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Siebenundfünfzigstes Kapitel

Clayton gegenüber sprach ich mich ganz rückhaltlos aus. Akaba war nach meinen Plänen und auf meine Initiative hin erobert worden, und die ganze Verantwortung hatte allein auf meinen Schultern gelastet. Ich fühlte mich befähigt, weit mehr noch zu tun, und wollte noch mehr tun: – ob er nicht auch der Meinung wäre, daß ich mir nun ein Recht erworben hätte, mein eigener Herr zu sein? Bei den Arabern hieße es, jeder hielte seine Läuse für Gazellen. Und das täte ich, weiß Gott.

Clayton gab zu, daß da recht beträchtliche und brauchbare Läuse vorhanden wären, wandte aber ein, daß man das Kommando nicht gut einem an Rang jüngeren Offizier geben könnte. Er schlug Joyce als Kommandant von Akaba vor, eine Lösung, die mir durchaus behagte. Auf Joyce konnte man Häuser bauen, er war ein heiterer, umgänglicher, zuverlässiger Charakter. Er hatte reiche Erfahrungen in Rabegh und Wedsch gesammelt, während er sich dort eben jener Tätigkeit des Aufbaus einer Armee und einer Basis gewidmet hatte, die jetzt in Akaba notwendig war. Ähnlich wie Clayton eignete er sich als ausgleichendes Element zwischen Gegensätzlichkeiten, aber er, der derbe Ire mit seiner weit über sechs Fuß hohen Gestalt, war aufgeschlossener und heiterer als jener. Es lag in seinem Wesen, sich der nächstliegenden Aufgabe voll zu widmen, ohne sich dabei über fernere Möglichkeiten den Kopf zu zerbrechen. Und dann war er geduldig wie ein Erzengel und lächelte nur auf seine gewinnende Art, wenn ich ihm mit umstürzlerischen Plänen kam.

Das übrige machte keine Schwierigkeit. Als Nachschuboffizier sollten wir Goslett bekommen, einen Londoner Geschäftsmann, der bereits in dem Durcheinander in Wedsch gründliche Ordnung geschaffen hatte. Die Flugzeuge waren zur Zeit noch nicht verwendungsfähig, aber die Panzerwagen konnten sofort nach Akaba geschickt werden, und – falls der Admiral freigebig war – würden wir auch ein Wachtschiff bekommen. Wir riefen Sir Rosslyn Wemyss an, und seine Gefälligkeit übertraf unsere Erwartungen: sein eigenes Flaggschiff, die »Euryalus«, sollte für die ersten paar Wochen in Akaba stationiert werden.

Das war großartig, denn in Arabien bewertet man die Schiffe nach der Zahl der Schornsteine, und der »Euryalus« besaß ganz ausnahmsweise deren vier. Ein so ansehnliches Schiff würde die Bergvölker unmittelbar davon überzeugen, daß wir wirklich die siegreiche Seite waren; und außerdem würde uns eine sehr starke Besatzung, dank des stets bereitwilligen Kommandanten, Everard Fielding, noch so ganz nebenbei einen nützlichen Landungskai bauen.

Bezüglich der arabischen Streitkräfte schlug ich vor, das ausgedehnte und wenig günstige Wedsch ganz aufzulassen und Faisal mit seiner Armee nach Akaba heranzuziehen. Das schien Kairo ein übereilter Vorschlag. So ging ich noch weiter und erklärte, daß die Bedeutung des Abschnitts Janbo-Medina ebenfalls in den Hintergrund getreten wäre, und riet, die Vorräte, Geld und Offiziere, die jetzt für Ali und Abdulla bestimmt waren, nach Akaba überzuleiten. Das wurde als unmöglich abgeschlagen. Aber dafür wurden mir meine Wünsche, soweit sie Wedsch betrafen, voll bewilligt.

Dann wies ich darauf hin, daß Akaba die rechte Flanke Allenbys war, von seinem Zentrum nur hundert, von Mekka dagegen achthundert Meilen entfernt. Mit dem Fortschreiten des arabischen Aufstandes würde sein Schwergewicht sich mehr und mehr nach Palästina hin verschieben. Es war daher nur folgerichtig, Faisal aus dem Machtbereich König Husseins zu lösen und ihn als einen der Armeeführer Allenby, dem Oberkommandierenden des Vormarsches der Verbündeten von Ägypten, zu unterstellen.

