Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzigstes Kapitel

Für uns Städter war dieser Garten eine Erinnerung an die Welt, wie sie gewesen war, bevor wir kriegswütig auszogen und uns selbst in die Wüste hetzten. Für Audas Geschmack aber lag in dieser Pflanzenfülle ein fast geiles Übermaß, und er sehnte sich nach der kargen Leere der Wüste. So wurde unsere letzte Nacht im Paradies abgekürzt, und um zwei Uhr morgens zogen wir talauf. Es war pechfinster, und selbst die Sterne konnten nicht mit ihrem Licht bis in die Tiefe unseres Weges dringen. Auda führte, und um sich in der Dunkelheit bemerkbar zu machen, stimmte er lautschallend ein Lied der Howeitat an; es war ein ewiges »Ho-ho-ho« auf drei Baßnoten, immer auf und ab, vor- und rückwärts, und mit so vollquellender Stimme gesungen, daß die Worte unverständlich blieben. Bald aber waren wir dankbar für die Singerei, denn der Weg bog links ab, und in langgezogener Reihe folgten wir dem Klang seiner Stimme, deren Echo in den schwarzen, schroffen, mondbeschienenen Felsklippen widerhallte.

Während dieser langen Reise bemühten sich Scherif Nasir und Mohammed el Dheilan, Audas säuerlich lächelnder Vetter, um mein Arabisch und gaben mir abwechselnd Unterricht in der gebräuchlichen Wüstensprache und in der klassischen Form von Medina. Zu Anfang hatte ich nur die Dialekte der Stämme am mittleren Euphrat (eine nicht unreine Sprachform) gebrochen beherrscht, aber nun wurde mein Arabisch ein ziemlich flüssiges Gemisch aus dem Hedschas-Dialekt, den Poesieformen der nördlichen Stämme, mitsamt Brocken aus der Umgangssprache der hellhäutigen Nedschdi und Wendungen aus der syrischen Literatur. Aber bei aller Geläufigkeit fehlte mir das Grammatikalische, so daß mein Reden zu einer Quelle ständiger Überraschungen für meine Zuhörer wurde. Wer mich nicht kannte, mußte annehmen, daß ich aus irgendeiner unbekannten, kulturlosen Gegend stamme, einem abgelegenen Sammelbecken für alle möglichen arabischen Sprachtrümmer. Vorläufig aber verstand ich noch nicht drei Worte von Audas Singsang, und nach einer halben Stunde wurde ich müde, ihm zuzuhören. Der volle Mond stieg langsam am Himmel empor, segelte über den Spitzen der Berge dahin und warf in unser Tal ein trügerisches Licht, das den Weg unsicherer machte als die Dunkelheit. Wir ritten weiter, bis uns die Morgensonne, quälend nach dem langen Nachtritt, Halt gebot. Das Frühstück wurde aus unseren eigenen Mehlvorräten bereitet, so daß endlich, nach all den Tagen der Gastfreundschaft, die Last unserer armen Kamele ein wenig erleichtert wurde. Da Scharraf noch nicht in Abu Raga war, brauchten wir den Marsch nicht stärker zu beschleunigen, als es die Schwierigkeit der Wasserbeschaffung notwendig machte. So spannten wir nach dem Essen wieder unsere Decken als Dächer aus und ruhten bis zum Nachmittag, verdrießlich dem ständig entweichenden Schatten nachrutschend, in Schweiß gebadet und unablässig geplagt von Fliegen.

Schließlich gab Nasir das Zeichen zum Aufbruch, und wir ritten vier Stunden lang den Engpaß hinauf zwischen ziemlich massigen Bergen; dann kamen wir überein, wieder in dem Talbett zu lagern. Es gab dort reichlich Strauchwerk zum Feuermachen, und auf dem Ausgang zu unserer Rechten Felslöcher mit frischem Wasser, das uns einen köstlichen Trunk spendete. Nasir war angeregt; er bestellte Reis zum Abendessen und lud die Freunde dazu ein.

