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Dem Weltkrieg entgegenDiese Rede wurde auf einer Volksversammlung gehalten, die am 7. Oktober 1911 in Stuttgart stattfand.

Das politische Interesse wird gegenwärtig mit Kolbenschlägen geweckt. Jeder, mag er einer Partei angehören, welcher er wolle, greift mit gespanntem Interesse nach seiner Zeitung. Dieses Interesse, mit dem das Volk nach dem italienisch-türkischen Kriegsschauplatz Im September 1911 hatte Italien einen Krieg gegen das türkische Reich provoziert. Unter Ausnutzung der imperialistischen Gegensätze um Marokko gelang es Italien im Oktober 1912, Tripolis und die Cyrenaica zu annektieren. blickt, drückt den Instinkt der Massen aus, die spüren, daß ihre Interessen mit auf dem Spiele stehen. Noch vor kurzem war mancher unter uns, der uns darauf hinwies, daß wir eine Zeit von 40 Jahren Frieden hinter uns haben. Daraus wurde die Schlußfolgerung gezogen, man gehe Zeiten entgegen, in denen eine friedliche Entwicklung möglich sei, die auch der Arbeiterschaft die erfreulichsten Perspektiven eröffne. Hingewiesen wurde auch auf das Haager Schiedsgerichtstribunal, Die Bildung eines Schiedsgerichts zur Beilegung internationaler Streitigkeiten war 1899 auf der sogenannten ersten Haager Friedenskonferenz beschlossen worden. Seine Wirksamkeit wurde weitgehend dadurch eingeschränkt, daß die imperialistischen Großmächte keine Bereitschaft zeigten, dieses Schiedsgericht anzuerkennen. das schlichtend eingreifen sollte. Auf der einen Seite der Dreibund und auf der anderen Seite der Zweibund wurden als die Säulen bezeichnet, auf denen das Gebäude des Friedens ruhe. Wo ist jetzt das Haager Tribunal? Wo sind Zwei- und Dreibund mit ihren Garantien für den Frieden? Alles liegt zerbrochen am Boden. Der Wahn vom Hineinwachsen in den Frieden ist zerronnen. (Zustimmung.) Die auf die 40 Jahre europäischen Friedens hinwiesen, vergaßen die Kriege, die außerhalb Europas sich abspielten und in denen Europa die Hand mit im Spiele hatte. Heute lecken die Flammen des Krieges an den Gestaden Europas, ein Weltenbrand droht auszubrechen. Der Gedanke der friedlichen Entwicklung ist unbarmherzig zerstört. Und das nicht allein. Kurz vorher hörten wir von einem anderen Krieg, vom Krieg der Massen gegen die drückende Not. In den verschiedensten Staaten sind Hunderttausende aufgestanden, um Protest zu erheben. In Wien fiel der erste Schuß gegen die Volksmassen. Der Schrei nach Brot wurde mit blauen Bohnen beantwortet. (Pfuirufe.) Ein unumstößliches Gesetz bringt uns alle paar Jahre nach einer Zeit der Prosperität wirtschaftliche Krisen, deren Kosten in erster Linie von der Arbeiterklasse getragen werden müssen. Kaum sind wir ins 20. Jahrhundert eingetreten, und schon liegen zwei Krisen hinter uns, diejenigen der Jahre 1900 und 1907, unter denen die deutschen Arbeiter ganz besonders zu leiden hatten. Und jetzt schon wieder, in der Zeit der Prosperität, nachdem sich die Arbeiter kaum erholt haben, stehen Hunderttausende auf den Straßen, die vor Hunger schreien. Das ist ein Zeichen kapitalistischer Hilfe, das jedem zeigen muß, wohin der Weg geht. Hunger und Krieg haben wir heute vor uns, zwei Blüten vom Baume der kapitalistischen Ausbeutung. Auch in der Vergangenheit gab es Hungersnöte der Massen, so namentlich im sogenannten finsteren Mittelalter. Die Ursachen dieser Hungersnöte waren jedem klar und verständlich. Entweder trug eine Mißernte die Schuld oder war die Pest im Lande, bestand Mangel an Arbeitskräften oder verhinderte ein Krieg die Zufuhren. Heute haben wir den Massenhunger, ohne daß Mißernten dafür verantwortlich gemacht werden könnten. Im Gegenteil, eine Reihe guter Erntejahre liegt hinter uns. Wir haben keinen Krieg, auch nicht die Pest und stehen doch vor dieser beispiellosen Hungersnot. Wir haben heute unter etwas zu leiden, das schlimmer ist als all die Plagen der früheren Zeiten, unter der Herrschaft der Junkerpartei. Heute handelt es sich um eine künstliche, planmäßige, mit gesetzlichen Mitteln fabrizierte Hungersnot. (Lebhafte Zustimmung.) Die Zollpolitik, die indirekten Steuern sind es, die so schwer auf uns lasten. Deutschland marschiert in dieser Richtung allen anderen Staaten gegenüber an der Spitze.

