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Achtundvierzigstes Kapitel

Nebk, unsere nächste Station, hatte reichlich Wasser und genügend Weidegrund. Auda hatte es wegen der günstigen Nähe der Blaidat, der »Salzweiler«, zu unserem Sammelplatz bestimmt. Auda saß nun tagelang mit Scherif Nasir zusammen, um über die Anwerbung der Truppen zu beraten und den Weg vorzubereiten, der uns zu den zunächst wohnenden Stämmen und ihren Scheiks führen würde. Für Nesib, Seki und mich selbst blieb dabei nichts zu tun. Wie gewöhnlich vermochte der wankelmütige Sinn der Syrier nicht an dem Nächstliegenden festzuhalten, sondern schweifte nach fernen Möglichkeiten ab. Im Ungestüm ihrer ersten Begeisterung ließen sie Akaba Akaba sein und wollten nichts mehr wissen von dem einfachen Zweck, der uns hierhergeführt hatte. Nesib kannte die Schaalan und die Drusen. Er wünschte sie anzuwerben und nicht die Howeitat, wollte gegen Dera vorstoßen und nicht gegen Maan, Damaskus besetzen und nicht Akaba. Er wies darauf hin, daß die Türken völlig unvorbereitet wären, daß wir sicher sein könnten, unser erstes Ziel rein durch Überraschung zu erreichen, und daß daher dieses Ziel so weit wie möglich gesteckt werden müßte. Auf Damaskus wiese der Finger eines unabwendbaren Schicksals.

Vergeblich machte ich ihm klar, daß Faisal noch in Wedsch stände, daß die Engländer noch nicht einmal bis Ghasa gekommen wären und daß die Türken in Aleppo eine neue Armee zusammenzögen, um Mesopotamien zurückzuerobern. Ich bewies ihm, daß wir in Damaskus in der Luft hängen würden, ohne Unterstützung, ohne irgendwelche Hilfsmittel, ohne sichere Basis, ja selbst ohne eine Verbindungslinie mit unseren Truppen in Arabien. Aber Nesib war über Geographie und Taktik erhaben, und man konnte ihm nur hinterrücks beikommen. So ging ich zu Auda und sagte ihm, daß bei dem neuen Operationsziel aller Gewinn und aller Ruhm Nuri Schaalan zufallen würde und nicht ihm; ich ging zu Nasir und benutzte meinen Einfluß und unser gutes Verhältnis zueinander, um ihn zum Festhalten an meinem Plan zu bestimmen; dabei verfehlte ich nicht, kräftig die leicht entflammte Eifersucht zu schüren zwischen einem Scherif und einem Damaszener, zwischen einem echten Schiiten, einem Nachkommen Alis und des Märtyrers Hussein, und dem wenig angesehenen Nachkommen des recht zweifelhaften »Kalifen« Abu Bekr.

Für unseren Aufstand war es eine Frage auf Leben und Tod. Es bestand für mich kein Zweifel, daß wir Damaskus, falls wir es nahmen, keine sechs Wochen zu halten vermochten. Denn Murray war nicht in der Lage, sofort eine Offensive gegen die Türken zu beginnen, noch würden im Augenblick genügend Transportschiffe zur Verfügung stehen, um eine englische Armee in Beirut zu landen. Wenn wir aber Damaskus wieder verloren, so verloren wir auch unsere Anhänger; denn nur ihr erster Antrieb konnte nutzbar gemacht werden; ein Aufstand, der zum Stillstand kam oder rückwärts ging, war verloren. Dann hätten wir auch Akaba nicht in die Hand bekommen.

Akaba war die letzte Basis an den von uns beherrschten Gewässern und nach meiner Überzeugung der einzige Zugang (abgesehen vom mittleren Euphrat), der zu einem erfolgreichen Vordringen in Syrien geöffnet werden konnte.

Für die Türken bestand der Wert von Akaba darin, daß es sich zu einer Bedrohung der rechten Flanke der britischen Armee machen ließ. Ende 1914 hatte das türkische Oberkommando daran gedacht, über Akaba gegen den Kanal vorzustoßen; aber man hatte die Wasser- und Ernährungsschwierigkeiten zu groß gefunden und daher den Weg über Bersaba gewählt. Nun aber hatten die Engländer ihre Stellungen am Kanal verlassen und waren bis gegen Ghasa und Bersaba vorgedrungen. Dadurch wurde die Ernährung der türkischen Armee erleichtert, da sich ihre Verbindungslinien verkürzt hatten. Infolgedessen hatten die Türken Transportmittel übrig. Außerdem hatte Akaba jetzt infolge seiner Lage für sie noch größeren Wert als früher, da es nunmehr hinter dem rechten englischen Flügel lag; und schon eine kleine türkische Truppe konnte, von Akaba aus operierend, El Arisch oder Suez ernstlich bedrohen.

