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Die Stimmung, welche der Ausfall der Reichstagswahl Die Wahlen zum Reichstag (bekannt geworden als Hottentottenwahlen) hatten am 25. Januar und 5. Februar 1907 stattgefunden. Die Sozialdemokratie konnte ihre absolute Stimmenzahl von 3 Millionen im Jahre 1903 auf fast 3,3 Millionen 1907 steigern. Auf Grund der veralteten Wahlkreiseinteilung sowie der Stichwahlbündnisse der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie erhielt diese nur 43 Mandate gegenüber 81 im Jahre 1903. in unseren eigenen Reihen hervorrief, läßt drei Phasen erkennen. Zuerst herrschte Bestürzung, Angst, Depression wegen des unerwarteten Verlustes einer großen Zahl unserer Mandate. Doch diese Stimmung hielt nur kurze Zeit an, dann folgte eine gewisse Befriedigung darüber, daß trotz des Verlustes von Mandaten die Zahl unserer Stimmen gewachsen ist, und es folgte die dritte Phase, in der wir uns jetzt befinden und die auch anzuhalten scheint: die Stimmung der Beruhigung, der Fassung, des Vorsatzes, energisch umzukehren zu positiver Arbeit. Es werden Vorschläge gemacht, die den Ausbau unserer Organisation und Presse, besonders aber die Pflege der Kleinarbeit fordern. Gewiß ist die Kleinarbeit notwendig, aber sie allein genügt nicht.
Es entsteht die Frage, was bedeutet der Wahlausfall nicht nur für uns, sondern für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Als Antwort auf die Frage, wie sich unsere unerwarteten Mandatsverluste erklären, sind einzelne Ursachen angeführt worden, so der durch die Agrarzölle verursachte Umschwung der Stimmung in den Kreisen der Kleinbauern, die früher für uns stimmten, sich aber jetzt gegen uns gewandt haben. Ferner, daß die industrielle Hochkonjunktur die ungünstige Wirkung der Zollpolitik weniger fühlbar gemacht habe, und endlich, daß unsere Gegner einen furchtbaren Druck auf abhängige Schichten der Bevölkerung ausgeübt und uns dadurch viele Stimmen entzogen haben. Die Wirkung aller dieser Ursachen ist nicht zu bestreiten, aber bei Erscheinungen, die so allgemein auftreten, wie es bei diesen Wahlen der Fall war, bei Ursachen, die nicht nur in einzelnen Kreisen, sondern in gleicher Weise im ganzen Reiche gewirkt haben, angesichts so großer allgemeiner Vorgänge kann man sich zur Erklärung nicht mit einer Sammlung von Einzelheiten begnügen. So große Vorgänge müssen Ursachen haben, die mit den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Deutschland zusammenhängen. – Gewiß ist bei den Wahlen mit Verleumdung und Terrorismus gegen uns gearbeitet worden, aber genügt das, um den Wahlausfall zu erklären? Man muß doch fragen, wie war es möglich, daß in Rußland, wo doch das höchste Maß von Druck und Verleumdung gegen die Sozialdemokraten angewandt worden ist, die Sozialdemokratie als Siegerin aus den jüngsten Wahlen zur Duma hervorgegangen ist, obgleich sie in Rußland erst seit Beginn der Revolution überhaupt als Massenpartei zählt.
Es ist kein Zweifel, daß große Schichten des Volkes, die sich früher nicht an den Wahlen beteiligten, sich diesmal gegen uns erhoben haben und daß es dadurch gelang, uns vierzig Mandate zu entreißen. Das Gros dieser Leute gehört dem Mittelstande an, ein kleiner Teil mag auch zur Arbeiterklasse gehören. Wie kommt es, daß der Mittelstand in solchem Maße gegen uns ins Feld geführt werden konnte? Der Hinweis darauf, daß der Mittelstand infolge seiner Zwitterstellung zwischen Bourgeoisie und Proletariat die unzuverlässigste, bald nach der einen, bald nach der anderen Seite schwankende Klasse sei, ist keine ausreichende Erklärung für den Ausfall der Wahl. Hat doch dasselbe Kleinbürgertum, welches jetzt im Kampfe gegen uns mit der Bourgeoisie gemeinsame Sache gemacht hat, in den revolutionären Bewegungen der Vergangenheit zusammen mit dem Proletariat gegen die herrschenden Klassen gekämpft. Angesichts des Wahlausfalles müssen wir fragen: Welches waren die Bedingungen, die das Kleinbürgertum veranlaßten, in dem Wahlkampf gerade die Stellung einzunehmen, die es eingenommen hat? Warum nahm das Kleinbürgertum eine Schwenkung vor, die sich gegen uns richtet? Wenn man auf den schwankenden Charakter des Kleinbürgertums rechnet, dann nimmt man ohne weiteres an, daß wir die uns abtrünnig gewordenen Wähler aus diesen Schichten bei der nächsten Wahl wieder für uns gewinnen. Aber wir müssen nicht nur nach den Ursachen der Mandatsverluste fragen, sondern die ganze Reichstagswahl als eine einzige große Erscheinung betrachten.
