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Fünfundsechzigstes Kapitel

Wir erreichten in aller Stille unsere Kamele und legten uns zum Schlafen nieder. Am nächsten Morgen gingen wir erst ein Stück unseres gestrigen Weges zurück, dabei einer Bodenfalte folgend, die uns gegen Sicht von der Eisenbahn aus deckte. Dann wandten wir uns südwärts über eine Sandfläche, auf der wir Fährten von Gazellen, Oryx und Straußen entdeckten, an einer Stelle auch schwache Fußspuren eines Leoparden. Wir beabsichtigten einen Zug in die Luft zu sprengen und wollten zu diesem Zweck die Höhen erreichen, die die Sandfläche jenseits begrenzten. Dort, so sagte Saal, machte die Bahn eine Kurve, wie wir sie zur Minenlegung brauchten, und die sie beherrschenden Ausläufer der Berge würden uns Deckung und Schußfeld für die Maschinengewehre bieten.

Also wandten wir uns den südlichen Höhenrücken zu, bis wir auf eine halbe Meile an die Bahnlinie heran waren. Dort machte die Abteilung in einem dreißig Fuß tiefen Tal halt, während einige von uns zur Bahn hinuntergingen, die hier einen schwachen Bogen nach Osten machte, um die Höhe zu umgehen, auf der wir standen. Die Höhe endete in einer tafelartigen Platte, die Bahn etwa fünfzig Fuß überhöhend und nordwärts hin das ganze Tal beherrschend.

Die Gleise durchquerten das Tal auf einem hohen Damm, der von einer zweibogigen Brücke als Wasserdurchlaß unterbrochen war. Dies schien eine ideale Stelle zur Anbringung der Ladung. Es war unser erster Versuch mit elektrisch gezündeten Minen, und wir hatten keine Ahnung, wie die Sache auslaufen würde. Aber es leuchtete unmittelbar ein, daß der Erfolg auf jeden Fall sicherer war, wenn man die Ladung über einem Brückenbogen anbrachte. Wie dann auch die Wirkung auf die Lokomotive sein mochte, die Brücke würde einstürzen und die folgenden Wagen sicher zur Entgleisung bringen.

Der Bergrücken bot eine wunderbare Stellung für Stokes. Für die Maschinengewehre war er etwas hoch; aber man konnte die Strecke völlig bestreichen, aus welcher Richtung auch der Zug kam. Es war gut, daß ich meine beiden verantwortlichen Engländer an einem einzigen Platze hatte, wo sie vor Überraschungen sicher waren und sich ungehindert in die Berge zurückziehen konnten; denn Stokes war heute von der Ruhr geplagt. Wahrscheinlich hatte das Wasser von Mudewwere seinen Magen rebellisch gemacht. Es gab nur wenige Engländer, die von Natur organisch genügend gefestigt waren, daß Krankheiten ihnen nichts anhaben konnten.

Wir gingen zurück, entluden die Kamele und sandten sie nach einem gedeckten Weideplatz dicht bei überhängenden Felsen, von denen die Araber Salz abkratzten. Dann wurden die Stokes-Mörser nebst Munition, die Lewis-Maschinengewehre und der Sprengstoff mit Kabel, Magnet und sonstigem Werkzeug an die dafür bestimmten Plätze gebracht. Während die beiden Sergeanten ihre sieben Sachen auf einer Terrasse aufbauten, gingen wir zur Brücke hinunter, um in dem Raum zwischen zwei Stahlschwellen ein Loch auszubuddeln, in das die fünfzig Pfund Schießbaumwolle eingebettet werden sollten.

Wir hatten die Papierhülle von jeder Sprengladung entfernt und diese mit Hilfe der Sonnenhitze in einem Sandsack zu einer gallertartigen Masse zusammengeknetet.

