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Dreiundsechzigstes Kapitel

Am nächsten Morgen erschien er wieder mit seinen Leuten, bereit, sich uns anzuschließen oder sich auf die Gegenseite zu schlagen, je nachdem, wie es gehen würde. Während er noch zögerte, traf Saal ein. Gasims Starrsinn und Saals eiserne Härte prallten bald aufeinander, und es kam zu einem hitzigen Wortstreit. Wir traten zwischen sie, bevor sie ernstlich aneinandergeraten konnten, aber es hatte schon genügt, den schwachen Anlauf zur Verständigung der vergangenen Nacht wieder zunichte zu machen. Die anderen Clans, abgestoßen von Gasims Maßlosigkeit, kamen ruhig zu zweien oder dreien zu uns und stellten sich als Freiwillige, baten mich jedoch, Faisal noch vor unserem Aufbruch von ihrer Ergebenheit zu berichten.

Das bestimmte mich, sofort mit Faisal in Verbindung zu treten, damit diese Wirrnis ein Ende nähme und auch damit endlich Lastkamele für den Transport der Sprengstoffe bereitgestellt würden. Von den Dhumanijeh dafür Kamele zu mieten, ging nicht an, und andere gab es hier nicht. Das beste war, wenn ich selbst ging; denn Gasim würde vielleicht einen Boten, aber nicht mich selber aufzuhalten wagen. Ich empfahl die beiden Sergeanten an Saal, der schwor, für ihr Leben einzustehen; und dann ritten wir los, Ahmed und ich, auf entladenen Kamelen, um so schnell wie möglich nach Akaba und wieder zurück zu eilen.

Wir kannten nur den recht langen Weg durch den Wadi Ithm. Es gab zwar eine Abkürzung, aber wir fanden niemand, der sie uns zeigen konnte. Vergeblich suchten wir das Tal in beiden Richtungen ab und waren schon ganz verzweifelt, als ein Junge, den wir zufällig trafen, uns zurief, wir sollten das nächste Tal rechts entlang reiten. Nach einer Stunde kamen wir zu einer Wasserscheide, von wo aus sich Täler nach Westen senkten. Sie konnten nur in den Wadi Ithm führen, denn es gab von diesen Höhen aus keinen anderen Wasserabfluß nach dem Meere zu; wir jagten hinunter, immer wieder auf gut Glück über Höhenrücken zu unserer Rechten in parallel laufende Seitentäler hinein, um den Weg abzukürzen.

Zu Anfang bestand die Gegend aus reinem Sandstein in gefälligen Formen; weiterhin aber stiegen vor uns Granitfelsen auf, wie sie im Küstengebiet vorkamen, und nachdem wir dreißig Meilen auf gutem Wege bergab geritten waren, kamen wir durch das südliche Ithm in das Haupttal, gerade über dem Brunnen, wo wir beim Fall von Akaba gewesen waren. Die Reise dauerte nur sechs Stunden.

In Akaba ritten wir direkt zu Faisals Haus. Er war sehr verblüfft über meine plötzliche Rückkehr, aber ich erzählte ihm mit ein paar Worten das kleine Drama, das sich in der Rumm abspielte, und nachdem wir gegessen hatten, trafen wir die nötigen Anordnungen. Die zwanzig Lastkamele für den Transport des Dynamits sollten in zwei Tagen abgehen und dazu genügend von Faisals Kameltreibern, außerdem noch ein paar von seinen Leibsklaven zur Bewachung. Er stellte mir Scherif Abdulla el Feir, den tüchtigsten Mitarbeiter, der jetzt im Lager war, als Unterhändler zur Verfügung. Die Familien der Leute, die mit mir zur Bahnlinie ritten, sollten auf meine Anweisung hin Nahrungsmittel aus den Beständen Abdullas zugewiesen erhalten.

Abdulla und ich brachen vor Morgengrauen auf und erreichten am Nachmittag nach einem angenehmen Ritt die Rumm, wo wir alles in Sicherheit fanden. So war jede Besorgnis behoben. Scherif Abdulla ging sogleich ans Werk. Er versammelte die Araber, darunter auch den widerspenstigen Gasim, und begann sie zu besänftigen mit jener beredten Überzeugungskraft, die das Kennzeichen eines arabischen Führers ist, und die seine reiche Erfahrung noch vervollkommnet hatte.

