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Achtundsechzigstes Kapitel

Die Tage vergingen in Unterhaltungen mit Faisal über Politik, Organisation und Strategie, während die Vorbereitungen für eine neue Operation fortschritten. Unser Erfolg hatte das Lager begeistert, und die Bahnsprengungen versprachen beliebt zu werden, wenn es uns gelang, genügend Leute für die verschiedenartigen Unternehmungen technisch auszubilden. Hauptmann Pisani war der erste Freiwillige. Er war der tüchtige Befehlshaber der Franzosen in Akaba, ein Berufssoldat, begierig nach Auszeichnung – und Auszeichnungen. Faisal suchte mir drei vornehme junge Damaszener aus, die den Ehrgeiz hatten, solcherlei Raubzüge mit den Stämmen anzuführen. Wir gingen nach der Rumm und verkündeten, daß der nächste Zug allein nur von Gasims Stamm unternommen werden solle. Das waren feurige Kohlen auf ihr Haupt, aber sie waren zu beutegierig, um abzulehnen. Tagelang strömten die Leute zusammen. Die meisten wurden zurückgeschickt; aber trotzdem zogen wir mit hundertundfünfzig Mann und einem Riesenzug unbeladener Lastkamele für die Beute los.

Der Abwechslung halber beschlossen wir, bei Maan zu arbeiten. So ritten wir nach Batra hinauf, von der Hitze in die Kälte, von Arabien nach Syrien, von den Tamarisken zum Wacholder. Als wir oben auf der Paßhöhe den blutroten Fleck an den Bergen oberhalb der von Blutegeln verseuchten Brunnen sahen, traf uns zum erstenmal ein Hauch der nördlichen Wüste, jener Hauch, der zu fein ist, um ihn zu beschreiben, und der erzählt von vollkommener Einsamkeit, verdorrtem Gras und von der Sonne versengtem Gestein.

Die Wegführer meinten, daß wir bei Kilometer 475 gut Minen legen könnten; aber als wir hinkamen, fanden wir dort Blockhäuser und mußten uns vorsichtig wieder davonmachen. Wir ritten die Strecke entlang, bis zu einem Tal, das von der Bahn auf einem hohen Damm überquert wurde, der von Brücken auf beiden Seiten und in der Mitte durchbrochen war. Dort legten wir nach Mitternacht eine automatische Mine mit einem neuen, äußerst wirksamen Sprengstoff. Das nahm Stunden in Anspruch, und die Morgendämmerung überraschte uns noch bei der Arbeit. Es war kein deutliches Licht, und als wir uns umblickten, um zu sehen, wo das Dunkel wich, konnten wir nicht feststellen, wo der Tag anbrach. Erst lange Minuten danach tauchte die Sonne über einer kupferfarbenen, verschwimmenden Nebelbank auf.

Wir zogen uns tausend Yard weit in das gesträuchbedeckte Talbett zurück, um uns den unerträglich heißen Tag über in den Hinterhalt zu legen. Mit der Zeit nahm die Kraft der Sonne zu, und sie schien so heiß in unser Versteck hinein, daß ihre Strahlen uns wie ein Panzer umschlossen. Die Leute waren ganz verdreht und völlig aus dem Häuschen durch die Hoffnung auf einen Erfolg. Sie wollten auf niemand als auf mich hören und kamen zu mir, damit ich ihre Streitigkeiten schlichtete. Bei diesem sechstägigen Zug ereigneten sich folgende Zwischenfälle, die beigelegt werden mußten: zwölf bewaffnete Angriffe, vier Kameldiebstähle, eine Heirat, zwei Diebstähle, eine Scheidung, vierzehn Blutfehden, zweimal böser Blick und eine Bezauberung.

Die Entscheidungen wurden getroffen trotz meiner unzulänglichen Kenntnis des Arabischen. Der dabei unvermeidliche Betrug quälte mein Gewissen. Das war auch eine der Früchte, der bitteren Früchte meines Entschlusses, als wir vor Akaba standen: ein Führer der Erhebung zu werden. Ich trieb die Araber unter falschen Vorwänden in den Aufstand und übte eine falsche Autorität über die von mir Betrogenen aus, auf Grund von nicht viel mehr Beweiskraft als ihre Gesichter, soweit ich sie erkennen konnte mit meinen leicht tränenden und schmerzenden Augen nach einem Jahre stechenden, immer stechenden Sonnenlichts.

