Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wir teilen das kleine Lied noch mit, und denken, der Leser werde sich aus den einfachen Versen vielleicht einen entfernten Begriff von der Musik machen können, besonders aus dem zweiten Refrain, bei welchem die Melodie jedesmal eine unbeschreibliche Wendung nahm, die alles herauszusagen schien, was irgend von Schmerz und Wehmut sich in dem Busen eines unglücklichen Geschöpfs verbergen kann.

Rosenzeit! wie schnell vorbei,
                    Schnell vorbei,
Bist du doch gegangen!
Wär mein Lieb nur blieben treu,
                    Blieben treu,
Sollte mir nicht bangen.

In der Ernte wohlgemut,
                    Wohlgemut,
Schnitterinnen singen;
Aber ach, mir kranken Blut,
                    Mir kranken Blut,
Will nichts mehr gelingen.

Schleiche so durchs Wiesental,
                    So durchs Tal,
Als im Traum verloren,
Nach dem Berg, da tausendmal,
                    Tausendmal,
Er mir Treu geschworen.

Oben auf des Hügels Rand,
                    Abgewandt,
Wein ich bei der Linde:
An dem Hut mein Rosenband,
                    Von seiner Hand,
Spielet in dem Winde.

Agnesen hatte der Ton zuletzt vor Bewegung fast versagt; jetzt warf sie das Instrument weg und stürzte heftig an die Brust des Geliebten. »Treu! Treu!« stammelte sie unter unendlichen Tränen, indem ihr ganzer Leib zuckte und zitterte, »du bist mir's, ich bin dir's geblieben!« – »Ich bleibe dir's!« mehr konnte Theobald, mehr durfte er nicht sagen.

 

An einem der folgenden schönen Tage wollte man den schon mehrmals zur Sprache gekommenen Ausflug nach Halmedorf zu den jungen Pfarrleutchen machen, denen man sich bereits hatte ansagen lassen. Die beiden alten Herren, der Förster und der Baron, versprachen im Wagen des letztern zu fahren; denn immerhin war es drei Stunden dahin. Die Jugend, nämlich unser Paar, ein Sohn und zwei Töchter des Pastors, welche man trotz einigen Einwendungen Noltens zuletzt auf Agnesens beharrliche Vorstellungen hinzubitten müssen, diese wollten zu Fuße gehn; die eine Partie sollte morgens bei guter Tageszeit sich auf den Weg machen, die Fahrenden erst nach Tische. Leider aber war der Baron indessen bedeutend unpaß geworden, er mußte, was in langer Zeit nicht erhört worden, das Bett hüten, die Reise hatte ihm zugesetzt, wie er nun selber eingestand. Also beschloß auch der Förster zurückzubleiben, dem verehrten Freunde zur Gesellschaft.

So wanderte denn der kleine Zug und gelangte bald aus dem Tälchen auf die fruchtbare höher gelegene Ebene, die sich abermals um ein weniges senkte, wo ihnen denn der reinliche, etwas steil heraufgebaute Ort entgegensah. Lange zuvor hatte man den Hügel vor sich, der unter dem Namen Geigenspiel bekannt, an seinem Fuße unbedeutend anzusehn, oben mit einer außerordentlichen Aussicht überrascht.

»Schön! schön! das heiß ich doch die Stunde eingehalten!« rief der Pfarrer, der sie hatte kommen sehen und bis an die nächsten Äcker entgegengegangen war. »Seht da, mein Dachs will den Gruß vor mir wegschnappen! Der Narre kennt dich noch von vier Jahren her: aber sein Herr fürwahr hätte dich bald nicht wiedererkannt – Komm an mein Herz, alter Kamerad! Ad pectus manum, sagte der Rektor, wenn wir gelogen hatten: manum ad pectus, ich liebe dich und habe nicht gelogen. O ich möchte schreien, daß die Berge aufhüpften, möcht alle Glocken zusammenläuten lassen, durchs ganze Ort möcht ich posaunen und duten, wäre ich just nicht der Seelenhirt, der sich im Respekt erhalten muß, sondern ein anderer.«