Die Araber brauchten Akaba: erstens um ihre Front auszudehnen, was ja ihr taktischer Grundsatz war; und zweitens um die Verbindung mit den Engländern herzustellen. Wenn sie es nahmen, gewannen sie damit den Sinai und den direkten Anschluß an Sir Archibald Murray. Das konnte ihnen sehr nützlich werden, da sie dann auch materielle Unterstützung erhalten würden. Die menschliche Unzulänglichkeit war in Murrays Stab so groß, daß nur bei einem unmittelbaren Spürbarwerden unserer Erfolge den Herren ein Licht über unsere Bedeutung aufgehen würde. Murray war uns wohlgesinnt; wenn wir aber zu seinem rechten Flügel wurden, würde er uns mit allem Nötigen ausrüsten, ohne daß wir erst viel zu bitten brauchten. Für die Araber also bedeutete die Einnahme von Akaba Lebensmittel, Geld, Kanonen und Instrukteure. Ich selbst aber brauchte den Anschluß an die Engländer, um bei der Eroberung von Palästina und Syrien als der rechte Flügel der Alliierten mitzuwirken und um dem Streben der arabischsprechenden Völker nach Freiheit und Selbstregierung und auch ihrem Verdienst darum Geltung zu verschaffen. Wenn es dem Aufstand nicht gelang, bis auf den Hauptkampfplatz gegen die Türken vorzudringen, mußte man ihn meiner Ansicht nach als gescheitert ansehen, und er würde das Nebenspiel eines Nebenspiels bleiben. Ich hatte Faisal von unserer ersten Begegnung an immer gepredigt, daß Freiheit etwas war, das erkämpft werden mußte, das man nicht geschenkt bekam.

Zum Glück hörten Nasir und Auda auf meine Einflüsterungen. Und nach einer Auseinandersetzung verließ uns Nesib, um mit Seki zusammen nach dem Dschebel Drus zu reiten und dort die ersten Vorbereitungen für seinen großen Damaskusplan in die Wege zu leiten. Ich wußte, daß ihm schöpferische Fähigkeit abging; aber ich hatte nicht im Sinn, dort auch nur einen halbgaren Aufstand zuzulassen, der uns alle Zukunftsmöglichkeiten verdorben hätte. So trug ich Sorge, ihm noch vor seiner Abreise die Krallen zu beschneiden, und nahm ihm den größten Teil des Geldes ab, das Faisal ihm zugeteilt hatte. Der Tor machte es mir dazu noch leicht. Er wußte, daß er nicht so viel Geld bei sich hatte, wie er brauchte, und da er Englands Moral nach der eigenen Kleinlichkeit einschätzte, kam er zu mir und verlangte von mir das Versprechen, daß ich ihn mit weiteren Geldern unterstützte, wenn er unabhängig von Faisal eine syrische Erhebung unter seiner Führung zustande brächte. Ich hegte keinerlei Besorgnis, daß sich ein so unwillkommenes Wunder ereignen könnte; und anstatt ihm Verrat an unserer Sache vorzuwerfen, versprach ich ihm bereitwillig zukünftige Hilfe, wenn er mir dafür jetzt im Augenblick das Geld, das er nicht unmittelbar brauchte, für unseren Vormarsch nach Akaba überließe; dort in Akaba würde ich dann genügend Gelder für alle verfügbar machen. Er ging, wenn auch widerwillig, auf meine Bedingung ein, und Nasir war sehr froh, unerwartet zwei Säcke mit Geld zu bekommen.

Nesibs Optimismus hatte jedoch auch gewisse Wirkungen auf mich. Während ich noch daran festhielt, daß die Befreiung Syriens Schritt für Schritt erfolgen sollte, von denen die Einnahme von Akaba der unerläßlich notwendig erste war, sah ich jetzt diese Schritte mehr oder weniger gleichzeitig kommen. Als daher Nesib fort war, faßte ich den Plan, selbst einmal zu ähnlichem Zweck eine längere Tour durch die nördlichen Gebiete zu machen. Ich fühlte auch, daß ich durch einen erneuten Besuch Syriens die strategischen Ideen, die ich aus den Zügen der Kreuzritter und der ersten arabischen Eroberung gewonnen hatte, noch klarer herausarbeiten und den beiden hinzugekommenen Faktoren – der Eisenbahn und der Armee Murray auf dem Sinai – anpassen konnte.

