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Fünfundsiebzigstes Kapitel

Erschöpft legten wir uns einen Augenblick zum Schlafen nieder, waren aber sehr früh wieder auf den Beinen, um die Kamelreiter der Serahin zu besichtigen. Sie jagten mit viel Geschrei an uns vorbei und zeigten ihre Künste; doch hielten wir nicht viel von der Reiterei, und sie machten allzuviel Wesens davon, um uns vom Gegenteil zu überzeugen. Es war schade, daß sie keinen wirklichen Führer hatten. Mteir war zu alt dazu, und Ibn Bani war ein wenig hervorstechender Mensch und besaß eher politischen als militärischen Ehrgeiz.

Aber es war nun mal die einzige Hilfstruppe, die wir hatten; so wurden denn die letzten Vorbereitungen getroffen, und um drei Uhr nachmittags brachen wir nach Asrak auf. Abd el Kadir und seine Begleiter bestiegen ihre Stuten, ein Zeichen, daß wir uns der Kampfzone näherten. Sie ritten unmittelbar hinter uns.

Ali sollte zum erstenmal Asrak sehen, und während wir in hoher Erwartung den steinigen Hang hinaufeilten, sprachen wir von den Kriegszügen und Gesängen und den ungezügelten Leidenschaften der einstigen Hirtenkönige, deren Namen wie Musik klangen und die diesen Ort so geliebt hatten; und wir sprachen auch von den römischen Legionen, die in noch früheren Zeiten hier in Garnison geschmachtet hatten. Und dann tauchte jäh vor uns in schimmerndem Blau die Burg auf ihrem Felsgipfel auf, umrauscht von Palmen, mit frischgrünen Matten und weißschäumenden Quellen zu ihren Füßen; und wir standen festgebannt. Von Asrak wie von der Rumm sagte man »Numen inest«. In beiden Landschaften herrschte ein Zauberspuk; aber während die Rumm weit und hallend und gottähnlich war, erzählte Asraks unermeßliche Ruhe von wandernden Poeten, von Helden, verlorenen Königreichen, von all den Verbrechen, der Ritterlichkeit und dem toten Glanz von Hira und Ghassan. Jeder Stein, jeder Grashalm war hier ein Stückchen Erinnerung an das leuchtende, seidenweiche Eden, das seit langem dahin war.

Nach einer Weile gab Ali die Zügel frei, und sein Kamel suchte sich behutsam seinen Weg das alte Lavabett entlang bis zu dem saftigen Grün hinter den Quellen. Unsere gequälten Augen öffneten sich weit in dieser Wohltat nach den vielen Wochen grausam harten Lichts. »Gras!« schrie Ali, sprang aus dem Sattel, warf sich auf den Boden und vergrub sein Gericht in die harschen Halme, die uns Wüstengewohnten so weich erschienen. Dann sprang er erfrischt auf, stieß den Kriegsschrei der Harith aus, riß sein Kopftuch ab und rannte über die Matten dahin, hinwegsetzend über die rötlichen Rinnen, wo zwischen dem Schilf das Wasser dahinrieselte. Seine weißen Füße leuchteten hell unter dem Faltenwurf seines Kaschmirgewandes. Wir im Westen erleben selten die gesteigerte Schönheit, wenn der Körper leicht auf nackten Füßen ruht, wenn der Rhythmus und die Grazie bei jedem Schritt sichtbar wurde, wenn das Spiel der Muskeln und Sehnen den Mechanismus der Bewegung und das Gleichgewicht des Ruhens offenbart.

Als wir uns wieder unseren Pflichten zuwandten, war kein Abd el Kadir mehr zu finden. Vergebens suchten wir ihn in der Burg, im Palmgarten und oben bei der Quelle. Wir sandten Boten zur Kolonne, um nach ihm zu forschen, und sie kamen mit Arabern zurück, die sagten, er wäre gleich nach dem Aufbruch durch das buschbedeckte Hügelland nordwärts auf Dschebel Drus zu davongeritten. Die Truppe kannte unsere Pläne nicht, alles haßte ihn und war froh, daß er weg war; für uns aber war es eine schlimme Nachricht.

