Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Der Präsident nahm dieser Tage eine Reise vor, und in Geschäften, wie er sagte; doch eigentlich war seine Absicht, dem bevorstehenden Geburtsfeste seiner Frau auszuweichen. Der Maler mit den Mädchen war anstandshalber gleichfalls geladen und diese Höflichkeit mußte angenommen werden. Der Präsident war schon fort, als die Botschaft einlief, die Feier unterbleibe wegen Unpäßlichkeit der Frau. Vermutlich lag nur eine Empfindlichkeit gegen den Gatten zugrunde. Margot indes fuhr am Morgen allein in die Stadt, verhieß jedoch, am Abend wieder hierzusein. So blieben unsre Leute einen vollen Tag sich selbst überlassen, was zur Abwechslung vergnüglich genug schien. Sie konnten sich so lange als die Herren dieser Besitzung denken; Nannettens rosenfarbener Humor erfreute sich einmal wieder des freiesten Spielraums, selbst Agnes behauptete, so behagliche Stunden in langer Zeit nicht mehr gelebt zu haben, Nolten bemühte sich zum wenigsten, einen unzeitig auf ihm lastenden Ernst zu verleugnen. Nach Tische schickten sich die Mädchen an, Briefe nach Haus zu schreiben. Der Maler aber nahm eine Partie hinterlassener Schriften seines Freundes in den Garten.

Es war ein schwüler Nachmittag. Nolten trat in ein sogenanntes Labyrinth. So heißen bekanntlich in der altfranzösischen Gartenkunst gewisse planmäßig, aber scheinbar willkürlich ineinandergeschlungene Laubgänge, mit einem einzigen Eingang, welcher sich schwer wiederfinden läßt, wenn man erst eine Strecke weit ins Innere gedrungen ist, weil die grünen, meist spiralförmig umeinander laufenden und durch unzählige Zugänge unter sich verbundenen Gemächer fast alle einander gleichen. Die Wege sind sehr reinlich gehalten, die Wände glatt mit der Schere geschnitten, ziemlich hoch und oben gemeiniglich offen. Der Maler schritt in diesen angenehmen Schatten, seinen Gedanken nachhängend, von Zelle zu Zelle, und nachdem er lange vergeblich auf das Zentrum zu treffen gehofft hat, verfolgt er endlich eine bestimmte Richtung und gelangt auch bald in ein größeres rundes Gemach, worauf die verschiedenen Wege von allen Seiten zuführen; es ist oben bis auf eine schmale Öffnung überwölbt, und diese sanfte Dämmerung, die Einsamkeit des Plätzchens, wo kaum das Summen einer Fliege die tiefe süße Mittagstille unterbrach, alles stimmte vollkommen zu den Gefühlen unseres Freundes. Er setzte sich auf eine Bank und schlug die Mappe auf. Verschiedene Aufsätze fanden sich da, meistens persönlichen Inhalts, Poesien, kleine Diarien, abgerissene Gedanken. Sehr viel schien sich auf Theobald selbst zu beziehen, anderes war durchaus unverständlich, auf frühere Lebensepochen hindeutend. Besonders anziehend aber war ein dünnes Heft mit kleinen Gedichten, fast lauter Sonette »an L.«, sehr sauber geschrieben. Nolten erriet, wem sie galten; denn der Verstorbene hatte ihm selbst von einer frühen Liebe zu der Tochter eines Geistlichen gesprochen. Es war allem nach ein höchst vortreffliches Mädchen, das in der schönsten Jugend gestorben. Wahrscheinlich fiel das Verhältnis in den Anfang von Larkens' Universitätsjahren; wie heilig ihm aber noch in der spätesten Zeit ihr Andenken gewesen, erkannte Theobald teils aus der Art, wie Larkens sich darüber äußerte (er sprach ganz selten und auch dann nie ohne Rückhalt von der Sache), teils auch aus andern Zeichen, die er erst jetzt verstand. So lag z. B. in den zierlich geschriebenen Blättern ein hochrotes Band mit schmaler Goldverbrämung, das der Schauspieler von Zeit zu Zeit und, wie Nolten sich bestimmt erinnerte, immer nur an Freitagen, unter der Weste zu tragen pflegte; der Maler legte die Gedichte zurück, um sie später mit Agnes zu genießen. Jetzt aber ward er durch die Aufschrift einiger andern Bogen aufs äußerste frappiert und eigentlich erschreckt. »Peregrinens Vermählung mit ***.« Eine Note am Rand sagte deutlich, wer gemeint war; er blätterte und entdeckte im ganzen eine unschuldige Phantasie über seine frühere Berührung mit Elisabeth. – Von jeher war es dem Schauspieler gewohntes Bedürfnis gewesen, alles, was ihn auf länger oder kürzere Zeit interessierte, die Eigentümlichkeiten seines nächsten Umgangs, das ganze Leben mancher Freunde, durch Zutat seiner Einbildung mit einem magischen Firnis aufzuhöhen, sich näherzubringen und so alles auf zweifache Art zu genießen. Er trieb diesen idealen Unterschleif nicht leicht in solchem Maße, daß ihm dadurch die natürliche Ansicht von Dingen und Personen verrückt oder unschmackhaft geworden wäre, er beurteilte namentlich Theobalds Wesen bei alledem auf die nüchternste Weise und pflegte jener phantastischen Neigung so wenig auf Kosten der Freundschaft, daß er vielmehr mit ängstlicher Sorgfalt alles und jedes vor ihm versteckte, was auf die Gesundheit seines Gemüts irgend nachteilig von dorther hätte wirken können. So ließ er sich denn insbesondere von seiner Vorliebe für Elisabeth nichts gegen Theobald merken. Er beschäftigte sich lange Zeit mit dem Schicksale dieser Person, doch außer den getreu nach der Wahrheit verfaßten Memoiren, welche der Leser längst kennt, kam Nolten keine Zeile von den dahin einschlagenden Versuchen zu Gesicht. Ohne Zweifel hatte Larkens einmal die Absicht gehabt, die Geschichte mit der Zigeunerin für sich zu erweitern und ins Fabelhafte hinüberzuspielen; dasjenige, was der Maler in Händen hielt, waren teils Fingerzeige zu Gedichten, teils ausgeführte Stücke, welche in loser und schwebender Verknüpfung, wie es der mythischen Komposition angemessen schien, zuletzt einen gewissen Lebenskreis erschöpfen sollten. Freilich geschah diese wunderliche Amplifikation der an sich schon wunderbaren Tatsachen mehr in seiner eignen als Noltens Sinnesweise. Der Maler konnte sich an der Fiktion als solcher ergötzen, doch brachte diese Reihe von seltsamen Bildern alsbald eine solche Beklemmung, Unruhe und Schwere über ihn, daß er die Blätter mehr als einmal ungeduldig wegwarf.