In diesem Tone fuhr Amandus fort, eins nach dem andern zu salutieren, und noch als man bereits vor dem Pfarrhause stand, war er nicht fertig. Jetzt sprang, so leicht und zierlich wie ein achtzehnjähriges Mädchen unter der Haube, die Pastorin entgegen, aber auch sie konnte über dem Mutwillen ihres Manns nicht zum Worte kommen. Mit Jubel betritt man endlich die Stube, die hell und neu, recht eigentlich ein Bild ihrer Bewohner darstellte. Kaum über die Schwelle getreten, kann man sogleich bemerken, wie der Pfarrer in eiliger Verlegenheit einen grünen Uniformrock, der an der Wand hing, zu entfernen sucht; er bleibt jedoch, da er seine Absicht verraten sieht, mitten auf dem Wege stehn: »Daß dich!« rief er, gegen Nolten gewendet – »nun Freundchen, ist mir's herzlich leid, da du eine Heimlichkeit doch einmal gewittert hast, so will ich lieber gar mit der sonderbaren Geschichte herausrücken.« (Er zupfte heimlich seine Frau und fuhr mit verstelltem Ernst und vieler Gutmütigkeit fort.) »Seit gestern haben wir einen fremden Offizier, einen Obrist, im Hause, der eigentlich bloß dich hier erwartet; er ist nur eben ausgeritten, wird aber nicht bis Abend ausbleiben. Er langte gestern spät hier an, und weil wir kein anständiges Wirtshaus im Dorf haben, lud er sich auf das höflichste bei mir zu Gaste, das mir denn um so größere Ehre war, als ich einen Freund von dir in ihm vermutete. Allein ich merkte bald, daß es mit der Freundschaft nicht so recht sein müsse; er nannte deinen Namen kaum, und verstummte nachdenklich, beinahe finster, wenn ich von dir anfing; im übrigen zeigte sein Gespräch viel Welterfahrung und alle die Anmut, die man bei gebildeten Militärs zuweilen findet. Meine Frau zwar gab mir gleich bei seinem Empfang nicht undeutlich zu verstehen, er habe ihr so ein visage de contrebande, und in der Tat, ich weiß nicht – das Geheimnisvolle in Beziehung auf dich – er könnte – wenn er dir nur nichts anhaben will –«

»Wie heißt er denn?«

»Ja, gehorsamer Diener, das hat er mir nicht gesagt.«

»Woher denn? in welchen Diensten?« fragte Nolten dringender und nicht ohne einige Bewegung, denn augenblicklich, er wußte nicht warum, fiel ihm ein Bruder Constanzens ein, der noch in der letzten Zeit von des Malers Aufenthalt in jener Residenz, bei der Gräfin zu Besuch gewesen sein sollte. Er selbst hatte ihn nicht gesehn und konnte die Schilderung, welche Amandus von dem Fremden machte, auch sonst mit niemandem vergleichen. Die Heimat des Gastes indessen, wie der Pfarrer sie zufällig angab, widersprach jener besorglichen Vermutung nicht. – »Gern«, fuhr Amandus fort, »hätt ich dir das Abenteuer noch verschwiegen, das einmal doch nichts Angenehmes verspricht; es wäre Nachmittag noch Zeit gewesen, und die Delikatesse des Fremden, daß er uns unser erstes Beisammensein über Tisch nicht stören wollte, war in der Tat zu loben, er gab mir diese freundliche Absicht beim Wegreiten sehr deutlich zu verstehn. Nun freilich wär's fast besser, er wäre gleich zugegen und du dieser verteufelten Ungewißheit überhoben. Höre, wenn es am Ende nur keine odiöse Ehrensache ist! Du weißt, die Herren Offiziers – Du hast doch keine Händel gehabt?« »Ich wüßte doch nicht«, sagte Nolten und ging einigemal still die Stube auf und ab.