Von den drei Möglichkeiten, die wir hatten, war Um Kes bereits aufgegeben; ohne Abd el Kadir kam auch Wadi Khalid nicht in Frage. Folglich blieb uns nichts weiter übrig als ein Versuch gegen die Brücke bei Tell el Schibab. Um dahin zu gelangen, mußten wir das offene Land zwischen Remthe und Dera überqueren. Abd el Kadir war zum Feinde übergegangen mit genauer Kenntnis unserer Pläne und unserer Stärke. Wenn die Türken die geeigneten Vorsichtsmaßregeln trafen, mußten sie uns bei der Brücke abfangen. Wir berieten uns mit Fahad und kamen zu dem Entschluß, auch angesichts solcher Möglichkeit den Versuch zu wagen, und rechneten dabei mit der üblichen Unfähigkeit des Feindes. Aber ganz wohl war uns bei dieser Entscheidung nicht, und die stolze Trutzstimmung angesichts der sonnumzüngelten Burg Asraks verging uns ein wenig.

Am nächsten Morgen zogen wir nachdenklich durch ein felsiges Tal und über einen Hügelrücken in das Wadi el Harith, dessen weiches grünes Bett eine geradezu sehnsuchterregende Ähnlichkeit mit einigen Landschaften der Heimat hatte. Ali hatte Freude daran, ein reiches Weidetal zu erblicken, das den Namen seiner Familie trug; und er war so froh wie unsere Kamele, als wir klares Wasser vom Regen der vergangenen Woche in Vertiefungen zwischen dem Gebüsch fanden. Wir hielten an und benutzten diese Entdeckung, um zu frühstücken und eine lange Rast zu machen. Adhub ging mit Ahmed und Awad, um eine Gazelle zu schießen. Er kam mit drei erlegten Tieren zurück. So blieben wir noch länger und frühstückten zum zweitenmal einen wahren Festschmaus; wir rösteten die Fleischstücke, bis sie von außen schwarz wie Kohle waren, aber innen noch rot und saftig. Reisende in der Wüste schätzen solch zufällige Gaben, aber auf dieser Fahrt hemmte auch ein gewisses inneres Widerstreben unsere täglichen Märsche, so daß wir für jede Verzögerung dankbar waren.

Unglücklicherweise wurde meine Ruhezeit durch eine Gerichtssitzung gestört. Die Feindschaft zwischen Ahmed und Awad war auf der Gazellenjagd zu einem Duell ausgeartet. Awad hatte Ahmeds Kopfschnüre heruntergeschossen. Ahmed hatte Awads Mantel durchlöchert. Ich entwaffnete sie und gab laut den Befehl, daß beiden der rechte Daumen und Zeigefinger abgeschnitten werden sollte. Ihr Schreck darüber war so groß, daß sie sofort den öffentlichen Friedenskuß austauschten. Eine kleine Weile später verbürgten sich alle meine Leute mit ihrem Kopf dafür, daß der Streit beendet sei. Ich übergab den Fall Ali ibn el Hussein, der sie auf Bewährung freiließ, nachdem er sie nach der alten, sonderbaren Nomadensitte ihr Versprechen hatte besiegeln lassen. Die Sitte bestand darin, daß sie mit der Schneide eines schweren Dolches wiederholt auf den Kopf geschlagen wurden, bis das Blut bis zum Gürtel herabfloß. Das verursachte schmerzhafte, aber ungefährliche Kopfhautwunden; der Schmerz zuerst und die Narben später sollten verhindern, daß der Täter rückfällig wurde, und ihn an sein Versprechen erinnern.

