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Sechzigstes Kapitel

Schiffe dampften den Golf von Akaba hinauf. Faisal landete, und mit ihm Dschaafar, sein Stabschef, und Joyce, der stets Bereite. Die Panzerwagen trafen ein, ferner Goslett, ägyptische Arbeiterbataillone und zahllose Truppen. Auch die Türken hatten die sechs Monate Ruhe nicht ungenützt verstreichen lassen. Falkenhayn war hinuntergekommen, um sie zu beraten, und seine feine Intelligenz machte sie jetzt zu sehr beachtenswerten Gegnern. Maan hatte einen besonders tüchtigen Kommandanten bekommen: Bedschet-Pascha, den alten Führer im Sinai. Er verfügte über sechstausend Mann Infanterie und je ein Regiment Kavallerie und berittene Infanterie; er hatte Maan so stark ausgebaut, daß es auch mit modernen Hilfsmitteln für uneinnehmbar gelten konnte. Ein Geschwader von Flugzeugen manövrierte täglich über Maan. Große Vorräte an Feldbahnmaterial waren angesammelt worden.

Die Vorbereitungen der Türken waren nun beendet; sie begannen sich zu rühren und ließen bald erkennen, daß sie auf Guweira zielten, die günstigste Zugangsstraße nach Akaba. Zweitausend Mann Infanterie besetzten eilig den Aba el Lissan, der dann befestigt wurde. Kavallerie bezog vorgeschobene Stellungen am Rand des Plateaus, um einen möglichen arabischen Gegenstoß aus der Richtung vom Wadi Musa abzufangen.

Diese rührige Regsamkeit der Türken kam unsern Wünschen entgegen. Wir gedachten sie zunächst nur anzustacheln und sie zu verlocken, statt unser in das Wadi Musa einzudringen, dessen natürliche Hindernisse so gewaltig waren, daß der Ort auch bei denkbar schlechtester Besatzung jedem Angriff standhalten konnte.

Als Köder, um den Feind anzulocken, wurden die Nachbarn der Delagha in Tätigkeit gebracht. Die Türken, voll neugestärktem Eifer, ließen sich zu einem Gegenstoß verleiten und erlitten schwere Verluste. Mit der reichen Beute wurden die Bauern im Wadi Musa bestochen, die sich nun mit ihren feindlichen Nachbarn, den Delagha, vertrugen. Maulud, der alte Kampfhahn, rückte mit seinem Maultier-Regiment vor und setzte sich bei den berühmten Ruinen von Petra fest. Die dadurch ermutigten Liathena begannen unter ihrem einäugigen Scheik Khalil über das Plateau von Aba el Lissan zu schwärmen und türkische Posten aufzuheben oder kleinere Transporte abzufangen. Das ging so Wochen hindurch, während die gereizten Türken immer hitziger und hitziger wurden.

Um den Feind auch noch auf andere Art zu beunruhigen, ersuchten wir den General Salmond, den versprochenen Luftangriff auf Maan vorzunehmen. Zur Ausführung des ziemlich schwierigen Beginnens bestimmte er Stent nebst andern erprobten Piloten von Rabegh und Wedsch und befahl ihnen, ihr möglichstes zu tun. Sie hatten bereits Erfahrungen in Notlandungen auf öder Wüste und waren auch darin geübt, unbekannte Bestimmungsziele in unübersichtlichem und auf Karten nicht verzeichnetem Gebirgsgelände herauszufinden. Stent sprach zudem fließend Arabisch. Der Angriff hätte sicherheitshalber aus großer Flughöhe ausgeführt werden können; aber Stent, der Führer, ein Nervenbündel voll Ehrgeiz und Tatendrang, liebte es, sich die Dinge so schwer wie möglich zu machen. In diesem Falle befahl er, um das Ziel nicht zu verfehlen, niedrig zu fliegen. Und es gelang ihnen auch, Maan zu erreichen und den überraschten Platz mit zweiunddreißig Bomben zu belegen. Zwei davon fielen in die vollbesetzten Baracken, wodurch fünfunddreißig Mann getötet und fünfzig verwundet wurden. Acht schlugen in den Lokomotivschuppen und beschädigten Maschinen und Material. Eine Bombe traf die Küche des Generals und erledigte seinen Koch mitsamt dem Frühstück. Vier fielen auf den Flugplatz. Trotz des Schrapnellabwehrfeuers kehrten Flieger und Flugzeuge unversehrt nach ihrem Hilfslandungsplatz bei Kuntilla oberhalb Akaba zurück.