Indessen war die Pfarrerin sachte mit der Uniform in die Kammer gegangen. Auf einmal tat sich die Tür weit auf, ein hoher schöner Mann trat heraus und lag blitzschnell in Theobalds Armen. Es war kein anderer Mensch, als sein getreuer Schwager S., der Gatte Adelheids, die wir ja schon als Mädchen kennenlernten. »Der Tausend!« rief der Pfarrer, während alles der herzlichsten Umarmung zusah, »so ganz feindselig, wie ich dachte, so auf Leben und Tod ist die Rencontre nun doch nicht, es wäre denn, sie brächen sich einander vor Liebe die Hälse. Nun! hab ich es nicht schön gemacht? Sorge voraus, Freud gleich hinterdrein, wird erst ein wahrer Jubel sein. – Also« (brummte er für sich in den Bart) »das wäre Numero 1.« Seine Schalkheit ward jetzt wacker gescholten. Doppelt und dreifach mußte Nolten erstaunen, denn S. war, seitdem sie sich nicht mehr gesehen, zum Obristen avanciert, deswegen jener auch aus der Uniform nicht klug werden konnte. Triumphierend erzählte der Pfarrer, wie er, nachdem die Nachricht von Theobalds Ankunft in Neuburg bei ihm eingelaufen, sogleich den herrlichen Einfall gehabt, den Schwager, den er in Geschäften für sein Regiment nur auf fünf Stunden in der Nähe gewußt, durch eine Staffette herbeizukriegen.

Aufs fröhlichste speiste man gleich zu Mittag. Es war eine ansehnliche Tafel. Sohn und Töchter des Neuburger Pastors saßen halb bänglich, halb entzückt in einem für sie so neuen Freudenkreise trefflicher Menschen. Unser Maler, zwischen Agnes und den Schwager gesetzt, wollte die Hände der beiden gar nicht aus den seinigen lassen, er fühlte seit langer Zeit einmal wieder alles Drückende und Schwere rein von sich abgetan und ein übers andre Mal traten ihm die Augen über.

An dem Pfarrer wurde nach und nach eine prickelnde Unmüßigkeit sichtbar; er entfernte sich öfters, gab vor der Tür geheime Befehle und sah mit Vergnügen die letzte Schüssel auftragen. Eh man zum Nachtisch kam, stand er auf und sagte: »Es beginne nun die Symphonie zum zweiten Aktus, mit etwelchem Gläsergeklingel, wenn's beliebt. Sofort erhebe sich eine werte Gesellschaft, greife nach Hüten und Sonnenschirmen und verfüge sich allgemach aus meinem Hause, woselbst für jetzt nichts mehr abgereicht wird. Zuvor aber richten Sie gefälligst noch die Blicke hier nach dem Fenster und bemerken dort drüben den sonnigen Gipfel.« Man erblickte auf einem vor dem Walde gelegenen Hügel, den wir schon als das Geigenspiel bezeichnet haben, ein großes linnenes Schirmdach mit bunter Flagge aufgerichtet, das einen runden weißgedeckten Tisch zu beschatten schien. Die dichten Laubgewinde, die an fünf Seiten des Schirms herunterliefen, gaben dem Ganzen das Ansehn eines leichten Pavillons. Amandus hatte diese bewegliche Einrichtung schon seit einiger Zeit für die jährlichen Kinderfeste, sowie zur Bequemlichkeit der Fremden machen lassen, weil die daneben stehende Linde dem Platze mehr Zierde als Kühlung verlieh. – Die Gesellschaft kam außer sich vor Freude; man machte sich auch unverzüglich auf den Weg, denn jedes sehnte sich, sein glückliches Gefühl in freiester Weite noch leichter auszulassen. Die Jüngern waren schon vorausgegangen.

Unterwegs wurden Nolten und die Braut nicht satt, sich von Adelheiden erzählen zu lassen. Wir wissen die fast mehr als brüderliche Neigung, welche den Maler an die Schwester band, deren stille Tiefe sich, wie behauptet wird und wir gern glauben mögen, inzwischen zu einem höchst liebenswerten und seltenen Charakter entwickelt und befestigt hatte; zum wenigsten fand Agnes nach ihrer demütig liebevollen Weise sogleich im stillen ein Musterbild der echten Frauen in dieser Schwägerin für sich aus, obgleich sich beide nur erst einmal gesehen hatten. Jetzt gedachte man der Entfernten mit desto innigerer Rührung, da man gleich anfangs gehört, sie sei vor kurzem zum ersten Male Mutter, und eine höchst beglückte, geworden. – Noch sagen wir bei dieser Gelegenheit, daß eine ältere Schwester, Ernestine, auch längst verheiratet war, jedoch, soviel man wissen wollte, nicht sehr zufrieden, da sie auch in der Tat nicht geschaffen schien, einen Mann für immer zu fesseln. Die Jüngste, Nantchen, stand eben in der schönsten Jugendblüte und lebte bei einer Tante.

