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Zur BudgetabstimmungRedaktionelle Überschrift. Diese Rede wurde auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gehalten, der vom 18. bis 24. September 1910 in Magdeburg stattfand.

Wenn irgend etwas die völlige Überflüssigkeit und Hinfälligkeit des Antrags Braun und Genossen und die dringende Notwendigkeit, in der Frage der Budgetbewilligung hier endlich einmal eine klipp und klare Entscheidung zu fällen, bewiesen hat, so waren es die Verteidigungsreden von Frank, Kolb und Genossen. Am 16. September 1910 hatte Otto Braun in der »Neuen Zeit« eine Resolution für den Magdeburger Parteitag vorgeschlagen, wonach der Disziplinbruch der badischen Landtagsfraktion in einer gesonderten Kommission behandelt werden sollte. Diese Empfehlung, auf dem Parteitag von mehreren Sozialdemokraten als Antrag eingebracht, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Sie werden mir alle zugeben, daß man auch bei der größten Aufmerksamkeit aus diesen Reden nicht ein einziges Argument heraushören konnte, das in irgendwie überzeugender Weise die Notwendigkeit der Budgetbewilligung belegt hätte. (Zustimmung und Widerspruch.) Auch nicht ein einziges neues Moment wurde in die Debatte gebracht, die wir nun leider schon seit sechzehn Jahren in der Partei über diesen strittigen Punkt haben. Wie sah denn die große Verteidigungsrede des Korreferenten Frank aus, worauf lief sie hinaus? Es war eine lange und ausführliche Darlegung der gesamten Tätigkeit der badischen Landtagsfraktion, es wurde uns eine lange Reihe von Gesetzesvorschlägen, Gesetzesabänderungen und dergleichen Großtaten aufgezählt, und dabei mußte Frank selbst zugeben, daß es unseren Genossen im badischen Landtag auf keinem einzigen Gebiet gelungen ist, unsere prinzipiellen Forderungen auch wirklich durchzusetzen. (Zustimmung und Widerspruch.) Wenn auch, was wir mit Freuden anerkennen, die Genossen im badischen Landtage ihre Forderungen aufgestellt haben, so haben sie schließlich doch immer nur Lappalien errungen, sie haben nach Goldschätzen gegraben und waren froh, wenn sie Regenwürmer fanden. (»Oho!« bei der Minderheit. Zustimmung bei der Mehrheit. ) Auf dieses »Oho!« will ich Ihnen sofort mit einem Beleg aufwarten. Ich will mich nicht einlassen auf eine Kritik aller der großen Errungenschaften, die uns hier im Glanze vorgeführt worden sind, aber Sie haben wohl alle konstatieren können, daß gewissermaßen das Paradestück der erfolgreichen praktischen Politik im badischen Landtag das berühmte Schulgesetz Am 4. Mai 1910 war in der zweiten Kammer des badischen Landtags das Gesetz über den Elementarunterricht mit allen gegen die Stimmen des Zentrums angenommen worden. Das neue Schulgesetz sah lediglich geringfügige Beschränkungen des Einflusses des Klerus auf die Schule vor; es erfüllte aber nicht die Forderung nach einer Trennung von Schule und Kirche und verweigerte den Lehrern die Stellung als Staatsbeamte. war. Haben Sie nicht alle zusammen mit mir ein heftiges Herzklopfen gekriegt (Zuruf: »Nein!« Heiterkeit), als geschildert wurde, daß wir einen Schularzt errungen haben? Sie können sich denken, wie die traurigen Gesundheitszustände der badischen Schuljugend jetzt in radikaler Weise verbessert werden. (Heiterkeit.) Auch die anderen Errungenschaften auf dem Gebiete des Schulwesens sind ausführlich geschildert worden. Ich maße mir als eine Nichtbadenserin kein kompetentes Urteil über das Schulgesetz an, das mit Zustimmung unserer badischen Landtagsfraktion zustande gekommen ist, aber ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen das maßgebende Urteil eines Badensers anzuführen, und zwar eines, der zu den Budgetbewilligern gehört. (»Hört! Hört!«) In derselben Woche, wo ich in Lörrach meine Versammlung abgehalten habe, erschien in dem Lörracher Parteiblatt, das von einem Freunde von Kolb und Frank, dem Genossen Rösch, redigiert ist, folgende Beurteilung des badischen Schulgesetzes:

»Im›Staatsanzeiger‹ wird die neue Vollzugsverordnung zum revidierten Schulgesetz publiziert. Das Gesetz bringt eine Reihe verschiedener Neuerungen, aber immer noch nicht diejenigen, welche von der gesamten badischen Lehrerschaft schon lange gefordert werden und wie sie im Interesse einer gedeihlichen Entwickelung auch notwendig wären. Das Gesetz ist zwar ein Produkt des Großblocks, aber die alten liberalen Forderungen, wie Trennung von Schule und Kirche, sind nicht zur Geltung gekommen. Die im Gesetze geforderte Anstellung von Schulärzten hat durch die Vollzugsverordnung eine kleine Milderung erfahren; die Anstellung eines Schularztes wird nur verlangt, wenn der Bestand von zehn Lehrerstellen für drei aufeinanderfolgende Schuljahre gewährleistet erscheint. Die gleichen Bestimmungen treffen zu bei Errichtung und Aufhebung eines Rektorats. Für Kinder, die in einer Religionsgemeinschaft aufgenommen sind, besteht die Verpflichtung, den Religionsunterricht dieser Gemeinschaft bis zur Änderung ihrer religiösen Erziehung zu besuchen. Eine für Arbeiterfamilien sehr wichtige Bestimmung ist diejenige, daß Mädchen auf Antrag der Eltern zu Ostern des Jahres aus der Schule entlassen werden, in welchem sie das 14. Lebensjahr vollenden ... Das neue Gesetz bringt ferner eine Reihe wichtiger Änderungen über die Anstellungs- und Besoldungsverhältnisse der Lehrerinnen und ordnet ferner in wesentlich anderer Weise die Gemeinde- und Staatsbeiträge an die Schule. Soweit man bis jetzt beobachten konnte, hat das neue Schulgesetz bei der Bevölkerung keine gute Aufnahme gefunden, und namentlich ist es die Lehrerschaft, welche mit dem Gesetz unzufrieden ist, weil ihnen immer noch die Eigenschaft als Staatsbeamte versagt ist. Auf eine große Lebensdauer wird das neue Schulgesetz wohl kaum rechnen können.« (»Hört! Hört!«)

Wenn Ihr mit dieser Beurteilung unzufrieden seid, so setzt Euch auseinander mit Euren eigenen Kollegen aus dem Landtage. So sieht die glänzendste von den Errungenschaften der praktischen Politik im badischen Landtag in der eigenen Beleuchtung eines Anhängers dieser Politik aus. Die zweite große Errungenschaft, auf die hier hauptsächlich gepocht wurde, ist das neue Gemeindewahlgesetz. Gegen eine Reform des Gemeindewahlrechts in Baden 1910, die lediglich so unwesentliche Veränderungen wie die Herabsetzung des Wahlalters von 26 auf 25 Jahre vorsah, am reaktionären Charakter des Wahlrechts aber nichts änderte, hatte die sozialdemokratische Landtagsfraktion nicht protestiert, sondern im Landtag sogar für die Annahme gestimmt. Zu dieser Errungenschaft ist mir auch ein interessanter Kommentar wiederum von einem Landtagsabgeordneten der Mehrheit gegeben worden. In einer meiner Versammlungen in Wiesenthal trat der Genosse Adolf Müller, einer von den Budgetbewilligern, in einer anderthalbstündigen Rede gegen mich auf und sagte unter anderem: Ja, ihr wollt spotten, daß wir es als eine große Errungenschaft betrachten, daß wir jetzt die Sechstelung statt der Zwölftelung bekommen haben, ihr kennt eben unsere badischen Verhältnisse nicht, wir sind schon jetzt nicht in der Lage, dieses neue Wahlgesetz wirklich auszunutzen, und zwar sind wir deshalb dazu nicht in der Lage, weil wir nicht die nötige Zahl von wirtschaftlich unabhängigen Leuten als Kandidaten aufstellen können. (»Hört! Hört!«) Denn, so sagte Müller, es genügt, daß wir einen Proletarier als Kandidaten zum Gemeinderat aufstellen, damit er sofort aus seiner Brotstelle fliegt. (»Hört! Hört!«) Das sind die besonderen politischen Verhältnisse Badens. Und wer läßt denn die Proletarier aus der Brotstelle fliegen? Stellen Sie mal die Frage in Wiesenthal vor den ausgemergelten Textilarbeitern! Die werden Ihnen antworten, das sind unsere Blockbrüder: die Nationalliberalen. (Stürmisches »Sehr gut!« bei der Mehrheit.) Ja, so sehen die besonderen Verhältnisse aus, wenn man sie näher betrachtet. Nun aber die Hauptfrage. Selbst wenn wir davon absehen wollen, daß die tatsächlichen Errungenschaften der praktischen Politik in Baden auf lauter krampfhaft aufgebauschte Lappalien hinauslaufen, ja selbst wenn wir annehmen wollen, es seien epochemachende Werke, so bleibt doch die Frage bestehen: Was hat das alles mit der Budgetbewilligung zu tun? (»Sehr richtig!«) Hing denn das Schicksal irgendeines dieser epochemachenden Gesetze von Eurer Schlußabstimmung zum Budget ab? Diese Frage werdet Ihr nicht zu bejahen wagen. (Lachen bei der Minderheit.) Auch die Frage werdet Ihr nicht bejahen können, ob denn auch nur das Zustandekommen des Budgets von Eurer Zustimmung abhing. Nein, durch die Zustimmung unserer Genossen ist nur erreicht worden, daß das Budget einstimmig angenommen ist, es wären also mit oder ohne Zustimmung unserer Genossen dem Klassenstaat in Baden die Mittel bewilligt worden. Die Art der Verteidigung der Budgetbewilliger ist deshalb bezeichnend, weil wir hier das Beispiel sehen, wie die Vertrauenskundgebungen der badischen Arbeiter für die Fraktionsmehrheit zustande gekommen sind. Überall, wo unsere Genossen vor die Arbeiter in Baden traten, um sich wegen ihrer Zustimmung zum Budget zu verantworten, gaben sie eine Schilderung ihrer gesamten Tätigkeit im Landtage. Nirgends ist die Frage der Budgetbewilligung getrennt von der Beurteilung der Gesamttätigkeit im Landtage gestellt worden, und die badischen Arbeiter, denen ihre Abgeordneten eine – was niemand von uns bestreiten wird – eingehende, fleißige, nützliche Arbeit während der ganzen Session vorlegen, die Arbeiter, von denen man eine Vertrauenskundgebung verlangt, sind nicht in der Lage, diese zu versagen, weil man ihnen zugleich ein Urteil über die Gesamttätigkeit abverlangt. Wären die Fragen in den badischen Versammlungen getrennt gestellt worden, wären die Arbeiter in die Lage gekommen, über die reine Frage der Ablehnung oder Bewilligung des Budgets zu urteilen, dann wäre in manchen Fällen die Antwort ganz anders ausgefallen. (»Sehr richtig!«) Ja, wenn man die badischen Proletarier sieht und wenn man an sie appelliert, genau mit denselben Argumenten, mit denen wir gewohnt sind, seit jeher in der deutschen Sozialdemokratie an die Klasseninteressen der Proletarier zu appellieren, so findet man dort genau dasselbe Echo wie bei den Arbeitern in allen anderen Teilen Deutschlands.