In der erzwungenen Muße während unserer Abwesenheit hatte Lewis die Felsen untersucht und erzählte mir, daß die Quellen sehr geeignet wären, um sich darin gründlich zu waschen. Um mich also vom Staub und der Anstrengung der langen Ritte zu säubern und zu erfrischen, ging ich direkt den Einschnitt in der Felswand hinauf, an dem verfallenen Damm der Leitung entlang, durch die einstmals das Wasser den Hang hinab zu dem nabatäischen Brunnenhaus auf der Talsohle hinabgeflossen war. Der Aufstieg dauerte für einen Ermüdeten fünfzehn Minuten und war nicht schwierig. Am oberen Ende war der Wasserfall – el Schellala, wie die Araber ihn nannten –, nur ein paar Meter entfernt.

Sein Rauschen kam von links, von einer überhängenden Felsbastion, über deren karminrote Fläche lange Ranken mit grünen Blättern weit herabhingen. Der Pfad lief in einem Einschnitt über die Bastion hin. Auf der Felswand darüber fanden sich deutlich erkennbare nabatäische Inschriften, und eine eingehauene Tafel mit einem Monogramm oder Symbol. Darüber und rings herum waren arabische Kritzeleien und Stammeszeichen, von denen ein paar von längst vergessenen Wanderungen Zeugnis ablegten. Doch meine ganze Aufmerksamkeit galt nun dem sprudelnden Wasser in einer Spalte im Schatten des überhängenden Felsens.

Aus diesem Felsen sprang ein silbernes Bächlein hervor ans Sonnenlicht. Ich beugte mich darüber, um den Strahl zu betrachten, der, etwas dünner als mein Handgelenk, aus einem Felsenriß sprang und mit hellem, heiterem Klang in ein flaches, schäumendes Becken herabfiel, gleich hinter der Eingangsstufe, über die man hineinkam. Die Wände und die Decke der Spalte trieften vor Feuchtigkeit. Dichte Farne und Gräser in köstlichstem Grün machten sie zu einem kleinen Paradies von fünf Fuß Durchmesser.

Auf dem sauberen Rand des kleinen Beckens entkleidete ich mich und stieg hinein; endlich fühlte ich wieder die Frische von bewegter Luft und Wasser auf meiner erschlafften Haut. Es war wunderbar kühl. Ich lag ganz ruhig, ließ das klare, dunkelrot scheinende Wasser über mich dahinperlen und den Reisestaub hinwegspülen. Während ich so glücklich in dem köstlichen Naß lag, kam ein graubärtiger, zerlumpter Mann mit einem scharf geschnittenen, sehr machtvollen, aber tief erschöpften Gesicht, langsam den Weg entlang gegangen; gegenüber der Quelle ließ er sich mit einem Seufzer auf meine Kleider nieder, die ich auf den Steinen neben dem Weg ausgebreitet hatte, damit die Sonne das wimmelnde Ungeziefer daraus vertrieb.

Als er mich bemerkte, beugte er sich vor, um mit triefenden Augen das weiße Etwas zu betrachten, das hinter dem Sonnenglast in dem Wasserloch herumplanschte. Nachdem er mich eine Weile angestarrt hatte, schien er befriedigt, schloß seine Augen und murmelte: »Die Liebe kommt von Gott, ist von Gott und geht zu Gott.«

Infolge einer akustischen Eigentümlichkeit vernahm ich in meinem Wasserloch diese leise gesprochenen Worte. Sie ließen mich augenblicks innehalten. Ich hatte bisher geglaubt, daß die Semiten nicht imstande seien, in der Liebe eine Mittlerin zwischen Gott und Mensch zu sehen, ja nicht einmal fähig, eine solche Beziehung überhaupt zu begreifen, außer im intellektualistischen Sinne Spinozas. Aber bei Spinoza war die Liebe so rationalistisch, so unsinnlich und transzendental, daß sie keine Gegenliebe suchte, ja nicht einmal zuließ. Das Christentum war für mich die erste Religion gewesen, die sich zu der Liebe in dieser Welt bekannte, von der die Wüste und der Semit (von Moses bis Zeno) sie ausgeschlossen hatten; und das Christentum war ein Bastard und, abgesehen von seinem ersten Ursprung, nicht wesentlich semitisch.

Die Tatsache, daß es in Galiläa entstanden war, hatte es davor bewahrt, nichts weiter als eine der unzähligen semitischen Offenbarungsreligionen zu sein. Galiläa war die nichtsemitische Provinz Syriens und schon die Berührung mit ihr für den strengen Juden fast unrein. Es war Jerusalem so fremd, wie Whitechapel für London. Christus hat mit Absicht sein Predigtamt in der geistig freien Atmosphäre Syriens ausgeübt; aber nicht in den Lehmhütten eines syrischen Dorfes, sondern auf den gepflasterten Straßen zwischen Forum und Säulenhallen und üppigen Bädern – Schöpfungen einer sehr reichen, wenn auch exotisch provinziellen und entarteten griechischen Zivilisation.