So ein frisches Abenteuer sagte auch meinem ermüdeten Geist zu. Es hätte etwas sehr Glückliches sein können, dieses Umherschweifen frei wie die Luft, während das volle Leben rings um mich pulsierte; aber der Gedanke an die Axt, die ich insgeheim schärfte, zerstörte alle meine Zufriedenheit.

Der arabische Aufstand hatte unter falschen Voraussetzungen begonnen. Um die Hilfe des Scherifs zu gewinnen, hatte unser Kabinett durch Sir Henry McMahon die englische Unterstützung bei der Errichtung selbständiger Regierungen in Syrien und Mesopotamien zugesagt, »soweit dadurch nicht die Interessen unserer französischen Verbündeten berührt werden«. Hinter dieser unbestimmten Klausel verbarg sich ein Vertrag (der vor McMahon und daher auch vor dem Scherif geheimgehalten wurde, bis es zu spät war), in dem Frankreich, England und Rußland übereinkamen, ein Teil der den Arabern zugesagten Gebiete zu annektieren und den ganzen Rest in Einflußsphären unter sich aufzuteilen.

Gerüchte von diesem Betrug waren über die Türkei den Arabern zu Ohren gekommen. Im Osten schenkt man Personen mehr Vertrauen als Institutionen. So verlangten die Araber von mir, die meine Freundschaft und Aufrichtigkeit im Kampfe erprobt hatten, daß ich als unabhängiger Vertreter die Versprechungen der englischen Regierung bestätigen sollte. Ich hatte keine genauere Kenntnis von den Zusicherungen McMahons und dem Sykes-Picot-Abkommen gehabt, die beide vom Auswärtigen Amt in London ausgegangen waren. Aber da ich kein Tor war, konnte ich ohne weiteres erkennen, daß im Falle unseres Sieges die den Arabern gemachten Zusagen nicht viel mehr als ein Fetzen Papier sein würden. Wäre ich ein ehrlicher Ratgeber gewesen, so hätte ich den Leuten sagen müssen, nach Hause zu gehen und nicht länger ihr Leben für eine solche Gaukelei aufs Spiel zu setzen. Aber die arabische Bewegung war eines unserer Hauptwerkzeuge, um den Krieg im Osten zu gewinnen. Daher gab ich ihnen die Versicherung, daß England sein Wort dem Sinne und Buchstaben gemäß halten würde. Im Vertrauen darauf brachten die Araber ihre großen Leistungen zustande; aber anstatt stolz zu sein auf unsere gemeinsamen Taten, nagte an mir begreiflicherweise dauernd eine bittere Scham.

Klare Einsicht in meine Lage wurde mir eines Abends, als der alte Nuri Schaalan in seinem hochgewölbten Zelt einen Packen Dokumente hervorzog und mich fragte, welchen der britischen Zusicherungen nun eigentlich zu glauben wäre. In seinem Verhalten lag, auf meine Antwort hin, die Entscheidung über Faisals Erfolg oder Mißlingen. In einer Art geistiger Todesqual gab ich ihm den Rat, dem jüngstdatierten der einander widersprechenden Dokumente Glauben zu schenken. Diese sophistische Antwort machte mich, sechs Monate später, zum Hauptvertrauensmann der Araber. Im Hedschas bedeuteten die Scherifs alles, und ich hatte mein Gewissen erleichtert, indem ich Faisal darauf aufmerksam machte, wie hohl der Boden war, auf dem er stand. In Syrien war England mächtig, und keiner von den Scherifs spielte eine große Rolle; infolgedessen war ich dort der Ausschlaggebende.