Einen Wendepunkt der Steuerpolitik brachte unter Bismarck das Jahr 1878. Nach kurzem Freihandel trat der Umschwung zu indirekten Steuern und Zöllen ein. Der Tarif vom Jahre 1878 bildete den ersten Schritt auf der abschüssigen Bahn. Dasselbe Jahr 1878 brachte noch ein anderes Geschenk Bismarcks: das Sozialistengesetz. Das war kein Zufall. Mit der einen Hand nahm man dem Volke den letzten Bissen vom Munde, auf der anderen Seite fuhr man der Sozialdemokratie an die Gurgel, um den Protestschrei zu ersticken. Aus diesem Vorgang muß uns klarwerden, daß der politische und der gewerkschaftliche Kampf zusammen geführt werden müssen.

Das Jahr 1902 brachte uns den Hungerzolltarif. Die Sozialdemokratie tat alles, um sich dem frevelhaften Raubzug entgegenzustemmen. Sie griff dabei selbst zu dem in Deutschland ungewohnten Mittel der Obstruktion. Monatelang dauerte der Widerstand, endlich aber wurde der Tarif doch Gesetz. In der Adventsnacht des Jahres 1902, als der Morgen graute und die Glocken zum Frieden läuteten, war die Freveltat vollbracht und der Raub in Sicherheit gebracht. Der damalige Kanzler Bülow eilte zum Kaiser, um diesem bei aufgehender Sonne den Sieg über das darbende Volk zu melden. Zum Dank erhielt er die goldene Verdienstkette um den Hals gehängt, für die Arbeiter aber war die Hungerkette bereit. (Lebhafte Zustimmung.) Die Wirkung des neuen Tarifs begann im Jahre 1906, und jetzt können wir seine Nachwirkungen erst recht verspüren.

Das Jahr 1909 brachte uns eine sogenannte Finanzreform. Am 10. Juli 1909 war im Reichstag eine Reichsfinanzreform gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der Nationalliberalen und der Freisinnigen Volkspartei beschlossen worden. Da vier Fünftel der neuen Steuern indirekte Steuern waren, wurden vor allem den Volksmassen zusätzliche Lasten aufgebürdet. Wer bei dieser Reform dachte, daß nun die Finanzen des Reichs in Ordnung gebracht, die Schulden bezahlt würden, der täuschte sich. Nichts davon geschah. Wohl aber wurden dem Volke 500 Millionen an neuen Steuern aufgeladen. Im Jahre 1873 hatte das Volk die Summe von rund 400 Millionen Mark für Zölle und indirekte Steuern aufzubringen; bis zum Jahre 1910 ist diese Summe auf jährlich 1980 Millionen gestiegen. Mit diesen rund 2 Milliarden ist die Last noch nicht erschöpft. Es kommen dazu die Summen, die Industrieritter und Agrarier noch extra in ihre Taschen schieben dadurch, daß der Preis um den Betrag der Zölle erhöht wird. Die hier in Betracht kommende Summe wird jährlich auf ebenfalls nicht weniger als 1900 Millionen berechnet. Rund 4 Milliarden sind es also, die uns Zölle und indirekte Steuern jetzt im Jahre direkt und indirekt kosten. Diese Zahl auszusprechen ist leichter, als sie sich vorzustellen. Um die Bedeutung dieser Summe klarer zu zeigen, kann auf ein vaterländisches Beispiel zurückgegriffen werden. Nach dem Kriege von 1870/71 verlangten zwei Männer in Deutschland für das unterlegene Frankreich einen billigen Frieden. Es waren die Genossen Bebel und Liebknecht, die dafür auf Festung kamen. Seit September 1870 hatten August Bebel und Wilhelm Liebknecht wie auch das zentrale Parteiorgan der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der »Volksstaat«, einen billigen Frieden im Sinne eines gerechten, ehrenvollen Friedens mit der französischen Republik gefordert. Die beiden Parteiführer wurden für ihr revolutionäres Auftreten und ihre sozialistische Gesinnung im März 1872 zu je zwei Jahren Festung verurteilt. Frankreich aber wurde der ostpreußische Kürassierstiefel in den Nacken gesetzt, es mußte 4 Milliarden Mark Kriegskontribution zahlen, eben die Summe, die heute dem deutschen Volke pro Jahr direkt und indirekt aus Zöllen und Steuern abgenommen wird.

