Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Soviel Wahrscheinliches diese Schlüsse hatten, und sosehr sie auch geeignet schienen, ein wenigstens erträgliches Licht auf Noltens Benehmen zu werfen, so wenig Trost gaben sie der schönen Frau. Denn von dem Augenblicke an, wo ihre Achtung für ihn sich einigermaßen erholte, begann auch ihre Liebe wieder zu atmen, und nun war sie fast übler daran, als solange sie ihn getrost verabscheuen konnte. Also Noltens Glück war wiederhergestellt, das Mädchen selig in seinem Besitz und – sie selbst hatte nur auf eine kurze Zeit die Lücke gebüßt, um jetzt wieder allein, verlassen, vergessen dazustehen, den bittern Stachel im Herzen. Eine Regung von Zorn flammte in ihr auf, sie fühlte ihre weibliche Würde beleidigt, mit Füßen getreten, sie fühlte alle Qual verschmähter Liebe. Und hatte sie vorhin einen reinen Zug schwesterlicher Neigung zu Agnes empfunden, so konnte sie nun einer Anwandlung von schmerzlicher Mißgunst nicht widerstehen, so lebhaft sie sich auch darüber anklagte. Aber auch indem es ihr gelang, allen Groll von der Unschuldigen ab und auf den geliebten Überläufer zu werfen – es blieb nur das Bewußtsein ihrer Unmacht, ihrer Kränkung übrig. Jede Erinnerung an das Vergangene, das kleinste Zeichen, womit sie ihm ihre Gunst verraten haben mochte, versetzte jetzt ihrem Stolze, ihrem Ehrgefühle Stich auf Stich. Noch gestern beim Abschied unter der Türe hatte sie ihn mit bedeutungsvoller Freundlichkeit entlassen und – so kam es ihr jetzt vor – ihm beliebte kaum ein kalter Dank darauf. Am meisten demütigte und beschämte sie der Auftritt in der Grotte, sie bedeckte bei diesem Gedanken ihr glühendes Gesicht mit dem Tuche, weinend und schluchzend.

Kein Wunder, wenn ihr jetzt die kläglichen Worte Thereilens aus dem gestrigen Schauspiele einkamen, das gleichsam weissagend von ihr gesprochen; kein Wunder, gab sie auf einen Augenblick dem widersinnigen Gedanken Raum, als hätte Larkens einigemal eine boshafte Anspielung auf sie im Sinne gehabt. Aber ganz ist ihr gegenwärtiger Zustand durch die leidenschaftlichen Zeilen bezeichnet:

O armer Zorn!
Noch ärmere Liebe!
Zornwut und Liebe
Verzweifelnd aneinandergehetzt,
Beiden das Auge voll Tränen,
Und Mitleid dazwischen,
Ein flehendes Kind!

 

Desselben Morgens gegen zehn Uhr, als Larkens eben von einem Ausgange nach Hause kam, übergab sein Bedienter ihm das braune Kästchen, das die Laterna magica verwahrte; man habe es vor einer Viertelstunde aus dem Zarlinschen Hause hiehergebracht nebst dem Danke der gnädigen Frau. Unser Schauspieler öffnete den Deckel, zog begierig die zuoberst liegende Brieftasche heraus, untersuchte sie von allen Seiten und sein Mund verzog sich zu einem vergnügten, doch gewissermaßen befremdeten Lächeln, indem er ausrief: »Beim Himmel! die Falle hat gelockt, der Speck ist angebissen, und das wacker! kein Zettelchen blieb unverrückt. Ich sorge nur, der Spaß ist in plumpere Hände geraten, als ich gewollt hatte. Sei's drum; durch die Finger von Madame ist die Tasche auf jeden Fall auch gekommen, und ich müßte mich übel auf Evas Geschlecht verstehen, wenn diese Finger mehr Diskretion gehabt hätten, als mir für den Kasus lieb wäre. Genug; es wird sich zeigen, die Wirkung kann nicht ausbleiben. Diesmal hättest du fürwahr meisterlich kalkuliert, Bruder Larkens, der Herr gebe seinen Segen dazu.«

Wirklich war es die Absicht des Freundes gewesen, daß Constanze die Tasche finden und sich ihrer Geheimnisse nicht enthalten möge; er konnte darauf zählen, daß man sie für das Eigentum Noltens erkennen würde, in der Tat aber war sie nur ein Geschenk, das dieser dem Freunde zu der Zeit gemacht hatte, wo er alles, was ihn an Agnes erinnern konnte, Briefe, Haare und hundert andere Kleinigkeiten, auf immer loswerden wollte.

