Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zur Frage des politischen MassenstreiksRedaktionelle Überschrift. Diese Rede wurde auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gehalten, der vom 23. bis 29. September 1906 in Mannheim stattfand.

Die Rede von Legien war geradezu ein klassisches, typisches Muster für die Haltung, die gewisse Gewerkschaftsführer in der letzten Zeit gegenüber der Sozialdemokratie und gegenüber den wichtigsten Parteifragen eingenommen haben. Erst hat er eine ganze Stunde lang die Jenaer Resolution aufs schärfste kritisiert und die Unmöglichkeit und die Verderblichkeit der Idee des Massenstreiks nachgewiesen, uns davor gewarnt, und am Schlusse kam dann natürlich die herzerquickende und beruhigende Versicherung: Wir sind ja alle ein Herz und eine Seele! Also wir haben gar nicht nötig, irgendwie Streitigkeiten auszutragen; wir können uns vereinigen auf eine Resolution. Und diese Einigkeit wird in der merkwürdigsten Weise hergestellt, daß man die Kölner Resolution, die schon die bloße Diskussion des Massenstreiks als verderblich hinstellt, mit der Resolution von Jena für identisch erklären soll. Als ich hörte, daß Legien diesen Antrag gestellt hat, sagte ich mir, es gehört eine gehörige Portion Mut und Dreistigkeit dazu, uns zuzumuten, wir hätten dem Antrag zuzustimmen. Und ich war nicht wenig erstaunt zu hören, daß der Parteivorstand darauf eingegangen ist. (»Hört! Hört!« »Sehr richtig!«) Einige Worte über die Kritik von Legien an dem Jenaer Beschluß! Charakteristisch ist sein Appell an die Tradition: Wir seien alle in dem Begriff aufgewachsen, daß der Generalstreik, den er ohne weiteres mit dem Massenstreik identifiziert, Generalunsinn sei. Ja, wir wären schöne Sozialdemokraten, wenn wir es nicht verständen, uns von Ideen zu emanzipieren, die man als kleines Kind hat. Wir sind doch dazu eine Partei der historischen Entwicklung, damit wir aus der Geschichte lernen. (»Sehr richtig!«) Wenn man heute angesichts der großartigen russischen Revolution, die auf Jahrzehnte hinaus die Lehrmeisterin der revolutionären Bewegungen des Proletariats sein wird, das Problem des Massenstreiks hauptsächlich an der Hand der Vorgänge in Italien und Frankreich studiert, so beweist man damit, was eben Legien mit seinem Appell an die Tradition bewiesen hat, daß man nichts zu lernen und nichts zu vergessen versteht. (Unruhe. – Zustimmung.) Jawohl, Sie verstehen nichts zu lernen aus der russischen Revolution. (Legien: »Sehr richtig!«) Sonst würden Sie nicht den Mut haben zu behaupten, die Massenstreikbewegung wäre die äußerste Gefahr für den Bestand der Gewerkschaften. Sie haben offenbar keine Ahnung davon, daß die gewaltige russische Gewerkschaftsbewegung ein Kind der Revolution ist. (»Sehr richtig!« und Widerspruch.) Das russische Proletariat ist in die Revolution ohne die Spur einer Organisation eingetreten, und heute ist das ganze Land mit kräftigen Organisationsansätzen bedeckt. Das ist eben die alte verknöcherte englische Auffassung, daß die Gewerkschaften nur bei ruhiger Entwicklung gedeihen können. Die russische Revolution hat bewiesen, daß vielfach aus dem Kampf die kräftigsten proletarischen Organisationen geboren werden und gedeihen können. David hat wiederum von seinem speziellen Mainzer gesetzlichen Standpunkt aus an der Idee des Massenstreiks Kritik geübt. Er hat uns als Popanz die Maschinengewehre vorgeführt. Auch er hat keine Ahnung davon, was in Rußland vorgeht (Lachen), er vergißt, daß die Maschinengewehre von lebendigen Leuten, von Soldaten bedient werden und daß sie, wenn die Zeit reif ist, ihre Wirksamkeit nicht verlieren. Sie bleiben ebenso tödlich, sie werden nur angelegt gegen das herrschende Regime. (Lebhafter Beifall.) Ein letztes Argument von Legien war so beschaffen, daß es beweist, daß Legien wirklich in manchen Beziehungen in den Begriffen der Kindlichkeit geblieben ist. (Lachen.) Er sagte, wir hätten durch die Annahme der Jenaer Resolution eine unvorsichtige Handlung begangen; wir hätten den Feinden unsere Pläne verraten. Seit wann werden denn große geschichtliche Bewegungen, große Volksbewegungen auf dem Wege heimlicher Abmachungen in geschlossenem Zimmer abgewickelt? (›Sehr gut!