Wir Sozialdemokraten appellieren an die klare, ruhige Überlegung, wir sind bereit, die Steuerfragen mit Objektivität zu beleuchten. Man sagt, der Staat habe große Aufgaben zu erfüllen, die dem Volke zum Wohle gereichen, und zur Lösung dieser Aufgaben bedürfe es großer Mittel. Gewiß hat der Staat große Aufgaben zu erfüllen. Aber schon Lassalle hat sehr treffend gesagt: Der Staat braucht Mittel, aber Gerechtigkeit und Kultur verlangen, daß er diese Mittel nicht von den Ärmsten, sondern von den Reichsten nimmt. (Zustimmung.) Wir Sozialdemokraten verlangen die Abschaffung aller indirekten Steuern. Wir fordern Steuern auf Einkommen und Vermögen, die diejenigen treffen, die ihre Hände nicht durch Arbeit beschmutzen. Wir verlangen weiter eine Erbschaftssteuer. Der Arbeiter würde von ihr nicht getroffen, denn was er hinterläßt, ist sehr nahe beieinander. Diejenigen, die schon als Schwerreiche aus dem Mutterleibe kommen, die würden und sollen getroffen werden.

Um sich darüber klarzuwerden, wozu die ungeheuren Mittel Verwendung finden, genügt ein kurzer Blick auf die Finanzgeschichte. Der nimmersatte Militarismus ist es, der fast alles verschlingt. Um ihn großzuziehen, wird das Volk ausgepowert. Die logische Folge dieser Entwicklung sind Kriege. Im Jahre 1872 betrug die Friedenspräsenzstärke 359 000 Mann. Seither nimmt die Steigerung kein Ende. Jetzt stehen rund 700 000 Mann im Frieden unter den Waffen, wenn wir die Unteroffiziere, diese Zierde der Menschheit, zurechnen, von denen wir 82 000 Mann haben.

Die Behauptung, daß das Wachstum der Armee mit dem Anwachsen der Bevölkerungszahl gleichen Schritt halte, ist nicht zutreffend. Die Bevölkerung, die im Jahre 1871 41 Millionen zählte, ist jetzt auf rund 65 Millionen, also um etwas über 50 Prozent gewachsen, während in derselben Zeit das stehende Heer sich verdoppelt hat. Das Militär wächst also zweimal so schnell wie die Bevölkerung. Wenn es so weitergeht, dann kann noch der Tag kommen, von dem der Kaiser schwärmt, da jeder dritte Mann den Rock des Königs trägt. Zu befürchten ist nur, daß dann die beiden anderen weder Rock noch Hose tragen werden. (Lebhafte Zustimmung.)

Die Kosten für das stehende Heer betrugen im Jahre 1872 337 Millionen. Im Jahre 1910 sind sie auf 925 Millionen gewachsen. In den 40 Jahren des Friedens haben wir für unser stehendes Heer nicht weniger als 23 Milliarden ausgegeben. Da ist es kein Wunder, daß das Volk am Hungertuche nagt.

Zu diesen Ausgaben kommen noch diejenigen für die Marine. Sie verdienen besondere Beachtung, weil gerade sie mit dem Imperialismus und der Weltpolitik in erster Linie zusammenhängen. Im Jahre 1872 betrugen diese Ausgaben pro Jahr 30 Millionen. Bismarck, ein Reaktionär, der wenigstens einen Kopf auf den Schultern hatte, sah ein, daß ein erstklassiges Landheer und eine erstklassige Flotte die Mittel des Reiches erschöpfen müßten. Er widersetzte sich deshalb auch lange der Kolonialpolitik, bis auch er schließlich in den 80er Jahren seinen Widerstand aufgab. Mit der Thronbesteigung des jetzigen Instruments des Himmels ist ein Wendepunkt eingetreten. Es kamen die Reden vom Dreizack in unserer Faust, von unserer auf dem Wasser liegenden Zukunft usw. Die Flotte wurde vermehrt. Dabei zahlte nicht das Instrument des Himmels, sondern das Volk die Rechnung. Betrugen die Marineausgaben im Jahre 1888 noch 54 Millionen, so waren sie im Jahre 1911 auf 460 Millionen gestiegen. Die Summen, die wir bisher insgesamt für die Flotte zahlen, belaufen sich auf 5 Milliarden, so daß für Heer und Marine zusammen ein Aufwand von nicht weniger als 28 Milliarden erwuchs. Das ist eine ungeheure Summe.