Larkens hoffte durch jenen ausgedachten, wohlgemeinten Streich teils bei der Gräfin jeder möglichen Neigung gegen Theobald vorzubeugen, teils glaubte er, sie müßte von nun an, eingedenk des Verhältnisses mit Agnes, durch ihr Betragen unzugänglich für Nolten selber werden. Nun hatte zwar Larkens, zufolge der mißtrauischen Verschlossenheit seines Freundes mit der wahren Lage der Dinge unbekannt, sich in seinem Plane etwas geirrt; er hätte, wäre er besser unterrichtet gewesen, vielleicht einen ganz andern Weg eingeschlagen, aber auch auf diesem erreichte er, wie wir gesehen haben, seinen Hauptzweck vollständig, nur freilich auf eine grausamere Art, als er sich vorgestellt hatte. Sehr übereilt und tadelnswert würden wir seine eigenmächtige Handlungsweise nennen müssen, wenn er eine Ahnung von den großen Fortschritten gehabt hätte, welche Theobalds neue Liebe bereits gemacht hatte, weil Larkens jene Rechte der Braut nur auf große Kosten der Ehrlichkeit seines Freundes aufdecken konnte; übereilt und unsicher müßten wir sein einseitiges Verfahren auch insofern schelten, als er ja nicht wissen konnte, ob Nolten, wenn er sich auch bis jetzt noch gegen Constanze zurückgehalten, doch in kurzem nicht vielleicht ihr sein Herz anbieten werde, da er dann notwendig im zweideutigsten Lichte vor ihr erscheinen müßte; allein fürs erste hatte Larkens nicht die mindeste Vermutung davon, wie weit bereits das Verständnis der beiden gediehen war, und fürs zweite, was die Zukunft betrifft, ging er neuerdings ernstlich mit dem Gedanken um, Theobalden die Zeugnisse für Agnesens Unschuld vorzulegen, ihn zu näherer Prüfung der Sache zu vermögen, ihn im Notfall damit zu bedrohen, daß er die Gräfin selbst zur freundschaftlichen Schiedsrichterin darüber aufrufen werde.

Vor allen Dingen widmete er der Frage, inwiefern es geraten sei, Theobalden schon jetzt seine Pflichten für die Verlobte aufzudringen, eine reifliche Überlegung. – Wir überlassen ihn jetzt seinen Gedanken und kehren in das Zarlinsche Haus zurück.

Dort meldete sich des andern Tages gegen Abend ein vornehmer Besuch. Herzog Adolph erschien, und Constanze, in Abwesenheit ihres Bruders, empfing ihn allein. Das ungewöhnlich blasse und verstörte Aussehen der schönen Frau mochte ihm sogleich auffallen, er erkundigte sich auf das angelegentlichste nach ihrem Befinden, ging dann mit einer leichten Wendung auf sein eigenes Anliegen über und erzählte mit sichtbarem Verdrusse, was ihm gestern von einer höchst ärgerlichen Sache bekannt geworden, wobei er bedaure, daß sie gerade in diesem, ihm so höchst schätzbaren, Hause habe vorfallen müssen. Der König, sein Bruder, dessen Ehre dabei beteiligt wäre, sei auf das genaueste davon unterrichtet und aus dessen eigenem Munde habe er es gehört.

