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Neunundfünfzigstes Kapitel

Mit der Aufzählung der verschiedenen Rassen und Religionen ist jedoch die Beschreibung Syriens noch nicht erschöpft. Neben der Landbevölkerung gab es die sechs großen Städte: Jerusalem, Beirut, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo, jede davon ein Gemeinwesen eigenen Charakters mit besonderen Strömungen und Gesinnungen. Die südlichste von ihnen, Jerusalem, eine verwahrloste Stadt, war von allen semitischen Religionen geheiligt worden. Christen wie Mohammedaner pilgerten dorthin zu den heiligen Stätten ihrer Geschichte, und viele Juden sahen in ihr die politische Zukunft ihrer Rasse. Diese Kräfte der Vergangenheit und der Zukunft waren zusammen so stark, daß die Stadt fast keine Gegenwart zu haben schien. Ihre Bevölkerung war, mit wenigen Ausnahmen, charakterlos wie Hotelangestellte, die vom Fremdenverkehr leben. Für die Ideale des arabischen Nationalismus hatten sie nichts übrig; aber da sie Zeugen der haßerfüllten Streitigkeiten unter den Christen gewesen waren, so hatten alle Bevölkerungsklassen Jerusalems das gemeinsam, daß sie uns alle verachteten.

Beirut war eine noch junge Stadt. Man hätte sie nach Sprache und Gesinnung für einen Ableger Frankreichs halten können, wären nicht das griechische Hafenviertel und das amerikanische College gewesen. Die öffentliche Meinung wurde von den christlichen Kaufleuten bestimmt, wohlgenährten Männern, die vom Warenaustausch lebten, da Beirut selbst nichts produzierte. Der nächststärkste Bevölkerungsteil war die Schicht der Rückwanderer, die glücklich waren, mit ihren Ersparnissen in derjenigen Stadt Syriens leben zu können, die am meisten jener Washington Avenue ähnelte, wo sie ihr Geld verdient hatten. Beirut war das Tor Syriens, gewissermaßen ein levantinischer Trödelladen, von dem aus wohlfeile oder abgelegte westländische Ideen den Weg ins Innere des Landes fanden.

Aber in Beirut hatte sich, infolge seiner geographischen Lage, seiner Schulen und seiner freien, im Verkehr mit den Fremden entstandenen Ansichten, vor dem Kriege eine geistige Elite entwickelt, die dachte und schrieb wie die doktrinären Enzyklopädisten Frankreichs, die der Revolution den Weg gebahnt hatten. Ihretwegen mußte man mit Beirut rechnen, aber auch wegen des Reichtums der Stadt, und weil sie sich stets laut und vernehmlich bemerkbar machte.

Damaskus, Homs, Hama und Aleppo waren die vier alten Städte, der Stolz des geborenen Syriers. Sie zogen sich wie eine Kette längs der fruchtbaren Täler zwischen den Bergen und der Wüste hin. Dieser Lage wegen waren sie der See ab- und dem Innern zugewandt. Sie waren arabisch, bewußt arabisch. Und ihre (und Syriens) natürliche Hauptstadt war Damaskus, der Sitz der weltlichen Regierung und der religiöse Mittelpunkt des Landes. Seine Scheiks waren die Führer der öffentlichen Meinung, waren »mekkanischer« gesinnt als irgendwo anders. Seine lebhaften und unruhigen Bewohner, stets geneigt loszuschlagen, waren in Worten und Taten ebenso zu Extremen geneigt wie in ihren Vergnügungen. Die Stadt rühmte sich, eher als jeder andere Teil Syriens in Bewegung zu geraten. Die Türken machten sie zu ihrem militärischen Hauptquartier, ebenso wie es zum Zentrum der arabischen Nationalbewegung wurde. Damaskus war der Magnet, der alle Araber anzog: eine Hauptstadt, die sich nicht ohne weiteres irgendeinem fremden Volk untergeordnet hätte.