Wir ritten über gut gangbaren Boden mit reichlichem Weidegrund für die Kamele, bis wir bei Abu Sawana auf eine prächtige Wasserstelle stießen, einen schmalen Kanal, zwei Fuß tief, etwa zehn Fuß breit, aber eine halbe Meile lang und bis zum Rand mit köstlichem, klarem Regenwasser gefüllt. Es war ein geeigneter Ausgangspunkt für unsern Vorstoß gegen die Brücke. Um ganz sicher zu sein, ritten wir einige Yard weiter bis auf eine steinige Höhe und gewahrten von da aus einen abziehenden Trupp tscherkessischer Reiter, von den Türken ausgesandt, um festzustellen, ob diese Wasserstelle besetzt sei. Nur um fünf Minuten hatten sie uns verfehlt – zum Glück für beide Teile.

Am nächsten Morgen füllten wir unsere Wasserschläuche, da wir bis zur Brücke nichts mehr zu trinken finden würden, und zogen dann gemächlich weiter, bis die Wüste ein Ende hatte. Wir hielten in einer flachen Mulde am Rande einer Ebene, die sich frei und deckungslos bis an den Eisenbahndamm einige Meilen vor uns erstreckte. Hier mußten wir bleiben und die Dunkelheit abwarten, um den Übergang zu ermöglichen. Unsere Absicht war, ungesehen die Bahn zu überschreiten und uns dann jenseits in den Bergrändern unterhalb Dera zu verstecken. Im Frühling waren all diese Hügel voll von weidenden Schafen, denn der Regen bekleidete ihre niedrigen Hänge mit Blumen und neuem Gras. Bei Beginn des Sommers trockneten sie aus und lagen verlassen. Wir konnten sicher damit rechnen, im Schutze dieser Hänge einen Tag ungestört zu verbringen.

Den langen Halt benutzten wir neuerdings zu einer ausgiebigen Mahlzeit, denn wir aßen bei jeder Gelegenheit drauflos, soviel wir nur konnten. Das erleichterte unsere Proviantlast und bewahrte uns vor unnützen Gedanken; aber auch so wurde der Tag endlos lang. Schließlich aber ging die Sonne unter. Ein einziger Schauer durchlief die Ebene, als die Dunkelheit, die sich schon eine Weile drüben in den Bergen gesammelt hatte, langsam herausfloß und sie zudeckte. Wir stiegen in den Sattel. Nach einem beschleunigten Marsch über Kiesboden erreichten wir zwei Stunden später die Eisenbahn und fanden bald eine zum Übergang geeignete steinige Stelle, auf der unsere Karawane keine Spuren hinterließ. Die türkischen Bahnwärter hockten offenbar ruhig in ihren Buden, für uns ein Zeichen, daß Abd el Kadir den Feind noch nicht alarmiert hatte.

Wir ritten noch eine halbe Stunde auf der andern Seite der Bahn entlang, um dann in einer felsigen, aber ziemlich flachen Einbettung, bedeckt mit saftigem Pflanzenwuchs, haltzumachen. Es war Ghadir el Abyadh, und Mifleh empfahl es uns als geeigneten Unterschlupf. Im Vertrauen auf sein Wort, daß wir hier völlig in Deckung seien, legten wir uns zu kurzem Schlaf zwischen die beladenen Tiere. Der Morgen würde ja schon zeigen, wieweit wir hier gesichert und geborgen waren.