Das Ausgraben hatte seine Schwierigkeiten. Der Eisenbahndamm war sehr steil, und in der geschützten Stelle zwischen ihm und den Hügeln war eine Sandbank angeweht. Nur ich allein ging mit aller Vorsicht darüber, hinterließ aber natürlicherweise dennoch deutliche Spuren in dem weichen Sand. Die ausgegrabene Kiesschotterung zwischen den Schienen mußte ich in meinem Mantel in wiederholten Gängen bis hinunter nach dem Durchlaß tragen, wo sie auf dem kiesigen Bett des Wasserlaufs unauffällig verteilt werden konnte.

Es dauerte fast zwei Stunden, bis wir die Ladung richtig verstaut und wieder zugedeckt hatten. Dann kam die schwierige Aufgabe der Kabellegung von der Sprengstelle bis zu dem Ort in den Hügeln, von wo aus wir die Mine zur Entzündung bringen wollten. Die obere Sandlage war zu einer Kruste verhärtet, die durchbrochen werden mußte, um die Kabel einzubetten. Der Draht war sehr steif und schwer und kratzte in die vom Wind geriffelte Oberfläche lange Streifen, die aussahen wie die Bauchabdrücke unnatürlich dünner und schwerer Schlangen. Wenn man den Draht an der einen Stelle herunterdrückte, sprang er an der andern wieder hoch. Schließlich mußte er mit Steinen beschwert und niedergehalten werden, durch deren Herbeischaffung die Sandfläche natürlich noch mehr zerwühlt wurde.

Darauf galt es, mit einem gefüllten Sandsack alle Spuren und Eindrücke bis zu einer gleichmäßig gewellten Oberfläche aufzuschütten und schließlich mittels Blasen und weitausladenden Schwüngen meines Mantels den Eindruck zu erzeugen, als wäre der Wind darübergestrichen. Nach fünf Stunden war alles beendet, aber auch gut beendet: weder ich noch ein anderer konnten erkennen, wo die Ladung lag, noch daß von da aus eine doppelte Drahtleitung unter dem Boden zweihundert Yard aufwärts bis zu der Zündungsstelle lief, die hinter einem für unsere Schützen bestimmten Höhenrand lag.

Der Draht reichte gerade noch von dem Höhenrand bis zu der Bodensenke, wo wir den Zündapparat aufstellten und die beiden Enden des Drahtes daran befestigten. Es war ein in jeder Beziehung günstiger Platz, ausgenommen, daß man von dort aus nicht die Brücke übersehen konnte.

Doch konnte diesem Nachteil sehr einfach dadurch abgeholfen werden, daß man von einem erhöhten Punkte, von dem aus zugleich die Brücke wie die Zündungsstelle übersehen werden konnte, dem Manne, der den Hebel bedienen sollte, im geeigneten Augenblick das Zeichen zum Einschalten gab. Salem, einer der besten Sklaven Faisals, bat um diesen Ehrenposten am Zünder und wurde unter allgemeiner Zustimmung dazu auserwählt. Der Rest des Nachmittags verging damit, ihm (an dem ausgeschalteten Zündapparat, versteht sich) klarzumachen, was zu tun sei; bis er dann alles begriffen hatte und genau auf mein gegebenes Zeichen, daß – angenommen natürlich – eine Lokomotive auf der Brücke war, den Hebel herunterdrückte.

Wir ließen einen Posten bei der Bahn und gingen nach dem Lager zurück. Die beim Gepäck gebliebenen Leute waren verschwunden; wir spähten ratlos überall umher, und plötzlich entdeckten wir sie hoch oben auf einem Bergkamm sitzend, wo sie sich scharf gegen das goldene Licht der untergehenden Sonne abhoben. Wir schrien ihnen zu, sich schleunigst von dort zu verdrücken; aber sie bestanden darauf, da oben hocken zu bleiben gleich einem Pulk dunkler Krähen, weithin sichtbar von Norden wie von Süden her.

Schließlich rannten wir hinauf und holten sie von ihrem Himmelssitz herunter, aber es war schon zu spät. Ein kleiner vorgeschobener türkischer Posten bei Hallat Ammar, der Station vier Meilen südlich, hatte sie entdeckt und eröffnete das Feuer auf die langen Schatten, die von der untergehenden Sonne in stufenweisem Vorrücken über die Hänge nach dem Posten hin geworfen wurden. Die Beduinen waren an sich vollendete Meister in geschickter Ausnutzung des Geländes, aber ihre angeborene Geringschätzung des Türken machte sie diesem gegenüber völlig sorglos. Die Eisenbahnbrücke war sowohl von Mudewwere wie von Hallat Ammar sichtbar, und durch ihre plötzliche unselige Schaulust hatten sie beide Stationen aufmerksam gemacht.