Constanze erschrak, erklärte, wie sie zwar an jenem Abende die allgemeine Bewegung der Gesellschaft wahrgenommen, wie auch sie nachher den Grund davon erfahren, wie sie aber an einen solchen Frevel von solchen Männern nicht sogleich habe glauben können. Sie bat, man möge doch wenigstens sie aller Stimme dabei überheben, da Leute von besserer Einsicht, von bedeutenderem Urteil zugegen gewesen. Aber der Herzog gestand, daß der König die vorläufige Ausmittelung der Sache ihm anbefohlen, daß er das Manuskript und was dazugehöre, bereits in Beschlag genommen, daß er aber nach wiederholtem Lesen und genauer Prüfung alles einzelnen noch nicht ganz habe mit sich einig werden können. Er sei zuletzt auf den Einfall geraten, alles von der Entscheidung einer »ebenso scharfsinnigen, als unbefangenen Dame« abhängen zu lassen, und er werde diesfalls auf seiner Bitte beharren, ihrem Ausspruch werde er unbedingt vertrauen. »Freilich«, setzte er mit einem pikanten Akzente hinzu, »freilich, wenn meine getroste Voraussetzung von der gänzlichen Unbefangenheit meiner geliebten Freundin mich denn doch etwas trügte, wenn ihr einer oder der andere von den Beklagten mehr als billig am Herzen läge, dann, meine Gnädigste, wäre es wirklich höchst undelikat, trotz Ihrer Weigerung einen gerechten Spruch aus Ihrem Munde zu verlangen.«

Gelassen schaute die Gräfin ihn an und erwiderte: »Beide Männer waren mir sehr viel wert; Sie selbst haben diesen Nolten begünstigt, und schon um Ihretwillen, Adolph, sollte es mir leid sein, wenn Ihnen ein Freund unschuldig gekränkt würde. Was aber jenen Fehler, ich sagte füglich, jenes Verbrechen, betrifft, das man diesen Leuten schuld gibt, so will ich keineswegs der Gerechtigkeit im Wege stehen, nur sie zu befördern bin ich außerstande. Sie selbst können, dünkt mich, doch wohl am besten wissen, was Ihrem Freunde allenfalls zuzutrauen wäre, Sie dürfen von ihm aus dann getrost auf die Gesinnungen des Schauspielers schließen, denn beide sind ja ein Sinn und ein Gedanke. Richten Sie also. Sie waren zwar nicht Zeuge jenes Abends, aber die Dokumente liegen in Ihren Händen, was hätt ich demnach vor Ihnen voraus, das mich zu einem Urteil geschickter machte?«

Der Herzog stand auf, machte einige Schritte und sagte dann im freundlichsten Tone: »Ich tat Ihnen Unrecht, meine Liebe! vergeben Sie's. Ich sehe, wir sind beide in einer und derselben Verlegenheit, und wären so ziemlich gleich geneigt, das Ganze zu entschuldigen, wenigstens zum Guten zu wenden. Ich finde nun erst, wie unbillig es von meinem Bruder war, mich in diesen schlimmen Fall zu setzen, wie töricht von mir, den Auftrag anzunehmen. Zwar auch meine Ehre mußte dabei interessiert sein, aber je leidenschaftlicher ich die Sache aufnahm, um so weniger konnt ich hoffen, klar darin zu sehen, und meinem Unwillen hielt auf der andern Seite die Neigung für Nolten kaum das Gleichgewicht, da diese, in der letzten Zeit gar zu lässig von ihm gepflegt, so gut wie eingeschlafen war; um so schlimmer für Noltens Recht, wenn ich ohnehin Ursache hatte, ihm böse zu sein. Bei Ihnen, Beste, spricht ein reines menschliches Gefühl zugunsten des übrigens so braven Künstlerpaares, und ich gestehe Ihnen, auch mich will in Ihrer Nähe die alte Vorliebe für diesen Maler wieder einnehmen, ohne daß Sie noch ein Wort zu seiner Verteidigung vorgebracht – aber vielleicht gerade darum könnt ich ihm verzeihen, weil Sie ihn nicht verteidigen. Könnte ich bei dem Lärm, bei der Erbitterung, die der tolle Vorfall schon bei Hofe veranlaßt hat, ganz ruhig sein, mich vor dem Verdachte der Parteilichkeit bei meinem Bruder sichern, ich möchte die Herren wohl freisprechen und alles zu vertuschen suchen; so aber bin ich der Sorge doch nicht los, und meiner Stellung zu dem guten Maler erwächst aus der dummen Geschichte auf alle Fälle eine bleibende Schwierigkeit. Doch, was beschwere ich Sie mit diesen Unbilden – Lassen Sie uns davon schweigen. Am artigsten wär's«, setzte er scherzend hinzu, »man setzte ein Gericht nieder, bestehend aus einem Archäologen, einem Professor der Ästhetik und einem Advokaten, die sich über das Manuskript und die Bilder hermachen sollten. Nicht wahr, meine Schönste?«

Die wahre Gesinnung des Herzogs und seine schwierige Lage läßt sich übrigens leicht aus folgenden Bemerkungen erkennen.