Am Nachmittag überholten sie ihre Maschinen, und abends legten sie sich unter den Tragdecks schlafen. In der Morgendämmerung des nächsten Tages stiegen drei von neuem auf, diesmal in der Richtung auf Aba el Lissan, dessen ausgedehntes Lager Stent den Mund wäßrig gemacht hatte. Sie bombardierten die Reihen der angepflockten Pferde, von denen viele getötet wurden; dann statteten sie den Zelten einen Besuch ab und jagten die Türken auseinander. Wie am Vortage wurde tief und sehr gewagt geflogen; aber alles ging gut. Lange vor Mittag waren sie wieder in Kuntilla.

Stent musterte die Restbestände an Benzin und Bomben und stellte fest, daß es auch noch zu einem dritten Angriff reichte. Er gab daher Befehl, daß jedes Flugzeug für sich nach der feindlichen Batterie suchen sollte, die sie am Morgen so stark belästigt hatte. In der Mittagshitze stiegen sie auf. Da sie wegen der schweren Belastung nicht übermäßig hoch gehen konnten, kamen sie nur in dreihundert Fuß Höhe über den Kamm jenseits Aba el Lissan und dann über das Tal hinabgebraust. Die Türken, zur Mittagszeit stets sanft entschlafen, wurden völlig überrascht. Dreißig Bomben gingen nieder; eine brachte die Batterie zum Schweigen, die anderen töteten Dutzende von Menschen und Tieren. Dann stiegen die erleichterten Maschinen hoch in die Luft und kehrten heim nach El Arisch. Den Arabern wurde so der Rücken gesteift, die Türken waren schwer beunruhigt. Bedschet-Pascha ließ überall Schutzdächer und Verblendungen aufführen; und als dann seine Flugzeuge instand gesetzt waren, verteilte er sie an geeigneten Stellen rings auf dem Plateau von Aba el Lissan zum Schutz des Lagers.

Durch Luftangriffe hatten wir die türkischen Vorbereitungen gestört; durch aufreizende Überfälle der Stämme sollten sie von ihrem eigentlichen Ziel abgelenkt und zu einem Vorstoß in ungünstiges Gelände verleitet werden. Ein drittes Mittel, um ihre beabsichtigte Offensive zu lähmen, bestand in der Störung ihres Bahnverkehrs, was sie veranlassen mußte, ihre Angriffstruppen zum Schutze der Eisenbahn längs der Linie zu zersplittern. Demgemäß wurden für Mitte September umfangreiche Zerstörungen der Bahnlinie angesetzt.

Ich kam auf meine alte Idee zurück, einen fahrenden Zug in die Luft zu sprengen. Es gab jetzt angeblich etwas, das zuverlässiger und wirksamer war als automatische Minen, und zwar, wie ich hörte, eine elektrische Zündung, mit der man die Ladung im gegebenen Augenblick unmittelbar zur Explosion bringen konnte. Die englischen Pioniere ermutigten mich zu dem Versuch, insbesondere General Wright, der Chef des Ingenieurkorps in Ägypten, der als Fachmann ein gewissermaßen sportliches Interesse an meinem etwas ausgefallenen Unternehmen hatte. Er sandte mir den empfohlenen Apparat: einen Zündkasten nebst isoliertem Kabel, mit dem bewaffnet ich mich dann an Bord von S. M. S. »Humber«, unseres neuen Wachtschiffs, begab und mich dem Kommandanten, Kapitän Snagge, vorstellte.

Snagge war sehr beglückt über sein Schiff, das für Brasilien gebaut und daher weit bequemer und reichlicher ausgestattet war als die englischen Kreuzer; ich aber war zwiefach beglückt, von seinem Schiff und von ihm, denn er war die Gastfreundschaft in Person. Lebhaften und regen Geistes, war er auch voller Interesse für alles, was an Land vorging; und namentlich hatte er viel Sinn für die komische Seite unserer kleinen Mißgeschicke. Er amüsierte sich köstlich, wenn ich ihm von einem unserer Fehlschläge erzählte; und für eine gute Geschichte spendete er mir ein heißes Bad und Tee mit allem zivilisierten Zubehör, ohne den ewigen Zusatz von Wüstensand. Seine Freundlichkeit und stete Hilfsbereitschaft ersparte uns manche Fahrt nach Ägypten zu notwendigen Reparaturen und setzte uns in den Stand, Monat auf Monat hindurch die Türken durch stete Hammerschläge zu zermürben.

Der Zündapparat war in einem festverschlossenen, weißen und sehr schweren Kasten eingebaut. Wir brachen ihn auf, fanden einen Auslösungshebel und drückten ihn nieder, ohne dem Schiff Schaden zuzufügen. Der Leitungsdraht bestand aus schwerem, isoliertem Kabel. Wir schnitten ihn durch, befestigten die Enden an Schraubenköpfen am Kasten und schickten uns dann gegenseitig recht überzeugende Schläge durch die Glieder: die Sache funktionierte.