Dieser Gedanke barg Schwierigkeiten. Würde Faisal dazu bereit sein? Ich hatte schon vor Monaten in Wedsch mit ihm darüber gesprochen. Und wie stellte sich der Hohe Kommissar von Ägypten zu dieser Frage? Faisals Armee war die stärkste und am besten geschulte im Hedschas und versprach auch in Zukunft noch eine bedeutende Rolle zu spielen. General Wingate hatte die volle Verantwortung für den arabischen Aufstand gerade in den kritischsten und trübsten Stunden auf sich genommen und dabei Ruf und Stellung riskiert: konnte man ihm zumuten, gerade jetzt an der Schwelle des Erfolges den Ruhm des Gelingens andern zu überlassen?

Clayton, der Wingate gut kannte, hatte keine Scheu, ihm den Vorschlag zu unterbreiten. Wingate war sofort einverstanden und erwiderte, daß es ihm, wenn diese direkte Unterstellung dem guten Ausgang der Sache diente, nicht nur eine Pflicht, sondern auch eine Freude wäre, Faisal dem General Allenby zu überlassen.

Eine letzte Schwierigkeit für die Umgruppierung bildete König Hussein, ein eigensinniger, mißtrauischer Charakter und voraussichtlich kaum geneigt, seine sorglich gehätschelte Eitelkeit im Interesse einheitlicher Führung aufzugeben. Sein Widerstand konnte den ganzen Plan gefährden; daher bot ich mich an, selbst hinunterzugehen und auf ihn einzuwirken. Unterwegs wollte ich bei Faisal vorsprechen und von ihm die wärmsten Empfehlungen für die Umwandlung mitnehmen, um dadurch dem eindringlichen Brief Wingates an König Hussein den nötigen Nachdruck zu geben. Damit war man einverstanden, und die »Dufferin«, die eben von Akaba zurückkam, erhielt Befehl, mich nach Dschidda zu bringen.

Sie brauchte zwei Tage bis Wedsch. Faisal, Joyce, Newcombe und das ganze Heer lagen in Dscheda, hundert Meilen weiter landeinwärts. Stent, Nachfolger von Ross als Kommandant der arabischen Flieger, stellte mir ein Flugzeug zur Verfügung; und so glitten wir mit sechzig Meilen in der Stunde bequem über die Berge weg, die ich vorher so mühselig auf dem Kamel überklettert hatte.

Faisal war begierig, Einzelheiten über Akaba zu hören, und amüsierte sich über unsere Anfängerart, Krieg zu führen. Wir saßen die ganze Nacht beisammen und machten Pläne. Faisal schrieb an seinen Vater, beorderte sein Kamelreiterkorps sofort nach Akaba und traf die ersten Vorbereitungen dazu, um Dschaafar-Pascha mit seiner Armee durch die immer bereite »Hardinge« heranführen zu lassen.

In der Frühe flog ich nach Wedsch zurück, und eine Stunde später fuhr die »Dufferin« nach Dschidda ab, wo mir Wilsons mächtige Hilfe alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumte. Er sandte uns eine Schiffsladung Reserveproviant und Munition für unseren jetzt wichtigsten Abschnitt Akaba und erklärte sich bereit, uns jeden seiner Offiziere zur Verfügung zu stellen. Wilson war durch Wingates Schule gegangen.

König Hussein traf von Mekka her ein, und es wurde über dies und jenes hin und her geredet. Wilson war gewissermaßen das königliche Versuchskarnickel, an dem er zweifelhafte Entschlüsse zunächst auf ihre Wirkung hin ausprobieren konnte. Dank Wilson wurde die Unterstellung Faisals unter Allenby angenommen; und König Hussein nahm die Gelegenheit wahr, seine ehrliche Anhängerschaft an unser Bündnis zu betonen. Dann wechselte er das Thema und kam – wie stets ohne jeden sichtlichen Zusammenhang – auf seine religiöse Stellung zu sprechen. Er war weder strenger Schiit noch strenger Sunnit und hielt es mehr mit einer schlichten, über dem Schisma stehenden Auslegung des Glaubens. So großzügig seine Stellung zu den überweltlichen Dingen war, ebenso beschränkt und engstirnig dachte er in Sachen der Politik und verriet dabei jene niedrige Einstellung des kleinen Mannes, die dem Gegner jede Ehrlichkeit der Gesinnung von vornherein abspricht. Ich spürte etwas von der unausrottbaren Eifersucht, die den modern denkenden Faisal am Hof seines Vaters verdächtig machte, und begriff, wie leicht es jedem Unheilstifter fallen mußte, das Mißtrauen des Königs aufzustacheln.