‹) Das ist eine kindliche Vorstellung vom Generalstreik, wenn man glaubt, sein Schicksal hänge davon ab, was die Generalkommission sogar mit dem Parteivorstand in stiller Kammer beschließt. In einer geheimen Beratung des Parteivorstandes der deutschen Sozialdemokratie mit der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands am 16. Februar 1906 hatte der Parteivorstand den opportunistischen Gewerkschaftsführern das Zugeständnis gemacht, den politischen Massenstreik nicht ohne ihr Einverständnis zu propagieren und ihn, wenn möglich, zu verhindern. Falls er trotzdem ausbrechen sollte, brauchten sich die Gewerkschaften nicht daran zu beteiligen. (Lebhafte Zustimmung und Lachen.) Ich wollte noch ein paar Worte zur Rede Bebels äußern, nur bin ich nicht sicher, daß ich sie richtig erfaßt habe, denn ich saß auf der linken Seite, und er hat heute immer nach rechts gesprochen. (Große Heiterkeit.) Einen markanten Widerspruch habe ich aber doch entdeckt. Er sagte einmal: Es bleibt selbstverständlich bei der Jenaer Resolution. Wenn uns das allgemeine Wahlrecht genommen werden sollte, dann müßten wir es selbstverständlich mit allen Mitteln verteidigen, und sollten wir auf der Strecke bleiben. Die Worte habe ich mir gemerkt, sie haben mein Herz erquickt und erfrischt, dann aber zum Schluß kam das, was in Deutschland geschehen könnte und müßte, wenn wir durch eine Intervention Preußens in einen Krieg mit Rußland gebracht würden. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Bebel da richtig verstanden habe, und ich würde es für gut halten, wenn er im Schlußwort allen Mißdeutungen vorbeugen würde. Soviel ich ihn verstehen konnte, war der Sinn der, falls wir vor den Krieg gebracht werden, können wir nichts machen. Unsere Freunde in Frankreich wären in schöner Verlegenheit, wenn die Bebelsche Rede so gedeutet werden könnte, denn dort haben unsere tapferen und mutigen Genossen durch Vaillant erklärt: wenn es zum Krieg mit Rußland käme, dann würden sie ihr Veto einlegen. Von unseren Freunden ist das geflügelte Wort geprägt: plutôt l'insurrection que la guerre. Lieber einen Volksaufstand als den Krieg. – Das war die männliche Sprache des französischen Proletariats, und ich hoffe, auch das deutsche wird Mut genug finden, zu sagen: »Es darf nicht gegen unseren Willen geschehen.« (Lebhafter Beifall.) Bebel hat gesagt: Denkt ihr, der Massenstreik könne vom Parteivorstand gemacht werden? Nein, der Parteivorstand muß von der Masse geschoben werden. Nun, wenn der Parteivorstand seine Rolle nicht anders auffaßt, soll und wird er geschoben werden, und ich bitte Sie, in diesem Sinne die Abmachungen des Vorstandes mit der Generalkommission, die hinter unserm Rücken getroffen sind, abzulehnen und dem Antrag Kautskys Karl Kautsky und 32 Genossen forderten in einem Antrag, in der Resolution des Parteivorstandes zur Frage des politischen Massenstreiks u. a. unmißverständlich zum Ausdruck zu bringen, daß sich jeder Sozialdemokrat an die Beschlüsse der Parteitage zu halten habe und die Sozialdemokratie die höchste und umfassendste Form des proletarischen Klassenkampfes sei. Diesen wichtigsten Teil des Antrages zog Kautsky zurück, nachdem die Opportunisten Einwände erhoben hatten. zuzustimmen. (Lebhafter Beifall.)


 << zurück weiter >>