Man kam an einem Tannengehölze vorüber, das Reiherwäldchen genannt, dessen Echo berühmt war. Der Pfarrer rief, mit den gehörigen Pausen, hinein:

»Frau Adelheid,
Zu dieser Zeit
In ihrem Bettlein reine,
Muß ferne sein,
Muß ferne sein,
Doch ist sie nicht alleine.
Herr Storch hat ihr Besuch gemacht,
Darob ihr süßes Herze lacht,
Ob auch das Bürschlein greine.
– Frau Echo, sprich,
Noch weiß ich nicht:
Was herzet denn das Liebchen,
Ein Mädchen oder Bübchen?«
                    »Büb-chen!«

In kurzem befand man sich auf dem Berg, tief atemholend und erstaunt über die unbegrenzte Aussicht. »Bei Frauenzimmern«, fing Amandus an, »wenn sie den letzten herben Schritt überwunden haben und jetzt sich umsehn, unterscheide ich jedesmal zweierlei Gattungen Seufzer. Der eine ist ganz gemein materieller Natur, kein Lüftchen ist imstand, ihn von der Rosenlippe aufzunehmen und über die glänzende Gegend selig hinwegzutragen, sondern sogleich fällt er plump, schwer zu Boden, prosaisch wie das Schnupftuch, womit man sich die Stirn abtrocknet. Billig sollten die Schönen sich seiner ganz enthalten, ihn wenigstens unterdrücken, denn gewissermaßen muß er den Wirt beleidigen, den Cicerone der Gesellschaft, der alle diese Herrlichkeit mit Enthusiasmus wie sein Eigentum vorzeigt und nicht begreifen kann, wie man in solchem Augenblicke nur noch das mindeste Gefühl von der armseligen Mühe haben kann, womit man sich so einen Anblick erkaufte. Ja, Damen hab ich gesehen, die gaben sich Mühe, diesen Seufzer recht reizend schwindsüchtig und ätherisch hervorzubringen, und ein mitleidflehendes Gesicht zu machen, als würde gleich die Ohnmacht kommen. Man enthält sich kaum dabei recht schmachtend zu fragen: Ist Ihnen nicht ein Schluck Affenthaler gefällig, Fräulein, oder dergleichen? Kurz also, wenn jene erste Gattung nichts weiter sagen will als: Gottlob, dies wäre überstanden! so ist dagegen die zweite« – Er hatte noch nicht ausgeredet, so kam erst Agnes, bis jetzt von niemand eigentlich vermißt, mit einem Kinde des Pfarrers, das nicht mehr hatte fortquackeln können und das sie sich auf den Rücken geladen, den steilen Rand von der Seite heraufgeklommen; sie setzte atemlos das Kind auf die Erde und ein »Gottlob!« entfuhr ihr halblaut. Bei diesem Wort sah man sich um, ein allgemeines Gelächter war unwiderstehlich, aber auch rührender konnte nichts sein, als die erschrocken fragende Miene des lieben Mädchens. Herzlich umarmte und küßte sie Amandus, indem er rief: »Diesmal, wahrhaftig, ist Marthas Mühe schöner als selbst das eine, das hier oben not ist.«

Welch ein Genuß nun aber, sich mit durstigem Auge in dieses Glanzmeer der Landschaft hinunterzustürzen, das Violett der fernsten Berge einzuschlürfen, dann wieder über die nächsten Ortschaften, Wälder und Felder, Landstraßen und Wasser, im unerschöpflichen Wechsel von Linien und Farben, hinzugleiten!


 << zurück weiter >>