Worin besteht nun das Resultat der Wahl für uns? Wir haben annähernd die Hälfte unserer Mandate verloren. Wer aber glaubt, daß dadurch unsere politische Macht geschwächt sei, der überschätzt den Einfluß des Parlamentarismus. Wir sind eine revolutionäre Massenpartei. Unsere politische Macht liegt deshalb nicht in der Zahl der Reichstagsmandate, sondern in der Zahl unserer Anhänger im Volke. Wir unterschätzen die parlamentarische Arbeit nicht, aber wir müssen uns auch darüber klar sein, daß wir als geborene Minderheitspartei sehr wenig Einfluß auf die Gesetzgebung haben. Was wir an Gesetzen zugunsten der Arbeiter erreicht haben, das ist nicht der Zahl unserer Abgeordneten zu danken, sondern dem Druck der Massen, die hinter ihnen stehen. In erster Linie haben unsere Abgeordneten die Reichstagstribüne zur Vertretung und Verbreitung unserer grundsätzlichen Auffassung zu benutzen. In bezug hierauf ist es ohne Bedeutung, ob wir achtzig oder vierzig Vertreter im Reichstage haben, auch ist die agitatorische Benutzung der Reichstagstribüne heute nicht mehr so bedeutungsvoll wie früher, wo es galt, die Ziele einer kleinen, noch wenig bekannten Partei öffentlich darzulegen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, hat der Mandatsverlust für uns nur sekundäre Bedeutung. Viel wichtiger ist dagegen die Verschiebung innerhalb der Wählermasse. Um hierüber ein Urteil zu gewinnen, müssen wir fragen: Was hat den Mittelstand gegen uns ins Feld geführt?
Der Wahlkampf ist geführt worden unter der Parole der Kolonialpolitik. Im Wahlkampf zur Reichstagswahl wurde eine chauvinistische Propaganda für die Weiterführung des Kolonialkrieges gegen die Hereros und Hottentotten in Afrika betrieben und der Nationalismus des Kleinbürgertums geschürt. Warum konnte diese Parole eine so große Wirkung ausüben? Wer nicht schon durch unsere Agitation gegen die Kolonialpolitik von der Wertlosigkeit der deutschen Kolonien überzeugt war, der hätte davon überzeugt werden müssen durch die Kolonialreklame und durch den Humbug der Kolonialfreunde. Der wirtschaftliche Wert der Kolonien für das Bürgertum war es nicht, was die Wirkung, die wir gesehen haben, ausübte, sondern vielmehr die ganze Konstellation. Die Kolonialpolitik wurde nicht als eine Detailfrage der Politik in den Wahlkampf geworfen, sondern sie ist zum Symbol der Politik gemacht worden, welche sich gegen die Sozialdemokratie richtet. Unter dem Symbol der Kolonialpolitik haben sich die Anhänger der bürgerlichen Weltanschauung zum Kampfe gegen die Sozialdemokratie gesammelt. Aber nicht nur diese, sondern noch eine andere Tatsache erklärt den Umschwung der Stimmung im Kleinbürgertum. Die russische Revolution hat den Glauben an die unerschütterliche Macht des Bürgertums erschüttert. Man hielt, selbst in unseren Reihen, die Zeit der Straßenkämpfe für abgetan, und nun sah man diese Form des revolutionären Kampfes in Rußland aufs neue angewandt, und zwar mit Erfolg. Hätte die russische Revolution nur die Einführung des bürgerlichen Verfassungsstaates zum Ziel gehabt, dann würde sich das deutsche Bürgertum damit abgefunden haben. Aber die Bewegung ging von der liberalen zur sozialen Frage über. Der Gegensatz zwischen Bauer und Großgrundbesitzer, zwischen Arbeiter und Kapitalist trat in den Vordergrund. Die