Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Eduard Mörike

Der letzte König von Orplid

Ein phantasmagorisches Zwischenspiel

Erste Szene

Anblick der Stadt Orplid mit dem Schlosse; vorn noch ein Teil vom See. Es wird eben Nacht. Drei Einwohner sitzen vor einem Haus der unteren Stadt auf einer Bank im Gespräch. Suntrard, der Fischer, mit seinem Knaben, und Löwener, der Schmied.

Suntrard: Lasset uns hieher sitzen, so werden wir nach einer kleinen Weile den Mond dort zwischen den zwei Dächern heraufkommen sehen.

Knabe: Vater, haben denn vor alters in all den vielen Häusern dort hinauf auch Menschen gewohnt?

Suntrard: Jawohl. Als unsere Väter, vom Meersturm verschlagen, vor sechzig Jahren zufälligerweise an dem Ufer dieser Insel, was das Einhorn heißt, anlangten, und tiefer landeinwärts dringend sich rings umschauten, da trafen sie nur eine leere steinerne Stadt an; das Volk und das Menschengeschlecht, welches diese Wohnungen und Keller für sich gebauet, ist wohl schon bald tausend Jahr ausgestorben, durch ein besonderes Gerichte der Götter, meint man, denn weder Hungersnot noch allzu schwere Krankheit entsteht auf dieser Insel.

Löwener: Tausend Jahr, sagst du, Suntrard? Gedenk ich so an diese alten Einwohner, so wird mir's, mein Seel, nicht anders, als wie wenn man das Klingen kriegt im linken Ohr.

Suntrard: Mein Vater erzählt, wie er, ein Knabe damals noch, mit wenigen Leuten, fünfundsiebzig an der Zahl, auf einem zerbrochenen Schiffe angelangt, und wie er sich mit den Genossen verwunderte über eine solche Schönheit von Gebirgen, Tälern, Flüssen und Wachstum, wie sie darauf fünf, sechs Tage herumgezogen, bis von ferne sich auf einem blanken, spiegelklaren See etwas Dunkeles gezeigt, welches etwan ausgesehen, wie ein steinernes Wundergewächs, oder auch wie die Krone der grauen Zackenblume. Als sie aber mit zweien Kähnen darauf zugefahren, war es eine felsige Stadt von fremder und großer Bauart.

Knabe: Eine Stadt, Vater?

Suntrard: Wie fragst du, Kind? Ebendiese, in der du wohnest. – Des erschraken sie nicht wenig, vermeinend, man käme übel an; lagen auch die ganze Nacht, wo es in einem fort regnete, vor den Mauern ruhig, denn sie getrauten sich nicht. Nun es aber gegen Morgen dämmerte, kam sie beinahe noch ein ärger Grauen an; es kräheten keine Hähne, kein Wagen ließ sich hören, kein Bäcker schlug den Laden auf, es stieg kein Rauch aus dem Schornstein. Es brauchte dazumal jemand das Gleichnis, der Himmel habe über der Stadt gelegen, wie eine graue Augbraun über einem erstarrten und toten Auge. Endlich traten sie alle durch die Wölbung der offenen Tore; man vernahm keinen Sterbenslaut als den des eigenen Fußtritts und den Regen, der von den Dächern niederstrollte, obgleich nunmehr die Sonne schon hell und goldig in den Straßen lag. Nichts regte sich auch im Innern der Häuser.

Knabe: Nicht einmal Mäuse?

Suntrard: Nun, Mäuse wohl vielleicht, mein Kind. Er küßt den Knaben.

Löwener: Ja, aber Nachbar, ich bin zwar, wie du, geboren hier und groß geworden, allein es wird einem doch alleweil noch sonderlich zumut, wenn man so des Nachts noch durch eine von den leeren Gassen geht und es tut, als klopfte man an hohle Fässer an.

Knabe: Aber warum doch wohnen wir neuen Leute fast alle wie ein Häuflein so am Ende der Stadt und nicht oben in den weitläuftigen schönen Gebäuden?

Suntrard: Weiß selber nicht so recht; ist so herkommen von unsern Eltern. Auch wäre dort nicht so vertraut zusammennisten.

Löwener: Wo wir wohnen, das heißt die untere Stadt, hier waren vor alters wahrscheinlich die Buden der Krämer und Handwerker. Die ganze Stadt aber beträgt wohl sechs Stunden im Ring.

Suntrard: Wenn der Mond vollends oben ist, laßt uns noch eine Strecke aufwärts gehen, bis wo die SonnenkeileSonnenkeile – so nannte man drei eigentümlich gegeneinandergestellte, steinerne Spitzsäulen, welche durch den Schatten, den sie werfen, den Ureinwohnern als eine Art von Sonnenuhr gedient haben sollen. ist. Nachbar, als ein kleiner Junge, wenn wir Buben noch abends spät durch die unheimlichen Plätze streiften bis zur Sonnenkeile, so trieb und plagte mich's immer, den Stein mit dem Finger zu berühren, weil ein Glauben in mir war, daß er den warmen Strahl der Sonne angeschluckt, wie ein Schwamm, und Funken fahren lasse, welches im Mondschein so wunderlich aussehen müsse.

Löwener: Hört, was weiß man denn auch neuerdings von dem Königsgespenst, das an der Nordküste umgeht?

Suntrard: Kein Gespenst! wie ich dir schon oft versicherte. Es ist der tausendjährige König, welcher dieser Insel einst Gesetze gab. Der Tod ging ihn vorbei; man sagt, die Götter wollten ihn in dieser langen Probezeit und Einsamkeit geschickt machen, daß er nachher ihrer einer würde, wegen seiner sonstigen großen Tugend und Tapferkeit. Ich weiß das nicht; doch er ist Fleisch und Bein, wie wir.

Löwener: Glaub das nicht, Fischer.

Suntrard: Ich hab es sicher und gewiß, daß ihn der Kollmer, der Richter ist in Elnedorf, jeweilig insgeheim besucht; sonst sieht ihn kein sterblicher Mensch.

Knabe: Gelt, Vater, er trägt einen Mantel und trägt ein eisern spitzig Krönlein in den Haaren?

Suntrard: Ganz recht, und seine Locken sind noch braun, sie welken nicht.

Löwener: Laßt's gut sein! ist schon spät. Das Licht dort in der äußersten Ecke vom Schloß ist auch schon aus. Dort wohnt Herr Harry, der bleibt am längsten auf. Will noch eine Weile in die Schenke. Gute Nacht!

Suntrard: Schlaf wohl, Freund Löwener. Komm Knabe, gehen zur Mutter.


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