Homs und Hama waren ungleiche Zwillinge. Beide Städte waren bekannt durch ihre Industrien: in Homs wurden meist Wolle und Baumwolle verarbeitet, in Hama Seiden und Brokate hergestellt. Ihre Fabrikanten waren geschickt darin, neue Absatzgebiete zu finden und sich neuen Geschmacksrichtungen in Nordafrika, auf dem Balkan, in Kleinasien, Arabien oder Mesopotamien anzupassen. Diese Städte bewiesen die Gabe Syriens für eine Produktion, die unabhängig vom fremden Einfluß war, wie Beirut die Gabe Syriens für den Handel zeigte. Aber während der Wohlstand Beiruts diesem eine levantinische Prägung gab, verstärkte der Wohlstand von Homs und Hama ihre Verwurzelung mit dem Lande: sie wurden sich nur noch mehr ihres Volkstums bewußt und wachten eifersüchtig darüber. Es schien fast, als ob die Bekanntschaft mit Maschine und Betriebskraft das Volk gelehrt hätte, daß ein Festhalten an der Väterart das beste wäre.

Aleppo war eine Großstadt, die zwar in Syrien lag, aber nicht eigentlich zu Syrien gehörte, ebensowenig wie zu Anatolien oder Mesopotamien. Dort trafen die Völker, Religionen und Sprachen des Türkischen Reiches zusammen, kannten und duldeten einander. Diese dicht sich drängende Vielgestaltigkeit, die die Straßen der Stadt zu einem bunten Kaleidoskop machte, schuf im Aleppiner eine kompromißlerische Denkweise, die alles das dämpfte, was in Damaskus lärmend hervortrat. Aleppo hatte an allen Zivilisationen, die über die Stadt hinweggegangen waren, Anteil gehabt: das Ergebnis davon schien eine gewisse Überzeugungslahmheit bei den Bewohnern zu sein. Aber auch so übertrafen sie noch das ganze übrige Syrien. Sie waren kämpferischer, handelseifriger, fanatischer und lasterhafter und fabrizierten die herrlichsten Dinge; aber all das mit einer Gefühlsdürre, welche die mannigfache Kraft der Stadt unfruchtbar erscheinen ließ.

Es war typisch für Aleppo, daß bei allem stark ausgeprägten mohammedanischen Empfinden doch mehr Eintracht zwischen Christen und Mohammedanern, Armeniern, Arabern, Türken, Kurden und Juden herrschte als wohl in irgendeiner anderen Stadt des Türkischen Reiches, und daß man den Europäern freundlicher entgegenkam, ohne ihnen freilich viel Konzessionen zu machen. Politisch hielt sich die Stadt völlig abseits, abgesehen von den arabischen Vierteln, die, wie übergroße halbnomadische Dörfer, durchsetzt von kostbaren mittelalterlichen Moscheen, sich östlich und südlich von der Mauerkrone der großen Zitadelle erstreckten. Die Kraft ihres wurzelhaften nationalen Fühlens färbte auf die Masse der Bürger draußen ab und wurde zu einer Art Lokalpatriotismus, der viel weniger lebendig war als die durch die geistigen Einflüsse Beiruts zustande gekommene Einmütigkeit von Damaskus.

Der Hauptschlüssel, der uns den Zugang zu allen diesen Völkern Syriens öffnete, war ihre gemeinsame arabische Sprache. Die Unterschiede zwischen ihnen waren politischer und religiöser Natur; moralisch unterschieden sie sich nur durch die allmählichen Abstufungen von neurotischer Empfindsamkeit an der Küste bis zur steifen Zurückhaltung im Binnenland. Sie waren von schneller Auffassungsgabe, waren Verehrer, aber nicht Sucher der Wahrheit, selbstzufrieden, nicht hilflos gegenüber abstrakten Ideen (wie die Ägypter), aber unpraktisch und geistig so lässig, daß sie meist oberflächlich dachten. Ihr Ideal war Muße, bei der sie sich mit den Angelegenheiten anderer beschäftigen konnten.

