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Zur SteuerfrageRedaktionelle Überschrift. Diese Rede wurde auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gehalten, der vom 14. bis 20. September 1913 in Jena stattfand.

Wir haben den originellen und nach meiner Erfahrung einzig dastehenden Fall erlebt, daß in einer hochwichtigen Frage des Parteilebens, in der sich in der Fraktion zwei ausgesprochene Meinungen gegenüberstanden, wir hier zwei Referenten für eine Meinung und gar keinen Referenten für die entgegengesetzte Meinung haben hören müssen. Es handelt sich um die Zustimmung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zum Wehrbeitrag und zur Vermögenszuwachssteuer am 30. Juni 1913 im Reichstag. (»Sehr wahr!«) Dieser Fall birgt noch eine andere Originalität, nämlich daß einer der Referenten, der, der am längsten sprach, gegen die Ansicht sprach, die er vor kurzer Zeit noch selbst vertreten hatte. (Lebhafte Zustimmung.) Die Rede Wurms war nach Ansicht aller seiner jetzigen Gesinnungsgenossen geradezu vernichtend für alle Unterzeichner der Resolution 114.

Diese Resolution zur Steuerfrage, eingebracht von Friedrich Geyer und 81 Sozialdemokraten, hatte folgenden Wortlaut: »Alle öffentlichen Steuern im heutigen Klassenstaat, ob formell auf den Besitz oder auf den Arbeitsverdienst gelegt, ob als sogenannte direkte oder als indirekte Steuern erhoben, werden in letzter Linie von den arbeitenden Klassen aufgebracht, da diese es sind, die in der heutigen Gesellschaft allen gesellschaftlichen Reichtum schaffen.

Wie immer das Steuerwesen heute ausgestaltet ist, auch in dem für die Arbeiterklasse günstigsten Falle, wenn die Besitzsteuern den überwiegenden Teil der Staatshaushaltskosten decken, ändert das nichts an den Grundlagen der kapitalistischen Produktion, die auf Ausbeutung und Klassenherrschaft beruht.

Die Abwälzung des größten Teiles der öffentlichen Lasten auf die Schultern der arbeitenden Klassen durch das System der indirekten oder Verbrauchssteuern ist aber eins der wirksamsten Mittel der herrschenden Klassen, um die Lebenshaltung der Arbeiterschaft herabzudrücken und ihren sozialen und geistigen Aufstieg zu hemmen.

Der Parteitag fordert deshalb gemäß Punkt 10 des Parteiprogramms:›Stufenweise steigende Einkommen- und Vermögenssteuer zur Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern zu decken sind. Selbsteinschätzungspflicht. Erbschaftssteuer, stufenweise steigend nach Umfang des Erbguts und nach dem Grade der Verwandtschaft. Abschaffung aller indirekten Steuern, Zölle und sonstigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, welche die Interessen der Allgemeinheit den Interessen einer bevorzugten Minderheit opfern.‹

Ferner erklärt der Parteitag:

Der Militarismus ist als das stärkste Machtmittel der herrschenden Klassen auf das äußerste zu bekämpfen.

Alle Gesetzesvorlagen, die zur Stärkung des Militarismus dem Reichstage vorgelegt werden, also auch Steuervorlagen, die zur Deckung der Kosten des Militarismus eingebracht werden, sind, ob sie direkte oder indirekte Steuern fordern, abzulehnen. Für sonstige Steuervorlagen ist die Stellung der sozialdemokratischen Fraktion durch Punkt 10 des Parteiprogramms vorgeschrieben: bestehende indirekte Steuern sind durch direkte zu ersetzen.«

(Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten in Jena vom 14. bis 20. September 1913, Berlin 1913, S. 197 f.)