Vorsitzender Dietz macht die Rednerin darauf aufmerksam, daß sie ihre Redezeit bereits überschritten hat.

Ich habe zwanzig Minuten, denn ich muß doch den Antrag meines Wahlkreises begründen. (Zurufe: »Nein, nein!«) Warum nein? Genauso wie jeder andere Antrag ist auch das ein selbständiger Antrag, zu dessen Begründung eine Redezeit von zwanzig Minuten gewährt werden muß.

Vorsitzender Dietz erklärt, nachdem er mit der Rednerin privatim gesprochen hat: Wenn Genossin Luxemburg sich der Geschäftsordnung nicht fügen will, dann muß ich allerdings den Parteitag anrufen und fragen, ob er geneigt ist, hier die Redezeit zu verlängern. Es liegt kein selbständiger Antrag vor. Genossin Luxemburg hat, wie jeder Diskussionsredner, eine Redezeit von zehn Minuten, ich bin weiter gegangen und habe ihr bereits fünfzehn Minuten gewährt.

Rosa Luxemburg (fortfahrend): Die Sache ist erledigt, ich füge mich. Wenn irgendein Umstand bewiesen hat, wie notwendig es ist, der Politik der badischen Landtagsfraktion mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten, so ist es das Vorgehen der württembergischen Fraktion. Die Erklärung von Kolb und seinen Landtagskollegen beweist uns, wieviel Wert in den Berufungen der badischen Landtagsabgeordneten auf die Zustimmung der Arbeitermassen steckt. (»Sehr richtig!«) Diese Erklärung zeigt uns, daß unsere Parlamentarier mit dem Willen des Volkes genauso verfahren wie die Agrarier gegenüber dem König, daß sie sagen: das Volk absolut, wenn es unseren Willen tut. (Große Unruhe bei den Süddeutschen, lebhafter Beifall bei der Mehrheit.) Wenn sich die Arbeiter gegen Eure Politik erklären, so geniert Euch das nicht, und man macht dann über die Köpfe der Mehrheit der württembergischen Genossen hinweg eine Demonstration auf dem Parteitag zugunsten der badischen Landtagsfraktion. Es zeigt sich, daß diese Parlamentarier keinen Wert legen auf die Demonstration gegen den Klassenstaat (Fortgesetzte Schlußrufe bei den Süddeutschen, auf die die Norddeutschen mit dem Ruf »Ruhe!« antworten), wohl aber auf Demonstrationen gegen die eigenen Arbeiter. Frank hat mit einer sehr richtigen Bemerkung geschlossen (Die Rufe »Schluß!« wiederholen sich so stürmisch, daß die Rednerin einen Satz, den sie beginnt, nicht beenden kann. Der Vorsitzende Dietz ersucht die Rednerin, abzubrechen; sie erklärt, daß sie sich füge, doch gehen ihre Worte unter dem Lärm vollkommen verloren. Fortgesetzt erschallen aus den Reihen der Minderheit Schlußrufe. Frank ruft: »Ihre Zeit ist vorbei, Genossin Luxemburg!« Heiterkeit bei den Süddeutschen. Von anderer Seite wird gerufen: »Abtreten!« Der Lärm schwillt so an, daß der Vorsitzende droht, falls keine Ruhe eintritt, würde er die Sitzung auf kurze Zeit aufheben. Die Genossin Luxemburg verläßt schließlich unter brausendem Beifall der Mehrheit die Rednertribüne.)


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