russische Revolution wurde zu einem gewaltigen sozialen Kampf aller Ausgebeuteten gegen alle Ausbeuter, sie zeigte eine Machtentfaltung des Proletariats, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. Mit Schrecken sieht das Bürgertum, daß das Proletariat eine neue Waffe, den Massenstreik, im revolutionären Kampfe mit Erfolg anwendet. Das gibt auch dem deutschen Bürgertum den Gedanken ein: Der Massenstreik ist eine Waffe, die nicht nur auf russisch gebraucht werden kann. Das deutsche Bürgertum sieht, daß auch das deutsche Proletariat die Anwendung des Massenstreiks in Betracht zieht, und es sieht, was geschehen kann, wenn das deutsche Proletariat gelernt hat, diese Waffe zu gebrauchen. Wenn man das alles betrachtet, dann erst ist die Wirkung der Kolonialpolitik als Wahlparole verständlich. Es handelt sich ja bei der Kolonialpolitik um ein geradezu lächerliches Objekt, aber was den großen Eindruck auf die Massen des Bürgertums machte, das ist nicht das Objekt, sondern das Wagnis, das kühne Draufgängertum, womit die Regierung dieses Zerrbild einer Kolonialpolitik in den Mittelpunkt des Wahlkampfes rückte. Das hat dem Kleinbürgertum imponiert, und es fiel deshalb auf diese Politik hinein. Aus diesem Vorgang könnten übrigens auch wir lernen, daß in einer gegebenen Situation durch kühnes Wagen viel erreicht werden kann, während Zaghaftigkeit und Mangel an Selbstvertrauen die günstigsten Gelegenheiten verpfuscht.
Die Reichstagswahl war eine parlamentarische Junischlacht des Kleinbürgertums gegen die Sozialdemokratie, ein Kampf einer absterbenden gegen eine aufstrebende Klasse, also ein Klassenkampf von reinstem Wasser. Diese Vorgänge zeigen uns, daß das so viel angezweifelte Wort Lassalles von der einen reaktionären Masse, die uns gegenübersteht, sich vollauf bestätigt hat. Jaurès gibt uns den freundlichen Rat, wir sollten in ein freundschaftliches Verhältnis zum Liberalismus treten, um dem Liberalismus Gelegenheit zu geben, zu zeigen, was er leisten kann. Nun, der Liberalismus hat am 25. Januar und am 5. Februar gezeigt, was er leisten kann. Vom Liberalismus haben wir in Deutschland nichts mehr zu erwarten. Einer der Hauptgründe, worauf sich unser Revisionismus stützt, ist der: Der deutsche Mittelstand sei noch nicht so weit zurückgegangen, wie es der Fall sein müßte, wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung in der Weise vollzöge, wie es Marx angegeben hat. Für diese Ansicht werden die Zahlen der Statistik ins Feld geführt. Die Zahlen beweisen aber an sich nichts, man muß sie an den tatsächlichen Vorgängen prüfen. Wenn wir aber die Vorgänge im politischen Leben prüfen, so sehen wir, daß sich hier die Verhältnisse, welche sich durch die wirtschaftliche Entwicklung herausgebildet haben, verspätet widerspiegeln. Der Ausfall der Wahlen zeigt uns Deutschland als ein bürgerliches Land, welches keine Partei des Mittelstandes hat. Wir können an dieser Tatsache ermessen, wie hoch die Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse in Deutschland schon gediehen sein muß, wenn der Mittelstand keine politische Vertretung mehr hat, wenn es keinen Liberalismus mehr gibt. Von allen Ländern Westeuropas ist Deutschland für eine Katastrophe am reifsten, denn hier sind die Klassengegensätze am schärfsten ausgeprägt.