Von Kindesbeinen an waren sie ohne Gesetz aufgewachsen, gehorchten ihren Eltern nur aus Furcht vor körperlicher Strafe und der Regierung später aus dem gleichen Grunde; aber es gab wenig Völker, die vor dem Gewohnheitsrecht so hohe Achtung hatten wie die Hochlandsyrier. Alle wollten sie etwas Neues: denn mit ihrer Oberflächlichkeit und Gesetzlosigkeit ging eine Leidenschaft für Politik einher, eine Kunst, die der Syrier mit verhängnisvoller Leichtigkeit handhabte, die aber zu meistern ihm zu schwierig war. Sie waren stets mit der Regierung, die sie gerade hatten, unzufrieden, und das war ihr geistiger Stolz; aber wenige nur dachten ernstlich über eine brauchbare Änderung nach, und noch weniger waren sie darüber einer Meinung.

In den seßhaften Teilen Syriens gab es kein größeres bodenständiges politisches Gemeinwesen als das Dorf, in den patriarchalischen Teilen Syriens kein komplizierteres als den Clan. Diese Gemeinschaften hatten keine festen Formen, sie beruhten auf dem freien Willen ihrer Mitglieder, entbehrten der gesetzlich bindenden Kraft; ihre Oberhäupter wurden von den bevorrechtigten Familien gestellt und nur durch den losen Kitt der öffentlichen Meinung bestätigt. Über diesen Einrichtungen stand das von den Türken eingeführte bürokratische System, das in der Praxis leidlich gut oder sehr schlecht war, je nach der menschlichen Zulänglichkeit seiner Träger (meist waren es die Polizisten), die in letzter Instanz seine ausführenden Kräfte waren.

Die Syrier, auch die bestunterrichteten, zeigten eine merkwürdige Blindheit für die Unwichtigkeit ihres Landes und ebenso einen Verständnismangel für die Selbstsucht der Großmächte, die üblicherweise erst für ihre eigenen Interessen sorgten und dann erst für die der waffenlosen Völker. Ein Teil der Syrier verlangte offen ein arabisches Königreich, meist waren es Mohammedaner. Im Gegensatz dazu forderten die katholischen Christen eine europäische Schutzherrschaft in einer sie entlastenden Form, die ihnen wohl Vorrechte gewährte, aber keine Pflichten auferlegte. Beide Tendenzen waren natürlich keineswegs nach dem Sinn der nationalsyrischen Kreise, die ein selbständiges Syrien forderten und wohl etwas von Autonomie wußten, aber Syrien nicht kannten. Denn im Arabischen gab es keine Bezeichnung dafür, noch eine solche für die Gesamtheit des Landes, das sie meinten. Die sprachliche Unzulänglichkeit ihres von Rom erborgten Namens war ein Symptom für die politische Zusammenhanglosigkeit. Zwischen Stadt und Stadt, Dorf und Dorf, Familie und Familie, Religion und Religion bestanden tiefgreifende Gegensätze, die von den Türken fleißig geschürt wurden.

Die Zeit schien bewiesen zu haben, daß in solchem Lande Selbständigkeit und Einheit unmöglich waren. In der Geschichte war Syrien ein Korridor zwischen der See und der Wüste gewesen, der Afrika und Asien, Arabien und Europa miteinander verband. Es war der Söldner und Vasall Anatoliens, Griechenlands, Roms, Ägyptens, Arabiens, Persiens und Mesopotamiens gewesen. Wenn es infolge der Schwäche seiner Nachbarn einmal vorübergehend unabhängig geworden war, hatte es sich sofort in einander feindliche nördliche, südliche, westliche und östliche »Königreiche« aufgelöst. Denn wenn Syrien seinem Wesen nach ein Vasallenland war, so war es andererseits von jeher ein Land unermüdlicher Agitation und ständiger Revolten gewesen.

Das einzige Band war die gemeinsame Sprache, und sie war auch der Boden, aus dem seine Vorstellungskraft erwuchs. Die Mohammedaner, deren Muttersprache Arabisch war, hielten sich aus diesem Grunde für ein auserwähltes Volk. Ihr Erbe, der Koran und die klassische Literatur, hielt die arabischsprechenden Völker zusammen. Der Patriotismus, der gewöhnlich in dem Boden oder der Rasse verwurzelt ist, war hier an eine Sprache gebunden.

