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Zur Beteiligung der KPD an den Wahlen zur NationalversammlungRedaktionelle Überschrift. Diese Rede wurde auf dem Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands gehalten, der vom 30. Dezember 1918 bis zum 1. Januar 1919 stattfand.

Jeder von uns, einschließlich des Genossen Levi, betrachtet vor allem den stürmischen Widerspruch und die Stimmung, die sich hier während seines Referats Paul Levi hatte im Auftrag der Zentrale des Spartakusbundes in seinem Referat die Beteiligung der jungen KPD an den Wahlen zur Nationalversammlung begründet. entwickelte, mit der inneren Freude über die Quelle, aus der dieser Widerspruch kommt. Wir verstehen alle und schätzen ungeheuer hoch den revolutionären Elan und die Entschlossenheit, die aus Euch allen spricht, und wenn Genosse Rühle Euch alle vor unserem Opportunismus warnte, Otto Rühle hatte in seinem Diskussionsbeitrag in Verkennung des Kräfteverhältnisses in Deutschland die Beteiligung an Wahlen zur Nationalversammlung als opportunistisch abgelehnt. so lassen wir diese Rüge über uns gehen. Wir haben vielleicht nicht umsonst gearbeitet, wenn wir so entschlossene Parteigenossen finden. Die Gefahr unseres Opportunismus ist nicht so groß, wie sie Genosse Rühle hier ausgemalt hat. Ich habe die Überzeugung, daß es unsere Pflicht ist, auch dann zu Euch laut und deutlich zu sprechen, wenn wir eine Meinung zu vertreten haben, die der Euren entgegengeht. Wir wären traurige Vertreter des Spartakusbundes, der gegen die ganze Welt im Trotz auftritt, wenn wir nicht den Mut hätten, unseren eigenen Genossen entgegenzutreten.

Die Freude, der ich soeben Ausdruck gegeben habe über die Stimmung, die Ihr so stürmisch ausdrückt, ist nicht ungemischt. Ich betrachte sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich habe die Überzeugung, Ihr wollt Euch Euren Radikalismus ein bißchen bequem und rasch machen, namentlich die Zurufe »Schnell abstimmen!« beweisen das. Es sind nicht die Reife und der Ernst, die in diesen Saal gehören. Es ist meine feste Überzeugung, es ist eine Sache, die ruhig überlegt und behandelt werden muß. Wir sind berufen zu den größten Aufgaben der Weltgeschichte, und es kann nicht reif und gründlich genug überlegt werden, welche Schritte wir vor uns haben, damit wir sicher sind, daß wir zum Ziele gelangen. So schnell übers Knie brechen kann man nicht so wichtige Entscheidungen. Ich vermisse das Nachdenkliche, den Ernst, der durchaus den revolutionären Elan nicht ausschließt, sondern mit ihm gepaart werden soll. Ich will ein kleines Beispiel dafür geben, wie unüberlegt Sie entschließen wollen über Dinge, die einer reifen Überlegung bedürfen. Einer von den Genossen, der besonders heftig und von revolutionärer Ungeduld getrieben hier Zwischenrufe macht, verlangt, man solle überhaupt keine Zeit verschwenden. Eine Diskussion über eine der wichtigsten Fragen nennt man Zeitverschwendung. Dieser Genosse hat sich auf Rußland berufen, und dieses Beispiel kann Euch zeigen, daß man sich keine Zeit nimmt, die Argumente, die man vorbringt, auf ihre Richtigkeit zu prüfen. In Rußland war die Situation, als man die Nationalversammlung ablehnte, ein bißchen ähnlich der heutigen in Deutschland. Aber habt Ihr vergessen, daß vor Ablehnung der Nationalversammlung im November etwas anderes stattgefunden hat, die Machtergreifung durch das revolutionäre Proletariat? Habt Ihr vielleicht heute schon eine sozialistische Regierung, eine Trotzki-Lenin-Regierung? Rußland hatte vorher eine lange Revolutionsgeschichte, die Deutschland nicht hat. In Rußland beginnt die Revolution nicht im März 1917, sondern bereits im Jahre 1905. Die letzte Revolution ist doch nur das letzte Kapitel, dahinter liegt die ganze Periode von 1905 an. Da erreicht man eine ganz andere Reife der Massen als heute in Deutschland. Ihr habt nichts hinter Euch als die elende halbe Revolution vom 9. November. Wir haben sehr reif[lich] zu überlegen, was der Revolution jetzt am meisten frommt und wie ihre nächsten taktischen Aufgaben aussehen und zu formulieren sind.