Wir warteten den Tag und die Nacht. Bei Sonnenuntergang kam ein Skorpion aus dem Busch hervorgekrochen, neben dem ich mich, um des Tages Quälereien aufzuzeichnen, niedergelassen hatte, und an meine linke Hand stoßend stach er mich mehrmals, wie es schien. Der Schmerz in dem geschwollenen Arm hielt mich bis zum hellen Morgen wach zur Erleichterung jedoch meines überladenen Geistes, denn mein Körper wurde aufdringlich genug, um meine Selbstbetrachtungen zu unterbrechen, wenn das brennende Feuer der verletzten Stelle meine matten Nerven aufpeitschte.

Aber ein Schmerz dieser Art dauerte nie lange genug, um die Krankheit meines Geistes wirklich zu heilen. Nach einer Nacht würde er jener trüben, unheldenhaften, inneren Pein weichen, die aus sich selbst das Denken immer wieder in Bewegung setzt und sein Opfer noch weniger widerstandsfähig ihn zu ertragen zurückläßt. In solcher Lage schien mir dann die Narrheit dieses Krieges so groß wie das Verbrechen, daß ich mir die Führerschaft anmaßte; und ich war bereit, nach unseren Scheiks zu senden, zu verzichten und meine Ansprüche in ihre verworrenen Hände zu legen – als unser Posten einen Zug ankündigte.

Es war ein Wasserzug, der von Maan herunterkam und ohne Unfall über die Mine hinwegfuhr. Die Araber freuten sich darüber, denn Wasser zu erbeuten war nicht gerade nach ihrem Sinn. Die Mine hatte versagt; deshalb ging ich gegen Mittag mit meinen Lehrlingen herunter, um eine elektrische Mine über die alte zu legen, damit die Explosion der einen die andere entzündete. Wir vertrauten darauf, daß die Luftspiegelung und die Mittagserschlaffung uns den Augen der Türken verbergen würden; und mit Recht, denn nichts störte uns in der Stunde, während wir die Mine legten.

Von der südlich gelegenen Brücke zogen wir eine elektrische Leitung zu der mittelsten Brücke, unter deren Bogen sich der Mann am Auslöseschalter vor einem darüberfahrenden Zug verbergen sollte. Die Maschinengewehre stellten wir unterhalb der nördlich gelegenen Brücke auf, um die rechte Seite des Zuges zu bestreichen, wenn die Mine losging. Die Araber sollten die Büsche eines trocknen Wasserlaufs besetzen, der quer durch das Tal führte, etwa dreihundert Yard diesseits der Bahnlinie. Dann warteten wir den Tag über, von Sonne und Fliegen gequält. Feindliche Patrouillen gingen am Morgen, Nachmittag und Abend die Strecke ab.

Am zweiten Tag tauchte gegen acht Uhr morgens von Maan her eine Rauchsäule auf. Zur gleichen Zeit näherte sich die erste Morgenpatrouille. Es waren nur etwa sechs Mann, aber eine Warnung von ihnen konnte den Zug anhalten; wir warteten gespannt, wer wohl das Rennen gewinnen würde. Der Zug fuhr sehr langsam, und die Patrouille machte manchmal halt.

Wir berechneten, daß sie etwa zwei- oder dreihundert Yard von uns entfernt sein würde, wenn der Zug kam. So befahlen wir alle an ihre Plätze. Die Lokomotive schnaufte mit zwölf Wagen mühsam die Steigung herauf, aber sie blieb ständig in Fahrt. Ich saß in dem Strombett neben einem Busch, hundert Yard von der Mine entfernt, so daß ich sie, samt dem Mann am Schalter und den Maschinengewehren übersehen konnte. Als Fais und Bedri die Maschine auf der Brücke über sich hörten, führten sie um die kleine elektrische Schaltdose einen wahren Kriegstanz auf. Die Araber im Graben flüsterten mir leise zu, daß es jetzt Zeit sei; aber erst als die Maschine genau auf der Brücke war, sprang ich auf und schwenkte meinen Mantel. Fais drückte sofort den Hebel nieder, ein Knall ertönte, eine schwarze Staubwolke stieg empor, wie eine Woche vorher bei Mudewwere, und hüllte mich ein, während der grüngelbe, giftige Rauch der neuen automatischen Mine träge um die Trümmer hängen blieb. Die Maschinengewehre ratterten sofort los; drei oder vier kurze Einschläge, dann kam ein Schrei von den Arabern, und geführt von Pisani, ihre schrillen vibrierenden Schlachtrufe anstimmend, stürzten sie sich in wildem Schwarm auf den Zug.