Zum Entgelt dafür gelobte ich mir, den arabischen Aufstand aus eigener Kraft zu einem Erfolg zu machen, während er dabei gleichzeitig unserm Feldzug Helferdienste leisten sollte; und ich gelobte mir ferner, die Araber so stark am Endsieg zu beteiligen, daß schon Zweckmäßigkeitsgründe die Mächte zu einer entgegenkommenden Regelung der arabischen Forderungen bestimmen würden. Das setzte voraus, daß ich den Krieg überlebte, um später dann die Schlacht im Beratungszimmer zu gewinnen – unbescheidene Voraussetzungen, deren Erfüllung noch aussteht 1919: Aber zwei Jahre später wurde Winston Churchill von unserm nicht mehr ein und aus wissenden Kabinett mit der Regelung der Angelegenheit des Nahen Ostens betraut. Innerhalb weniger Wochen, bei der Konferenz in Kairo, entwirrte er den Knoten und fand Lösungen, die (wie ich glaube) unsere Versprechungen dem Buchstaben und Geist nach erfüllten (soweit es menschenmöglich war), ohne daß dadurch irgendein Interesse unseres Reichs oder der in Frage kommenden Völker geopfert worden wäre. So hatten wir denn unser Kriegsabenteuer im Osten liquidiert, und zwar mit reinen Händen, nur drei Jahre zu spät, um noch die Dankbarkeit zu ernten, die, wenn auch nicht Staaten, so doch Völker beweisen können.. Doch die Folgen des Betrugs hatten damit nichts zu tun.

Natürlich hatte ich keinen Schatten von Berechtigung, die nichtsahnenden Araber in ein Spiel auf Leben und Tod zu verwickeln. Unvermeidlich und mit Recht würden wir Vergrämung ernten, die bittere Frucht heroischen Bemühens. So unternahm ich in dem unbehaglichen Gefühl meiner schiefen Stellung (hat je ein Untergebener so viel um seiner Vorgesetzten willen gelogen?) diesen langen und gefährlichen Ritt, um die wichtigsten von Faisals Anhängern aufzusuchen und die Schlüsselstellungen unserer zukünftigen Operationen auszukundschaften. Aber die Ergebnisse standen in keinem Verhältnis zu dem Aufwand an Wagnis. Ich hatte mir heimlich gesagt: »Ich will es versuchen, jetzt, vor dem eigentlichen Beginn«; ich wußte genau, daß es die letzte Möglichkeit war, und daß ich nach einer geglückten Einnahme Akabas niemals mehr frei und ohne Bindungen über mich würde verfügen können.

Am 16. Juni kehrte ich zurück; Nasir arbeitete noch in seinem Zelt. Er und Auda hatten voneinander mehr gesehen, als beiden gut war, und so war es kürzlich zu einem Bruch zwischen ihnen gekommen. Aber er wurde leicht geheilt, und nach einem Tag war der alte Häuptling wieder ganz wie früher, immer unter uns, freundlich und schwer zu behandeln. Wir erhoben uns stets, wenn er eintrat, nicht seiner Scheikwürde wegen, denn sitzend empfingen wir Scheiks von viel älterem Range als ihn; sondern weil er Auda war, und Auda war eben etwas ganz Besonderes auf der Welt. Der alte Mann schätzte das; sooft wir auch aneinander geraten mochten, wir wußten doch alle, daß wir wahre Freunde waren.

Seit unserem Aufbruch von Wedsch waren nun fünf Wochen vergangen; das mitgeführte Geld war bis auf einen kleinen Rest ausgegeben; wir hatten alle Hammel der Howeitat verzehrt; unsere Kamele waren ausgeruht oder durch neue ersetzt; nichts hinderte uns mehr am Weitermarsch. Die bevorstehenden Abenteuer machten uns frisch und unternehmungslustig; und am Abend vor dem Aufbruch gab Auda in seinem geräumigen Zelt ein großes Abschiedsfest, das großartigste von allen. Hunderte waren anwesend, und die große Schüssel wurde fünfmal leer gegessen, ebenso rasch, wie sie wieder gefüllt und aufgetragen war.

Die Sonne war in prachtvollem Abendglühen untergegangen; und nach dem Fest lagerte die ganze Gesellschaft draußen rings um den Kaffeeherd unter dem glitzernden Sternenhimmel, während Auda und andere Geschichten erzählten. In einer Pause erwähnte ich ganz zufällig, daß ich am Nachmittag Mohammed el Dheilan in seinem Zelt aufgesucht hätte, um ihm für das überlassene Milchkamel zu danken, daß ich ihn aber nicht hätte finden können. Auda schüttelte sich vor Lachen, bis alles nach ihm hinblickte. Und in dem Stillschweigen, das entstand – jeder wünschte doch den Spaß zu hören –, wies Auda auf Mohammed, der mißmutig neben dem Kaffeemörser hockte, und rief mit seiner dröhnenden Stimme:

»Was meint ihr? Soll ich erzählen, warum Mohammed vierzehn Tage lang nicht in seinem Zelt geschlafen hat?« Alles grunzte vor Vergnügen, jede Unterhaltung hörte auf, und man streckte sich bequem auf dem Boden zurecht, das Kinn in die Hand gestützt, um sich keine der Pointen der Geschichte, die man wohl schon an die zwanzigmal gehört hatte, entgehen zu lassen. Auch die Frauen – drei von Auda, die Frau Saals und einige von Mohammed – kamen von der Küche herüber mit ihren vorgestreckten Leibern und dem breitbeinig wiegenden Gang (eine Folge des Tragens schwerer Lasten auf dem Kopf) und blieben dicht beim Trennungsvorhang lauschend stehen, indes Auda lang und breit erzählte, wie Mohammed im Basar von Wedsch eine kostbare Perlenschnur gekauft hatte, sich dann aber nicht hatte entschließen können, welcher von seinen Frauen er sie schenken sollte, worauf sich alle miteinander verzankten, aber in dem einen Punkt einig waren, nämlich sich dem Gatten zu versagen.

Die Geschichte war natürlich reine Erfindung – Audas spottlustiges Temperament war durch die Anregung des Aufstandes erst so recht in Zug gekommen – und der unglückliche Mohammed, der einfach vierzehn Tage lang in den Zelten seiner Stammesgenossen herumgastiert hatte, rief Gott um Gerechtigkeit und mich zum Zeugen an, daß Auda nicht die Wahrheit spräche. Ich räusperte mich vernehmlich, worauf Auda Stille gebot und mich aufforderte, seine Worte zu bestätigen.

Ich begann mit der üblichen formelhaften Einleitung einer ernsthaften Erzählung: »Im Namen Gottes des Gnädigen und Allgütigen! Wir waren unser sechs zu Wedsch. Es waren da Auda und Mohammed und Saal, Gasim el Schimt, Mufaddhi und der Armselige (das war ich); und eines Nachts, kurz vor Morgengrauen, sagte Auda: ›Laßt uns einen Beutezug zum Markt machen.‹ Und wir sagten: ›Im Namen Gottes!‹ Und so machten wir uns auf: Auda im weißen Gewand, roten Kopftuch und Kasim-Sandalen aus gestückeltem Leder; Mohammed im seidenen Mantel ›der sieben Könige‹ und barfuß; Saal … aber ich vergaß, was Saal trug. Gasim war in baumwollnen Kleidern und Mufaddhi in blaugestreifter Seide mit gesticktem Kopftuch. Euer Diener aber ging als euer Diener.«

Als ich einen Augenblick inne hielt, war allgemeine Verblüffung. Meine Geschichte war eine offenbare Parodie auf Audas Erzählungsart; ich ahmte auch seine Handbewegungen nach und den hohl dröhnenden Klang der Stimme mit dem steigenden und fallenden Ton, womit er seine Pointen unterstrich – oder was er wenigstens in seinen stets pointenlosen Geschichten dafür hielt. Die Howeitat hockten mäuschenstill und starrten begierig auf Auda, vor Freude mit ihren vollen Bäuchen wackelnd unter den schweißsteifen Kleidern. Alle erkannten das Original, und eine Parodie war für sie, wie für Auda, etwas gänzlich Neues. Der Kaffeebereiter, Mufaddhi, ein wegen einer Blutschuld geflüchteter Schammar und selbst ein Original, vergaß im Eifer des Lauschens frisches Dornreisig auf das Feuer zu schichten.

Ich erzählte dann weiter, wie wir die Zelte verließen, gab ein genaues Verzeichnis der Zelte, und wie wir dann hinunterstiegen, dem Dorfe zu, erwähnte jedes Kamel und jedes Pferd und jeden Vorübergehenden, den wir unterwegs trafen, und beschrieb darauf die Höhenrücken: – »Alle kahl und ohne einen Grashalm, denn, bei Gott, das Land war öde und leer. Und wir marschierten weiter, und nachdem wir so lange gegangen waren, wie man braucht, um eine Zigarette zu rauchen, hörten wir ein Geräusch, und Auda blieb stehen und sagte: ›Kameraden, ich höre etwas.‹ Und Mohammed blieb stehen und sagte: ›Kameraden, ich höre etwas.‹ Und Saal sagte: ›Bei Gott, ihr habt recht.‹ Und wir hielten inne und lauschten, und da war nichts, und der Armselige sagte: ›Bei Gott, ich höre nichts.‹ Und Saal sagte: ›Bei Gott, ich höre nichts.‹ Und Mohammed sagte: ›Bei Gott, ich höre nichts.‹ Und Auda sagte: ›Bei Gott, ihr habt recht.‹

