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Einundsiebzigstes Kapitel

Der Aufbruch war schwierig wie immer. Als Leibwache nahm ich sechs Neueingestellte mit. Von diesen war Mahmud ein Eingeborener vom Jarmuk, ein munterer, heißblütiger Bursche von neunzehn Jahren, von einem Mutwillen, wie man ihn oft bei Kraushaarigen findet. Ein anderer, Asis aus Tafas, ein älterer Bursche, hatte sich drei Jahre bei den Beduinen aufgehalten, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Er wußte geschickt mit Kamelen umzugehen, war aber dumm, maulfaul und stolz. Der dritte war Mustafa, ein netter, anständiger Junge aus Dera, der sich traurig abseits hielt, weil er taub war und sich seines Gebrechens schämte. Eines Tages, an der Küste, hatte er mich schüchtern gebeten, ihn in meine Leibwache aufzunehmen. Er schien so sicher einer Abweisung, daß ich ihn nahm; und seine Wahl erwies sich vorteilhaft für die anderen, denn er war ein sanftmütiger Bauer, dem sie alle Knechtarbeit aufhalsen konnten. Er aber war glücklich, daß er zu so verwegenen Burschen gehörte und die Welt ihn auch für verwegen halten würde. Um seine Unzulänglichkeit unterwegs auszugleichen, warb ich noch Schowak und Salem an, zwei Scherari Kamelhirten, und Abd el Rahman, einen entlaufenen Sklaven aus Riad.

Von der alten Garde gab ich Mohammed und Ali Urlaub. Sie waren müde nach den Abenteuern an der Bahnlinie und brauchten, wie ihre Kamele, eine Zeitlang ruhige Weide. Dadurch wurde Ahmed unvermeidlich zum Anführer. Seine rücksichtslose Energie verdiente Anerkennung, aber wie so oft zeigte sie das Erwähltsein als eine Gefahr. Er mißbrauchte seine Macht und unterdrückte die anderen; so wurde dies seine letzte Reise mit mir. Für die Kamele nahm ich Kreim und Rahail, den geilen, eingebildeten Hauranjungen, der nur durch Überanstrengung zu zwingen war, enthaltsam zu bleiben. Matar, ein Angehöriger der Beni Hassan, schloß sich uns von selbst an. Sein feister, bäurischer Hintern füllte seinen Kamelsattel aus und trug ebenso umfangreich zu den liederlichen Witzen bei, mit denen sich meine Wache auf dem Marsche die Zeit vertrieb. Vielleicht kamen wir in das Gebiet der Beni Hassan, wo er einigen Einfluß besaß. Wir waren seiner sicher, solange seine unverschämte Habgier noch nicht enttäuscht worden war.

Mein Dienst war jetzt einträglich, denn ich kannte meinen Wert für die Bewegung und war freigebig, um mir Sicherheit zu verschaffen. Das Gerücht, einmal auch günstige Wirkungen auslösend, vergoldete noch meine offene Hand. Farradsch und Daud sowie die beiden Biascha, Khidr und Midschbil, vervollständigten meine Gefolgschaft.

Farradsch und Daud waren unterwegs brauchbar und guter Dinge, denn sie liebten das Wandern wie alle die geschmeidigen Ageyl; aber in der Ruhe des Lagers brachte ihr Übermut sie stets in Ungelegenheiten. Diesmal übertrafen sie sich selbst, denn am Morgen des Aufbruchs waren sie verschwunden. Mittags kam Nachricht von Scheik Jussuf, daß sie in seinem Gefängnis säßen, und ob ich mit ihm darüber verhandeln wollte. Ich ging zu ihm; sein massiger Körper bebte vor Zorn und Gelächter. Er hatte grade ein hellgelbes Vollblutreitkamel gekauft. Das Tier hatte sich am Abend in den Palmenhain verlaufen, wo meine Ageyl lagerten. Sie ahnten nicht, daß es dem Gouverneur gehörte, und hatten sich bis zum Morgen damit beschäftigt, dem Tier den Kopf mit Henna leuchtend rot und die Beine mit Indigo blau zu färben, ehe sie es wieder laufen ließen.