Ein Türke erschien auf dem Puffer des vierten Wagens von hinten, löste die Kuppelung und ließ das Zugende die Steigung hinabrollen. Ich machte einen matten Versuch, einen Stein vor die Räder zu legen, aber achtete nicht sehr, daß es auch glückte. Es schien mir ganz richtig und belustigend, daß dieser Teil der Beute entkam. Ein türkischer Oberst schoß vom Wagenfenster aus mit einer Mauserpistole auf mich; der Schuß streifte meine Hüfte. Ich lachte über den zu großen Eifer des Mannes, der dem Krieg zu nutzen glaubte, wenn er einen einzelnen tötete.

Unsere Mine hatte den einen Bogen der Brücke weggesprengt. Von der Lokomotive war der Feuerdeckel aufgerissen und viele Rohre geplatzt. Der Führerstand war abgerissen, ein Zylinder dahin, das Gestell zerbeult, zwei Triebräder und ihre Einfassungen zertrümmert. Der Tender und der erste Wagen hatten sich ineinandergeschoben. Etwa zwanzig Türken waren tot, die anderen, darunter vier Offiziere, standen neben den Gleisen und jammerten um ihr Leben, das die Araber ihnen nicht zu nehmen gedachten.

In den Wagen waren einige zwanzig Tonnen Lebensmittel, »dringender Bedarf«, wie auf dem Frachtbrief aus Medain Salih stand. Wir sandten den einen Frachtbrief als ausführlichen Bericht unseres Erfolges an Faisal und ließen den anderen mit unserer Quittung im Wagen. Ein Dutzend Zivilisten, die erklärten, nach Medina zu wollen, trieben wir nordwärts davon.

Pisani beaufsichtigte das Wegschaffen oder die Vernichtung der Beute. Die Araber waren jetzt, so wie früher, nichts als Kameltreiber, die hinter ihren beladenen Lastkamelen dreingingen. Farradsch hielt mein Kamel, während Salem und Dheilan bei den Sprengstoffen und dem schweren Leitungsdraht mit zugriffen. Als wir fertig waren, hatten sich die türkischen Hilfstrupps auf vierhundert Yard genähert, aber wir ritten ohne einen Toten oder Verwundeten davon.

Meine Lehrlinge lernten später selber Minen legen und brachten es auch anderen bei. Das Gerücht ihrer Erfolge sprach sich bei den Stämmen herum und nahm immer größere Dimensionen an. Aber die Auffassung der Araber war manchmal recht sonderbar. »Schicke uns ein Lurens (Lawrence), und wir werden damit die Züge in die Luft sprengen«, schrieben die Beni Atiyeh an Faisal. Er schickte ihnen Saad, einen hieb- und stichfesten Ageyl, mit dessen Hilfe sie einen wertvollen Zug abfingen, in dem Suleiman Rifada fuhr, unser alter Gegner von Wedsch; sie erbeuteten zwanzigtausend Pfund in Gold und wertvolle Trophäen. Saal hatte dabei, wie schon einmal, als seinen Beuteanteil nur den Leitungsdraht mit nach Hause gebracht.

