Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundfünfzigstes Kapitel

Während der Nacht verirrten wir uns in den steinigen Klüften von Dhulel, ritten aber bis zur Dämmerung weiter; und eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang, als die Schatten noch lang über die grünen Niederungen fielen, hatten wir unseren früheren Wasserplatz Khau erreicht, dessen Ruinen auf der Höhe sich gegen Serka zackig abhoben. Wir waren gerade dabei, an den zwei Brunnen unsere Kamele für den Rückweg nach Bair zu tränken, als wir einen jungen Tscherkessen sichteten, der seine Kühe zu der reichen grünen Weide bei den Ruinen trieb.

Das kam uns ungelegen, und Saal sandte die allzu Rebellischen von gestern ab, damit sie jetzt bei besserer Gelegenheit ihren Eifer bewiesen und sich an den Hirten heranschlichen; sie brachten ihn auch herbei, unverletzt, aber jämmerlich erschrocken. Die Tscherkessen sind eine großschnäuzige Gesellschaft, frech und unverschämt, wo sie nichts riskieren, aber wenn man ihnen energisch entgegentritt, kriechen sie sofort zusammen. Auch dieser Bursche hier schlotterte vor Angst am ganzen Körper, und das beleidigte unser Gefühl für menschliche Achtung. Wir flößten ihm Wasser ein, bis er sich wieder erholt hatte, und dann veranlaßten wir ihn zu einem Zweikampf auf Dolche gegen einen jungen Scherari, der unterwegs bei einem Diebstahl ertappt worden war; aber nachdem unser Gefangener einen Kratzer abbekommen hatte, warf er sich heulend zu Boden.

Er war für uns eine Last, denn wenn wir ihn freiließen, alarmierte er seine Stammesgenossen und sie sandten ihre Reiter gegen uns aus. Wenn wir ihn an diesem entlegenen Platz festbanden, würde er verhungern und verdursten; und außerdem hatten wir keine Stricke übrig. Ihn zu töten, kam nicht in Frage: es wäre unser, die wir hundert Mann zählten, nicht würdig gewesen. Schließlich erklärte der junge Scherari, er würde, wenn wir ihm freie Hand ließen, die Sache in Ordnung bringen und ihn am Leben lassen.

Er band den Tscherkessen mit dem Handgelenk an seinen Sattel fest und schleppte ihn so eine Stunde lang mit, bis ihm die Luft ausging. Wir waren noch in der Nähe der Bahn, doch vier oder fünf Meilen von Serka entfernt. Der Tscherkesse wurde nun seiner Kleider beraubt, die, wie es die Ehre gebot, dem zufielen, dem der Gefangene gehörte. Dann warf der Scherari ihn zu Boden, mit dem Gesicht nach unten, hob seine Füße hoch, zog seinen Dolch und stach ihn damit tief in beide Sohlen. Der Tscherkesse schrie vor Schmerz und Entsetzen, als sollte er umgebracht werden.

So sonderbar dies Verfahren war, so schien es doch praktisch zu sein und gnädiger, als ihn zu töten. Er konnte wegen seiner Verletzungen nur auf Händen und Knien zur Bahn kriechen, was mindestens eine Stunde in Anspruch nahm; und da er nackt war, mußte er sich dort im Schatten der Felsen halten, bis die Sonne sank. Auf Dank von ihm war nicht zu rechnen; und wir ritten über die reich mit Gras bewachsenen Bodenwellen davon. Die Kamele senkten dabei ständig die Köpfe, um Gras und Pflanzen abzurupfen, so daß der Ritt für uns sehr unbequem war, da wir hoch oben über ihrem tief gesenkten Hals saßen; aber wir mußten sie fressen lassen, da wir achtzig Meilen am Tag ritten und nur in der kurzen Dämmerung morgens und abends Halt machten, um zu verschnaufen.

Kurz nach Tagesanbruch wandten wir uns gen Westen und saßen zwischen zerklüfteten Kalksteinfelsen dicht bei der Bahn ab, um vorsichtig weiter zu schleichen bis an die Station Atwi heran. Ihre beiden Steinhäuser lagen gerade vor uns; das erste war nur hundert Yard von uns entfernt und verdeckte das zweite. Von drinnen hörte man das friedliche Singen der Leute. Ihr Tagewerk begann, und vom Wachraum stieg ein dünner blauer Rauch kräuselnd empor, während ein Soldat eine Herde junger Schafe auf die Wiese zwischen der Station und dem Tal trieb.

Die Herde gab für uns den Ausschlag, denn nach unserem Pferdefutter von rohem Korn verlangte uns nach Fleisch. Den Arabern lief schon das Wasser im Munde zusammen, als sie die Schafe zählten: zehn, fünfzehn, fünfundzwanzig, siebenundzwanzig. Saal stieg in das Talbett hinunter, wo die Strecke über eine Brücke führte, und schlich mit einigen seiner Leute in einer Reihe hinter ihm über die Wiese, bis er der Station gerade gegenüber war.