Indessen war die Dunkelheit herabgesunken, und wir konnten nichts anderes tun, als die Nacht durch ruhig zu schlafen in der Hoffnung auf den kommenden Tag. Vielleicht, daß die Türken annahmen, wir wären abgezogen, wenn sich am Morgen hier nichts Verdächtiges mehr regte. So wurde in einer tiefen Schlucht Feuer gemacht und Brot gebacken; dann streckten wir uns behaglich aus. Die gemeinsame Aufgabe hatte uns zusammengeschlossen; und beschämt über die Narren auf dem Berggipfel unterwarf sich jetzt alles der Führerschaft Saals.

Der Tag brach ruhig an; und während der ersten Stunden beobachteten wir die Eisenbahn und ihre friedliche Umgebung. Dank der ständigen Bemühung Saals und seines lahmen Vetters Howeimil hielten sich die Leute einigermaßen versteckt. Doch machte das einige Schwierigkeit, denn die Beduinen in ihrer rastlosen Unruhe können keine zehn Minuten stillsitzen, ohne herumzurutschen, irgend etwas zu tun oder zu schwatzen. Daher kommt es auch, daß sie in der Verteidigung so wenig Ausdauer besitzen und ihr Eifer sehr rasch erlahmt. Heute machten sie uns wirklich ärgerlich.

Trotz allem hatten uns die Türken vielleicht doch bemerkt. Um neun Uhr kamen nämlich vierzig Mann aus den Zelten ihres vorgeschobenen Postens bei Hallat Ammar und gingen südwärts in aufgelöster Ordnung vor. Ließen wir sie laufen, so mußten sie uns innerhalb einer Stunde von unserer Minenstelle abgeschnitten haben; griffen wir sie mit unsern überlegenen Kräften an und warfen sie zurück, so würde die Eisenbahn alarmiert sein und den Betrieb einstellen. Es war eine üble Zwickmühle, die wir schließlich dadurch zu lösen suchten, daß wir dreißig Mann entsandten mit der Aufgabe, die feindliche Erkundungsabteilung im hinhaltenden Gefecht zu beschäftigen und wenn möglich, sie mehr seitwärts in das unübersichtliche Berggelände zu locken. Dadurch wurden sie von unserer Hauptstellung abgelenkt und blieben im unklaren über unsere geringe Stärke und unsere Absichten.

Das ging auch einige Stunden so, wie wir gehofft hatten; das Feuer wurde schwächer und entfernte sich mehr und mehr. Eine ständige Patrouille des Feindes kam ahnungslos von Süden heran, spazierte dicht unter unserm Berghang und über die Mine hinweg in Richtung auf Mudewwere, ohne uns zu bemerken. Es waren acht Mann und ein stämmiger Korporal, der vor der Sonnenglut die Augen verdrießlich zusammenkniff, denn es war jetzt elf Uhr vorbei und in der Tat sehr heiß. Als er ein bis zwei Meilen an uns vorüber war, wurde ihm die Anstrengung des Marschierens zuviel. Er führte seine Leute in den Schatten unter eine lange Überführung, durch deren Bogen ein sanftes, kühles Lüftchen von Osten wehte; und hier streckten sie sich behaglich in den weichen Sand, tranken Wasser aus ihren Feldflaschen, rauchten und schliefen zuletzt ein. Wir nahmen an, daß dies die übliche Mittagsrast war, die jeder ehrbare Türke in den heißen Sommern Arabiens als sein unveräußerliches Recht betrachtet. Und daß sie sich diese Ruhepause erlaubten, bewies uns, daß man uns als unwesentlich ansah oder gar nichts von uns wußte. Indessen war das ein Irrtum.


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