Und wir gingen und gingen, und das Land war öde, und wir hörten nichts. Und zu unserer Rechten kam ein Mann, ein Neger, auf einem Esel. Der Esel war grau, mit schwarzen Ohren und einem schwarzen Fuß, und auf seiner Schulter war ein eingebranntes Mal, das sah so aus (ein Schnörkel in der Luft) … und sein Schwanz wackelte, und seine Beine bewegten sich. Auda sah ihn und sagte: ›Bei Gott, ein Esel.‹ Und Mohammed sagte: ›Beim wahrhaftigen Gott, ein Esel und ein Sklave.‹ Und wir gingen weiter. Und wir kamen an einen Höhenrücken, kein großer, aber doch ein Rücken so breit wie von hier bis Wie-heißt-es-gleich? (›lil bili yeh el hok‹), das liegt da drüben. Und wir gingen auf den Rücken, und er war öde und leer. Jenes Land war öde, öde, öde.

Und wir gingen weiter. Und hinter Wie-heißt-es-gleich war ein Was-ist-das-gleich, so weit entfernt wie von hier nach dorthin; und dahinter kam ein Höhenrücken; und wir kamen an den Rücken und stiegen auf den Rücken hinauf; er war öde, das ganze Land war öde: und als wir oben auf den Rücken kamen und auf den Grat des Rückens und auf den Gipfel des Grats des Rückens, da, bei Gott, bei meinem Gott, beim wahrhaftigen Gott, da ging die Sonne über uns auf!«

Damit endete die Erzählung. Jeder hatte wohl schon an die zwanzigmal diesen Sonnenaufgang gehört, mit seinem gewaltigen Pathos und der unendlichen Kette verschlungener Phrasen, die Auda in ewigen Steigerungen ewig wiederholte, um stundenlang das atemlos gespannte Interesse an irgendeiner Räubergeschichte wachzuhalten, in der nichts geschah. Was ich selbst hinzugefügt hatte, war nur die leichte Übertreibung, die deutlich machen sollte, daß es sich um eine Verspottung der Erzählungen Audas handelte und somit auch der Geschichte von dem Spaziergang nach dem Markt von Wedsch, die viele von uns wirklich für Ernst genommen hatten. Die ganze Gesellschaft bog sich vor Lachen.

Auda selbst lachte am längsten und lautesten; denn er hatte es nicht ungern, wenn man ihn verulkte, und außerdem hatte ja meine alberne Geschichte seine sichere Beherrschung epischer Schilderungen deutlich zur Geltung gebracht. Er umarmte Mohammed und bekannte, daß er die Halsbandgeschichte erfunden habe. Aus Dankbarkeit lud Mohammed uns alle für morgen eine Stunde vor Abmarsch zum Frühstück ein in seinem wiedererlangten Zelt. Wir sollten ein vor kurzem geborenes Kamelkalb in saurer Milch bekommen, ein sagenhaftes Gericht, und außerdem von seinen eigenen Frauen zubereitet, die ihrer Kochkünste wegen berühmt waren.

Später saßen wir an der Mauer von Nuris Gut und sahen zu, wie die Frauen das große Zelt abbrachen, das größer als Audas war, achteckig, gestützt von vierundzwanzig Stangen, breiter und höher als alle anderen des Stammes und außerdem ganz neu, wie alles, was Mohammed mit sich führte. Die Abu Taji waren dabei, ihr Lager umzubauen, der Sicherheit wegen, wenn ihre waffenfähigen Männer abzogen. Den ganzen Nachmittag über wurden Zelte herangebracht und neben uns aufgestellt. Das längliche Tuch wurde glatt auf der Erde ausgebreitet, darauf wurden die Stricke an den Enden, den Seiten und den Ösen für die Stangen festgezogen und an Pflöcken befestigt. Darauf schob die Frau des Zeltbesitzers die leichten Stangen eine nach der anderen unter das Tuch und hob es auf diese Weise hoch, bis das ganze Zelt fertig dastand, allein von den schwachen Kräften einer Frau aufgerichtet, auch wenn der Wind noch so heftig sein mochte.

Wenn es regnete, wurde eine Reihe von Stangen unten hereingeschoben, so daß das Zeltdach schräg zu den Schauern gespannt und ziemlich wasserdicht wurde. Im Sommer war es in den Araberzelten weniger heiß als in unseren Segeltuchzelten, denn ihr lose gewirktes Gewebe aus Haaren und Wolle mit Luftmaschen zwischen den Fäden nahm die Sonnenhitze nicht an.


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