Die Regelung unseres Marsches war etwas sonderbar und schwierig. Nasir, Auda und Nesib waren ebenso viele Inseln für sich; sie nahmen es sehr genau und erkannten Nasirs Überlegenheit nur an, weil ich als Gast bei ihm war und ihnen ein Beispiel gab, daß ich ihn respektierte. Jeder einzelne verlangte, daß man um Rat fragte über alle Einzelheiten unseres Marsches, wo und wann haltgemacht werden sollte. Bei Auda war das unvermeidlich, der ein Kind des Krieges war und niemals einen Herrn über sich gehabt hatte, seit er als kleiner Junge zum erstenmal sein eigenes Kamel geritten hatte. Und ratsam war das bei Nesib, einem Angehörigen der überempfindlichen syrischen Rasse, eifersüchtig, neidisch auf jedes Verdienst und nie bereit, etwas anzuerkennen.

Ein solches Volk brauchte einen Kriegsruf und ein Banner von außen, um sich zusammenzuschließen, und einen Fremden zum Führer, dessen Überlegenheit auf einer Idee beruhte, einer logisch nicht faßbaren, unbestreitbaren, klaren und einfachen Idee, die das Volk instinktiv annehmen konnte und die zu verwerfen oder gutzuheißen die Vernunft keinen zulänglichen Grund fand. In Faisals Armee herrschte die Vorstellung, daß ein Emir von Mekka, ein Nachkomme des Propheten, ein Scherif, ein außerweltlicher Würdenträger war, vor dem die Kinder Adams sich ohne Erröten beugen konnten. Das war die bindende Voraussetzung für die arabische Bewegung, und dadurch erhielt sie eine praktisch wirksame, wenn auch etwas kindliche Einmütigkeit.

Am Morgen ritten wir um fünf Uhr ab. Die Talwände drängten sich zusammen, und in schroffem Anstieg ging es um einen vorspringenden Grat. Der Weg wurde zum bröckeligen Ziegenpfad, der in steilen, kaum gangbaren Zickzackwindungen die Höhe erklomm. Wir saßen ab und führten die Kamele am Kopfgestell. Bald mußte man sich gegenseitig helfen; an den schwierigen Übergängen wurden die Tiere teils gezogen, teils geschoben, und man stemmte sich gegen die Lasten, um das Gewicht zu erleichtern.

Stellenweise wurde es geradezu gefährlich, wenn vorspringende Felsen den Pfad verengten, so daß die innere Seite der Last anstreifte und die Tiere hart an den äußersten Rand des Abgrundes gedrängt wurden. Wir mußten abladen und umpacken; und trotz aller Vorsicht büßten wir zwei unserer schwächeren Kamele ein. Die Howeitat stachen sie gleich an der Stelle ab, wo sie zusammengebrochen waren, indem sie den Kopf auf den Sattel zurückbogen, dadurch den Hals straff spannten und den scharfen Dolch in die Schlagader oberhalb der Brust stießen. Die Tiere wurden dann sofort zerlegt und das Fleisch verteilt.

Wir waren froh, als wir entdeckten, daß die Höhe des Passes nicht schroff abfiel, sondern ein geräumiges Plateau bildete, das sich vor uns sanft nach Osten neigte. Das erste Stück des Abstiegs war rauh und felsig und von Matten niedrigen Dornengesträuchs wie von Heidekraut bedeckt; aber später kamen wir in ein Tal mit weißem Kiesgrund, in dessen Flutbett wir einer Beduinenfrau begegneten, die mit einem Kupferbecher ihren Wasserschlauch auffüllte; sie schöpfte milchiges Wasser, aber ziemlich sauber und süß, aus einem kleinen, etwa fußbreiten Loch, das knietief zwischen den Kieseln ausgehöhlt war. Das Tal hieß Abu Saad; und wegen des Namens und des schönen Wassers und der roten Fleischstücke, die an unseren Sätteln baumelten, beschlossen wir, die Nacht über hierzubleiben, um die Zeit bis zu Scharrafs Rückkehr von seiner Expedition gegen die Bahn noch mehr auszufüllen.