Indem hier einige Stücke ausgehoben werden mögen, ist zum Verständnis des ersten Gedichts einer Randbemerkung zu erwähnen, wodurch auf eine gewisse Zeichnung hingewiesen wird, welche von Nolten zur Zeit, als er die Schule zu *** besuchte, entworfen, Elisabeths Gestalt in asiatischem Kostüm, mit Szenerie im ähnlichen Geschmack, darstellte; später sah Larkens das Blatt und bat sich's aus, doch lag es nicht hier bei.

Die HochzeitIm Munde des Bräutigams gedacht.

        Aufgeschmückt ist der Freudensaal;
Lichterhell, bunt, in laulicher Sommernacht
Stehet das offene Gartengezelte;
Säulengleich steigen,
Reichlich durchwirket mit Laubwerk,
Die stolzen Leiber
Sechs gezähmter, riesiger Schlangen,
Tragend und stützend das
Leicht gegitterte Dach.

    Aber die Braut noch wartet bescheiden
In dem Kämmerlein ihres Hauses.
Endlich bewegt sich der Zug der Hochzeit,
Fackeln tragend,
Feierlich stumm.
Und in der Mitte,
Mich an der linken Hand,
Schwarzgekleidet geht einfach die Braut;
Schöngefaltet ein Scharlachtuch
Liegt um den zierlichen Kopf geschlagen,
Lächelnd geht sie dahin;
Das Mahl schon duftet.

    Später, im Lärmen des Fests,
Stahlen wir seitwärts uns beide
Weg, nach den Schatten des Gartens wandelnd,
Wo im Gebüsche die Rosen brannten,
Wo der Mondstrahl um Lilien zuckte,
Wo die Bäume vom Nachttau troffen.

    Und nun strich sie mir, stillestehend,
Seltsamen Blicks mit dem Finger die Schläfe:
Jählings versank ich in tiefen Schlummer.
Aber gestärkt vom Wunderschlafe
Bin ich erwacht zu glückseligen Tagen,
Führte die seltsame Braut in mein Haus ein.

Warnung

        Der Spiegel dieser treuen braunen Augen
Ist wie von innrem Gold ein Widerschein;
Tief aus dem Busen scheint er's anzusaugen,
Dort mag solch Gold in heilgem Gram gedeihn.
In diese Nacht des Blickes mich zu tauchen,
Unschuldig Kind, du selber lädst mich ein,
Willst, ich soll kecklich dich und mich entzünden –
Reichst lächelnd mir den Tod im Kelch der Sünden!

Scheiden von Ihr

        Ein Irrsal kam in die Mondscheinsgärten
Einer einst heiligen Liebe,
Schaudernd entdeckt ich verjährten Betrug;
Und mit weinendem Blick, doch grausam
Hieß ich das schlanke,
Zauberhafte Mädchen
Ferne gehen von mir.
Ach, ihre hohe Stirn,
Drin ein schöner, sündhafter Wahnsinn
Aus dem dunkelen Auge blickte,
War gesenkt, denn sie liebte mich.
Aber sie zog mit Schweigen
Fort in die graue,
Stille Welt hinaus.