Die Sozialdemokratie geht bei ihrer Kritik nicht nur vom Geldstandpunkt aus, sondern sie beachtet auch die ganze politische Lage. Es wird behauptet, der gegenseitige Kampf liege in der menschlichen Natur. Wer nicht rüste, laufe Gefahr, die Beute des Nachbarn zu werden. Wir sind anderer Meinung. Die Völker sollen und können ohne Unterschied der Rasse und Farbe zusammen in Frieden leben. Nur dann kann man von Kultur reden, wenn Bande der Solidarität die Völker umschlingen. Solange die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nicht abgeschafft ist, ist diese Solidarität nicht möglich. (Lebhafte Zustimmung.)

Wir Sozialdemokraten wissen sehr wohl, daß der Weltfriede eine Utopie bleibt, solange die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht abgeschafft ist. Jedes Volk muß imstande sein, sein eigenes Land gegen Angriffe zu verteidigen. Dazu ist aber kein so riesiger Apparat erforderlich, wie ihn unser gegenwärtiges Heerwesen darstellt, dazu genügen ein paar Wochen Militärdienst. Viele Autoritäten auf militärischem Gebiet sind mit uns der Meinung, daß die zwei- und dreijährige Militärzeit nicht notwendig ist. Dem Volke sollen die Waffen in die Hand gegeben werden, damit es selbst entscheiden kann, wenn ein Krieg notwendig ist. Erst dann kann es tatsächlich heißen: Lieb Vaterland, magst ruhig sein. (Lebhafte Zustimmung.) Das Milizsystem ist nicht bloß eine Phantasie der Sozialdemokratie. Es besteht bereits – wenn auch nicht ganz in unserem Sinne – in der Schweiz. Wessen Grenzen sind nun besser geschützt, jene der kleinen Schweizer Republik mit ihrer Miliz oder diejenigen des militaristischen Deutschlands? Wenn es den herrschenden Klassen ehrlich darum zu tun wäre, nur unser Land zu verteidigen, dann brauchten wir nicht das heutige stehende Heer und die lange Dienstzeit mit ihren Soldatenmißhandlungen. Aber der Gedanke, dem arbeitenden deutschen Volk das Gewehr in die Hand zu liefern, das ist der grausigste Gedanke, den sich die Herrschenden denken können! Die Flinten könnten ja dort losgehen, wo man es nicht wünscht. In dem »gemütlichen« Wien hat es sich dieser Tage wieder gezeigt, wozu das Militär da ist: um gegen das eigene Volk vorgeschickt zu werden. Auch bei den preußischen Wahlrechtsdemonstrationen war Militär in Bereitschaft, um die Polizei zu unterstützen.

Jetzt haben wir den ersten Krieg aus rein imperialistischen Interessen bekommen. In der Türkei und in Italien gibt es große arbeitende Massen, die von einer Handvoll Kapitalisten ausgebeutet werden. Diese Massen haben kein Interesse an diesem Krieg. Der Generalstreik in Italien war ein Protest gegen den Krieg. Am 29. September 1911, dem ersten Tag des italienisch-türkischen Krieges, war von der Leitung der Sozialistischen Partei ein auf 24 Stunden befristeter Generalstreik für Italien ausgerufen worden, dem in vielen Städten des Landes Demonstrationen und Kundgebungen gegen den Krieg vorausgegangen waren. Der jetzige Krieg ist nur der Anfang von weiteren, die einen Weltkrieg heraufbeschwören müssen. Die Balkanländer Griechenland, Bulgarien, Serbien, Rumänien werden ebenfalls diesen Krieg benutzen wollen, um auf ihre Rechnung zu kommen.