Als der Tag anbrach, führte mich Fahad auf den Rand unseres Schlupfwinkels, etwa fünfzehn Fuß hoch, und von da aus sahen wir gerade vor uns über einen sanften Wiesenhang hinweg die Eisenbahn auf ziemlich kurze Schußweite. Diese große Nähe war höchst bedenklich, aber die Sakhr wußten keinen besseren Platz. Hier mußten wir den ganzen Tag über bleiben. Alle Augenblicke wurde etwas gemeldet, und dann liefen die Leute auf die Höhe, um nachzuschauen, und der ganze Rand war mit einer langen Reihe von Köpfen garniert. Auch machte es große Mühe, die Kamele zusammenzuhalten, damit sie nicht etwa beim Herumweiden in Sicht kämen. Ging eine feindliche Patrouille unten an der Bahn vorüber, so mußten wir die Tiere beruhigen und festhalten, denn das geringste Geschrei oder Geräusch hätte uns verraten. Der gestrige Tag war schon lang, der heutige wurde uns aber noch weit länger. Nicht einmal essen konnten wir, da wir unser bißchen Wasser auf morgen aufsparen mußten. Dieses Bewußtsein machte uns erst recht durstig.

Ali und ich trafen die letzten Vorbereitungen für unsern Ritt nach der Brücke. Wir waren bis Sonnenuntergang hier festgehalten; dann mußten wir Tell el Schehab erreichen, die Brücke in die Luft sprengen und schon weit östlich der Bahn sein, ehe der Morgen dämmerte. Das bedeutete einen Ritt von mindestens achtzig Meilen innerhalb dreizehn Nachtstunden. Dazu waren die meisten unserer Inder nicht imstande. Sie waren keine guten Reiter und hatten auf dem Marsch von Akaba ihre Kamele ruiniert. Die Araber wissen ihre Tiere zu schonen und bringen sie, auch nach schwerer Leistung, in guter Verfassung nach Hause.

Die Inder hatten sich alle Mühe gegeben; aber ihre disziplinierte kavalleristische Schulung hatte trotz unserer leichten Märsche sie und ihre Tiere erschöpft.

So wurden denn die sechs besten Reiter ausgewählt und auf die sechs besten Kamele gesetzt, unter Führung Hassan Schahs, ihrem Offizier und dem Beherztesten unter ihnen. Er erklärte, eine so kleine Schar könnte nicht mehr als höchstens ein Maschinengewehr mitnehmen. Das war eine bedenkliche Verminderung unserer Offensivkraft. Je mehr ich es bedachte, um so bedenklicher erschien mir dieses ganze Jarmukunternehmen.

Die Beni Sakhr waren wackere Kämpfer, aber den Serahin trauten wir nicht recht. So beschlossen Ali und ich, die Beni Sakhr, unter Fahads Führung, als unsern Sturmtrupp zu verwenden. Von den Serahin sollte ein Teil die Kamele bewachen, ein anderer die Sprengmunition herantragen, wenn wir zu Fuß gegen die Brücke vorgingen. Für den eiligen Transport im Dunkeln die steilen Hügel hinab legten wir die einzelnen Sprengstoffladungen zu dreißig Pfund schweren Paketen zusammen, die je, zur besseren Sicht, in einen weißen Beutel gesteckt wurden. Wood unternahm es, das Dynamit umzupacken, und bekam davon ebenso wie alle, die damit umgingen, starke Kopfschmerzen. So vertrieben wir uns die Zeit.

Meine Leibgarde mußte sorgfältig verteilt werden. Ein guter Reiter wurde jedem der wenigen Ortskundigen zugewiesen, dessen Hauptwert darin bestand, daß er die Gegend kannte. Die Paare, die wir auf diese Weise zusammenstellten, wurden dem einen oder dem anderen meiner fremden Helfer zugeteilt mit der Weisung, die ganze Nacht dicht bei ihm zu bleiben.

Ali ibn el Hussein nahm sechs von seinen Dienern mit, und zwanzig Beni Sakhr nebst vierzig Serahin vervollständigten unsern Trupp. Der Rest wurde in Abyadh bei den lahmen und schwachen Kamelen zurückgelassen, mit der Weisung, noch vor Morgengrauen nach Abu Sawana zurückzugehen und dort weitere Befehle abzuwarten. Zwei meiner Leute wurden plötzlich krank, so daß sie nicht mit uns reiten konnten. Ich ließ sie für die Nacht zurück und entband sie später von allen Pflichten.


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