Ein zweiter Stützpunkt für eine arabische Staatenbildung war der fadenscheinig gewordene Ruhm der frühen Kalifen, deren Andenken das Volk durch die Jahrhunderte türkischer Mißherrschaft bewahrt hatte. Der zufällige Umstand, daß diese Traditionen mehr auf die Märchen von Tausendundeine Nacht als auf die historische Wirklichkeit zurückgingen, festigte die Araber in der Überzeugung, daß ihre Vergangenheit glänzender gewesen war, als die Gegenwart des Osmanischen Reichs.

Aber wir wußten, daß dies Träume waren. Auch wenn eine arabische Regierung in Syrien sich auf die arabischen Traditionen stützte, würde sie für ebenso »aufgezwungen« gelten wie die türkische Regierung oder ein fremdes Protektorat oder das historische Kalifat. Syrien blieb völkisch und religiös ein buntes Mosaik. Jeder groß angelegte Versuch mußte, nachdem die Einheit errungen war, doch wieder ein scheckiges, vielfach geteiltes Land zurücklassen und keinen Dank bei einem Volk ernten, das instinktiv immer wieder zu einer Kirchturmpolitik zurückkehrte.

Unsere Entschuldigung dafür, daß wir uns über unsere eigne Erkenntnis hinwegsetzten, war der Krieg. Syrien, das für spontane örtliche Aufstände reif war, konnte zu einem allgemeinen Aufstand gebracht werden, wenn ein neuer Faktor hinzukam, der den zentripetalen Nationalismus der Beiruter Enzyklopädisten in die Wirklichkeit umzusetzen versprach und so die Gegensätze der Sekten und Klassen zurückdrängte. Es mußte dies ein neuer Faktor sein, der nicht wieder aus sich selbst heraus Zwietracht stiften konnte, und er durfte nicht vom Ausland her kommen, da dies der Eigendünkel Syriens verbot.

Der einzige unabhängige Faktor, den wir entdeckten, der genügend Fundament hatte und genügend streitbare Anhänger fand, war ein sunnitischer Fürst wie Faisal, der den Anspruch erhob, den Ruhm der Omaijaden oder Ejjubiden wiederzuerwecken. Er mochte für den Augenblick die Bewohner des Binnenlandes zusammenhalten, bis der Erfolg da war und mit ihm die Notwendigkeit, die hochgetriebene Begeisterung des Landes in den Dienst einer geordneten Regierung zu stellen. Dann würde die Reaktion kommen – aber erst nach dem Siege; und für den Sieg mußte man alle materiellen und moralischen Bedenken zurückstellen.

Blieb noch, die Technik des neuen Aufstandes zu finden und die Richtung, in der er gehen mußte – aber die konnte ein Blinder sehen. Das kritische Zentrum Syriens war zu allen Zeiten das Jarmuktal gewesen: Hauran und Dera. Wenn Hauran sich uns anschloß, war uns der Erfolg sicher. Wir mußten dabei in ähnlicher Weise vorgehen wie von Wedsch nach Akaba und eine Leiter von Stämmen bilden, auf deren Sprossen wir emporstiegen; nur daß die Sprossen diesmal die Howeitat, Beni Sakhr, Scherarat, Rualla und Serahin waren, über die wir dreihundert Meilen weit bis nach Asrak kommen würden, der am nächsten von Hauran und dem Dschebel Drus gelegenen Oase.

Für die Entscheidung mußten wir unsere Operationen wie beim Seekrieg entwickeln, mußten beweglich, allgegenwärtig, unabhängig von Basis und Verbindungslinien sein, uns um keine Bodengestaltungen, keine strategisch günstigen Gebiete, keine festen Richtungen, keine festen Punkte kümmern. »Wer die See beherrscht, hat die größte Freiheit und kann sich so sehr oder so wenig in den Krieg einlassen, wie er Lust hat.« Und wir beherrschten die Wüste. Die Kameltrupps konnten, auf sich selbst gestellt wie die Schiffe, unbesorgt auf der Wüste kreuzen, entlang der feindlichen Küste: dem bebauten Land, und sich stets ungehindert wieder in ihr Element zurückziehen: die Wüste, die die Türken nicht ausnutzen konnten.