Es rasselten nur so Worte von politischer Unfruchtbarkeit, widersinnigen Widersprüchen, politischem Bankerott usw. auf uns nieder. Wurm hat bloß nicht bemerkt, daß er uns während 2 ½ Stunden zu Zeugen einer Hinrichtung gemacht hat, die er an dem Genossen Wurm vom 26. Juni vollzogen hat. (Heiterkeit und lebhafte Zustimmung.) Am 26. Juni hat in der entscheidenden Fraktionssitzung Wurm, wie mir erzählt wurde, geradezu gegen den Beschluß der Mehrheit getobt. Es sind ihm dabei von seinen jetzigen Gesinnungsgenossen Worte und Schmeicheleien an den Kopf geworfen worden, die ich nicht wiederholen will. Seitdem sind kurze zwölf Wochen ins Land gegangen, und aus einem tobenden, radikalen Saulus ist ein staatsmännischer Paulus geworden. (Heiterkeit und »Hört! Hört!«.) Wir haben an Gesinnungswechsel in unserer Partei schon manches erlebt. In wenigen Jahren ist schon so mancher rabiate Rote in eine ganz anders gefärbte, abgeklärte Meinung hineingeraten. Aber einen so radikalen Gesinnungswechsel in 12 Wochen haben wir noch nicht erlebt. (»Sehr richtig!«) Wurm hat hier entschieden den Rekord geschlagen. (Zustimmung.) Wenn wir einen Wettlauf der Wandlungsfähigkeit in unseren Reihen vornehmen würden, so müßten alle umgefallenen Genossen für Wurm eine Musikkapelle bestellen und ihm aufspielen lassen: Heil Dir im Siegerkranz. (Heiterkeit und Zurufe: »Zur Sache.«) Zur Sache gehört es, daß die Vorwürfe Wurms gegen unsere Resolution von A bis Z beweisen, daß er sich in solch kurzer Zeit vollständig entfernt hat von dem Verständnis für die elementarsten Grundlagen unserer bisher geltenden sozialdemokratischen Taktik. (»Sehr richtig!« und Widerspruch.) Zunächst der Vorwurf gegen die ersten zwei Sätze unserer Resolution, in denen nichts anderes steht als eine Sache, die für jeden Sozialdemokraten eine Binsenwahrheit sein sollte, nämlich die Tatsache, daß auch durch günstig gestaltete Steuern an der Grundlage der kapitalistischen Ausbeutung auch nicht ein Jota geändert wird. (»Sehr richtig!«) Und aus diesen Sätzen glaubt der heutige Genossen Wurm schließen zu müssen: Ja, wenn wir das sagen, dann erklären wir uns für ohnmächtig. Wenn das eine politische Bankerotterklärung der Sozialdemokratie, eine Ohnmachtserklärung ist, so hat sich auch ein Besserer als wir dieses Verbrechens schuldig gemacht. Nämlich vor 50 Jahren Karl Marx. Wurm hat gewußt, daß hier etwas Unbequemes liegt, und ist daher schnell über die Sache hinweggehuscht. Karl Marx sagt über Steuerfragen 1850 in der »Neuen Rheinischen Zeitung«: »Die Steuerreform ist das Steckenpferd aller radikalen Bourgeois, das spezifische Element aller bürgerlich-ökonomischen Reformen. Von den ältesten mittelalterlichen Spießbürgern bis zu den modernen englischen Freetradern dreht sich der Hauptkampf um die Steuern ... Die Distributionsverhältnisse, die unmittelbar auf der bürgerlichen Produktion beruhen, die Verhältnisse zwischen Arbeitslohn und Profit, Profit und Zins, Grundrente und Profit, können durch die Steuer höchstens in Nebenpunkten modifiziert, nie aber in ihrer Grundlage bedroht werden. Alle Untersuchungen und Debatten über die Steuer setzen den ewigen Bestand dieser bürgerlichen Verhältnisse voraus. Selbst die Aufhebung der Steuern könnte die Entwicklung des bürgerlichen Eigentums und seiner Widersprüche nur beschleunigen.« (»Sehr richtig!