Während wir über derlei interessante Dinge in Dschidda sprachen, wurde unser Friede jäh aufgestört durch zwei aus Ägypten eintreffende Telegramme. In dem ersten hieß es, daß die Howeitat in verräterischer Verbindung mit Maan ständen; das zweite brachte Auda mit dem Anschlag in Verbindung. Wir waren völlig bestürzt. Wilson war lange mit Auda gereist und konnte sich für seine absolute Ehrlichkeit verbürgen. Mohammed el Dheilan hingegen war wohl eines Doppelspiels fähig, und auch Ibn Dschad mit seinen Freunden waren unsichere Kantonisten. Wir beschlossen, sofort nach Akaba zu gehen. Verrat war bei dem Plan, den ich mit Nasir zur Verteidigung des Platzes aufgestellt hatte, ganz und gar nicht in Rechnung gesetzt.

Zum Glück lag die »Hardinge« im Hafen für uns bereit. Am dritten Tage nachmittags kamen wir in Akaba an, wo Nasir von nichts Verdächtigem wußte. Ich sagte ihm nur, daß ich Auda begrüßen möchte. Er gab mir ein flinkes Kamel nebst Führer, und bei Morgengrauen war ich in Guweira und fand Auda, Mohammed und Saal alle in einem Zelt versammelt. Sie waren etwas verwirrt, als ich so plötzlich und unangemeldet unter ihnen erschien, versicherten aber, daß alles in Ordnung wäre. Als gute Freunde setzten wir uns zum Essen zusammen.

Noch andere Howeitat kamen hinzu, und es gab ein allgemeines Geschwätz über den Krieg. Ich verteilte die Geschenke des Königs und erzählte zu aller Belustigung, daß Nasir nun doch seine vier Wochen Urlaub nach Mekka bekommen hätte. Der König war so begeistert von seinem Aufstand, daß er meinte, auch seine Untergebenen müßten ebenso standhaft bei der Sache aushalten. Daher wollte er Beurlaubungen nach Mekka nicht gestatten; aber die Männer sahen den ununterbrochenen Dienst bei der Fahne denn doch als eine etwas schwer zu ertragende Verbannung von ihren Frauen an. Wir hatten oft genug mit Nasir darüber gescherzt, daß er sich nach der Einnahme von Akaba ausgiebige Festtage verdient habe; aber er glaubte im Ernst nicht an den Urlaub, bis ich ihm am Abend vorher den Brief des Königs überreichte. Zum Dank dafür verkaufte er mir die Ghasala, die herrliche Kamelstute, die er von den Howeitat erhalten hatte. Ihr Besitz verknüpfte mich noch enger mit den Abu Taji.

Nach dem Essen wurde ich unter dem Vorwand, schlafen zu wollen, die Besucher los. Und dann forderte ich Auda und Mohammed unvermittelt auf, mit mir einen Spaziergang zu machen und das zerstörte Fort zu besichtigen. Sobald wir allein waren, kam ich auf ihren neuesten Briefwechsel mit den Türken zu sprechen. Auda lachte los, und Mohammed blickte mißmutig drein. Schließlich erzählten sie mir umständlich, daß Mohammed das Siegel Audas entwendet und an den Gouverneur von Maan einen Brief geschrieben hätte, worin sich beide erboten, von der Sache des Königs abzufallen. Die Türken hatten sehr erfreut geantwortet und große Belohnungen versprochen, worauf Mohammed um eine kleine Abschlagszahlung bat. Nun bekam Auda Wind davon, wartete ruhig, bis der Bote mit den Geschenken unterwegs war, fing ihn ab, raubte ihn bis aufs Hemd aus und verweigerte Mohammed seinen Anteil an der Beute. Soweit war das Ganze nur eine Farce, und wir lachten weidlich darüber; es steckte jedoch mehr dahinter.