Wir ritten vier Meilen weiter und lagerten uns dann unter breitästigen Bäumen in einem dichten Dornendickicht, dessen Zweige sich wie Hütten zusammenschlossen. Tagsüber gaben sie Stützen für das Ausbreiten unserer Decken gegen die allzu herrische Sonne. Des Nachts legten wir uns in die Lauben, die sie bildeten. Wir hatten zu schlafen gelernt, über uns nichts als Mond und Sterne, und nichts um uns zum Schutz gegen den Wind und die Geräusche der Nacht; und im Gegensatz dazu war es fremdartig, aber beruhigend, zwischen Wänden und unter einem Dach zu schlummern, selbst wenn Wände und Dach nichts als Zweiggeflechte waren, die sich wie ein dunkles Gewebe gegen den von Sternen übersäten Himmel abhoben.

Was mich betraf, so war ich wieder krank; das Fieber stieg, und mein Körper schmerzte von den Schwären und dem Scheuern des schweißdurchnäßten Sattels. Als Nasir ohne meine Veranlassung auf halbem Wege haltmachte, wandte ich mich zu ihm und dankte ihm zu seinem Erstaunen mit großer Wärme. Wir waren jetzt auf der Höhe des Schefa-Kammes. Vor uns lag ein ungeheures dunkles Lavafeld, und dicht daneben eine Kette rot und schwarz geäderter Sandsteinklippen mit kegelförmigen Spitzen. Auf dem Hochplateau war es nicht so heiß, und morgens und abends wehte ein kräftiger Luftzug, ungemein erfrischend nach der atembeklemmenden Regungslosigkeit in den Tälern.

Wir frühstückten von unserem Kamelfleisch und ritten am nächsten Morgen mit frischem Mut das mählich abfallende rote Sandsteinplateau hinab. Endlich öffnete sich vor uns ein steiler Abstieg zum Grunde eines sandigen, mit Gestrüpp bewachsenen Tales, beiderseits eingeschlossen von Abstürzen und Zinnen aus Sandstein, die, je tiefer wir stiegen, desto höher wuchsen und sich hart gegen den Morgenhimmel absetzten. Auf dem Grunde war es schattig und die Luft feucht und muffig, wie von fauligen Pflanzen. Die Ränder der Klippen um uns waren seltsam ausgezackt, wie phantastische Gitter. Wir schlängelten uns immer weiter den Schlund hinab, bis wir nach einer halben Stunde, jäh um eine Ecke biegend, das Wadi Dschisil betraten, Hauptabzugskanal dieser Sandsteinlandschaften, dessen Ende wir bei Hedieh gesehen hatten.

Dschisil war eine tiefe Schlucht, etwa zweihundert Yards breit, mit Tamariskengesträuch auf dem Triebsand des Grundes, wie auf den weichgerundeten Sandbänken, wo immer in den Buchtungen der Felsen die schwereren Teilchen von den Wirbeln des Wassers oder des Windes oft zwanzig Fuß hoch aufgehäuft waren. Die Seitenwände der Schlucht bestanden aus regelmäßigen Sandsteinschichten, rötlich gestreift in mannigfachen Schattierungen. Das Farbenspiel der dunklen Felsen, des rötlichen Untergrunds und des blaßgrünen Gesträuchs war unendlich wohltuend für die von monatelangem Sonnenlicht und schwärzlichen Schatten übersättigten Augen. Als es Abend wurde, rötete die sinkende Sonne die eine Seite des Tales mit leuchtendem Glanz, während die andere purpurdunkel erglühte.

Das Lager schlugen wir auf einer unkrautbewachsenen Sandbank auf, an einer Biegung des Tales, wo der verengte Strom ein hohles Becken ausgewaschen hatte, in dem sich ein Rückstand der letzten Winterflut staute. Wir sandten einen Boten nach einem Oleanderdickicht, aus dem man die weißen Spitzen von Scharrafs Zelten leuchten sah. Scharraf selbst wurde erst am nächsten Tag erwartet; und so verbrachten wir zwei Nächte in diesem seltsam farbigen, vom Echo widerhallenden Tal. Das Brackwasser des Tümpels war nur trinkbar für Kamele; zu Mittag badeten wir darin. Dann wurde gegessen und ausgiebig geschlafen. Später wanderten wir in die nahen Seitentäler und sahen mit Entzücken die prachtvollen Färbungen: Querstreifen in Rosa, Braun, Gelb und Purpur, die in den mannigfachsten, feinsten Schattierungen über das Grundrot der Felsen liefen. Nachmittags ruhte ich bei einer Schafhege aus Sandsteinblöcken; die Sonne schien, die Luft war mild und rein, und der Wind tupfte und zupfte an dem bröckeligen Mauerrand mir zu Häupten. Das Tal atmete Frieden, und selbst der Wind schien ruhevoll mit seinem eintönigen Gesäusel.