In den nächsten vier Monaten zerstörten unsere Sachkundigen von Akaba siebzehn Lokomotiven. Reisen wurde für den Feind unsicher und lebensgefährlich. In Damaskus rissen sich die Leute um die Sitze in den letzten Waggons und bezahlten sogar einen Aufschlag dafür. Die Lokomotivführer streikten. Der Zivilverkehr hörte nahezu auf; und unsere Drohungen gelangten sogar bis nach Aleppo, indem wir eines Nachts nur einen Zettel an das Rathaus von Damaskus klebten, der besagte, daß gute Araber künftig auf der syrischen Bahn auf eigene Gefahr reisten. Der Verlust der Maschinen war für die Türken sehr empfindlich. Da das Bahnmaterial für Palästina und Hedschas zusammen eingesetzt war, machten unsere Sprengungen nicht nur die allgemeine Räumung von Medina unmöglich, sondern begannen sich auch bei der Armee bei Jerusalem auszuwirken, als gerade die Bedrohung von britischer Seite immer ernster wurde.

Inzwischen hatte man aus Ägypten nach mir telegraphiert. Ein Flugzeug brachte mich zum Großen Hauptquartier, wo Allenby damit beschäftigt war, mit großartiger Energie die erschütterte britische Armee neu aufzubauen. Er fragte mich, was unsere Sprengungen eigentlich bezweckten, oder ob sie etwa nur eine melodramatische Reklame für Faisal bedeuten sollten.

Ich erklärte ihm meine Absicht, die Linie nach Medina grade noch in Betrieb zu lassen, wo Fakhris Korps sich sicher billiger für uns ernähren würde, als es uns in den Gefangenenlagern von Kairo zu stehen käme. Das sicherste Mittel, die Linie zu behindern, ohne sie ganz zu unterbrechen, sei, Züge in die Luft zu sprengen. Die Araber zeigten dabei auch größeren Eifer, als wenn es sich um bloße Zerstörungen handelte. Wir könnten auch noch nicht von der Bahn abziehen, da die Endstation der stärkste Punkt der Strecke wäre, und wir zögen es vor, dem uns am nächsten stehenden Feind gegenüber schwach zu sein, bis unsere reguläre Armee geübt, ausgerüstet und zahlreich genug sei, um Maan einzunehmen.

Er fragte nach dem Wadi Musa, da türkische Berichte die Absicht verrieten, es demnächst anzugreifen. Ich erklärte, daß wir einen türkischen Angriff auf Wadi Musa mit Absicht herauszufordern versuchten und bald dadurch belohnt werden würden, daß sie in unsere Falle gingen. Wir operierten nicht in festen Formationen, sondern in kleinen Abteilungen, so daß ihre Flugzeuge unsere Stärke nicht feststellen könnten. Auch Spione vermöchten das nicht, denn wir hatten nicht einmal selber die geringste Vorstellung, wie stark wir eigentlich von einem Tag zum andern waren.

Andererseits waren wir über die Türken genau unterrichtet und wußten von jeder Einheit und jedem Mann, den sie verschoben. Sie behandelten uns als reguläres Heer, und bevor sie etwas gegen uns unternahmen, suchten sie die Gesamtstärke auszukundschaften, die wir ihnen entgegenstellen konnten, während wir das von ihnen immer genau wußten. In diesen Jahren bewegte sich der arabische Aufstand auf dem erfreulichen, aber unsicheren Boden zwischen »Können« und »Wollen«. Wir räumten dem Zufall keinen Raum ein, und in all den Monaten war in Akaba der stets wiederkehrende Leitspruch: »Kein Risiko!«

Als es schließlich zu Dschemals großem Angriff auf das Wadi Musa kam, gab es wenig Aufregung. Maulud leitete großartig unsere Gegenwehr. Er wich mit seinem Zentrum aus und ließ mit gutem Humor die Türken in das Wadi einrücken, bis sie mit den Köpfen gegen die senkrecht aufsteigenden Felsen stießen, wohin die Araber sich zurückgezogen hatten. Während die Türken verwirrt und verdutzt haltmachten, fielen die Araber von beiden Seiten zugleich über sie her. Niemals wieder griffen die Türken eine wohlvorbereitete arabische Stellung an. Ihre Verluste waren schwer gewesen; aber der Verlust der Nervenkraft darüber, daß wir unsichtbar waren und dann plötzlich in ihrem Rücken auftauchten, kam ihnen noch teurer zu stehen als ihre Verwundeten und Toten. Dank Maulud brauchte Akaba keinerlei Besorgnisse mehr für seine Sicherheit zu hegen.

siehe Bildunterschrift

Saad el Sikeini.
Pastellzeichnung von Kennington


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