Die letzte Reichstagswahl ist der Abschluß der bisherigen und der Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung, sie zeigt uns, daß die nächste politische Entwicklung unter dem Zeichen der Weltpolitik steht. Weltpolitik bedeutet Militarismus, Marinismus, Kolonialpolitik. Das ist der Strudel, dem der Kapitalismus entgegenstürmt und in dem er mit Mann und Maus unterzugehen verdammt ist. Die Schwenkung des Mittelstandes bedeutet, daß der letzte Widerstand des Bürgertums gegen die Weltpolitik geschwunden ist. Es ist kein Zweifel, daß sich das offizielle Deutschland in diesen gefährlichen Strudel schleudern wird. In der inneren und der äußeren Politik hört jetzt jede Mittelstandsretterei auf. Der weltpolitische Kurs braucht die großkapitalistische Entwicklung. Die Opposition des Bürgertums braucht er nicht mehr zu fürchten, denn ihre letzten Reste sind bei der Wahl für immer geschwunden. Weltpolitik und Liberalismus lassen sich nicht miteinander vereinen. Calwer glaubt allerdings, man könnte Weltpolitik treiben und trotzdem Sozialdemokrat bleiben. Ich begreife nicht, wie Genosse Bebel es für nötig halten konnte, den Mantel der Liebe über Calwer zu decken und ihn im Reichstage unter die schützenden Fittiche der Partei zu nehmen. Als die betreffende Äußerung, in der sich Calwer für die Kolonialpolitik erklärt, im Reichstage gegen uns angeführt wurde, sagte Genosse Bebel, man solle nur die Ausführung Calwers weiterlesen, der trete dafür ein, daß die Kaufmannschaft, die den Vorteil von der Kolonialpolitik hat, auch die Kosten derselben tragen solle. Das, habe Bebel gesagt, sei auch unser Standpunkt, uns könne es recht sein, wenn bei der Kolonialpolitik die Kosten von den Interessenten getragen werden. – Nein, sagte die Rednerin, das ist nicht unser Standpunkt. Abgesehen davon, daß ja das Kapital aus der Ausbeutung der Arbeiter kommt, dürfen wir die Kolonialpolitik nicht aus dem kleinlichen Gesichtspunkt der Kostenfrage beurteilen. Wir sind grundsätzliche Gegner der Kolonialpolitik, denn wo die Kolonialpolitik herrscht, da geht die Sozialpolitik flöten.
Wir haben in Deutschland keinen Liberalismus und im deutschen Reichstag keine bürgerliche Opposition mehr. Was bedeutet aber ein bürgerliches Parlament ohne bürgerliche Opposition? Man hält das Zentrum für eine Oppositionspartei. Auch in der sozialdemokratischen Wahlpolitik ließ sich von dieser Ansicht etwas spüren. Wenn gewisse Abtönungen in unserer Politik aus Rücksicht auf den vermeintlich oppositionellen Charakter des Zentrums zurückzuführen sind, so ist das die Folge einer oberflächlichen Auffassung. Wenn auch das Zentrum zuweilen die Rolle einer Oppositionspartei spielt, so ist das eine Opposition, die nicht fortschrittlichen, sondern rückschrittlichen Tendenzen entspringt, eine Diplomatie, welche die Regierung den reaktionären Bestrebungen des Zentrums dienstbar machen will und auf derselben Stufe steht wie die Opposition der konservativen Kanalrebellen. Im August 1899 war eine von der Regierung im preußischen Landtag eingebrachte Vorlage zum Bau eines Verbindungskanals zwischen Rhein, Ems, Weser und Elbe von den ostelbischen Agrariern zu Fall gebracht worden, da sie ein Sinken der Getreidepreise infolge billiger Einfuhrmöglichkeiten und die Abwanderung der Landbevölkerung in die Industriezentren befürchteten, gleichzeitig auch einen Druck auf die Zollpolitik ausüben wollten. Im Parlament sehen wir dieselbe Zuspitzung der Klassengegensätze wie in der wirtschaftlichen Entwicklung. Nur die Sozialdemokratie ist eine Oppositionspartei, und als revolutionäre Oppositionspartei steht sie zu allen anderen Parteien im Gegensatz. Weil dem so ist und weil wir bei der Wahl die Angehörigen des Mittelstandes verloren haben, sind wir verpflichtet, reine proletarische Klassenpolitik zu treiben. Damit ist nicht gesagt, daß wir im Reichstag ganz neue Bahnen einschlagen sollen. Es muß mehr Nachdruck gelegt werden auf solche Gesetze, die die Lage der Arbeiter verbessern, als auf Gesetze nach Art der Lex Heinze. Der Prozeß gegen den Zuhälter Gotthilf Heinze von 1892 hatte im Jahre 1900 eine Novelle zum Strafgesetzbuch zur »Hebung der Sittlichkeit« veranlaßt. Die wichtigsten Bestimmungen, die sogenannten Theater- und Kunstparagraphen, durch die die künstlerische und literarische Freiheit stark eingeschränkt worden wäre, wurden durch eine breite Massenbewegung zu Fall gebracht. Reine Arbeiterforderungen müssen als Gesetzvorschläge eingebracht werden.