Dann brachte ich Zündkapseln herbei. Die freien Enden des Kabels wurden daran befestigt und darauf der Hebel eingeschaltet: nichts erfolgte. Wir versuchten es noch mehrmals hintereinander, immer mit dem gleichen Ergebnis, und standen nun betrübt dabei. Zuletzt ließ Snagge den Artillerie-Deckoffizier holen, der sich auf alle Art Leitungen verstand. Er empfahl Zündkapseln, die speziell für elektrische Zündungen eingerichtet waren. Das Schiff besaß deren sechs, von denen mir drei überlassen wurden. Wir verbanden eine dieser neuen Kapseln mit dem Kasten, und als der Hebel heruntergedrückt war, explodierte sie prachtvoll. Nun wußte ich genügend Bescheid mit dem Apparat und ging daran, die weiteren Einzelheiten meines Unternehmens vorzubereiten.

Als Ort der Tat erschien mir Mudewwere am geeignetsten, eine leicht erreichbare Wasserstation acht Meilen südlich Maan. Ein zerstörter Zug gerade an dieser Stelle konnte den Bahnverkehr schwer schädigen. Als Begleitmannschaft hatte ich meine bewährten Howeitat; und außerdem sollten auf der Expedition drei Bauern aus dem Hauran erprobt werden, die ich meinem persönlichen Gefolge einverleibt hatte. In Hinsicht auf die künftige Bedeutung des Hauran war es für uns notwendig, ihren Dialekt zu erlernen und uns über ihre Stammeseinrichtungen und Feindschaften zu orientieren. In harmlosem Gespräch auf langen Märschen sollten mich die drei Burschen Rahail, Assaf und Hemeid in alle ihre Stammes- und Familienangelegenheiten einweihen.

Um einen zum Stehen gebrachten Zug auch zu erobern, brauchte man Geschütze und Maschinengewehre. Am geeignetsten erschienen mir Grabenmörser und Maschinengewehre vom leichten Lewis-Typ. Demgemäß sandte uns Ägypten zwei tüchtige Instruktionsunteroffiziere von der Heeresschule in Seitun, die in Akaba den Araberhaufen beibringen sollten, wie man mit solchen Dingern umzugehen hatte. Snagge gab ihnen auf seinem Schiff Quartier, solange wir noch kein geeignetes englisches Lager an der Küste hatten.

Sie hießen, glaube ich, Yells und Brooke, wurden aber nur Lewis und Stokes genannt, nach dem eifersüchtig gehüteten Geschützmaterial eines jeden. Lewis war Australier, lang, dürr, krumm, seine schlaksige Figur stets in schlapper und wenig militärischer Haltung. Das knochige Gesicht mit geschwungenen Brauen und Adlernase zeigte so recht den allen Australiern eigentümlichen Ausdruck unbedenklicher Bereitwilligkeit und rasch zugreifender Tatkraft. Stokes dagegen war ein stocksteifer englischer Freiwilliger, geschickt und schweigsam, aber immer erst eines Befehles gewärtig.

Lewis steckte voll selbständiger Anregungen und sprudelte jedesmal über vor Begeisterung, wenn etwas geglückt war. Stokes äußerte nie eine Meinung, außer nach vollbrachter Tat, wo er dann gedankenvoll seine Mütze in den Nacken schob und Punkt für Punkt alle Fehler aufzählte, die er beim nächsten Mal vermeiden müßte. Beide waren prächtige Kerle. Schon nach vier Wochen hatten sie sich – ohne Kenntnis der Sprache und ohne Dolmetscher – mit ihren Schülern verständigt und ihnen mit der erforderlichen Exaktheit beigebracht, wie sie mit ihren Waffen umzugehen hätten. Mehr brauchte es nicht, denn praktische Übung erschien für unsere Zufallskriegführung besser angebracht als alles noch so lückenlose theoretische Wissen.

Mit der fortschreitenden Organisation unseres Unternehmens wuchs auch unser Tatendrang. Die Station Mudewwere schien von geringer Verteidigungsfähigkeit. Mit dreihundert Mann konnte man sie vielleicht in überraschendem Vorstoß nehmen. Damit wäre viel gewonnen gewesen, denn auf dem ganzen Abschnitt jenseits Maan gab es nur den einen tiefen Brunnen von Mudewwere. Geriet er in unsere Hand, so war der Bahnbetrieb über die lange, wasserlose Strecke kaum noch aufrechtzuerhalten.


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