Die Praxis würde dann lehren, an welchem Punkt des feindlichen Organismus im besonderen wir anpacken mußten. Unsere Taktik mußte sein: angreifen und gleich wieder zurückgehen – kein systematisches Vorgehen, sondern kurze Schläge. Wir durften niemals versuchen, einen Vorteil auszunutzen, und mußten die kleinste Truppe auf kürzeste Zeit an dem entferntesten Ort einsetzen.

Die für einen so weiträumigen Krieg notwendige Schnelligkeit und Beweglichkeit war gesichert durch die Bedürfnislosigkeit der Wüstenbewohner und ihre Leistungsfähigkeit auf Kamelen. Das Kamel, dieses seltsame und groteske Werk der Natur, war in erfahrenen Händen von einer erstaunlichen Ergiebigkeit. Zu Kamel waren wir sechs Wochen lang unabhängig vom Nachschub, wenn jeder Mann einen halben Sack Mehl von fünfundvierzig Pfund Gewicht an seinem Sattel hängen hatte.

Wasser brauchten wir nicht mehr als einen halben Liter pro Kopf mitzunehmen. Die Kamele mußten getränkt werden, und es hatte keinen Sinn für uns, daß wir uns selbst besser versorgten als unsere Reittiere. Einige von uns tranken ausschließlich an den Brunnen; aber das waren gestählte Männer; die meisten tranken sich an den Brunnen voll und nahmen außerdem noch einen Trunk für einen wasserlosen Tag mit. Im Sommer hielten die Kamele nach der Tränke etwa zweihundertfünfzig Meilen aus, drei Tage lang einen rüstigen Marsch. Ein leichter Tagemarsch betrug fünfzig Meilen; achtzig Meilen war schon eine gute Leistung; im Notfall schafften wir hundertundzehn Meilen in vierundzwanzig Stunden; zweimal erreichte ich allein auf der Ghasala, unserem berühmtesten Kamel, hundertvierunddreißig Meilen. Die Brunnen waren selten hundert Meilen voneinander entfernt, so daß die Wasserreserve von einem halben Liter genügend Spielraum bot.

Wenn wir für sechs Wochen Proviant mit hatten, konnten wir tausend Meilen weit und wieder zurückreiten. Die Ausdauer unserer Kamele machte es uns möglich (und mir, der ich ein Neuling darin war, schmerzlich), fünfzehnhundert Meilen in dreißig Tagen zu reiten, ohne Furcht, verhungern zu müssen. Denn selbst wenn wir die Zeit überschritten, hatte doch jeder zweihundert Pfund eßbares Fleisch unter sich, und der Mann, der sein Kamel verlor, konnte notfalls mit einem anderen zusammen reiten.

Bei der Ausrüstung dieser Kameltruppen mußten wir auf möglichste Einfachheit bedacht, aber nichtsdestoweniger in dem für uns wichtigen Punkt den Türken technisch überlegen sein. Ich schrieb nach Ägypten um möglichst viel leichte Maschinengewehre, Hotchkiss oder Lewis. Die Leute, die wir zu ihrer Bedienung ausbildeten, wurden absichtlich über den Mechanismus im unklaren gelassen, damit sie im Gefecht keine Zeit an Reparaturen verschwendeten. Unsere Schlachten dauerten nur Minuten, wir kämpften mit achtzehn Meilen Stundengeschwindigkeit. Wenn ein Maschinengewehr eine Ladehemmung hatte, mußte die Mannschaft es stehenlassen und mit der Flinte vorgehen.