Was haben wir in Deutschland in den letzten Wochen erlebt, wo es um ein Haar mit Frankreich zum Krieg gekommen wäre wegen Marokko, also um ein Land, dessen Bewohner uns nichts getan haben. Im Interesse einiger Kapitalisten wurde diese Kriegsgefahr heraufbeschworen. Und jetzt ist alles wieder friedlich gesinnt. Was bedeutet dieser Ausgang? Es handelt sich um einen Länderschacher, den Kiderlen-Wächter und Cambon hinter verschlossenen Türen abmachen. Das Ende dieses Hokuspokus wird die Auslieferung Marokkos an Frankreich sein, Deutschland wird ein Stück Land am Kongo erhalten. Jeder neue Kolonialraub bedeutet aber eine neue Militärvorlage. Wir haben allen Grund, den Marokkokonflikt als einen Ausfluß des Imperialismus anzusehen, genau wie den Krieg in Tripolis. Es sei hier an die schönen Worte August Bebels in Jena erinnert. Erstens: Die Frage der Rüstungen wird uns von nun an nicht mehr entzweien. Es dürfte keinen Optimisten mehr unter uns geben, der glaubt, daß die Staaten anfangen abzurüsten. Zweitens: Die Teuerung in den meisten Ländern ist keine vorübergehende Erscheinung, sie wird zur ständigen Einrichtung werden. – Die Entwicklung der kapitalistischen Staaten kann krasser nicht gedacht werden: Hunger und Kriegsfeuer in Permanenz.

Daneben geht die demokratische Entwicklung zurück, ein immer größerer Verfall des Parlamentarismus ist die weitere Folge. Die Vorstöße des deutschen Imperialismus fallen in die Ferienzeit des Reichstags; beim Beginn des Chinafeldzugs, bei den Algecirasverhandlungen und beim »Panthersprung« nach Agadir war der Reichstag vertagt; es fiel der Regierung gar nicht ein, vor diesen Aktionen das Parlament zu befragen. Im Zusammenhang damit steht die Stärkung des persönlichen Regiments. Es gibt zur Zeit freilich auch »patriotische« Kreise, die mit dem Instrument des Himmels nicht zufrieden sind. So hat z. B. die freikonservative »Post« den Kaiser einen poltron valeureux, auf deutsch: tapferen Hasenfuß, genannt. Wilhelm II. ist aber alles eher als ein Friedensfaktor.

Das Anwachsen des Imperialismus läßt keine Milderung der Klassengegensätze erhoffen. Das bedingt, daß auch unsere Kampftaktik eine entsprechende Verschiebung und eine nachhaltigere Wirkung erfahren muß. Wir sind die einzige Klasse, die ernsthaft für den Frieden kämpft. Wir hätten von einem Kriege als politische Partei am wenigsten zu befürchten. Er würde nur zeigen, daß die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung so nicht weitergetrieben werden kann. Wenn wir trotzdem für den Frieden kämpfen, kämpfen wir damit gegen die kapitalistische Klasse und für das soziale Endziel.

Es kommt ja bald die Zeit, wo das deutsche Volk seiner Meinung Ausdruck geben kann: die Reichstagswahlen. Wir lassen uns durch die Parole »Gegen den Schwarz-Blauen Block!« von der bürgerlichen Linken nicht aufs Eis locken. Die Wahlen müssen sich zu einer Generalschlacht gestalten zwischen dem revolutionären Sozialismus und dem reaktionären Kapitalismus, mag dieser stehen, wo er will. (Zustimmung.) Das Wort Lassalles von der einen reaktionären Masse hat seine Geltung nicht verloren. Es wird eine Wahlschlacht sein wie noch nie. Es gilt die Rechnung zu präsentieren für Marokko, für die Finanzreform, für den Umfall des Liberalismus gegenüber den reaktionären Mächten. Mit dem Blick auf das sozialistische Endziel muß der Kampf geführt werden. Nicht nur um Mandate – die uns natürlich lieb sind – ziehen wir ins Feld, die Hauptsache sind uns die Stimmen; und zwar auf die Gesinnung der Wähler in erster Linie legen wir Wert; keine Mitläufer, sondern bewußte Klassenkämpfer müssen es sein, die uns auch in schweren Zeiten treu bleiben. (Zustimmung.) Wir gehen schweren Zeiten entgegen, darüber dürfen wir uns nicht täuschen. Aber wir fürchten uns nicht. Mit zielklarem Programm stehen wir bereit. Angesichts der heutigen Situation, die auf der einen Seite eine geringe Schicht von Ausbeutern, auf der anderen die große Masse des ausgebeuteten und darbenden Volkes zeigt, schließe ich mit den Worten Bebels auf dem Dresdner Parteitag: Ich bin und bleibe ein Todfeind der bürgerlichen Gesellschaft! (Stürmischer, lang anhaltender Beifall.)


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