Von unserem Berg aus deckten wir den Bahnhof. Wir sahen, wie Saal sein Gewehr auf den Damm stützte, den Kopf mit unendlicher Vorsicht hinter den Gräsern am Rande verbergend. Er zielte langsam auf die Kaffee trinkenden Offiziere und Beamten, die im Schatten draußen vor dem Schalterraum auf Stühlen saßen. Er drückte ab, wir hörten den Knall fast zugleich mit dem Aufschlagen der Kugel gegen die Steinmauer, und der dickste von den Kaffee trinkenden Männern fiel langsam in seinem Stuhl zusammen und sank unter den erstarrten Blicken seiner Kameraden auf die Erde.

Einen Augenblick später feuerten Saals Leute eine Salve ab und stürzten aus dem Tal vorwärts; doch die Tür des nördlich gelegenen Hauses wurde zugeschlagen, und hinter seinen eisernen Fensterläden begannen die Gewehre zu sprechen. Wir antworteten, erkannten aber bald unsere Ohnmacht und stellten unser Feuer ein, was dann auch der Feind tat. Die Scherarat trieben die Schafe, die an allem schuld waren, ostwärts in die Berge, wo unsere Kamele waren, und alles rannte zu Saal hinunter, der sich über das näher gelegene, unverteidigte Haus hermachte.

Mitten im Plündern hörten sie plötzlich erschreckt auf. Die Araber waren so geschulte Späher, daß sie die Gefahr bereits witterten, ehe sie noch wirklich da war, und instinktiv zu Vorsichtsmaßregeln griffen, bevor die Überlegung einsetzte. Von Süden her kam auf der Strecke eine Draisine mit vier Mann angefahren, die infolge des Geräuschs der Räder unsere Schüsse nicht gehört hatten. Die Rualla-Abteilung versteckte sich unter einer dreihundert Yard entfernten Unterführung, während wir anderen uns leise bei der Brücke sammelten.

Die Draisine fuhr nichtsahnend an dem Hinterhalt vorbei, und während die Rualla hervorkamen und den Damm dahinter besetzten, bauten wir uns feierlich auf den Grasflächen davor auf. Die Türken bremsten entsetzt, sprangen ab und suchten zu entkommen; aber ein paar Schüsse krachten, und sie waren erledigt. Die Draisine rollte noch bis zu uns mit ihrer Ladung von Kupferdraht und Telegraphengerät, mit dem wir die auf weite Entfernung gehende Leitung »rodeten«. Saal setzte das von uns genommene Stationsgebäude in Brand, und das mit Benzin übergossene Holz stand bald in hellen Flammen. Unterdessen sahen die Ageyl unsere Sprengstoffvorräte nach, und kurz darauf ließen wir eine Unterführung in die Luft gehen und dann noch viele Gleise und fast eine halbe Meile Telegraphenleitung. Bei dem Knall der ersten Explosion sprangen unsere hundert angehalfterten Kamele erschrocken auf, und bei jeder folgenden Explosion hüpften sie immer irrsinniger auf drei Beinen herum, bis sie die hindernde Fessel am vierten abgestreift hatten und sich wie ein Sperlingsschwarm überall hin verstreuten. Um sie und die Schafe wieder einzufangen, brauchten wir drei Stunden, wozu uns die Türken freundlicherweise Zeit ließen, andernfalls hätte mancher von uns daran glauben müssen.

Wir legten erst ein paar Meilen zwischen uns und die Bahn, bevor wir uns zu unserem Hammelschmaus niederließen. Wir waren knapp mit Messern, und nachdem wir abwechselnd die Schafe geschlachtet hatten, griffen wir zu den umherliegenden Feuersteinen, um die Tiere zu zerlegen. Da wir an solche Werkzeuge nicht gewohnt waren, benutzten wir sie, wie man es in der frühen Steinzeit getan hatte. Dabei kam mir in den Sinn, daß wir, wenn das Eisen stets rar gewesen wäre, unsere gebräuchlichen Werkzeuge so geschickt wie die Menschen der paläolithischen Zeit gearbeitet hätten; und wenn wir überhaupt keinerlei Metalle gehabt hätten, so würden wir unsere Kunst am Stein zur höchsten Vollkommenheit entwickelt haben. Unsere hundertzehn Mann aßen die besten Stücke der vierundzwanzig Schafe bei diesem Mahl, während die Kamele draußen weideten oder unsere Abfälle fraßen; denn die besten Reitkamele wurden daran gewöhnt, gekochtes Fleisch zu fressen. Als das Mahl beendet war, saßen wir auf und ritten durch die Nacht nach Bair, das wir ohne Verluste glücklich, gut genährt und reicher als vorher bei Tagesgrauen erreichten.


 << zurück weiter >>