Sie waren verstimmt, daß man bisher noch keine Truppen und Geschütze zu ihrer Verstärkung geschickt hatte und daß die erhofften Belohnungen für die Einnahme von Akaba ausgeblieben waren. Beide mühten sich herauszubekommen, wer mich über ihre geheimen Verhandlungen unterrichtet hatte und wieviel ich davon wußte. Damit gerieten wir auf schlüpfrigen Boden. Ich ließ sie zappeln, als bemerkte ich nicht ihre sichtliche Furcht, und erwähnte ganz unbekümmert und so, als wären es meine Worte, einzelne von ihren eignen Sätzen, die in den Briefen gestanden hatten. Das hatte die gewünschte Wirkung.

Dann erwähnte ich so nebenbei, daß Faisal mit seiner ganzen Armee nach Akaba käme und was für Mengen an Gewehren, Geschütz, Sprengmaterial, Lebensmitteln und Geld Allenby herunterschicken würde. Zuletzt kam ich darauf zu sprechen, daß Auda durch seine Repräsentationspflichten in letzter Zeit sicher große Ausgaben gehabt hätte: ob ich ihm nicht aushelfen könnte mit einem kleinen Vorschuß auf die große Gabe, die ihm Faisal nach seiner Ankunft in Akaba persönlich überreichen werde? Auda mochte wohl erkennen, daß der gegenwärtige Augenblick nicht unergiebig, Faisal sogar sehr gewinnbringend war, und daß ihm zuletzt immer noch die Türken blieben, wenn die andern Hilfsquellen versagten. So erklärte er sich denn, sichtlich hochbefriedigt, bereit, den Vorschuß anzunehmen, und damit auch die Verpflichtung, seine Howeitat ausreichend zu ernähren und in guter Stimmung zu erhalten.

Gegen Sonnenuntergang waren wir wieder beim Zelt. Saal hatte ein Schaf geschlachtet, und es wurde in aller Freundschaft getafelt. Danach ritt ich zurück, begleitet von Mufadhdhi (der den Vorschuß für Auda mitnehmen sollte) und von Abd el Rahman, einem Diener Mohammeds, der – wie er mir zuflüsterte – eine kleine Gabe mitnehmen sollte, die ich etwa Mohammed extra zu übersenden wünschte. Wir ritten die Nacht hindurch, und dann weckte ich Nasir aus dem Schlaf, um mit ihm die letzten Geschäfte zu erledigen. Darauf paddelte ich in einem herrenlosen Kanu von der »Euryalus-Landungsbrücke« zur »Hardinge«, die ich beim ersten Morgengrauen erreichte.

siehe Bildunterschrift

Allenby.
Pastellzeichnung von Kennington

Ich ging in meine Koje, badete und schlief bis gegen Mittag. Als ich auf Deck kam, dampfte das Schiff bereits in voller Fahrt durch den schmalen Golf Ägypten zu. Mein Erscheinen verursachte allgemeines Erstaunen, denn man hatte erwartet, daß ich gut sechs bis sieben Tage brauchen würde, um nach Guweira zu reiten, mich über den dortigen Stand der Dinge zu unterrichten und wieder zurückzukehren, und daß ich daher mit einem späteren Dampfer nachkommen würde.

Wir stellten die Verbindung mit Kairo her und meldeten, daß die Lage in Guweira durchaus zufriedenstellend wäre und keinerlei Verrat bestünde. Das entsprach kaum der Wahrheit, aber da uns Ägypten am Dasein erhielt nur auf Kosten seiner eigenen Sicherheit, mußten wir politisch gefährliche Wahrheiten unterdrücken, um sein Vertrauen und die Legende über uns aufrechtzuerhalten. Die Menge verlangt stets nach Romanhelden und vermag nicht zu begreifen, um wieviel menschlicher der alte Auda fühlte, weil er, nach Kampf und Mord, Erbarmen hat mit dem geschlagenen Feind, der ihm nach seinem Belieben auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert ist – gewiß ein wenig »interessanter« Held.


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