Nicht so eilig, habt Geduld, zu Ende zu hören. Im Parlament mit Schlagworten will man arbeiten. Nicht das ist das entscheidende. Welcher Weg ist der sicherste, um die Massen in Deutschland zu erziehen zu den Aufgaben, die sie haben? Ihr geht aus in Eurer Taktik von der Konstellation, daß man in 14 Tagen, wenn die Leute aus Berlin herausgehen, in Berlin eine neue Regierung machen kann. »Wir machen in 14 Tagen hier eine neue Regierung.« Ich würde mich freuen, wenn das der Fall wäre. Aber als ernster Politiker kann ich meine Taktik nicht auf eine Spekulation aufbauen. Es sind allerdings alle Möglichkeiten nicht ausgeschlossen. Ich werde Ihnen zu entwickeln haben, daß überhaupt durch die neue Wendung in der Regierung die nächste Phase eine sehr starke Auseinandersetzung mit sich bringen wird. Aber ich bin verpflichtet, die Wege zu gehen, die sich aus meiner Auffassung über die Zustände in Deutschland ergeben. Die Aufgaben sind gewaltig, sie münden in die sozialistische Weltrevolution. Aber was wir bisher in Deutschland sehen, das ist noch die Unreife der Massen. Unsere nächste Aufgabe ist, die Massen zu schulen, diese Aufgaben zu erfüllen. Das wollen wir durch den Parlamentarismus erreichen. Das Wort soll entscheiden. Ich sage Ihnen, gerade dank der Unreife der Massen, die bis jetzt nicht verstanden haben, das Rätesystem zum Siege zu bringen, ist es der Gegenrevolution gelungen, die Nationalversammlung als ein Bollwerk gegen uns aufzurichten. Nun führt unser Weg durch dieses Bollwerk hindurch. Ich habe die Pflicht, alle Vernunft dagegen zu richten, gegen dieses Bollwerk anzukämpfen, hineinzuziehen in die Nationalversammlung, dort mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, des Volkes Wille ist das höchste Gesetz. Hier haben wir zu entscheiden. Wenn die Masse so reif ist, so wird sich ja das kleine Häuflein, die Minderheit, zur herrschenden Macht gestalten, so werden sie uns die Macht geben, von innen heraus diejenigen aus dem Tempel zu weisen, die nichts darin zu suchen haben, unsere Gegner, die Bourgeoisie, die Kleinbürger usw. Dazu kommen sie nicht.

Sie müssen konsequent sein. Auf der einen Seite spekulieren Sie auf eine solche Reife der Verhältnisse, auf eine solche revolutionäre Macht und Bewußtsein der Massen, daß Sie in 14 Tagen versprechen, an Stelle der Nationalversammlung eine sozialistische Regierung zu setzen, auf der anderen Seite sagen Sie, kommt die Nationalversammlung zustande, so wird der Druck der Straße sie hinwegfegen. Bilden Sie sich doch nicht ein, daß, wenn wir ihnen vorschlagen, ihren Stimmzettel nicht in die Urne zu werfen, daß dann die Wahlen anders aussehen werden. Die Wahlen stellen ein neues Instrument des revolutionären Kampfes dar. Sie sind befangen in der alten Schablone. Für Sie existiert nur das Parlament des deutschen Reichstags. Sie können sich nicht vorstellen, dieses Mittel zu gebrauchen im revolutionären Sinne. Sie verstehen: entweder Maschinengewehre oder Parlamentarismus. Wir wollen etwas verfeinerten Radikalismus. Nicht bloß dieses grobkörnige Entweder-Oder. Es ist bequemer, einfacher, aber das ist eine Vereinfachung, die nicht der Schulung und Erziehung der Massen dient.

Aus rein praktischen Gesichtspunkten heraus, könnt Ihr wirklich mit ruhigem Gewissen sagen, wenn Ihr den Boykott beschließt, Ihr seid der beste Kern der deutschen Arbeiterschaft, und als Vertreter der revolutionärsten Schicht habt Ihr die Möglichkeit, mit ruhigem Gewissen zu versichern, die gewaltigen Massen der Arbeiterschaft werden wirklich Eurer Boykottparole folgen und sich nicht beteiligen? Ich spreche von den gewaltigen Massen, nicht von den Gruppen, die zu uns gehören. Es kommen Millionen in Betracht, Männer, Frauen, junge Leute, Soldaten. Ich frage klar, ob Sie mit gutem Gewissen sagen können, daß diese Massen, wenn wir hier beschließen, die Nationalversammlung zu boykottieren, den Wahlen den Rücken kehren werden oder noch besser, ihre Fäuste gegen die Nationalversammlung richten werden? Das könnt Ihr nicht mit gutem Gewissen behaupten. Wir kennen die Zustände, die in den Massen herrschen, wie sehr sie noch unreif sind. Die Tatsache besteht, daß Sie uns gerade, die wir in diese Hirne revolutionären Geist hineintragen wollen, ausschalten von der Möglichkeit, der Gegenrevolution die Herrschaft zu entreißen. Während wir für die Aktivität im revolutionären Sinne sind, macht Ihr es Euch bequem, wendet den gegenrevolutionären Machenschaften den Rücken, überlaßt die Massen den gegenrevolutionären Einwirkungen. Sie fühlen selbst, daß Sie das nicht können.