Weit entfernt von der Torheit, in der fabelhaften Figur jenes tausendjährigen Königs eine ehrenrührige Beziehung zu entdecken, fand er diese Beziehung eher schön und wohlgemeint; dagegen ihm die Ähnlichkeit jener Feenfürstin mit Viktorien um so bedenklicher vorkam. Denn wenn gleich das wahre Verhältnis dieser Person zum verstorbenen Regenten nicht ganz getroffen sein mochte, so war die scheinbarste Seite davon doch so charakteristisch herausgehoben, daß man nicht leugnen konnte, ein sehr frappantes Bild von Viktoriens Erscheinung vor sich zu haben. Die Zeichnung des selbstsüchtigen schalkhaften und doch wieder so innigen Wesens ahmte wirklich die leisesten Nuancen nach. Das alles hätte noch hingehen mögen. Aber diese Dame glänzte noch am Hofe, das Vertrauen, das Nikolaus ihr geschenkt hatte, ward noch vom Sohne geehrt. Insoferne müssen wir jenes Spiel höchst unbedachtsam nennen. Dennoch hätte es vielleicht dem Herzog nicht schwer sein müssen, den möglichen Schaden abzulenken, wäre nicht der König selbst in einer müßigen Stunde auf das verschrieene Manuskript neugierig gewesen. Hier entging ihm denn so manche Verwandtschaft keineswegs, er äußerte sich mit großer Unzufriedenheit über eine so unschickliche Anspielung, namentlich die leichtfertige oder ernste Einführung der bewußten wertgeschätzten Frau empörte ihn als eine unverzeihliche Vermessenheit. Der Herzog besänftigte ihn vorläufig, indem er dieses und jenes noch problematisch darstellte, versprach, das Ganze nochmals genau zu durchgehen, sowie auch nähere Erkundigungen einzuziehen; weil er aber doch ein gerechtes Gefühl des Bruders nicht schlechterdings umgehen und das Zutrauen nicht mißbrauchen wollte, womit dieser ihm die Entscheidung des keineswegs gleichgültigen Gegenstandes überließ, so kam er wirklich mit einer doppelten Pflicht ins Gedränge, er hätte ebensogerne den Maler geschont als dem Bruder Genüge getan; daher denn auch jene Anfrage bei Constanze nichts weniger als bloße Pantomime war, er dachte sie bei dieser Gelegenheit ein wenig zu schrauben, fand aber ein solches Frauenorakel wirklich bequem für seine Unschlüssigkeit, nur glaubte er auf den Fall, daß die Geschichte Rumor machen könnte, aus Diskretion gegen Viktorie den eigentlichen Grund des Ärgernisses verstecken und mehr das Allgemeine vorkehren zu müssen.

Constanze blickte noch immer ernst vor sich nieder, ohne eine Miene zu ändern. Den Herzog rührte ihr Anblick, worin er von jetzt an wirklich nur die edelste Teilnahme an dem Schicksale zweier Hausfreunde zu lesen glaubte; ihr ganzes Wesen, von diesem Kummer leicht beschattet, deuchte ihm nie so reizend, so weich gewesen zu sein. Er setzte sich an ihre Seite und gab dem Gespräch eine andere Richtung, sie ging soviel möglich darauf ein, und der Zwang, den sie sich mitunter dabei antat, machte sie nur immer liebenswürdiger, kindlicher, unwiderstehlicher. Dazu kam die einladende Ruhe dieser Stunde, von zweien auf dem Tische brennenden Kerzen traulich verklärt. Der Herzog ergriff in der Unterhaltung die Hand seiner schweigsamen Nebensitzerin, er ließ die schmeichelhaftesten Vorwürfe gegen sie spielen über die karge Art, womit sie seiner Zärtlichkeit immer entgegne, auch jetzt erfuhr diese noch einigen Widerstand, doch – so schien es dem schlauen Manne – mehr einen anständigen als strenge zurückweisenden Widerstand.


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