Die Bewohner dieser Fremdenkolonie waren keine Griechen – wenigstens nicht die Mehrzahl von ihnen –, sondern Levantiner aller Arten, die die griechische Kultur nachahmten. Dabei entstand nun, im Gegensatz zum korrekt banalen Hellenismus des erschöpften Mutterlandes, ein tropisch üppiger Ideenreichtum, der in dem rhythmischen Ausgleich zwischen griechischer Kunst und griechischer Ideenwelt zu neuen, in satten, leidenschaftlichen Farben des Ostens prangenden Formen aufblühte.

Die Dichter von Gadara, die in mächtiger Erregung ihre Verse stammelten, hielten der Sinnlichkeit und dem illusionsarmen Fatalismus ihrer Zeit und Umgebung, aus denen ungezählte Lüste resultierten, den Spiegel vor; von ihrer Erdgebundenheit erhielt vielleicht die asketisch-semitische Religiosität die Töne der Menschlichkeit und der wahren Liebe, welche die Musik Christi kennzeichneten und es ihr ermöglichten, die Herzen Europas in einer Weise zu durchfluten, wie es dem Judentum und dem Islam niemals gelingen konnte.

Und dann hatte das Christentum das Glück gehabt, später geniale Baumeister zu finden. Es war durch Zeiten und Länder gewandert und war dabei Veränderungen unterlegen, wie sie das starre Judentum nie gekannt hatte. Aus der abstrakten alexandrinischen Gelehrsamkeit war es für das europäische Festland in die lateinische Prosa übersetzt worden, und die letzte und tiefste Wandlung war die ins Germanische gewesen mit einer formalen Synthese, die unserem verstandeskühl wägenden Norden entsprach. So verschieden war der presbyterianische Glaube von dem orthodoxen Glauben in seiner ersten oder zweiten Verkörperung, daß wir vor dem Kriege sogar Missionare hatten aussenden können, um diese gemütvollen orientalischen Christen zu unserem strengen, logischen Gottesbegriff zu bekehren.

Der Islam hatte sich ebenfalls notwendigerweise von Kontinent zu Kontinent verändert. Er kannte (abgesehen von dem verinnerlichten Mystizismus der Frömmler des Irans) keine Metaphysik; aber in Afrika hatte er die Farben des Fetischismus angelegt (um mit diesem einen Wort die verschiedenartigen Animalismen des dunklen Kontinents zu bezeichnen), und in Indien hatte er sich der Wort- und Gesetzesgläubigkeit seiner Konvertiten beugen müssen. Aber in Arabien hatte er seinen semitischen Charakter bewahrt, oder vielmehr hatte der semitische Charakter die Zeit des Islams überdauert (wie alle Phasen des Bekenntnisses, mit denen die Städter immer wieder die Einfalt des Glaubens umkleideten). Dort war er der Ausdruck eines Monotheismus der offenen Räume, des die Unendlichkeit erfüllenden Pantheismus und der schützende und vorsorgende Gottvaterglaube des Alltags.

Mit jenem einzigen kurzen Satz leuchtete der alte Mann der Rumm in die sichere Umgrenztheit (oder was ich davon wußte) zweifelerregend hinein und schien alle meine Theorien über die Natur der Araber über den Haufen zu werfen. Da ich fürchtete, daß der Geist über ihn kommen könne, beendete ich mein Bad und stieg heraus, um meine Kleider zu holen. Er bedeckte die Augen mit der Hand und seufzte schwer. Ich überredete ihn sanft, aufzustehen, damit ich mich anziehen könnte, und dann mit mir auf dem schmalen Pfad, den die Kamele beim Wege zum und vom Wasser ausgetreten hatten, nach dem Lager zu gehen. Er ließ sich bei unserem Kaffeefeuer nieder, das Mohammed entfachte, während ich den Alten zu weiteren Äußerungen zu bewegen suchte.

siehe Bildunterschrift

Abd el Rahman.
Pastellzeichnung von Kennington

Als das Abendbrot fertig war, gaben wir ihm zu essen und stellten dadurch für ein paar Minuten sein Geseufze und Gebrabbel ab. Später stand er mühsam auf und wankte, ohne auf unsere Rufe zu hören, in die Nacht hinaus, seinen Glauben, wenn er überhaupt einen hatte, mit sich nehmend. Die Howeitat berichteten, daß er sein Leben lang unter ihnen herumgeirrt sei, immer so sonderbar jammernd; er kümmere sich weder um Tag und Nacht noch um Essen, Arbeit oder Obdach. Alle wären gut zu ihm, da er ein kranker Mann sei, aber er erwiderte niemals etwas auf Fragen, noch spräche er laut; das tue er höchstens, wenn er allein sei, draußen unter den Schafen und Ziegen.


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