«) Das ist alles sehr richtig, warum war es aber notwendig, jetzt zu der aktuellen Steuerfrage diese sehr richtige alte Wahrheit zu sagen? Weil mit den letzten Besitzsteuern in unseren Reihen ein Sums erhoben worden ist über die neue Epoche, die mit der Besteuerung der Besitzenden anheben sollte. (›Sehr richtig!‹ und Widerspruch.) Die Arbeiter, die schlichten Leute mußten ja dabei denken, es beginne schon die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft. (»Sehr richtig!« und Widerspruch.) Haben Sie nicht gehört, daß sich der zweite Referent, Südekum, auf den Sachverständigen Grafen Westarp berief, der ja die Annahme dieser Steuer als die Verwirklichung des sozialistischen Staates hinstellen wollte? Es ist doch die erste Pflicht der Sozialdemokraten, dem entgegenzuwirken, daß bürgerliche Parteien nach Annahme dieser Besitzsteuer bei der nächsten Reichstagswahl uns entgegentreten und sagen: Nun beginnt ja die Entlastung, die Befreiung der Arbeiterklasse von dem Jammertal der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Es ist unsere elementare Pflicht, vor allem die sozialistische Aufklärung zu fördern und jeder scheinbaren Konzession der bürgerlichen Klassen unseren grundsätzlichen Standpunkt entgegenzustellen. (»Sehr richtig!«) An der kapitalistischen Ausbeutung ändert auch die beste Steuer nicht das geringste. Nun arbeitet man ja hier viel mit dem Grundsatz des kleineren Übels. Man sucht die Stellungnahme der Fraktionsmehrheit damit zu verteidigen, indem man sagt, wir waren nur vor der Wahl, entweder zuzulassen, daß die indirekten Steuern kamen, oder für direkte Steuern zu Militärausgaben zu stimmen. Ich lasse dahingestellt sein, ob dieses Entweder-Oder tatsächlich vorlag. Ich will nur grundsätzlich erklären, daß es allerdings sehr richtig ist, daß man von zwei Übeln das geringere wählt. Was ist aber für Sozialdemokraten das geringere Übel? Der Verzicht auf eine kleine positive Position oder die Preisgabe der grundsätzlichen Stellungnahme? (»Sehr gut!«) Ich glaube, das letztere ist unter allen Umständen das größere Übel für Sozialdemokraten. Wir haben ja vor wenigen Tagen ein so lehrreiches Beispiel uns hier erzählen lassen. Der Genosse aus Holland hat Ihnen gezeigt, daß die Sozialdemokratie in jenem Lande vor der Wahl stand, entweder zusammen mit den Liberalen in ein bürgerliches Ministerium einzutreten oder ein klerikales Ministerium über sich ergehen zu lassen, Und die Mehrheit der holländischen Genossen hat gesagt, das größere Übel wäre der Verzicht auf unsere grundsätzliche Ablehnung der Teilnahme an einer bürgerlichen Regierung. Und deswegen haben sie sogar die Gefahr eines klerikalen Ministeriums in Kauf genommen. Wenn Sie sich nun auf den Boden des Mehrheitsbeschlusses unserer Fraktion stellen, dann kommen Sie in die Lage, wenn der Krieg ausbricht und wir an dieser Tatsache nichts mehr ändern können und wenn dann die Frage kommt, ob die Kosten durch indirekte oder direkte Steuern zu decken sind, daß Sie dann folgerichtig für die Bewilligung der Kriegskosten eintreten. (»Sehr richtig!« und Widerspruch.) Das ist eine schiefe Ebene, wie Wurm in Leipzig gesagt hat, auf der es kein Halt mehr gibt. Deswegen wollen wir mit unserer Resolution einen Riegel vorschieben und diesen Seitensprüngen entgegenrufen: Bis hierher und nicht weiter! (Lebhafter Beifall.)


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