Eine Richtung in unseren Reihen hält den Parlamentarismus nicht für eine durch die Verhältnisse bedingte, sondern für die einzige Form, in der wir unsere Ziele erreichen können. Diese Auffassung ist durch den Wahlausfall gründlich widerlegt worden. Man glaubt, wenn wir erst die Mehrheit der Wähler auf unserer Seite haben, dann könnten wir unsere Ziele auf parlamentarischem Wege erreichen. Bei der Eroberung gewisser Schichten der Wähler stellen sich uns große Schwierigkeiten entgegen. Große Schichten des ländlichen Proletariats, das große Heer der Post-, Eisenbahn- und anderer Beamten können wegen des Drucks, unter dem sie stehen, nicht als Wähler auf unsere Seite treten. Für unser Endziel ist nur das Proletariat zu haben. Wenn Angehörige des Mittelstandes für uns stimmen, so tun sie das nicht, weil sie unsere Ziele billigen, sondern weil sie in der Gegenwart Hilfe aus ihrem Elend von uns erwarten. In dieser Richtung können wir sehr wenig positive Arbeit leisten, weil uns die herrschenden Klassen Widerstand entgegensetzen. Aus diesem Grunde wird das Kleinbürgertum, welches sich von uns entfernt hat, uns auch in der Zukunft fernbleiben. Der Ausfall der Wahl zeigt, daß sich die bürgerliche Gesellschaft rapid ihrem Ende nähert und daß nur hoffnungslose Phantasten glauben können, wir könnten allmählich die parlamentarische Mehrheit bekommen und mit deren Hilfe unsere Ziele erreichen. Gewiß brauchen wir zur Verwirklichung unserer Ziele die Mehrheit des Volkes, aber das ist nicht dasselbe wie die Mehrheit der Wähler. Sobald es gilt, durch den direkten Befreiungskampf unsere Ziele zu erreichen, gestaltet sich die auf unsere Seite tretende Mehrheit des Volkes anders als bei den Wahlen. Beim direkten Massenkampf in einer Befreiungsrevolution kommen zum Beispiel die Frauen, die jetzt zur politischen Nichtigkeit verurteilt sind, als Kämpfer für uns in Betracht. Da ist die Frau gleichwertig mit dem männlichen proletarischen Kämpfer. Auch die Landarbeiter, die Post- und Eisenbahnbeamten, die wir als Wähler nur schwer gewinnen können, würden für uns eintreten, sobald sich das Volk in einer direkten Befreiungsbewegung befindet.
Wir müssen aus der russischen Revolution lernen, wie unsere Gegner aus ihr gelernt haben. In Rußland ist man sich des Zusammenhanges der dortigen Bewegung mit dem Wahlausfall in Deutschland wohl bewußt. Hat doch der Verband echtrussischer Leute Als »echtrussische Leute« wurden die Mitglieder des Verbandes des russischen Volkes bezeichnet, einer 1905 zum Kampf gegen die Revolution gegründeten monarchistischen Organisation in Rußland, der vorwiegend Gutsbesitzer, Kaufleute, Polizeibeamte und Priester angehörten. den deutschen Kaiser wegen des Wahlausfalles beglückwünscht. Bei uns scheint für diesen Zusammenhang kein Verständnis vorhanden zu sein. In dem Wahlaufruf unserer Fraktion vom 14. Dezember war kein Hinweis auf die russische Revolution enthalten. Wenn unserer Gegner Furcht und Haß gegen die Arbeiter durch die russische Revolution aufgestachelt ist, so müssen wir aus der Revolution Kraft und Zuversicht schöpfen. Ich will nicht die Revolution anpreisen, sondern nur sagen, daß wir uns klarwerden über die historisch notwendigen Bedingungen, unter denen wir unser Endziel erreichen können. Wenn wir die Dinge so betrachten, dann haben wir keinen Grund, wegen des Wahlergebnisses pessimistisch zu sein. Mit Feuereifer stürmt die bürgerliche Gesellschaft der Katastrophe entgegen. Wir, die wir bei der Wahl eine parlamentarische Niederlage erlitten haben, sind die lachenden Erben des Prozesses, der unsere Niederlage verursacht hat. Es wäre töricht, wenn man unsere parlamentarische Niederlage auch als eine politische Niederlage ansehen wollte. Durch diese Wahl sind wir unserem Endziel um eine tüchtige Strecke näher gebracht.
Nichts würde jetzt gefährlicher sein als eine Unterschätzung unserer Kraft. Wenn jetzt die Kleinarbeit als unsere Parole aufgestellt wird, so ist das nach solchem Wahlkampfe zu wenig. Gewiß soll die Kleinarbeit soviel wie möglich betrieben werden, aber vor allem kommt es darauf an, daß die Millionen des Proletariats mit den Erfahrungen und Lehren dieses Wahlkampfes vertraut gemacht werden und daß sie erfüllt werden mit Vertrauen in die eigene Kraft. Der Ausfall der Wahl hat uns gelehrt, daß wir viel schneller unserem Siege entgegengehen, als wir vor dem 25. Januar angenommen haben.