    Von der Zeit an
Kamen mir Träume voll schöner Trübe,
Wie gesponnen auf Nebelgrund,
Wußte nimmer, wie mir geschah,
War nur schmachtend, seliger Krankheit voll.

    Oft in den Träumen zog sich ein Vorhang
Finster und groß ins Unendliche,
Zwischen mich und die dunkle Welt.
Hinter ihm ahnt ich ein Heideland,
Hinter ihm hört ich's wie Nachtwind sausen;
Auch die Falten des Vorhangs
Fingen bald an, sich im Sturme zu regen,
Gleich einer Ahnung strich er dahinten,
Ruhig blieb ich und bange doch,
Immer leiser wurde der Heidesturm –
    Siehe, da kam's!

    Aus einer Spalte des Vorhangs guckte
Plötzlich der Kopf des Zaubermädchens,
Lieblich war er und doch so beängstend.
Sollt ich die Hand ihr nicht geben
In ihre liebe Hand?
Bat denn ihr Auge nicht,
Sagend: da bin ich wieder
Hergekommen aus weiter Welt!

Und wieder

        Die treuste Liebe steht am Pfahl gebunden,
Geht endlich arm, verlassen, unbeschuht,
Dies kranke Haupt hat nicht mehr wo es ruht,
Mit ihren Tränen netzt sie bittre Wunden.

    Ach, Peregrinen hab ich so gefunden!
Wie Fieber wallte ihrer Wangen Glut,
Sie scherzte mit der Frühlingsstürme Wut,
Verwelkte Kränze in das Haar gewunden.

    Wie? Solche Schönheit konnt ich einst verlassen?
– So kehrt nun doppelt schön das alte Glück!
O komm! in diese Arme dich zu fassen!

    Doch wehe! welche Miene, welch ein Blick!
Sie küßt mich zwischen Lieben, zwischen Hassen,
Und wendet sich und – kehrt mir nie zurück.

Wie sonderbar ist Nolten von dieser Schilderung ergriffen! wie lebhaft erkennt er sich und Elisabeth selbst noch in einem so bunt ausschweifenden Gemälde! und diese Wehmut der Vergangenheit, wie vielfach ist sie bei ihm gemischt! – Mechanisch steht er endlich auf und läßt sich von der träumerischen Wirrung der grünen Schattengänge eine Zeitlang willenlos hin und wider ziehen. So lieblich war die schmerzhafte Betäubung seiner Seele, so sehr hat er sich in den Wundergärten der Einbildung vertieft, daß, als er nun ganz unvermutet sich am Ausgange des Labyrinths dem hellen nüchternen Tageslichte zurückgegeben sah, dies ihm das unbehaglichste Erwachen war. Mit verdüstertem Kopfe schleicht er nun da und dort umher, und als endlich Agnes mit untergehender Sonne, vergnügt vom Schreibtische kommend, nach dem Geliebten suchte, fand sie ihn einsam auf dem Kanapee des großen Gartenhauses. Sie sehnte sich nach frischer Abendluft, nach dem erholenden Gespräch. Kaum waren einige Gänge gemacht, so hörten sie in der Entfernung donnern; das Gewitter zog herwärts. Der Gärtner, welcher diese schwülen Tage her immer nach Regen geseufzt, lief jetzt – und Henni hinterdrein – mit schnellen Schritten nach Frühbeet und Gewächshaus, beide bezeugten laut ihren Jubel über den kommenden Segen, dem ein paar Windstöße kräftig vorangingen. Die Liebenden waren unter das hölzerne Dach des Belvedere getreten; Nannette trug einige Stühle hinaus. Sie bemerkten ein zwiefaches Wetter, davon die Hauptmacht vorne nach der Stadt zu lag, ein schwächeres spielte im Rücken des Schlosses. Die ganze Gegend hat sich schnell vernachtet. Da und dort zucken Blitze, der Donner kracht und wälzt seinen Groll mit Majestät fernab und weckt ihn dort aufs neue mit verstärktem Knall. Auf der Ebene unten scheint es schon herzhaft zu regnen. Hier oben herrscht noch eine dumpfe Stille, kaum hört man einzelne Tropfen auf dem nächsten Kastanienbaum aufschlagen, der seine breiten Blätter bis an das Geländer des Altans erhebt. Jetzt aber rauscht auch hier der Segen mächtig los. – Ein solcher Aufruhr der Natur pflegte den Maler sonst wohl zu einer mutigen Fröhlichkeit emporzuspannen; auch jetzt hing er mit Wollust an dem kühnen Anblicke des feurig aufgeregten Elements, doch blieb er stille und in sich gekehrt. Agnes verstand seinen Kummer und leise nannte sie einigemal den Namen Larkens, doch konnte sie dem Schweigenden nicht mehr als ein Seufzen entlocken.


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