Ein anderes vorzügliches Mittel für uns waren die Sprengstoffe. Wir entwickelten neue Methoden in ihrem Gebrauch, und am Ende des Krieges konnten wir jede gewünschte Menge Gleise und Brücken mit den sparsamsten Mitteln und der größten Sicherheit für uns selbst zerstören. Allenby war freigebig mit Sprengstoffen. Nur Geschütze bekamen wir erst im letzten Monat – schade darum! Im Bewegungskrieg ist ein einziges weittragendes Geschütz mehr wert als neunundneunzig Steilfeuergeschütze.

Die Zusammensetzung der Überfalltrupps entsprach nicht den herkömmlichen Regeln. Wir konnten wegen des gegenseitigen Mißtrauens nicht Angehörige verschiedener Stämme zusammentun, noch konnten wir mit einem Stamm in dem Gebiet des anderen arbeiten. Zum Ausgleich dafür strebten wir, uns auf möglichst weite Gebiete zu verteilen, und vereinten Beweglichkeit mit Schnelligkeit, indem wir einen Distrikt am Montag, einen zweiten am Dienstag, einen dritten am Mittwoch bearbeiteten. In diesem Bestreben füllten wir unsere Reihen bei jedem neuen Stamm mit neuen Leuten auf und hielten so unsere ursprüngliche Schlagkraft aufrecht. Richtig verstanden, war die höchste Unordnung unser Gleichgewicht.

Die innere Unabhängigkeit unserer Überfalltrupps bedingte Unregelmäßigkeit bei äußerster Präzision. Da die Umstände, unter denen wir arbeiteten, nie zweimal einander glichen, konnten wir auch kein System zweimal anwenden, und unsere Wandelbarkeit verdarb dem feindlichen Nachrichtendienst das Konzept. Wenn die Bataillone und Divisionen gleich groß waren, ergab sich der Nachrichtendienst von selbst, so daß man schließlich aus den Toten von drei Kompanien auf ein Korps schließen konnte. Unsere Stärke lag in unserer Veränderlichkeit.

Wir dienten einem gemeinsamen Ideal, ohne Rücksicht auf die Stammesbindungen, und konnten daher auf keinen Korpsgeist rechnen. Normale Soldaten werden zu einer Kaste gemacht durch hohe Bezahlung, besondere Kleidung, besondere Vorrechte oder auch durch Absonderung von der übrigen Bevölkerung. Wir konnten unsere Leute nicht so zusammenschmieden, denn unsere Stämme kämpften freiwillig. Bei uns konnte jeder Araber ungestraft nach Hause gehen, sobald er nicht mehr von unserer Sache überzeugt war: der einzige Vertrag, der ihn band, war die Verpflichtung der Ehre.

Der arabische Krieg mußte sich auf den einzelnen stützen. Jeder angeworbene Mann sollte in vorderster Linie kämpfen und war ganz auf sich selbst gestellt. Die Schlagkraft unserer Truppen lag in der Schlagkraft des einzelnen Mannes. Es schien mir, daß bei unserer Art der Kriegführung die Summe der Einzelleistungen dem Ergebnis eines regulären Armeesystems von der gleichen Stärke mindestens gleichkommen würde.

Praktisch brauchten wir in der Feuerlinie nicht die Massen von Menschen einzusetzen, die unser vereinfachtes System uns theoretisch zur Verfügung stellte, damit unser Angriff (im Gegensatz zu der Drohung, die wir für den Feind bedeuteten) nicht zu weit ausgedehnt wurde. Die moralische Anstrengung, allein zu kämpfen, machte diese »Einzelkriegführung« für den Soldaten sehr schwer, da sie von ihm besonders große Entschlußkraft, Ausdauer und Hingabe verlangte. Der irreguläre Krieg stellte viel mehr Anforderungen an die Intelligenz als ein Angriff mit gefälltem Bajonett und war weit erschöpfender als der Dienst in einer auf Massengehorsam gegründeten regulären Armee. Der Guerillakrieg mußte freien Spielraum haben; wenn zwei Mann zusammen vorgingen, war einer schon überflüssig. Unser Ideal mußte sein, unsere Schlacht in eine Reihe von Einzelkämpfen aufzulösen und unsere Front zu einem verständnisvollen Nebeneinander geschickter Generäle zu machen.


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