Ganz Akaba geriet über dieses Zirkustier in Aufruhr. Jussuf erkannte es nur schwer wieder und setzte seine ganze Polizei in Bewegung, um die Schuldigen ausfindig zu machen. Die beiden Freunde wurden vor Gericht gestellt; sie hatten beide Arme bis zu den Ellenbogen mit Farbe beschmiert und beteuerten laut ihre völlige Unschuld. Aber die Indizien waren doch allzu deutlich; und nachdem Jussuf sie mit einer Palmrippe gründlich bearbeitet hatte, sperrte er sie ein, damit sie eine Woche lang über ihre Schandtaten nachdenken konnten. Ich machte den Schaden wieder gut, indem ich Jussuf so lange ein Kamel zur Verfügung stellte, bis das seine wieder repräsentabel war. Dann erklärte ich ihm, daß wir die Sünder dringend brauchten, und versprach ihm, daß er sie noch einmal zur Behandlung bekommen sollte, wenn es ihre Haut wieder vertragen würde. So ordnete er ihre Freilassung an. Sie waren beglückt, daß sie das von Ungeziefer strotzende Gefängnis bedingungsweise verlassen durften, und kamen fröhlich singend zu uns zurück.

Diese Geschichte hatte uns aufgehalten. Mit einem gewaltigen Abschiedsmahl trennten wir uns von der Üppigkeit des Lagerlebens und brachen am 24. Oktober 1917 abends auf. Vier Stunden lang kamen wir langsam voran, wie immer beim ersten Marsch, wo Kamele und Menschen noch mißmutig waren über den neuen Aufbruch ins Ungewisse. Lasten verrutschten, Sättel mußten nachgegurtet und Reittiere ausgetauscht werden. Zu meinen eigenen beiden Kamelen (Ghasala, der wieder einmal hochträchtigen Großmutter, und Rima, einer gängigen Scheraristute, die die Sukhur den Rualla gestohlen hatten) und meiner kleinen Leibgarde kamen jetzt noch die beritten gemachten Inder. Ferner hatte ich ein Kamel an Wood gegeben (der etwas schwierig im Sattel war und fast jeden Tag ein neues Tier probierte) und eins dem Kavalleriefreiwilligen, dem Begleiter Lloyds, der wie ein Araber im Sattel saß und auch ganz arabisch aussah mit dem Kopftuch und dem gestreiften Mantel über seiner Khakiuniform. Lloyd selbst ritt ein Vollblut-Dheraijeh, das Faisal ihm geliehen hatte, ein schönes, zuverlässiges Tier, augenblicklich aber sehr heruntergekommen und von der Räude geschwächt.

Unsere Kolonne zog sich in die Länge. Wood blieb zurück, und meine Leute, die alle Hände voll zu tun hatten, um die Inder zusammenzuhalten, verloren ihn aus dem Gesicht. So sah er sich denn plötzlich allein mit Thorne und bemerkte nicht unser Abbiegen nach Osten in der schwarzen Finsternis, die stets bei Nacht in der tiefen Schlucht von Item lag, falls nicht der Mond gerade darüber stand. Sie folgten der Hauptstraße nach Guweira und ritten stundenlang weiter, bis sie sich endlich entschlossen, in einem Seitental den Morgen abzuwarten. Beide waren neu im Lande und der Araber nicht sicher; so hielten sie abwechselnd Wache. Wir bemerkten ihre Abwesenheit erst, als sie bei der Mitternachtsrast nicht erschienen, und sandten sofort Ahmed, Asis und Abd el Rahman zurück mit der Weisung, die drei oder vier gangbaren Wege abzusuchen und das vermißte Paar nach der Rumm zu bringen.

Ich blieb als Führer bei Lloyd und dem Haupttrupp und geleitete sie über gewölbte Hänge rötlichen Sandsteins und durch tamariskengrüne Täler der Rumm zu. Luft und Licht waren so herrlich, daß wir dahinzogen, ohne im geringsten an das Morgen zu denken. Hatte ich nicht Lloyd, mit dem ich mich unterhalten konnte? Die Welt erhielt ein freundliches Aussehen. Ein leichter Regenschauer am letzten Abend hatte Himmel und Erde zu einem milden Tage verklärt. Die Farben der Felsen, der Bäume und der Erde waren so rein, so lebhaft, daß wir bedauerten, alles nur so flüchtig genießen zu können. Wir kamen nur langsam vorwärts. Die Inder erwiesen sich als schlechte Kamelreiter, während Farradsch und Daud an einer neuen Art von Sattelwundsein litten, die sie »Jussufijeh« nannten, so daß sie Meile um Meile zu Fuß gingen.