Ich hatte träumend die Augen geschlossen, als eine jugendliche Stimme mich aufblicken ließ. Ich sah einen mir unbekannten Ageyl zu meinen Füßen kauern, offenbar in großer Bekümmernis. Er nannte sich Daud und bat flehentlich um meinen Beistand. Sein Freund Farradsch habe bei einem übermütigen Streich ihr gemeinsames Zelt verbrannt, und Saad, der Hauptmann von Scharrafs Ageyl-Abteilung, habe seinem Freund zur Strafe Prügel zudiktiert. Wenn ich ein Wort für ihn einlegte, würde ihm die Strafe erlassen werden. Zufällig kam Saad, der mich besuchen wollte, gerade dazu. Ich stellte ihm die Sache vor, während Daud, uns beobachtend, abseits saß, den Mund vor Erwartung halb geöffnet, die Lider über großen, schwarzen Augen zusammengekniffen und die klaren Brauen gerunzelt in ängstlicher Spannung. Seine etwas nach innen stehenden Pupillen gaben ihm den Ausdruck lauernder Sprungbereitschaft.

Saads Antwort war wenig tröstlich. Mit dem Paar wäre immer etwas los, und zuletzt wären ihre Streiche so toll geworden, daß der gestrenge Scharraf befohlen hatte, ein Exempel zu statuieren. Er könnte nichts weiter tun, aber mir zu Gefallen wollte er anordnen, daß Daud sich mit seinem Freund in die verhängte Strafe teilen dürfte. Daud sprang auf vor Glück, küßte meine und Saads Hand und rannte talaufwärts davon, während Saad mir lachend allerlei Geschichten von diesem berühmten Paar erzählte. Sie waren ein Musterbeispiel orientalischer Knabenliebe, die eine unvermeidliche Folge der strengen Absonderung der Frau ist. Derartige Freundschaften führten oft zu männlicher Liebe von einer Kraft und Tiefe, von der sich unsere einseitig auf das Erotische eingestellte Anschauung keinen Begriff machen kann. Im Stande der Unschuld waren diese Freundschaften von einer unbefangenen Leidenschaftlichkeit. Trat das Geschlechtliche hinzu, so verwandelten sie sich in eine rein sinnliche Beziehung des Gebens und Nehmens gleich einer Ehe.

Am nächsten Tag war Scharraf noch nicht zurück. Vormittags saß ich mit Auda zusammen, und wir sprachen über den bevorstehenden Marsch, während Nasir mit Daumen und Zeigefinger brennende Streichhölzer von der Schachtel über sein Zelt zu uns herüberschnippte. Während wir uns solchergestalt vergnügten, kamen zwei gebeugte Gestalten, Schmerz in den Augen, aber ein verzerrtes Lächeln in den Lippen, angehumpelt und grüßten. Es waren Daud, der Hitzige, und sein Geliebter Farradsch, ein schöner, feingliedriger, mädchenhafter Jüngling, mit unschuldigem, glattem Gesicht und verschwimmendem Blick. Sie erklärten beide, daß sie mir zu Diensten ständen. Ich brauchte niemanden und lehnte unter dem Vorwand ab, daß sie nach den Prügeln ja doch nicht reiten könnten. Sie wandten ein, sie würden auf ungesattelten Tieren reiten. Ich sagte, ich wäre ein bedürfnisloser Mensch und liebte keine Dienerschaft um mich her. Daud wandte sich ab, verletzt und zornig. Farradsch jedoch machte geltend, daß wir doch Leute brauchten, und sie würden bei mir bleiben, ohne jedes Entgelt. Während der männlichere Daud schmollend abseits stand, wandte sich Farradsch an Nasir und kniete flehend vor ihm nieder, wobei alles Weibische seines Wesens so recht zum Vorschein kam. Am Ende nahm ich auf Nasirs Rat die beiden zu mir, hauptsächlich um ihres jugendlich unschuldigen Aussehens willen.


 << zurück weiter >>