In welcher Weise wollen Sie die Wahlen beeinflussen, wenn Sie von vornherein erklären, wir halten die Wahlen für null und nichtig? Wir müssen den Massen zeigen, daß es keine bessere Antwort gibt auf den gegenrevolutionären Beschluß gegen das Rätesystem, als eine gewaltige Kundgebung der Wähler zustande zu bringen, indem sie gerade Leute wählen, die gegen die Nationalversammlung und für das Rätesystem sind. Das ist die aktive Methode, um die gegen uns gerichtete Waffe gegen die Brust des Gegners zu richten. Sie müssen begreifen, daß derjenige, der den Verdacht des Opportunismus gegen uns ausspricht, sich im Drängen der Zeit und Arbeit nicht Zeit genommen hat, ruhig und gründlich zu prüfen sowohl seine wie unsere Auffassung.

Es kann sich nur darum handeln, welche Methode die zweckmäßigere ist zu dem gemeinsamen Zweck der Aufklärung der Massen. Von Opportunismus ist in diesem Saale keine Rede, merken Sie sich das, Genosse Rühle! Es liegt ein tiefer Widerspruch in Ihrer eigenen Argumentierung, wenn Sie sagen, ich fürchte die nachteiligen Folgen des Parlamentarismus auf die Massen. Auf der einen Seite sind Sie der revolutionären Reife der Massen so sicher, daß Sie darauf bauen, in 14 Tagen bereits eine sozialistische Regierung hier aufzurichten, also bereits den endgültigen Sieg des, Sozialismus. Auf der anderen Seite befürchten Sie für dieselben so reifen Massen die gefährlichen Folgen des Wählens. Ich muß Ihnen offen sagen, ich fürchte mich überhaupt vor gar nichts. Ich bin überzeugt, daß die Masse von vornherein durch die gesamte Lage dazu geschaffen und geboren ist, daß sie richtig verstehen wird unsere Taktik. Wir müssen die Massen im Sinne unserer Taktik erziehen, daß sie verstehen, das Instrument des Wählens zu gebrauchen nicht als eine Waffe der Gegenrevolution, sondern als klassenbewußte, revolutionäre Massen zur Niederschmetterung mit derselben Waffe derjenigen, die sie uns in die Hand gedrückt haben.

Ich schließe mit der Formulierung: Es ist zwischen uns im Zweck und in der Absicht gar kein Unterschied, wir stehen alle auf demselben Boden, daß wir die Nationalversammlung als ein gegenrevolutionäres Bollwerk bekämpfen, daß wir die Massen aufrufen und erziehen wollen, um die Nationalversammlung zunichte zu machen. Es ist die Frage der Zweckmäßigkeit und der besseren Methode. Die Eure ist die einfachere, die bequemere, die unsere ist etwas komplizierter, und gerade deshalb schätze ich sie, um die geistige Revolutionierung der Massen zu vertiefen. Außerdem, Eure Taktik ist eine Spekulation auf die sich überstürzenden Verhältnisse der nächsten Wochen, unsere behält im Auge den noch weiten Weg der Erziehung der Massen. Unsere Taktik berechnet die nächsten Aufgaben im Zusammenhang mit den Aufgaben der ganzen uns bevorstehenden Revolution, bis die deutschen proletarischen Massen so reif sind, um die Zügel zu ergreifen. Sie kämpfen gegen Windmühlen, wenn Sie mir solche Argumente unterstellen. Wir werden dann doch zur Straße greifen müssen, unsere Taktik fußt darauf, daß wir auf der Straße die Hauptaktion entwickeln. Dies beweist also, daß Sie entweder Maschinengewehre anwenden wollen oder in den deutschen Reichstag einziehen. Umgekehrt! Die Straße soll überall zur Herrschaft und zum Triumph kommen. Wir wollen innerhalb der Nationalversammlung ein siegreiches Zeichen aufpflanzen, gestützt auf die Aktion von außen. Wir wollen dieses Bollwerk von innen heraus sprengen. Wir wollen die Tribüne der Nationalversammlung und auch diejenige der Wählerversammlungen. Ob Sie so oder anders beschließen, Sie stehen auf dem gemeinsamen Boden mit uns, auf dem Boden des revolutionären Kampfes gegen die Nationalversammlung.


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