Wir ritten endlich in die Rumm ein, als bereits die tiefrote Abendsonne ihre gewaltigen Terrassen erglühen ließ und ganze Stufenleitern dunstigen Feuers die Felsenavenue hinabwarf. In dem sandsteinernen Amphitheater bei den Quellen warteten bereits Wood und Thorne auf uns. Wood war krank und lag auf der Plattform meines alten Lagerplatzes. Abd el Rahman hatte die beiden am Vormittag gefunden und sie nur nach schwierigen Auseinandersetzungen zu bestimmen vermocht, ihm zu folgen, denn ihre paar Brocken Ägyptisch konnten ihnen wenig helfen gegenüber seinem stockernden Aridh-Dialekt, dem er mit Howeitat-Slang aufhalf. Er hatte sie zu ihrem Leidwesen auf einem sehr schwierigen Wege quer über die Berge geführt.

Wood war erhitzt, müde und hungrig; sein Unmut ging so weit, daß er törichterweise die Einladung zu einem arabischen Gastmahl ausschlug, die Abd el Rahman in seinem Zelt für sie veranstaltete.

Er hatte schon geglaubt, uns nie wieder zu Gesicht zu bekommen, und wurde mißgelaunt, als wir uns zu ergriffen zeigten von der überwältigenden Größe der Rumm, die jeden Besucher in Bann schlägt, um viel auf die Erzählungen seiner Leiden zu hören. Wir sagten immer nur »ja«, während wir starrten; und dann ließen wir ihn liegen und wanderten flüsternd umher, die Wunder dieses Ortes zu schauen. Zum Glück waren Ahmeds und Thornes Gedanken mehr auf Essen gerichtet; und die Abendmahlzeit machte allem Mißvergnügen ein Ende.

Am nächsten Tag, als wir gerade zum Aufbruch rüsteten, trafen Ali und Abd el Kadir bei uns ein. Lloyd und ich mußten uns zu einem zweiten Mittagsmahl bequemen, denn die beiden lagen im Streit miteinander, und nur die Gegenwart von Gästen hielt sie in Schach. Lloyd gehörte zu jener seltenen Art von Reisenden, die, ganz gleich was oder mit wem, überall und zu jeder Zeit essen können. Dann, nachdem wir Frieden gestiftet hatten, saßen wir auf, und, die Kamele zu schärfster Gangart antreibend, sausten wir in toller Jagd über den flachen, sammetweichen Boden bis zu dem vorausmarschierenden Haupttrupp, den wir mit dem wilden Schwung unseres Galopps durcheinanderbrachten. Die schlecht beladenen Kamele der Inder wetzten umher, als hätten sie Feuer unterm Schwanz, bis sie ihre Lasten abgeworfen hatten. Alles beruhigte sich bald wieder, und wir zogen gemächlich das Wadi Hafira hinauf, einen Einschnitt gleich einem Schwerthieb in das Plateau. An seinem Endpunkt vor uns lag der steile Paß zum Hochland von Batra; aber heute erreichten wir es nicht mehr, sondern blieben aus Faulheit und Bedürfnis nach Behagen in dem geschützten Talgrund. Wir steckten mächtige Feuer an, eine große Wohltat an dem kühlen Abend. Farradsch bereitete mir wie gewöhnlich meinen Reis nach seiner Art; Lloyd, Wood und Thorne hatten ihr Büchsenfleisch nebst englischem Armeezwieback, und so setzten wir uns zusammen und ließen es uns gut sein.

Am nächsten Tage kletterten wir den steilen Zickzackweg zum Paß hinauf. Unter uns lag der schmale grüne Talboden des Hafira mit seinem kegelförmigen Hügel in der Mitte, und dahinter ragten die phantastischen grauen Dome und leuchtenden Pyramiden der Berge von Rumm, heute ins noch Phantastischere gesteigert durch die darüber lagernden Wolkenmassen. Wir warteten oben, bis Kamele, Araber, Inder und Gepäck ohne Zwischenfall die Höhe erklommen hatten. Dann rastete alles zufrieden im ersten grünen Tal jenseits des Kammes, geschützt vom Winde und erwärmt von der Sonne, deren fahler Schein die herbstliche Kühle dieses hohen Tafellandes milderte. Ein gewisser Jemand fing sogleich wieder vom Essen zu reden an.


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