissenden Burschen,
Die hätten der Art einen alten Schatz
Bestäubt und ungebraucht im Hause liegen.
Vielleicht, es träfe sich; so will ich denn
Vom König nähere Bezeichnung hören;
Doch aber zweifl' ich, zweifle sehr – Horch! ja, dort kommt er
Den Hügel vor. O trauervoller Anblick!
Sein Gang ist müde. Horch, er spricht mit sich.

König: O Meer! Du der Sonne
Grüner Palast mit goldenen Zinnen!
Wo hinab zu deiner kühlen Treppe?

Kollmer: (Ob ich es wagen darf, ihn anzurufen?)
Mein teurer König!

König: Wer warf meinen Schlüssel in die See?

Kollmer: Mein hoher Herr, vergönnt –

König ihn erblickend:
Was willst du hier? Wer bist du? Fort! Hinweg!
Fort! willst du nicht fort? Fluch auf dich!

Kollmer: Kennst du mich nicht mehr? dem du manches Mal
Dein gnädig Antlitz zugewendet hast?

König: Du bist's; ich kenne dich. So sag mir an,
Wovon die Rede zwischen uns gewesen
Das letztemal. Mein Kopf ist alt und krank.

Kollmer: Nach jenem Buche hießest du mich suchen.

König: Wohl, wohl, mein Knecht. Doch suchet man umsonst,
Was Weyla hat verscharrt, die kluge Jungfrau,
Nicht wahr?

Kollmer:     Gewiß, wenn nicht ihr Finger selbst
Mich führt; wir aber hoffen das, mein König.
Für jetzt entdeck mir mehr vom heilgen Buche.

König: Mehr noch, mein Knecht? das kann schon sein, kann sein,
Will mich bedenken; wart, ich weiß sehr gut –
– Wär vor der Stirn die Wolke nicht! merkst du?
Elend! Elend! hier, hier, merkst du? die Zeit
Hat mein Gehirn mit zäher Haut bezogen.
Manchmal doch hab ich gutes Licht ...

Kollmer:                 Ach Armer!
Laß, laß es nur, sei ruhig! Herr, was seh ich?
Was wirfst du deine Arme so gen Himmel,
Ballst ihm die Fäust ins Angesicht? Mir graut.

König: Ha! mein Gebet! meine Morgenandacht! Was?
Willst einen König lehren, er soll knien?
Seit hundert Jahren sind ihm wund die Kniee –
Was hundert –? o ich bin ein Kind! Komm her,
Und lehr mich zählen – Alte Finger! Pfui!
Auf, Sklave, auf! Ruf deine Brüder all!
Sag an, wie man der Götter Wohnung stürmt!
Sei mir was nütze, feiger Schurke du!
Die Hölle laß uns stürmen, und den Tod,
Das faule Scheusal, das die Zeit verschläft,
Herauf zur Erde zerren ans Geschäft!
Es leben noch viel Menschen; Narre du,
Mir ist es auch um dich! willst doch nicht ewig
Am schalen Lichte saugen?

Kollmer:                 Weh! er raset.

König: Still, still! Ich sinne was. Es tut nicht gut,
Daß man die Götter schmähe. Sag, mein Bursch,
Ist dir bekannt, was, wie die Weisen meinen,
Am meisten ist verhaßt den sel'gen Göttern?

Kollmer: Lehr mich's, o König.

König:                 Das verhüte Weyla,
Daß meine Zunge nennt was auch zu denken
Schon Fluch kann bringen. – Hast du wohl ein Schwert?

Kollmer: Ich habe eins.

König:             So schone deines Lebens,
Und laß uns allezeit die Götter fürchten!
– Was hülf es auch, zu trotzen? Das Geschick
Liegt festgebunden in der Weissagung,
So deins wie meines. Nun – wohlan, wie lautet
Der alte Götterspruch? ein Priester sang
Ihn an der Wiege mir, und drauf am Tag
Der Krönung wieder.

Kollmer:             Gleich sollst du ihn hören;
Du selber hast ihn neulich mir vertraut.

  Ein Mensch lebt seiner Jahre Zahl:
Ulmon allein wird sehen
Den Sommer kommen und gehen
Zehnhundertmal.

  Einst eine schwarze Weide blüht,
Ein Kindlein muß sie fällen,
Dann rauschen die Todeswellen,
Drin Ulmons Herz verglüht.

  Auf Weylas Mondenstrahl
Sich Ulmon soll erheben,
Sein Götterleib dann schweben
Zum blauen Saal.

König: Du sagst es recht, mein Mann; ein süßer Spruch!
Mich dünkt, die wen'gen Worte sättigen rings
Die irdische Luft mit Weylas Veilchenhauch.

Kollmer: Ergründest du der Worte Sinn, o Herr?

König: Ein König, ist er nicht ein Priester auch?
Still, meine heil'ge Seele kräuselt sich,
Dem Meere gleich, bevor der Sturm erscheint,
Und wie ein Seher möcht ich Wunder künden,
So rege wird der Geist in mir.
– Freilich, zu trüb, zu trüb ist noch mein Aug –
Ha, Sklave, schaff das Buch! mein lieber Sklave!

Kollmer: Beschreib es mir erst besser.

König:                     Nur Geduld.
Ich sah es nie und kein gemeiner Mensch.
Von Priesterhand verzeichnet steht darin,
Was Götter einst Geweihten offenbarten,
Zukünftger Dinge Wachstum und Verknüpfung;
Auch wie der Knoten meines armen Daseins
Dereinst entwirrt soll werden, deutet es.
(Laß mich vollenden, weil die Rede fließt –)
Im Tempel Nidru-Haddin hütete
Die weise Schlange solches Heiligtum,
Bis daß die große Zeit erfüllet war,
Und alle Menschen starben; sieh, da nahm
Die Göttin jenes Buch, und trug es weg
An andern Ort, wer wollte den erkunden?
Auch meinen Schlüssel nahmen sie hinweg,
Die Himmlischen, und warfen ihn ins Meer.

Kollmer: Herr, welchen Schlüssel?

König:                     Der zum Grabe führt
Der Könige.

Kollmer:     Was zitterst du? erbleichst?

König: Die Zaubrin lockt – Thereile reißt an mir –
Leb wohl! Ich muß –

Beide nach verschiedenen Seiten ab.


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